Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 101c

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Geschichte der Mathematik (Teil 1)

Inhalt editar

INHALT
1. Kapitel: Pythagoras. Mathematik als Wissenschaft
2. Kapitel: Euklid. Mathematik und Philosophie
3. Kapitel: Archimedes. Mathematik und Wirklichkeit
4. Kapitel: Apollonios von Pergä. Mathematik als Virtuosität
5. Kapitel: Diophantos. Mathematik als Schrift
6. Kapitel: Alchwarizmi. Mathematik als Denkmaschine
7. Kapitel: Leonardo von Pisa. Mathematik als Anbruch
8. Kapitel: Nicole von Oresme. Mathematik und Natur
9. Kapitel: Vieta. Mathematik als Symbolik
10. Kapitel: Jost Bürgi. Mathematik als Tabelle
11. Kapitel: Descartes. Mathematik als Methode
12. Kapitel: Gottfried Wilhelm Leibniz. Mathematik als Kosmos
13. Kapitel: Jean Victor Poncelet. Mathematik als Zauberspiegel
14. Kapitel: Evariste Galois. Mathematik als Verallgemeinerung
15. Kapitel: C. F. Gauß. Mathematik als Weltfahrt
16. Kapitel: Bernhard Riemann. Mathematik als Geisterreich
17. Kapitel: David Hilbert. Mathematik und Logik

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Erstes Kapitel
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PYTHAGORAS
Mathematik als Wissenschaft
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Wir stellen uns in das sechste vorchristliche Jahrhundert. Und wir muten uns die Märchengabe zu, gleichsam allgegenwärtig zu sein, ohne selbst gesehen zu werden. Für diese Reise auf einem Zauberteppich haben wir keinen Plan. Nur der Wunsch soll uns führen, nur die Laune. Und die Bilder und die Gedanken werden Sätze, formen sich zum Überblick.
Satter Friede liegt über dem Lande der Pharaonen. Der Sturm aus dem Osten hat noch nicht zu brausen begonnen. Nichts deutet darauf hin, daß er sich zum Orkan verstärken wird. Wenn anders man verästelte diplomatische Verhandlungen mit den Persern nicht allzu ernst nimmt. Wer sollte sie auch allzu ernst nehmen? In der vieltausendjährigen Geschichte des ägyptischen Reiches hat ja die Diplomatie niemals geruht. Und rätselhaft wie seine Sphinxe liegt dieses Land da in all seiner Herrlichkeit.
Jahr für Jahr überschwemmt der Nil die Fluren, zerstört schlammbringend, neue Frucht verheißend, die sorgfältig ausgemessenen Gemarkungen. Wenn die Fluten sich verlaufen haben, dann eilen unzählige Feldmesser hinaus auf die Schlammflächen, auf denen noch Fische und Frösche zappeln, schlagen Pflöcke ein, verbinden sie mit Meßschnüren und rechnen. Rechnen Tag und Nacht, bis in kurzer Zeit jedem Grundbesitzer wieder seine Felder zugeteilt sind.
Auf diese Emsigen aber blicken in majestätischer Ruhe erhabene Bauwerke herab. Pyramiden mit scharfen Kanten, spiegelglatten grauen polierten Flächen. Über und über bedeckt mit grell-bunten Hieroglyphen. Warum stehen sie so unwahrscheinlich regelmäßig, so streng geometrisch da, diese Pyramiden? Warum auch geben die Formen der Obelisken, Tempelpylonen, Pfeiler, Kanalböschungen, Getreidespeicher den Pyramiden an peinlichster Arbeit nichts nach?
Wir erlauschen das Geheimnis: es ist Architektengeschicklichkeit, unterstützt von Seilspannern und Geometern, die aus dicken Papyrusrollen allerlei Formeln herauslesen und sie anwenden. Sie wissen genaue Verfahrensweisen, um rechte Winkel zu bestimmen. Es ist ihnen bekannt, daß, wenn man aus Seilen ein Dreieck mit den Seiten von 3, 4 und 5 Einheiten bildet und es durch Pflöcke an den Knotenpunkten dieser Seile fest legt, dann stets ein unbedingt verläßlicher rechter Winkel im Punkt des Zusammenstoßens der Seiten 3 und 4 entsteht. Aber solches Wissen ist ja höchst primitiv. Das reicht selbst für die ägyptischen Geometer in die Jahrtausende zurück. Heute weiß man mehr im heiligen Lande Kemi. Man kennt ein Verfahren, das Jahrtausende später Trigonometrie heißen wird. Wenigstens einiges kennt man davon. Nämlich die Winkelfunktion des Kotangens. Kurz, man weiß, daß die Winkelgröße eines spitzen Winkels im rechtwinkeligen Dreieck in genauer Abhängigkeit von den Katheten des Dreieckes steht. Eine dieser Katheten heißt „Pir-em-mus“. Das haben die Griechen erlauscht, schlecht gehört und daraus das Wort Pyramis oder Pyramide gemacht. Aber das ereignete sich erst später. Jetzt stehen wir am Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Und da gilt unsre Bewunderung nicht bloß den herrlichen Bauten, sondern auch der wohlgeordneten Staatsverwaltung Ägyptens, seinem blühenden Handel, seinem Rechts- und Finanzwesen.
Wie machen es wohl nur die Rechenmeister, die dort um den Getreideberg herumstehen und ihn streng nach vorher festgesetzter Anteilquote an verschiedene Eigentümer zuteilen, bevor auch nur eine einzige Mengeneinheit auf die Waage kommt? Sie haben eben auch für solche Zwecke Verfahrensarten ersonnen. „Haufenberechnung“ nennen sie es. Und sie schrecken auch vor sehr verwickelten Zuteilungsfragen nicht zurück. Gesellschaftsrechnung, Regeldetri, Gleichungen mit einer Unbekannten wird man später das nennen, was sich hier zum erstenmal regt und zum erstenmal den Zwecken der Menschen dient. Und es gibt auf dem Boden dieses heiligen Landes noch manches andre, manches auch, in das wir nicht eindringen, das wir nicht durchschauen können.
Wir aber wissen, daß wir am Beginn eines Fluges durch Jahrtausende sind. Kein Zauber darf uns gefangen halten. Wir fliegen nach Osten, denn man hat uns sonderbare Dinge erzählt, was es dort gibt und was - ebenfalls seit Jahrtausenden - dort von den „Ohaldäern“ getrieben wird.
Auch das Zweistromland des Euphrat und Tigris, das jetzt eben von den Persern beherrscht wird, ist uraltes Kulturland. Sumerier und Akkadier, Assyrier und Babylonier haben hier gedacht, gekämpft, geackert, einander vernichtet und sich miteinander vermengt. Und alle haben sonderbare Keilschriftzeichen in Tontäfelchen geritzt. Ganze Magazine voll. Und auf Tausenden und Abertausenden dieser Täfelchen wurde gerechnet. Das letzte Ziel der Rechnungen aber ist hier, mit Ausnahme praktischer Dinge des Geldwesens, ja sogar der Transportversicherung, nicht sosehr auf die äußere Gestaltung gerichtet gewesen wie im Lande Ägypten. Hier, in Babylon und rundum im Zweistromland, richtet man seinen Blick zum Himmel. Die Chaldäer sind die besten Astronomen der bekannten Welt. Sie berechnen Verfinsterungen der Sonne und des Mondes voraus, prüfen und bestimmen den Kalender und wissen sehr genau Bescheid um die Winkel, unter denen die Gestirne erscheinen und untertauchen, und um die Bahnen, die von den Planeten durchlaufen werden.
Sie betreiben die sphärische Trigonometrie, die Winkelmeßkunde auf der Kugel, in der Hohlkugel des Firmamentes. Sie haben den Kreis in dreihundertsechzig Grade geteilt, sie benützen ein Ziffernsystem mit der Grundzahl 60 und meistern selbst schwierige, großzahlige Berechnungen, ja sogar Quadrat- und Kubikzahlen. Vielleicht stehen sie auch mit ihren östlichen Nachbarn, den Indern, und den fernsten Nachbarn, den Chinesen, in Verbindung?
Wir wollen da nicht Märchen ersinnen. Wir wissen bloß, daß die Inder in ungeheuren Zahlen schwelgen, daß sie eigene Worte für Zahlen besitzen, die an das Unvorstellbare grenzen. In ihrem uralten Epos Mahabharata ist von 24·1015 Göttern die Rede und Gautama Buddha soll 600.000 Millionen Söhne gehabt haben. Ein Volksmärchen aber, das wir am Markt von Benares erlauschen, berichtet, daß einst in grauer Vorzeit eine Affenschlacht stattfand, an der 1040 Affen teilgenommen haben. Was ist das wohl für eine Zahl? Jahrtausende später hat man berechnet, daß diese Affen nicht in einer Hohlkugel Platz hatten, deren Durchmesser gleich dem Durchmesser des ganzen Sonnensystems (der Neptunbahn) wäre. Gläubig sind sie, großzügig und phantastisch, diese alten Inder. Trotz oder infolge dieser zügellosen Geistigkeit entdecken sie jedoch eine Wahrheit nach der andern. Und sie kennen auch ähnliche Künste wie die Seilspanner (Harpedonapten) des Nillandes. Nur ist ihr Musterdreieck zur Erzeugung des rechten Winkels nicht das nächstliegende mit dem Seitenverhältnis 3, 4 und 5, sondern ein Dreieck der Seiten 5, 12 und 13. Mit diesem „Werkzeug“ nun stecken sie die Grundrisse von Altaren ab, deren Form manchmal etwa einem aus Dreiecken, Rhomben und Quadraten zusammengesetzten Adler gleicht.
In der Zeit aber, durch die wir fliegen, rechnen auch fleißige Chinesen mit „Rechenbrettern“, bei denen Kügelchen auf Drahten aufgereiht sind. Und ganz fern im Westen hält das amerikanische Reich der hochzivilisierten Majas, ohne Zusammenhang mit all den bisher von uns besuchten Völkern, Staat und Verwaltung, Handel und Kalender mit gut erdachten Ziffernsystemen in bester Ordnung.
An den Ufern des Mittelmeeres aber ist ein großes Werden und eine Wunderbare Geburt im Gange. Auf den Inseln, die wie im Traum in heiteren blauen Wassern liegen, an deren Hängen glühender, Wein reift, und auf dem Festland, in der Rosenstadt Milet, erfaßt eine unentrinnbare Sehnsucht einzelne. Die Sieben Weisen Griechenlands stehen plötzlich vor den erstaunten Augen der Mitwelt, und einer dieser Weisen ist Thales von Milet. Gut, die Landsleute halten ihn schon als Jüngling für ein großes Licht des Geistes und des Wissens. Er aber hat Kunde vernommen von tieferer, älterer, klarerer Weisheit. Und er besteigt ein Schiff und fährt in die Welt. Dorthin, wo höchster Preis winkt. Im Delta des Nils liegen griechische Siedlungen. Dort stehen hellenische Hilfstruppen den Pharaonen zu Diensten. Kein Wunder, daß sich Thales in diesen Landstrich begibt. Freundlich und väterlich wird er von ägyptischen Priestern unterwiesen. Beileibe nicht im Geheimwissen. Man zeigt ihm eben, wie man einfache Dinge mißt und berechnet. Thales aber gerät in einen Rausch des Erkennenwollens. Sein Geist beginnt zu rasen. Und die Priester Ägyptens erstaunen nicht so sehr über das Ergebnis der Entdeckungen des Thales als vielmehr über die sonderbare, ihnen fremde Anschauungs- und Verallgemeinerungskraft, mit der der junge Hellene die Aufgaben anpackt.
Er steht im Wüstensand zu Füßen der großen Pyramiden. Ein Priester Ägyptens fragt ihn lächelnd, wie hoch wohl die Pyramide des Königs Chufu (die Cheops-Pyramide) sei. Thales überlegt. Dann antwortet er, er werde die Höhe nicht schätzen, sondern messen. Ohne jedes Werkzeug, ohne Hilfsmittel. Und er legt sich in den Sand und bestimmt die eigene Körperlänge. Was er vorhabe, fragen ihn die Priester. Er aber erklärt: „Ich werde mich einfach ans eine Ende dieser gemessenen Länge meines Körpers stellen und warten, bis mein Schatten genau so lang ist wie meine Körpergröße. In eben demselben Augenblick muß auch die Schattenlänge der Pyramide eures Ohufu (oder wie wir Hellenen sagen, des Oheops) genau so viele Schritte messen, wie die Pyramide hoch ist.“ Als der Priester, verblüfft von der unvorstellbaren Einfachheit der Lösung, noch nachsinnt, ob da nicht irgendein Trugschluß, ein Fehler vorliegen könnte, spricht Thales schon weiter: „Wenn ihr aber wollt, daß ich euch diese Höhe zu jeder beliebigen Stunde messe, dann werde ich diesen Wanderstab hier in den Sand stecken. Seht, sein Schatten ist etwa halb so kurz wie der Stab selbst. Folglich muß eben jetzt auch der Schatten der Pyramide etwa die Halfte ihrer Höhe messen. Ihr seid ja geschickt genug, die Messung sehr genau durchzuführen. Ihr habt dann bloß die Stablange mit der Schattenlänge zu vergleichen, um durch Teilung oder Vervielfachung des Pyramidenschattens die Höhe des Bauwerks zu ermitteln.“
In dieser Art setzt Thales von Milet die Ägypter in Staunen. In seiner Vaterstadt aber mißt er sogar die Entfernung von Schiffen, die draußen auf der See fahren. Nur einen Visierwinkel braucht er dazu und die Höhe seines Standortes über dem Meeresspiegel: er arbeitet mit der Ähnlichkeit von Dreiecken und hat die einfachsten „Verhältnisse“ und „Proportionen“ in den Kreis seiner Betrachtungen einbezogen. Das ist aber noch durchaus nicht alles. Er hat viel Tieferes entdeckt, viel Folgenschwereres. Er weiß nämlich bereits, daß der Winkel im Halbkreis, jener Winkel also, dessen Schenkel durch die Endpunkte eines Durchmessers laufen und dessen Scheitel im Umfang des Halbkreises liegt, jederzeit ein rechter Winkel ist. Mit dieser Erkenntnis hat er ein Tor geöffnet, durch das in der Zukunft, und zwar schon in naher Zukunft, viel Neues einströmen sollte. Wir wollen es aber nicht bei dieser Andeutung bewenden lassen, sondern unseren Weltflug unterbrechen und deutlich sagen, was wir meinen. Wenn ein Mann vom geistigen Range eines Thales einmal gesehen hat, daß sich über einer und derselben Hypotenuse im Halbkreise unzählig viele rechtwinklige Dreiecke bilden lassen, dann ist es fast verwunderlich, daß er sich nicht eine weitere Frage nach der Beziehung vorgelegt hat, in der die Katheten zueinander und zu ihrer gemeinsamen Hypotenuse stehen. Insbesondere, da ja als fast sicher anzunehmen ist, daß er in Ägypten vom Dreieck mit dem Seitenverhältnis 3, 4 und 5 gehört hat. Oder hat Thales dort nichts von solchen Dreiecken erfahren? Wir haben keine nähere Kenntnis davon. Es steht nur fest, daß Pythagoras von Samos ein Schüler desselben Thales von Milet war. Und was die Nennung dieses Namens in eben diesem Zusammenhang bedeutet, dürfte jedem klar sein, der nur die einfachsten Anfangsgründe der Geometrie kennt. Wir werden aber gleichwohl darüber später eingehender sprechen. Allerdings erst, nachdem wir unseren Weltflug noch ein wenig fortgesetzt haben.
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