Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 105c

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Geschichte der Mathematik (Teil 5)


Zweites Kapitel
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EUKLID
Mathematik und Philosophie
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Vitruvius erzählt in seinem Werke über die Architektur in der Vorrede folgende kennzeichnende Anekdote: „Aristippus philosophus Socraticus, naufragio cum eiectus ad Rhodiensium litus animadvertisset geometrica schemata descripta, exclamavisse ad comites ita dicitur: Bene speremus, hominum enim vestigia video.“ Wir wollen diese Stelle frei ins Deutsche übertragen, um ihren für unsren Gegenstand ungeheuer aufschlußreichen Symbolgehalt entsprechend deutlich herauszustellen. Aristippus also, ein Anhänger oder Schüler des Sokrates, sei bei einem Schiffbruch ans Ufer von Rhodos ausgeworfen worden. Dort habe er in den Sand gezeichnete geometrische Figuren bemerkt und soll darauf, zu seinen Gefährten gewendet, freudig ausgerufen haben: „Wir wollen bester Hoffnung sein, denn ich sehe die Fährte von Menschen!“
Die Fährte echter, wahrer Menschen, wollen wir hinzufügen. Fast denken wir bei diesem Ausruf an unser: „Wo man singt, dort laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Für den Hellenen war es klar: kein Barbare hauste hier. Denn böse Menschen haben keine „schemata geometrica“, keine geometrischen Figuren. Das Antlitz des Kulturmenschen leuchtet im Glanz geometrischen Wissens und seine Fährte ist die geometrische Figur.
Diese Anekdote soll sich etwa zur Zeit Platons zugetragen haben, also um 400 vor Christi Geburt. Daher obliegt es uns diesmal, mit unserem Zauberteppich nicht den Raum, sondern die Zeit zu durcheilen, um den Inhalt all dessen wiederzugeben, was von Pythagoras steil ansteigend zum leuchtenden Kulm des hellenischen Geisteswunders führte. Wir wollen diese garende, vorwärtsstürmende Zwischenzeit als die Zeit des Einbruches der Philosophie in die Mathematik charakterisieren, obgleich es in ihr durchaus nicht an mathematischer Eigenleistung und Eigenentwicklung fehlte. Sie hatte aber trotz all dieser Erfolge nicht die letzte Höhe erreicht, wenn sich nicht eine weitere Zone hellenischen Genies teils befruchtend, teils zersetzend zu ihr gesellt hatte.
Auf demselben unteritalischen Boden Großgriechenlands nun, auf dem die Reste der pythagoreischen Schule ihre tiefgründigen, noch geheimnisumhüllten Forschungen fortsetzten, erwächst auch eine philosophische Schule, die Schule der Philosophen von Elea, die, vom großen Philosophen Parmenides gegründet, in Zenon schließlich einen fast ins Karikaturenhafte verzerrten Vertreter fand. Er war kein Mathematiker, sondern, wie Gantor sagt, eher das Gegenteil eines Mathematikers, eröffnete aber durch seine Skepsis, durch seine vor keiner Paradoxie zurückschreckende Zweifelsucht einen Streit, der sich bis in unsre Tage zieht, ohne je zum endgültigen Abschluß kommen zu können. Er rührte als erster in aller Scharfe an die große Gegengesetzlichkeit innerhalb des Menschengeistes, an die Antinomie zwischen Stetigkeit und unendlicher Teilbarkeit, zwischen Ruhe und Bewegung. Bevor wir jedoch über Zenon selbst sprechen, müssen wir zurückgreifen: schon von Anaximandros von Milet wird behauptet, er habe den Begriff des Unendlichen in die Wissenschaft eingeführt, und die Pythagoreer deckten sowohl durch ihre Betrachtungen der Zahlenfolgen als auch durch die Entdeckung des Irrationalen tiefe Einblicke ins Unendliche, in das niemals zu Ende zu Führende auf. Gewiß, das Alogon, das Unaussprechliche, wurde abgelehnt und zurückgeschoben. Man erklärte, es entspreche zwar jeder Zahl eine Größe oder Strecke, nicht aber jeder Größe oder Strecke eine Zahl. Was nützte dieses Zurückschieben des Urproblems? Das Irrationale war nun einmal durchgesickert und es existierte, ob man es als gleichsam vollbürgerliche hellenische Denkkategorie anerkannte oder nicht.
Nun war aber, noch vor Zenon, ein mächtiger geometriekundiger Philosoph, Anaxagoras, aufgestanden, der dem Stetigkeitsprinzip seine schärfste Formulierung gegeben hatte. Anaxagoras erklärte: „Im Kleinen gibt es kein Kleinstes, sondern es gibt stets noch ein Kleineres ...
Aber auch im Großen gibt es stets noch etwas, das größer ist.“ Und schon etwa zwanzig Jahre nach der Geburt des Anaxagoras wurde wieder ein Bahnbrecher geboren, Demokritos aus Abdera, aus jener verrufenen Schildbürgerstadt des Altertums, von deren Bewohnern man sich die tollsten und albernsten Geschichten erzählte. Der „Abderite“ Demokrit aber sollte als Stern erster Größe in die Weltgeschichte eingehen. Er war sozusagen der erste Entdecker des Materialismus und hat dem Begriff des Atoms, des letzten unteilbaren kleinsten Teiles, sein erstes und sein bleibendes Bestehen verschafft. Demokrit war auch ein hochrangiger Mathematiker, hatte, wie schon so viele, Ägypten besucht und hat - eine sonderbare Laune der Wissenschaftsgeschichte - gerade auf mathematischem Gebiet eine grundlegende Entdeckung gemacht, die seiner atomistischen Philosophie schnurstracks zuwiderlief. Er bestimmte nämlich als erster das Volumen der Pyramide und des Kegels, indem er diese Gebilde in dünnste Scheiben zerschnitt und ihre Volumen als ein Drittel eines Prismas, bzw. Zylinders von gleicher Grundfläche und gleicher Höhe erklärte. Diese an sich durchaus richtige Erkenntnis ist - und das wollten wir oben sagen - auf atomistischer Grundlage nicht möglich. Es genügen dazu nicht dünne Scheiben, sondern dünnste und wieder noch dünnere Schnitte, sonst erhält man keine glatte Pyramide, sondern eine Stufenpyramide, und keinen glatten Kegel, sondern einen Stufenkegel, den man zu den glatten Gebilden - Prisma und Zylinder - nicht in Beziehung setzen kann. Wie es nun auch immer mit dieser Entdeckung des Demokrit oder mit jener des Anaxagoras ausgesehen haben mag, der als politischer Häftling im Gefängnis zu Athen die erste Kreisquadratur gezeichnet haben soll: sicher ist jedenfalls, daß der Streit der Philosophen um die tiefsten Probleme der Mathematik auf allen Linien entbrannt war. Und hierzu müssen wir jetzt das „Gegenteil eines Mathematikers“, den Skeptiker Zenon aus Elea, herbeirufen, damit er uns in seiner überspitzten, unterhaltlichen Art die Fruchtlosigkeit aller tieferen mathematischen Bemühung klarlege. Zenon war ein Feind der Pythagoreer. Warum, wissen wir nicht. Wir wollen aber annehmen, daß ihn keine persönlichen, sondern rein sachliche Gründe leiteten. Weil er aber ein Feind der Pythagoreer war, mußte er zuerst das Heiligste dieser Schule, den Zahlbegriff, zersetzen. Und er besorgte seinen Angriff äußerst gründlich. Er leugnete nämlich kurzweg die Möglichkeit jeder Vielheit. Eine Vielheit, so schloß er, müsse sich aus Einheiten aufbauen. Eine Einheit, eine solche nämlich, die diesen Namen wirklich verdiene, könne nur dann vorliegen, wenn es sich um Unteilbares handle. Etwas Unteilbares aber dürfe wieder keine Größe besitzen, sonst müßte es teilbar sein. Da somit die Einheit keine Größe habe, sei sie gleichsam ein Nichts. Ein Nichts aber könne man vervielfachen, so weit man wolle, und man erhalte dadurch wieder ein Nichts. Es existiere also keine Vielheit. Man könne aber ebensogut behaupten, die Einheiten seien unendlich groß. Denn wenn das Viele oder die Vielheit existieren solle, dann müßten ihre Teile voneinander entfernt liegen. Daher könnten dazwischen wieder Teile eingeschoben werden, die wieder eine Größe haben müßten, und so fort ins Unendliche. Wie weit man nun auch diesen Prozeß verfolge, gelange man stets wieder zu teilen, zu Einheiten, die eine Größe hätten, somit aus unendlich vielen Teilen beständen, die selber wieder Größe hätten usw. Daher müsse jede Einheit unendlich groß sein, da sie sich aus unendlich vielen, selbst ausgedehnten Teilen zusammensetze. Nicht genug aber an der schauerlichen Tatsache, daß es keine Einheiten und keine Vielheiten, also keine Größen und keine Zahlen gebe, oder daß Einheit und Vielheit jede für sich unendlich groß seien, so gebe es darüber hinaus auch keine Bewegung. Ehe ein abgeschossener Pfeil an seinem Ziele ankommen könne, müsse er vorerst die Halfte des Weges zurücklegen, von dieser Halfte wieder die Halfte und so fort. Entweder nun setze sich jede solche Hälfte aus wirklichen, existierenden Wegstrecken von  ,  ,  ,  , usw. des ganzen Weges zusammen, dann sei sie eben die Summe unendlich vieler, wenn auch stets kleiner werdender, doch noch immer wirklicher Wegstrecken. Dann aber brauche der Pfeil schon für die kleinste ins Auge gefaßte Strecke eine unendliche Zeit, bleibe also auf der Bogensehne hängen. Oder aber die Teilstrecken seien nicht weiter teilbar, dann seien sie eben nichts. Und aus einer auch noch so umfassenden Aufsummierung der „Nichtse“ könne nie ein Etwas entstehen. Auch in diesem Falle bleibe der Pfeil auf dem Bogen. Aus ähnlichen Gründen könne auch der schnellfüßige Achilles niemals die Schildkröte einholen, die einmal einen Vorsprung habe, weil, wahrend Achilles den Vorsprung durchlaufe, die Schildkröte einen neuen Vorsprung gewinne, und so fort bis ans Ende der Zeiten, das aber Achilles ebensowenig erlebe wie die Schildkröte.
Nun war Zenon von Elea ein zu heller Kopf, um auf den Einwurf, daß der Pfeil in Wirklichkeit abfliege, daß die Vielheit tatsächlich existiere und daß Achilles die Schildkröte in wenigen Augenblicken erreicht haben würde, mit dem Jahrtausende später geprägten Philosophenwort: „Desto schlimmer für die Tatsachen“ zu antworten. Er wollte vielmehr die ebenso „tatsächlich“ sofort auftretenden Schwierigkeiten in möglichst greller Art beleuchten, die sich der Behauptung eines Anfanges, einer letzten Einheit, eines selbst unteilbaren Teiles entgegenstellen. Daran änderte es auch nichts, daß inzwischen schon Theodoros von Kyrene die Irrationalität aller unendlich vielen Quadratwurzeln, sofern es sich nicht um Wurzeln aus Quadratzahlen handelte, bewiesen hatte.


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