Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 159c

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Geschichte der Mathematik (Teil 59)


Siebzehntes Kapitel
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DAVID HILBERT
Mathematik und Logik
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Wir haben versucht, auf die Entwicklung der Mathematik im letzten Jahrhundert einige Streiflichter zu werfen. Dabei konnten wir aus der verwirrenden Mannigfaltigkeit der genialen Entdeckungen manche herausheben, die dem historisch geschulten Auge als Epochen oder als Ansatze zu solchen Epochen erscheinen. Wir werden aber trotz dieser Einzelanalysen uns jetzt bemühen, einen noch höheren Standpunkt zu gewinnen, indem wir trachten werden, das bereits Gehörte zu vereinfachen. Es ist namlich ein immanentes Gesetz jeder Durchforschung irgendeines Gegenstandes, daß uns zuerst die Einzelheiten, die Unterschiede, die Varietaten überwaltigen, da wir ja im allgemeinen nur von den Details her an die eigentlichen Gegenstände herankommen. Erst langsam und nach großer Bemühung wird der tiefinnere Zusammenhang sichtbar, die Differenzen fliehen zurück, und rein und klar liegt die Aussicht auf die Gipfel vor uns.
Dieses „Gesetz der Zusammenziehung der Einzelheiten“, wie man es nennen könnte, ist nirgends so sehr am Werke wie in einer werdenden Wissenschaft. An tausend Stellen wird an Einzelheiten gearbeitet, werden neue Wege versucht, neue Stollendurchbrüche vorbereitet. Irgendeiner dieser Durchbrüche stößt auf bisher unbekannte Quellen, unbekannte Erzlager. Hängen sie mit anderen Lagern zusammen, die im N achbartal erschlossen wurden? Zu Welchem Stromsystem gehört die Quelle? Wohin wird der Bach fließen? Haben wir bloß den abgekürzten Weg nach Indien gefunden oder den neuen Weltteil Amerika entdeckt? Weder die Quelle, noch das Erzlager, noch der Weltteil geben uns auf solche Fragen Antwort. Oft währt es Jahrhunderte lang, bis man sich aller Zusammenhänge bewußt wird. Oft auch halt man die Forschung, wie etwa bei den Irrationalzahlen, für ein todeswürdiges Verbrechen, bis man nach Jahrtausenden endlich dazukommt, zu behaupten, der Begriff der Stetigkeit wäre ohne das Irrationale ein Unding und die Zahlenfläche bliebe ohne Irrationalzahlen im besten Falle ein Gitter von Punkten.
Irgendwie dreht sich nicht nur die Erde, sondern auch der geistige Kosmos im Kreise herum. Vielleicht auch in einer Spirale, die, je nachdem, wie man es auffaßt, den Mittelpunkt in stets Weiteren Umschwüngen umkreist oder ihm in stets engeren Windungen näherkommt. Und es wird kaum einen Mathematiker geben, der sich nicht in Stunden der Einkehr, des Katzenjammers oder der Verzweiflung die bange Frage vorlegt, ob seine ganze mathematische Welt nicht eine ungeheure Seifenblase sei. Gewiß, manchmal wirft sich der Mathematiker stolz in die Brust, weist auf die großartigen Erfolge hin, die den Arm des Menschen gleichsam bis zu den entferntesten Spiralnebeln verlängert haben. Und die ihm die Gabe des Zauberers und des Propheten verleihen. Ist der Arm des Menschen aber wirklich so lang geworden? Ist das alles nicht bloß eine furchtbare Selbsttäuschung? Schon der Kubikinhalt eines knorrigen Eichbaumes ist rechnerisch fast unzuganglich - wozu also die Theorien komplexer Veränderlicher?
Es ist zugegeben, daß dieses Chaos der Gefühle manches für sich hat. Es ist aber doch wieder auch hier alles nicht so einfach. Denn wenn ein Banause behaglich auf die Uhr blickt, hierauf den Radioapparat andreht und sich dann im Sportbericht an den Weltrekorden von Automobilen oder Flugzeugen ergötzt, kann er wohl, subjektiv ehrlich, behaupten, er habe es ohne Mathematik zu diesem Wohlstand und Lebensgenuß gebracht und jede höhere Mathematik sei für ihn Humbug. Allerdings vergißt er dabei die Kleinigkeit, daß sein „Wohlstand“ für ihn von anderen durch die Mathematik geschaffen wurde. Begonnen von der Uhr, auf die er blickt. Mit solchem Unsinn wollen wir uns Weiter auch nicht auseinandersetzen. Wir meinen bloß, daß selbst in den Gedanken großer Mathematiker manchmal ein Schimmer solchen Banausentums steckt. Es kreißen Berge und ein Mauslein wird geboren. So erscheint die ganze Bemühung oft den Forschern selbst. Und es dürfte solchen Zweifelregionen entsprungen sein, wenn der französische Mathematiker Brunschwieg einmal ausrief : „Es ist ein feierlicher Augenblick, wenn zwei Gebiete der Mathematik miteinander in Kontakt treten.“Denn dann, so fügen wir hinzu, ist es zu hoffen, daß sich wieder die Verwirrung um ein gutes Stück entknotet.
Unsere Leser, soferne sie nicht Mathematiker sind, werden wähnen, wir hatten sie in den letzten Kapiteln zunehmend mit einem Wust von stets schwieriger werdenden Einzelheiten und mathematischen Sensationen überschüttet. Weit gefehlt! Mit geradezu väterlichem Gefühle haben wir ihnen, so weit es ging, die Schrecknisse des Details vorenthalten und sie nur von Gipfeln über weite Länder blicken lassen, die von diesen Gipfeln aus friedlich in der Sonne liegen. Betritt man diese Länder, dann umgibt einen sofort tosender Lärm, Volksgedränge, Aufruhr, Einsturz, Wildes Geschrei. Und die Gassen, in die man fliehen Will, werden undurchdringlicher und krauser als die Gänge des kretischen Labyrinths. Wir haben vieles verschwiegen. Haben nichts über höhere Flächen, nichts über nichtorientierbare Räume gesprochen, in denen man nach einer Weltumseglung sein Herz auf der rechten Seite finden kann, während der zurückgebliebene Freund sein Herz auf der linken Seite behielt. Der einfachste Fall eines solchen Raumes ist das bekannte Blatt von Möbius, das sich jeder aus einem Stück Papier kleben und es hierauf in einem Zug auf beiden Seiten mit einer in sich zurückkehrenden Linie beschriften kann.
 
Fig. 13

Wir zeigen es im Bilde, zeigen, wie dabei durch „Weltumseglung“ die rechte und linke Seite vertauscht Wird, Was ein sogenanntes Beltramisches Flächenwesen gar nicht verstände, da es sich nicht in die dritte Dimension erheben kann.
Wir haben auch nichts über die große Erregung berichtet, die all diese geometrischen Entdeckungen hervorriefen. So erfuhr etwa der berühmte Astrophysiker Zöllner (geb. 1834), der durch seine Untersuchungen der Protuberanzen und Spektrallinien rühmlichst bekannt ist, einmal zufällig durch Felix Klein, daß ein Knoten in einem   eine Angelegenheit der Lagegeometrie, also gegen jede Verzerrung seinem Wesen nach invariant oder unempfindlich sei. Im   dagegen könnte ein solcher Knoten durch bloße „Verzerrung“ gelöst werden. Klein war über die enthusiastische Aufnahme dieser Neuheit durch Zöllner erstaunt. Er war aber geradezu entsetzt, als er erfuhr, daß sich Zöllner mit dem damals berühmten, später entlarvten amerikanischen Medium und Okkultisten Slade verbündet habe, um im Wege der Knotenlösung die reale Existenz des vierdimensionalen Raumes zu beweisen. Durch die Taschenspielerkunststücke Slades gelangen die Experimente trotz Versiegelung der Knoten und trotz anderer Vorsichtsmaßnahmen. Nun gab es für Zöllner keinen Halt mehr. Er begann eine fieberhafte Tätigkeit zu entwickeln, ließ in seinen letzten Lebensjahren taglich mindestens einen Bogen Abhandlungen drucken und starb im Jahre 1882 infolge Überreizung, noch nicht fünfzig Jahre alt, an Gehirnschlag.
Wir haben aber auch noch über viele andere Dinge geschwiegen. Vor allem über die heute bereits zu unerhörter Durchbildung gelangte Wahrscheinlichkeitsrechnung, die in alle Wissenschaften stets siegreicher eindringt und die im Begriffe ist, das von „Gesetzen“ beherrschte klassische Weltbild zu einem „Statistischen Weltbild“ umzumodeln, in dem es keine Sicherheit, sondern nur mehr Grade von Wahrscheinlichkeit gibt. Wir haben weiters gar nicht erwähnt, daß Hamilton, Cayley und andere Mathematiker die Algebra durch einen Symbolkalkül erweiterten, der an Allgemeinheit und Unerforschtheit alles Bisherige übertrifft; und haben vor allem nicht die Kombinatorik durchleuchten können, die für manche Mathematiker geradezu die Grundlage der Forschung geworden ist. Ganz zu schweigen von den Höhen der Zahlentheorie, von denen sich selbst der mathematisch einigermaßen Gebildete kaum eine Vorstellung machen kann.
Damit aber nicht genug. Es gibt noch etwas Diffuseres im heutigen Reich der Mathematik, etwas, das der Laie gar nicht erfahren sollte. So hat etwa ein Mann wie Felix Klein, der einer der ganz großen führenden Geometriker und Funktionentheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts war, nach seiner Darstellung der Quaternionen Hamiltons von englischen „Q,uaternionisten“ die Zensur erhalten, es seien gar nicht Quaternionen, von denen er spreche. Und von dem ebenso berühmten Mathematiker und Zahlentheoretiker Kronecker behauptete Henri Poincaré, er hätte niemals etwas Geniales zustandegebracht, wenn er nicht zeitweilig die eigenen philosophischen Grundsätze seiner Forschung Vergessen hatte. Riemann und Weierstraß erging es nicht viel besser, und es ist unbestreitbar, daß es Gebiete gibt, in denen selbst große Mathematiker einander nicht mehr folgen können.
Wir sprechen hier von durchwegs seriösen Kennern ihres Faches und nicht von den zahllosen mathematisierenden Philosophen, die frisch, frank und frei Generalurteile über das „Wesen der Mathematik“ abgeben und sofort betreten schweigen, wenn man ihnen als Widerlegung ihrer Behauptungen ein verhältnismäßig einfaches Exempel irgendeines Gebietes der Mathematik vorhält.