Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 130c

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Geschichte der Mathematik (Teil 30)


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Elftes Kapitel
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DESCARTES
Mathematik als Methode
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Bevor wir in dieses Heldenzeitalter eintreten, wollen wir es nicht Versäumen, über den schon oft zitierten „faustischen Geist“ des neuen Abendlandes zu sprechen.
Wie bekannt, wurde die Bedeutung, die wir hier meinen, wenn wir „faustisch“ sagen, von Oswald Spengler geprägt, dem es infolge seiner großen mathematischen Einsicht gegeben war, die Mathematik gleichsam als Spitzensymbol der Struktur einzelner Kulturen aufzufassen. Wir sind im Laufe unsrer Betrachtungen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, haben gesehen, wie sich Mathematik ganz verschieden in verschiedenen Völkern oder Strukturen bzw. deren genialen Einzelexponenten spiegelt. Deshalb fühlen wir uns berechtigt, eine Variabilität des „Wissenschaftsideals der Mathematiker“ anzunehmen, wie es Pierre Boutroux nennt. Damit soll allerdings keineswegs zum Ausdruck gebracht sein, daß wir auch in den Folgerungen die Aspekte vom „Untergang des Abendlandes“ zur eigenen Ansicht machen. Doch ist hier nicht der Ort, diese Fragenkomplexe näher auseinanderzusetzen.
Wir kündigen nur an, daß wir bald sehen werden, aus welchen Triebkräften sich die Mathematik entwickelt und wie verschieden die Ergebnisse ausfallen können, ja ausfallen müssen, je nachdem hinter der Forschung ein ästhetischer, ein magisch-formender oder ein faustisch-drängender Wille steht. Das Kulturwollen, wenn man es so nennen darf, die äußere Zielsetzung, spielt überhaupt bei allen Erfindungen und Entdeckungen eine große Rolle. Es ist das nicht anders als in der Chemie, der Technik, der Volkswirtschaft. Die alten Chinesen kannten seit Jahrtausenden das Schießpulver, wußten, daß es große Sprengkräfte enthalte --und wandten es ausschließlich für Feuerwerke an. War das bloß kindlich, war es ethisch oder war es geradezu unklug? Das ist furchtbar schwer zu entscheiden. Sicher ist nur, daß der Wehrgedanke nicht das Zentrum des chinesischen Empfindens beherrschte, sonst hätte ihnen das Mittel auffallen müssen, das sie in der Hand hatten, und das ihnen eine ganz andere „Geschichte“ verschafft hätte.
Auch bei den alten Hellenen haben wir gezeigt, daß sie sich für ein geradezu ideologisches Wissenschaftsideal opferten und daß es ihnen wenig half, wenn ab und zu ein prometheischer Geist diese „strenge Observanz“ der Geometrie durchbrechen wollte.
Ganz anders die faustischen Völker. Bei ihnen stand von Anbeginn nicht eine lichte Welt von freundlichen Musen über der Wissenschaftsgeschichte, von Musen, denen man nur richtig diente, ??? Werm ??? man ihr künstlerisch-harmonisches Reich auf Erden adäquat abbildete. Es war für die Hellenen kein Widerspruch, wurde von ihnen niemals als störend empfunden, daß in einem süßen Hain, an Quellen, die die Phantasie mit Nymphen und Halbgöttern bevölkerte, im Sande die „Fährte des Menschen“, die Geometrie, gezeichnet stand. Diese Geometrie der reinlichsten Proportionen gehörte genau so gut zur „Harmonie der Sphären“ wie die Musik oder der körperliche Genuß. Das Vordrängende, Versuchende, Versuchte war durch ein „Medén ägan“ (Nichts zuviel) abgeriegelt, und der Teufel der ersten Christen hieß in hellenisch ablehnendem Sinn der Peirastes (Versucher).
Weltenweit anders der faustische Kosmos. In ihm liegt stets neben „Nostradamus altem Buch“ in mystisch halberleuchteten gotischen Räumen ein Totenkopf und andrer Spuk. An der Schwelle nagen Mäuse am Pentagramm, denn das geometrische Zeichen ist hier nicht die freundliche Fährte des Menschen, sondern ein kabbalistisches Symbol gegen das Vordringen des Teufels, der drohend, neckend und helfend zugleich schon vor der Tür lauert. In der Stube aber sinnt Doktor Faust mit seiner Doppelseele über die letzten Abgründe des Unendlichen und über die Eroberung der diesseitigen Welt, und eine Disharmonie nach der andern schleudert ihn aus Himmelsregionen in Verzweiflung, die bis zur Selbstvernichtung geht. Tiefstes Symbol des gotisch-faustischen Menschen, daß Conrad Ferdinand Meyer den großen Ulrich Hutten sagen läßt: „Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.“ Menschsein heißt in der faustischen Sprache eben soviel wie polar sein. Polar sein ist aber dasselbe wie disharmonisch. Nicht im Sinne des statischen Zerrissenseins, sondern des dynamischen Hinaufgetriebenwerdens durch polare Kräfte. Denn überall wohnen zwei Seelen, ach, in der Brust dieserMenschen. Wobei das „ach“ nur ein letztes traurig-wissendes Aufbaumen des schwachen Menschleins gegen das erkannte, unentrinnbare Schicksal ist.
In solcher Seele mußte sich die Mathematik anders spiegeln als in der griechischen oder arabischen. Sie mußte aber auch in anderer Form geboren werden, in Kampf und Erregung. Und wir sehen, daß ein junger Reiteroffizier, dessen Gemüt von tiefsten religiösen Dingen, von Zweifeln, Wahrheiten, Plänen, Erleuchtungen voll ist, im Sattel, in Reitergefechten in den böhmischen Gefilden sich weiter und weiter zur Klarheit durchficht, bis er in der Ruhe ungarischer Winterlager ein Werk schafft, das kaum seinesgleichen hat in der Wissenschaftsgeschichte. Boutroux sagt von dieser Entdeckung, sie bestehe darin, „vorauszusehen und zu zeigen, wie die systematische Anwendung der Koordinaten eine Methode schuf von einer Gewalt und von einer Universalität, wie sie bisher in der Mathematik noch nicht bekannt war. Eine Methode, die alle bisherigen aufzuheben und zu überwinden bestimmt war, die mit Hilfe des Funktionsbegriffes all die Wissenschaften revolutionieren und regenerieren sollte, die zu den Begriffen Raum und Zeit in Beziehung standen.“
Wir wissen, was das heißt. Wissen, daß hier wieder die „formae“ des Nicole von Oresme auftauchen, sehen, daß die Franzosen der Welt die Möglichkeit der Abbildung dieser „formae“, der Naturerscheinungen, geschenkt haben, die mit Raum und Zeit in Beziehung standen. In den Franzosen hatte sich eben faustischer Drang mit antikem Formsinn verbunden. Denn nicht nur Descartes, von dem wir ja fortwährend sprechen, da er jener junge adelige Reiteroffizier war, hatte die Koordinatenmethode gefunden. Sein genialer Landsmann Fermat ging bereits ähnliche Wege. Warum also wird stets nur Descartes in den Vordergrund gestellt? Ist das eine historische Ungerechtigkeit? Jeder nur halbwegs mathematisch Gebildete weiß doch, daß noch heute über Fermat, den unheimlich mächtigen Zahlentheoretiker, dicke Bücher geschrieben werden, daß die Fermatschen Probleme heute noch ungelöste Preisaufgaben sind, für deren Lösung gewaltige Preise ausgesetzt wurden, die sich allerdings durch den Weltkrieg vollständig entwertet haben. Um diese historische Frage voll zu verstehen, müssen wir im folgenden das wesentlichste Verdienst des Descartes in aller Schärfe herausarbeiten. Müssen aber vorher noch auf eine andre Tatsache zurückgreifen, die wir als die „Rezeption der griechischen Geometrie“ bezeichnen wollen: eine geistesgeschichtliche Erscheinung, die eigentlich auch heute noch nicht ganz abgeschlossen ist.
Die Geschichte der Rechtswissenschaften - dies zur näheren Erklärung unsres Ausdruckes - weiß zu berichten, daß während und nach der Renaissance plötzlich wie eine unhemmbare Flut das herrlich geschlossene System des altrömischen Rechts die bodenständigen Rechtseinrichtungen des Mittelalters überall in Europa zu überschwemmen begann. Man empfand dieses Erbe nicht so sehr als Recht der Vergangenheit, sondern geradezu als das Recht der Zukunft, wie etwa ein Mensch des sechzehnten Jahrhunderts seine eigene Technik gefühlt hätte, wenn ihm ein technisches Kompendium aus dem neunzehnten Jahrhundert durch Zauber vor die Augen gelegt worden wäre. Man weiß, daß diese „Rechts-Rezeption“ das ganze bürgerliche Antlitz und auch die Politik des Abendlandes grundstürzend veränderte. Man weiß, daß auch hier die Entwicklung noch nicht am Ende angelangt ist, da sich speziell in unsern Tagen in mehr als einer Beziehung eine teils bewußte, teils unbewußte Abkehr vom römischen Recht zu zeigen beginnt, was vielleicht neben allen andern auch damit erklärt werden kann, daß wir selbst bereits die kulturgeschichtliche Reifestufe zu erreichen beginnen, auf der dieses römische Recht geschaffen wurde. Doch auch darüber können wir uns leider an dieser Stelle nicht naher verbreitern.
Wir wollen also bloß feststellen, daß es auch eine Parallelerscheinung der „Rezeption der althellenischen Mäthematik“ gibt. Ihr interessantestes Bewegungsgesetz ist eine Art von Rück- oder Gegenlaufigkeit, auf die meines Wissens bisher in der mathematikhistorischen Literatur noch nicht mit genügender Deutlichkeit hingewiesen wurde, obgleich gerade die Tatsache dieser Bewegung für das Werden der neuzeitlichen Mathematik und für ihren Charakter ungeheuer aufschlußreich ist, wie wir sofort zeigen werden.
Wir erinnern uns, daß, rein zeitlich betrachtet, zuerst Euklid wirkte, hierauf Archimedes, dann Apollonios und schließlich Diophantos. Wir erwahnten auch nebenbei, daß von diesen vier Geistesheroen auf allerlei Umwegen zuerst Diophantos in das Bewußtsein des Abendlandes eindrang. Bis er schließlich durch Méziriac übersetzt und kommentiert wurde und Fermat als Anregung für zahlreiche zahlentheoretische Untersuchungen diente. Rezipiert im vollsten Sinne des Wortes war also sonderbarerweise der letzte der großen Griechen zuerst. Ihm folgte der zweitletzte, nämlich Apollonios, dessen Werk, wie wir bald sehen werden, zum Sprungbrett und zum Ausgangspunkt für die Koordinatengeometrie des Fermat und Descartes diente. Erst nach Apollonios wurde Archimedes durch die Entdeckung der Infinitesimalgeometrie voll verstanden, und den Abschluß der Rezeptionsreihe bildet Euklid, dessen endgültige geistige Verarbeitung erst unter unsern Augen erfolgte.
Um keine Mißverständnisse und keine billigen Widerlegungen unsrer Feststellung heraufzubeschwören, merken wir an, daß wir durchaus nicht behaupten wollen, Euklid oder Archimedes seien im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit nicht bekannt gewesen. Wir fassen den Begriff der „Rezeption“ viel enger und zugleich tiefer auf. Uns gilt ein geistiger,Kosmos erst dann als rezipiert, wenn er bis zur letzten Konsequenz strukturell aufgenommen oder wirklich äquivalent weiterverarbeitet wurde. In diesem Sinne sind unsre behaupteten Rezeptionen zugleich Ausweitungen des Rezipierten und sogar Emanzipationen von den Vorbildern.
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