Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 060c

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Quelle für den Text der Lektionen 051c bis 063c Lektionen ist das Buch
Alles über Wikipedia und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt
Das Buch erschien unter einer freien Lizenz (Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa).
fuente: Allesueberwikipedia.pdf - CC-BY-SA Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa - CC-BY-SA
Inhalt
Inhalt
VORWORT 9
EINLEITUNG 11
DIE ENTSTEHUNG DER DEUTSCHEN WIKIPEDIA 15
Von Nupedia zu Wikipedia:Wie alles anfing ... 15
Odyssee ins Jahr 2001: Die Anfänge der deutschen Wikipedia 23
Ein Blick zurück von der anderen Seite der Diskette 31
Zehn Jahre Wikipedia: Meilensteine 35
Der millionste Artikel für die deutsche Wikipedia 41
Wikipedia: Eine kritische Sicht 43
DIE WIKIPEDIA-ARBEIT 47
Grundkenntnisse 47
Was braucht ein »guter« Artikel? 59
Ein Begrüßungslöschantrag 63
Von der IP zum Bürokraten: die »Karriere« eines Wikipedianers 64
Da kann ja jeder reinschmieren! 67
Wo erhalten Benutzer Hilfe und Unterstützung? 71
WIE GUTE ARTIKEL ENTSTEHEN 81
Die Qualität von Wikipedia: Anspruch und Wirklichkeit 81
Geständnis eines Kleinvandalen 100
Die Zebrarennschnecke:Vom Kindermund zum enzyklopädischen Artikel 101
Wer rastet, der rostet 104
Listen über Listen 105
Nicht zu benutzen 107
Wikipedia organisiert 108
Schon gewusst? - oder: Wie kommt man flott auf die Hauptseite? 115
Masse mit Klasse 118
Die Todesopfer an der Berliner Mauer 121
MOTIVATION: FREIWILLIG FÜR FREIES WISSEN 125
Unverhofftes Wiedersehen 125
Von Metzgern und Schlachtern - oder: Wenn's sonst keiner macht ... 127
Wikipedia-Mitarbeit hält die Festplatte am Drehen 130
Der Traum von einer eigenen Enzyklopädie 131
»Wikipedia and I« 133
Wikipedia - der erste Schuss ist gratis 138
Damenfang 140
Wikipedia: Ein persönlich gefärbter (was sonst?) Erfahrungsbericht 141
Warum ich immer noch mitspiele 144
Der Büchermessie 147
Wikipedia-Momente 149
KOMMUNIKATIONSKULTUR 151
Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Strukturen in derWikipedia 151
Wissen ist Macht 162
Exklusionisten gegen Inklusionisten ein enzyklopädischer Bruderkrieg 164
Exklusionismus: In den Maschinenräumen von Wikipedia 173
Inklusionismus: Mehr Toleranz! 178
Mit 80 + dabei 182
DIE DUNKLE SEITE DER WIKIPEDIA 187
Am Anfang war der Streit 187
Kaffeeservice und Bügelbrett: Von der Wikipedia ohne Umweg in die Köpfe 210
Aus der Löschhölle an die Wand 214
Von der »Hassenstein-Debatte« zu allerlei Erfreulichem 216
Trollosophie 222
DIE WISSENSCHAFT ZU WIKIPEDIA 225
Wikipedistik 225
Wikipedia als Forschungsobjekt 241
Die Wikipedia als Werkzeug für individuelle und kooperative Lernprozesse 243
Verborgenes Wissen in Wikipedia 246
Die Enzyklopädie und der Elfenbeinturm - wie Wikipedia und Wissenschaft zueinander finden können 247
»Sag bloß keinem, dass du da mitmachst!« 266
Durch Kooperation zum Erfolg: Die Johann-Heinrich-ZedlerMedaille 268
Wikipedia und Wissenschaft aus der Sicht der Akademieforschung 269
Einstieg mit Hürden 273
Wikipedia als Lebensweise 274
Wikipedia und Speziallexika im Wettstreit 276
DIE TECHNIK HINTER WIKIPEDIA 283
MediaWiki - oder: Das Web 0,0 283
Hardware: Betrieb der Wikipedia 295
Das Werden und Wachsen der Helferlein: Bots, Skripte und Werkzeuge 300
AUSBLICK: WIKIPEDIA 2021 311
ANHANG 327
Glossar: Wikipedia-Jargon für Anfänger 327
Die Autoren 333
Creative Commons License 344



MC451 - MC460 editar

MC451

Wikipedia als Forschungsobjekt
VON CHRISTIAN STEGBAUER
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Als Anwender finde ich Wikipedia großartig. Es gibt für mich kaum eine andere nahezu überall verfügbare Quelle an Informationen, die zu einer ersten Orientierung eingesetzt werden kann. Die Art und Weise, wie die Inhalte von Wikipedia zustande gekommen sind, nämlich durch die Zusammenarbeit vieler, vieler Teilnehmer, ist ebenso faszinierend. Sie regt den Soziologen zum Nachdenken an. Was, so die Frage, bewegt eigentlich die Menschen dazu, mitzumachen? Meine Forschungen zur Beteiligung im Internet haben gezeigt, dass es immer zu Ungleichheiten bei der Produktion von Inhalten im Internet gekommen ist. Sollte dies bei Wikipedia anders sein? - folgt man doch dem Motto: Wenn jeder etwas von seinem Wissen beiträgt, lässt sich das Wissen der Welt zusammentragen und allen kostenfrei zur Verfügung stellen.
Wikipedia hat mittlerweile nicht nur sehr gute Artikel - sie ist auch ein einzigartiges Forschungsobjekt. Nirgendwo sonst liegt die Entstehung der Inhalte, aber auch die Entwicklung einer Organisation so offen und ist für die Forschung derart zugänglich. Mit dem aus Wikipedia selbst extrahierten Material kann man der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen näherkommen. Wir haben festgestellt, dass die Einstellung der Menschen zu Anfang ihrer Begegnung mit Wikipedia wichtig ist, aber nicht ausreicht, um sich dauerhaft zu beteiligen. Mit »Einstellung« sind eine Identifikation mit den Zielen der »Befreiung des Wissens aus dem Copyright« und das Prinzip der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit gemeint. Wenn es Teilnehmern überhaupt gelingt, einen Beitrag zu schreiben, der akzeptiert wird, treten bald andere Motive an die Stelle der ersten Überlegungen: Die Teilnehmer werden »positioniert« - sie bekommen einen Platz im Gefüge der Organisation. Soziologen nennen dies »soziale Integration«. Damit geht die Übernahme von Verantwortung einher - und auch eine Anpassung an die vorherrschenden Sichtweisen. Die Motivation, bei Wikipedia mitzumachen, ist also nicht ein für alle Mal festgelegt, sie ändert sich über die Zeit und variiert mit der jeweils ausgeübten Funktion.




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Vokabeln:


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Hinsichtlich der Gleichheit der Teilnehmer ist in Wikipedia nichts Überraschendes festzustellen. Wie in anderen Internetmedien auch, finden sich deutliche Ungleichheiten. So gelingt es Wikipedia nicht so gut, das Angebot an Mitarbeit für sich auszunutzen - zu häufig wird das Engagement von Neulingen ausgeschlagen. Das ist kein böser Wille, sondern entspringt häufig dem Motiv, die Inhalte und das erreichte Niveau schützen zu wollen. In der Aufbauphase, als ein großer Zustrom an Freiwilligen die Aufnahmekapazität der im Aufbau befindlichen Organisation überforderte, war dies kein Problem. Heute sind die Verhaltensweisen von damals eingespielt - man könnte die Neulinge sicherlich gut gebrauchen, wenn man wüsste, wie man das anstellt. Zur Ungleichheit gehört auch, dass die Organisation Wikipedia keine klare Hierarchie hat. Gleichwohl lassen sich im Verhältnis zu den Mengen an Lesern, der Masse an gelegentlich Beitragenden wenige Personen ausmachen, die man als Führungsschicht bezeichnen könnte.
Durch Wikipedia hat die Wissenschaft also ein faszinierendes Forschungsfeld hinzugewonnen. Macht sich Wikipedia die Forschungsergebnisse zunutze, fließen der Organisation zudem auch nicht unbeträchtliche wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse zu. Es handelt sich also um ein wichtiges Experiment weit über die eigentlichen Inhalte hinaus.


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Vokabeln:


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Die Wikipedia als Werkzeug für individuelle und kooperative Lernprozesse
VON JOHANNES MOSKALIUK UND JOACHIM KIMMERLE
»Das Ziel von Wikipedia ist es, eine frei lizenzierte und qualitativ hochstehende Enzyklopädie zu schaffen und zu verbreiten«, schreibt die Online-Enzyklopädie Wikipedia über sich selbst. Tatsächlich wird in der Öffentlichkeit vor allem wahrgenommen, dass hier ein gigantischer »Wissenspool« entstanden ist und immer noch weiter entsteht. Die Wikipedia bietet eine beeindruckende Sammlung von in hohem Maße verlässlich und objektiv dargestellten Fakten. Damit ist sie in der Tat eine bedeutsame Quelle an Informationen, auf die weltweit unzählige Nutzer tagtäglich zugreifen, um sich gezielt genau die Information zu beschaffen, die sie in einem bestimmten Moment benötigen. Die einfache Verfügbarkeit dieser Informationen in der Wikipedia ist inzwischen für die meisten Internetnutzer zu einer absoluten Selbstverständlichkeit geworden.
Aus der Sicht von empirisch orientierten Bildungsforschern und Psychologen ist allerdings nicht nur spannend, dass es sich bei der Wikipedia um eine enorme, für jeden verfügbare Wissensressource handelt; zugleich fasziniert auch und vor allem der Prozess, der bei der Entstehung dieses Online-Lexikons zu beobachten ist. Denn er führt eben nicht nur zu einer Situation, in der Informationen von vielen Beteiligten zusammengetragen und von noch mehr Nutzern abgefragt werden können. Vielmehr können sich auch die beteiligten Individuen selbst hinsichtlich ihres Wissens weiterentwickeln. Dies gilt in besonderer Weise für alle Nutzer, die sich aktiv einbringen und am Werden und Gedeihen der Wikipedia mitarbeiten; sei es, indem sie bestehende Artikel redigieren, Texte in grundsätzlicher Weise neu strukturieren oder wichtige Quellen recherchieren und ergänzen.



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Vokabeln:


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Eine Ausweitung des eigenen Wissens ist aber auch bei jenen Nutzern zu erwarten, die Inhalte bloß rezipieren und kognitiv verarbeiten, wenn sie gezielt nach Informationen suchen, in Artikeln lediglich stöbern oder sich, vom eigenen Interesse geleitet, von Seite zu Seite klicken, weil sie immer wieder auf neue relevante Begriffe stoßen.
Deshalb interessieren wir uns für zwei bedeutende Prozesse: die kooperative Arbeit an der Wikipedia, die zu einem gemeinsamen Pool von Wissen führt, und die individuellen Lernprozesse eines Einzelnen beim Lesen oder Bearbeiten der Wikipedia. Um diese Prozesse empirisch untersuchen zu können, haben wir ein systemtheoretisches Modell entwickelt, das Kooperationsprozesse und individuelles Lernen beschreibt. Dabei kombinieren wir systemtheoretische Konzepte mit kognitionspsychologischen Theorien. Wir untersuchen also nicht nur das sich entwickelnde System Wikipedia, sondern auch die Entwicklung der daran gekoppelten kognitiven Systeme der Nutzer und wie sich diese beiden Systeme gegenseitig beeinflussen. Im Sinne der Luhmann'schen Systemtheorie entwickeln sich diese beiden Systeme im Prinzip unabhängig voneinander. Es handelt sich um unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Operationsmodi, nämlich um kognitive Systeme einerseits und um ein soziales (mit Hilfe von Kommunikation operierendes) System andererseits. Zugleich beeinflussen sich die Systeme allerdings auch gegenseitig. Fehlen zum Beispiel in einem Wikipedia-Artikel wichtige Informationen, wird der Einzelne dadurch angeregt, eigenes Wissen zu ergänzen. Das System Wikipedia wird dann auf diese Veränderungen reagieren, die Ergänzungen weiterentwickeln oder Inhalte ohne entsprechende Quellenangabe oder nicht neutral dargestelltes Wissen schnell wieder löschen. Die Regeln, nach denen die Wikipedia reagiert, entwickeln sich dabei dynamisch weiter und werden durch das Verhalten der Einzelnen beeinflusst. Diese wechselseitige Beeinflussung ist so ausgeprägt und unabdingbar, dass von einer gemeinsamen Entwicklung im Sinne einer Ko-Evolution gesprochen werden kann.



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Vokabeln:


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Das Zusammenwirken von Systemen, die auf Kommunikation einerseits und kognitiven Prozessen (Lernen, Gedächtnisprozesse etc.) andererseits beruhen, wird dadurch ermöglicht, dass sich beide letztlich der Sprache bedienen. Auf diese Weise wird die Wikipedia nicht nur zu einem Just-in-time-Lieferanten von Fakten, sondern auch zu einem bedeutenden Bildungsinstrument. Individuen, die sich an der Wikipedia beteiligen, tragen zur Weiterentwicklung des gemeinsamen Wissens bei und erwerben gleichzeitig selbst neues Wissen. Sie werden angeregt, eigenes Wissen genauer zu beschreiben und tiefer zu verarbeiten. Beide Systeme - die Wikipedia und die kognitiven Systeme der Nutzer - entwickeln sich nicht nur quantitativ weiter, das Wissen wird nicht einfach nur mehr. Vielmehr entstehen neue Verknüpfungen und Strukturen. Dieser permanente Austauschprozess kann kreatives und selbstgesteuertes Lernen anregen und die Wikipedia zu einem wichtigen Werkzeug für individuelle und kooperative Lernprozesse werden lassen.



MC460

Vokabeln:


MC461 - MC470 editar

MC461

Verborgenes Wissen in Wikipedia
VON TORSTEN ZESCH
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Wenn ein Nutzer einen Link in Wikipedia einfügt oder einen Rechtschreibfehler korrigiert, leistet er der Wissenschaft einen großen Dienst - meist ohne es zu ahnen. Denn neben den Fakten in den Artikeln schlummert weiteres Wissen in Wikipedia. Egal ob ein Nutzer in Wikipedia verknüpft, kategorisiert, korrigiert, kommentiert oder neue Artikel anlegt - jeder Schritt hinterlässt Spuren im digitalen Gedächtnis von Wikipedia, die von Computern ausgewertet werden können. :Computer sind im Grunde relativ dumme Maschinen, denen die faszinierende Welt der Artikel in Wikipedia verschlossen bleibt, da sie ihr Wissen nicht aus denselben Quellen schöpfen wie die menschlichen Nutzer. Das durch Computer zu erfassende Wissen ist oft verborgen und muss erst in einem mühsamen Prozess, der häufig mit dem Bergbau verglichen wird, erschlossen werden. Wissensbergbau sozusagen.
An diesem Punkt kommen die unzähligen Wikipedianer ins Spiel, welche die Wikipedia verbessern. Zum Beispiel legen sie Links an, um die Leser des Artikels »Automobil« zu relevanten anderen Artikeln wie »Motor« zu leiten. Für den Computer wird dadurch eine Verbindung zwischen den beiden Begriffen hergestellt. So lernt er etwas über die Welt. So lernt er auf seine Art, Texte zu verstehen. Dabei bezieht der Computer die vielen hundert Millionen Links in der Wikipedia gleichzeitig in seine Betrachtungen ein und gleicht so mit Masse und Rechenkraft aus, wo ihm der menschliche Geist noch voraus ist.



MC462

Vokabeln:


MC463

Ein anderes Beispiel für vom Computer verwertbares Wissen ist der Verlauf der Änderungen eines Artikels. Die meisten Nutzer interessieren sich eher für den neuesten Stand, aber der Computer lernt viel besser aus den Änderungen aller Artikel (wieder sind es viele hundert Millionen), die bis zur Gründung der Wikipedia zurückreichen. Der Computer lernt daraus zum Beispiel, wie aus kurzen Sätzen lange Sätze werden, wie man Sätze umformulieren kann oder welche Rechtschreibfehler oft gemacht werden. Das Ergebnis wird am Ende ein besseres Programm zur Korrektur von Rechtschreibfehlern sein, zu dem jeder Wikipedianer unbewusst einen kleinen Teil beigetragen hat, indem er ab und zu einen Rechtschreibfehler korrigierte.
Vermutlich hat niemand bei der Gründung von Wikipedia daran gedacht, dass die Links oder die Artikeländerungen einmal als Grundlage für intelligente Computer dienen würden. Aber das zeigt gerade den Wert und die Weitsicht der Entscheidung, alle Daten öffentlich und frei zugänglich zu machen.


MC464

Vokabeln:


MC465

Die Enzyklopädie und der Elfenbeinturm wie Wikipedia und Wissenschaft zueinander finden können
VON TOBIAS LUTZI
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»Wissen ist Macht« - und auf Wikipedia trotzdem seit mehr als zehn Jahren kostenlos. Längst gehört die Enzyklopädie damit zu den beliebtesten Websites der Welt. Zum zehnten Geburtstag der englischen Ur-Wikipedia hat die FAZ den erstaunlichen Erfolg des komplett spendenfinanzierten Projekts in ihrem Wirtschaftsteil thematisiert. Und dabei auch gewürdigt, dass das Online-Lexikon »die Art und Weise revolutioniert [hat], wie Menschen sich Wissen beschaffen und verfügbar machen«. Letzteres ist indes weniger revolutionär, als es scheint.
Vor fast 2000 Jahren unternahm Plinius der Ältere mit seiner 2493 Kapitel umfassenden Naturalis historia den Versuch, »alles zu berühren ... was entweder noch unbekannt oder noch nicht sicher erforscht ist« - und schuf damit im Alleingang eine der ersten uns bekannten Enzyklopädien. Als im Zuge der Aufklärung enzyklopädische Lexika entstanden, die alphabetisch gegliedert waren und auf einem System aus Querverweisen beruhten, war bereits eine Armada aus Autoren nötig, um jene »alltägliche Bildung« zusammenzutragen, die der antike Begriff der Enzyklopädie bezeichnet. Die 60 000 Artikel starke Encyclopédie etwa wurde von 144 als Enzyklopädisten bekannten Bearbeitern um die Aufklärer Diderot und DAlembert verfasst. Auch für das von Johann Heinrich Zedier herausgegebene Universal-Lexicon gilt die angegebene Zahl von lediglich neun Bearbeitern als unrealistisch - obgleich weite Teile des Lexikons Plagiate aus anderen Werken waren und die Entstehung gut 20 Jahre dauerte.



MC466

Vokabeln:


MC467

Wikipedia ist selbst bei vorsichtiger Zählung das Werk vieler Tausender. Dass diese weder ausgewählt noch bezahlt werden, ist ohne Zweifel revolutionär. Der Anteil an Akademikern unter den Autoren muss indes keinen Vergleich mit den großen Werken des 18. Jahrhunderts fürchten; mit über 50 Prozent ist er kaum geringer als unter den Enzyklopädisten um Diderot (von einem vergleichbaren Frauenanteil ganz zu schweigen). Nach einer Studie der TU Ilmenau sind neun Prozent der aktiven Autoren zudem promoviert. Wikipedia ist damit ebenso das Werk von Akademikern, wie Brockhaus und Britannica es sind. Sie ist »die Software der Dichter und Denker«.
Dahinter ist allerdings auch ein weniger erfreulicher Trend erkennbar: Während Plinius ein Forscher par excellence war »vita vigilia est!« - und Francis Bacon in seinem eingangs zitierten Diktum6 noch gleichermaßen Wissen und Wissenschaft mit dem Wort scientia bezeichnete, hat spätestens in den enzyklopädischen Projekten des 18. Jahrhunderts die Beteiligung von Wissenschaftlern im engeren Sinne - Menschen, die ihr Gehalt mit Forschung und Lehre verdienen - rapide abgenommen. Wikipedia markiert insoweit einen Tiefpunkt der strikten Trennung von Wissensgewinnung und Wissensdarstellung. Zum geringen Anteil an Autoren mit wissenschaftlichem Hintergrund kommt dabei ein historisch einmaliges Misstrauen gegenüber der Online-Enzyklopädie hinzu.
Nun ist das Erstellen einer Enzyklopädie nach heutigem Verständnis tatsächlich alles andere als eine genuin wissenschaftliche Arbeit. Gleichwohl ist Wikipedia nach Jahren des rasanten Wachstums in die Breite vor allem auf eine Verbesserung der Qualität einzelner Artikel und ihrer inhaltlichen Grundstrukturen angewiesen. In vielen Bereichen können diese Aufgaben schon ob des riesigen Artikelbestandes inzwischen nur noch Experten erfüllen. Die Gründe für deren Fernbleiben aber sind zahlreich.



MC468

Vokabeln:


MC469

Knowledge is power, hide it well!
(Wissen ist Macht, verstecke es gut!)
Wissenschaftler, insbesondere Professoren, sind unter den Wikipedia-Autoren so selten wie das n-te Element einer Zipfverteilung. Dafür gibt es viele Gründe: Zu einer Fülle an Einstiegshürden kommen die für Wissenschaftler oft ungewohnte, um nicht zu sagen unangenehme Form der Arbeit an einer offenen, kollaborativ erstellten Enzyklopädie sowie das völlige Fehlen von Anreizen innerhalb des klassischen Wissenschaftsbetriebs.
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»Wehe dem Fremdling!« - Einstiegshürden auf Wikipedia
Besonders für Wissenschaftler ist der Einstieg in Wikipedia nicht leicht. Wer mit Namenskonventionen, Richtlinien und Relevanzkriterien nicht vertraut ist, riskiert, dass sein umfangreicher Beitrag zur Faunistik innerhalb weniger Minuten zur Löschung vorgeschlagen wird. Von den Schwierigkeiten bei der Arbeit in Wiki-Syntax ganz zu schweigen. Ulrich Greiner, ehemaliger Feuilletonchef der Zeit und Gastprofessor an mehreren Universitäten, schreibt über seinen ersten (und leider einzigen) Beitrag zu Wikipedia: »Es kostete mich Zeit und Mühe. Es folgten Anfragen aus dem Kreis der Mitarbeiter oder Moderatoren, warum ich dieses oder jenes gemacht habe. Ich habe nicht darauf geantwortet. Nicht aus Arroganz, sondern weil es mich schon erschöpft hatte, das Eingabesystem zu begreifen.«
Dieses Problems ist sich auch Wikimedia, der Verein hinter Wikipedia, bewusst - und vergibt daher seit 2007 zusammen mit der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie dem Verlag Spektrum der Wissenschaft die ZedlerMedaille. Teilnehmer dürfen ihren Lexikonbeitrag in beliebiger Form einreichen, um die Einarbeitung in Wikipedia kümmert sich anschließend die Community. Die wissenschaftliche Jury, besetzt mit Mitgliedern der Akademie, das hohe Preisgeld von jeweils 2000 Euro für die Sieger in den beiden Bereichen Geistes- und Naturwissenschaften sowie die feierliche Preisverleihung, zuletzt in der historischen Aula der Frankfurter GoetheUniversität, verleihen dem Wettbewerb die in Anbetracht der immer noch großen Skepsis gegenüber Wikipedia nötige Seriosität. Weiter kann man die Tür für Wissenschaftler kaum öffnen - sollte man meinen.




MC470

Vokabeln:


MC471 - MC480 editar

MC471

Die Resonanz auf den Wettbewerb hält sich dennoch in engen Grenzen. Nur gut 20 Artikel werden bisher jährlich eingereicht; das Jahr 2010 lag dabei mit 24 Artikeln genau im Schnitt und deutlich hinter 2009. Nur einer der inzwischen sieben Preisträger war nicht schon vor dem Wettbewerb aktiver Wikipedia-Autor. Vor allem im Hinblick auf das (wenigstens im geisteswissenschaftlichen Bereich) hohe Preisgeld ist die niedrige Resonanz kaum zu erklären.
Und doch sollte man in dem Wettbewerb keinen Misserfolg sehen. Vor allem in Internetmedien ist er inzwischen präsent, heise online etwa (seit Jahren eine der meistgelesenen deutschen Nachrichtenseiten)11 berichtete im Newsticker über die Preisverleihung. Entsprechend vervielfachten sich die Aufrufzahlen der beiden ausgezeichneten Artikel im Anschluss an die Preisverleihung: Der Artikel zu den Besseischen Elementen wurde im November 2010 37-mal so oft angeklickt wie im Vormonat, der Artikel zu Dagobert Duck verzeichnete am Wochenende der Preisverleihung fast 13.000 Aufrufe - mehr als doppelt so viele wie im gesamten Oktober.
Die geringe Anziehungskraft, die der Wettbewerb auf Wissenschaftler ausübt, liegt weder in den Rahmenbedingungen noch in seiner Bekanntheit begründet. Tatsächlich rührt die Zurückhaltung vieler Wissenschaftler tiefer. Zwischen der Arbeit an Wikipedia und dem normalen Wissenschaftsbetrieb bestehen erhebliche Unterschiede. Die Nachgeschichte zur Verleihung der Zedier-Medaille für meinen im Jahr 2010 im Bereich Geisteswissenschaften ausgezeichneten Artikel zu Dagobert Duck ist eine gute Illustration der methodischen Kluft zwischen Wikipedia und Wissenschaft.




MC472

Vokabeln:


MC473

»Was hat der Mensch dem Menschen Größeres zu geben als Wahrheit?« - Methodische Unterschiede
In meiner auf die Preisverleihung folgenden Euphorie stellte ich den Artikel (der bis dahin den üblichen Review-Prozess durchlaufen hatte) zur Wahl für die innerhalb von Wikipedia durch Abstimmung vergebenen Auszeichnungen »lesenswert« und »exzellent«. Die Kandidatur stieß auf reges Interesse und wurde, nach ausgiebiger Diskussion, am Ende von einer knappen Mehrheit der Autoren abgelehnt. Zu meinem Erstaunen hatte sich gezeigt, dass die Kriterien, nach denen die Community die genannten Auszeichnungen vergibt, erheblich von denen der fast ausschließlich mit Wissenschaftlern besetzten Zedler-Jury abweichen. Zwei zentrale Unterschiede sind dabei erkennbar.
Anders als der Jury war der Artikel vielen Autoren zunächst zu kurz, insbesondere in Bezug auf die Rezeption der Figur Dagobert Duck. Tatsächlich wurde im Wettbewerb (der eine Beschränkung auf 6000 Zeichen vorsah) eine Synthese gewürdigt, die im Rahmen umfangreicher Wikipedia-Artikel unüblich, weil in der Regel unnötig ist. Im Gegensatz zu traditionellen Enzyklopädien besteht auf Wikipedia kein Platzproblem. Die ewige Diskussion um die Relevanz einmal ausgeblendet, können umfangreiche Einzelaspekte zudem bequem in einen eigenen Artikel ausgelagert werden, auf den im übergeordneten Artikel verwiesen wird.
Von noch größerem Gewicht ist der zweite Unterschied: Während Wikipedia als Enzyklopädie »bekanntes Wissen abbilden« möchte und sogenannte Theoriefindung strikt verbietet, gehört gerade das Auswerten, Interpretieren und Gewichten von Informationen und Meinungen zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens. Dass Teile meines Dagobert-Artikels vor allem auf Primärquellen beruhen, deren Auswahl meine persönliche Rezeption der entsprechenden Comics widerspiegelt, war für die Zedler-Jury keine Schwäche des Artikels - aus wissenschaftlicher Sicht sind die entsprechenden Abschnitte möglicherweise sogar die besten; die Auszeichnung als lesenswerter oder exzellenter Artikel ist dagegen auch daran gescheitert.
Der Grund, warum ich den Artikel immer noch nicht überarbeitet habe, ist keineswegs, dass ich ihn für vollständig oder das Verbot der Theoriefindung für falsch hielte. Im Gegenteil, ich muss der Kritik vor allem in Bezug auf den zweiten Punkt zustimmen. Tatsächlich muss sich Wikipedia als Universalenzyklopädie auf die Darstellung belegbaren Wissens beschränken. Dass Dagobert Duck normalerweise in seinem Geldspeicher wohnt, lässt sich ebenso wenig mit einzelnen Comics belegen wie die Bedeutung von Kastrationsängsten in E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann« mit dem Originaltext. Denn nur durch den Beleg mit sogenannten »reputablen« Quellen ist sichergestellt, dass eine Theorie ihrem Schöpfer zugeordnet und zu anderen, ihrerseits belegten Ansichten in Relation gesetzt werden kann. (Im »Sandmann«-Beispiel etwa könnte für das Verständnis Freuds dessen diesbezüglicher Aufsatz zitiert werden; eine Aussage über die Bedeutung dieses Aufsatzes würde dagegen ihrerseits einen Sekundärbeleg erfordern.)
Weshalb dannaber der stete Ruf nach Wissenschaftlern, wenn Wikipedia-Artikel doch die bloße Wiedergabe »etablierten« Wissens fordern und Wissenschaftler neue Erkenntnisse zunächst an anderer Stelle publizieren müssen, bevor sie diese in einen Artikel einarbeiten dürfen? Die Antwort gibt ein Beispiel aus dem Portal Recht, das gleichzeitig zeigt, wie schwer es wissenschaftliche Argumente in einer kollaborativ erstellten Enzyklopädie zuweilen haben.



MC474

Vokabeln:


MC475

»Welche Mannigfaltigkeit in Verfassungen und Sitten« Rechtsvergleichung als Beispiel
Es gibt Worte, und es gibt Begriffe. Ein Wort, das mehrere Begriffe bezeichnet, ist ein Polysem oder Homonym. So bezeichnet das Wort »Atlas« unter anderem eine Sammlung von Landkarten, einen Titanen aus der griechischen Mythologie und ein Gebirge in Nordafrika. Wikipedia enthält dementsprechend die Artikel »Atlas (Kartografie)«, »Atlas (Mythologie)« und »Atlas (Gebirge)«.
Zu den grundlegenden Erkenntnissen der Rechtsvergleichung, eines Teilgebiets der Rechtswissenschaft, gehört die Tatsache, dass Rechtsbegriffe (im Sinne von termini technici), die in mehr als einer Rechtsordnung auftauchen, regelmäßig Polyseme sind. Da jeder (nationale) Gesetzgeber souverän ist, kann er seine Rechtsordnung frei nach seinen Vorstellungen gestalten und Rechtsinstitute beliebig benennen. In Deutschland und Österreich trägt das Staatsoberhaupt beispielsweise die Bezeichnung »Bundespräsident«. In der Schweiz bezeichnet das Wort »Bundespräsident« dagegen den Vorsitzenden des Bundesrates. Wir sehen, dass die Begriffe, die das Wort Bundespräsident bezeichnet, unabhängig voneinander sind. Es ist allein Sache der nationalen Verfassungs- oder Gesetzgeber, das Amt eines Bundespräsidenten innerhalb der eigenen Rechtsordnung auszugestalten - oder auf ein solches Amt zu verzichten. Auf Wikipedia finden sich denn auch drei Artikel: »Bundespräsident (Deutschland)«, »Bundespräsident (Österreich)« und »Bundespräsident (Schweiz)«.



MC476

Vokabeln:


MC477

Nun kann es natürlich interessant sein, die gerade genannten Ämter miteinander zu vergleichen. Das Lemma »Bundespräsident« wäre für einen solchen Vergleich jedoch ungeeignet: Es schließt weder sämtliche Staatsoberhäupter ein, noch ist es auf solche beschränkt - tatsächlich müssen aus der gemeinsamen Bezeichnung überhaupt keine gemeinsamen Eigenschaften folgen. Auf Wikipedia findet sich ein entsprechender Vergleich demzufolge unter dem Lemma »Staatsoberhaupt«.
In der Rechtsvergleichung ist unumstritten, dass es sich bei allen Rechtsbegriffen so verhält. Das Wort »Diebstahl« kann im deutschen Recht etwas vollkommen anderes bezeichnen als im österreichischen Recht oder im englischen Common Law. Es muss sich a priori nicht einmal um einen strafrechtlichen Terminus handeln. Will man den im deutschen Recht mit »Diebstahl« bezeichneten Sachverhalt, die Entwendung einer fremden Sache, in den verschiedenen Rechtsordnungen vergleichen, so muss das nicht zwingend unter dem Begriff »Diebstahl« geschehen. Tatsächlich entwickelt die Rechtsvergleichung häufig eigene termini technici, unter denen bestimmte Teile verschiedener Rechtsordnungen anhand ihrer Funktion verglichen werden können.
Wikipedia war diese Differenzierung im Bereich Recht lange Zeit weitgehend fremd. Die meisten Artikel zu Rechtsbegriffen stellten unter einem deutschen Systembegriff das deutsche Recht ebenso dar wie das schweizerische und österreichische. Je nach Thema kamen Vergleiche mit weiteren Rechtsordnungen dazu. Das Kategoriensystem, das wie viele inhaltliche Strukturen auf Wikipedia aus einer Zeit stammte, in der jede Gliederung besser als keine war, las sich denn auch wie das juristische Vorlesungsverzeichnis einer deutschen Universität.


MC478

Vokabeln:


MC479

Im Sommer 2010 machte sich ein engagierter und mit der Materie vertrauter Benutzer daran, Wikipedia dem wissenschaftlichen Standard anzupassen. Zunächst spaltete er alle Artikel, deren Inhalt sich nicht auf die Darstellung einer einzelnen Rechtsordnung beschränkte, in mehrere Artikel auf. Aus »Diebstahl« wurden »Diebstahl (Deutschland)«, »Diebstahl (Österreich)« und »Diebstahl (Schweiz)« sowie »Diebstahl (England und Wales)«, »Diebstahl (Frankreich)« und ein auf diese Artikel verweisender Hauptartikel »Diebstahl«, der zudem allgemeingültige, insbesondere rechtsvergleichende Informationen enthält. Anschließend passte der Benutzer das Kategoriensystem dieser Umstrukturierung an und unterteilte das bis dahin einheitliche Kategoriensystem für juristische Artikel in nationale Kategoriebäume. Und plötzlich brach eine Welle der Kritik über ihn herein.
Die Umkategorisierung hatte eine Fülle von Artikeln betroffen, deren Gegenstand zwar nicht rein juristisch ist, die aber trotzdem Teil des juristischen Kategoriensystems sind. In den Portalen »Jagd« oder »Planen« tätige Autoren beklagten nicht nur die kleinteilige Aufspaltung ihrer Artikel in nationale Häppchen, sondern vor allem die Unverständlichkeit des völlig umgestellten Kategoriensystems.
Erst nach vielen Monaten und über 60.000 Worten der Diskussion konnte bezüglich des Kategoriensystems ein Kompromiss gefunden werden; er besteht im Wesentlichen in der Schaffung einer parallelen Kategorisierung, für die die juristischen Artikel nicht nach nationalen Rechtsordnungen, sondern nach den betroffenen Lebenssachverhalten unterteilt werden. Bezeichnend ist dabei nicht nur die Zeit, die für die Diskussion einer Umstellung erforderlich war, die unbestreitbar dem gegenwärtigen Stand der Rechtswissenschaft entspricht, den zu missachten nicht Ziel von Wikipedia sein kann. Auch der Ton, in dem diese Diskussion zeitweise geführt wurde und der den Initiator der Umstrukturierung inzwischen dazu bewogen hat, sich aus Wikipedia zurückzuziehen, zeigt, wie schwer wissenschaftliche Argumente es dort haben können, sobald sie etablierte Strukturen in Frage stellen.



MC480

Vokabeln:


MC481 - MC490 editar

MC481

Dass die wenigsten Wissenschaftler erpicht darauf sind, über Monate hinweg eine Diskussion zu führen, die für eine wissenschaftliche Publikation wohl nach Minuten abgeschlossen wäre, ist durchaus nachvollziehbar. Umso mehr, als auf Wikipedia stets die Gefahr besteht, dass ein unter größter Anstrengung erzielter Konsens im nächsten Moment von anderen Benutzern, die die Diskussion bis dahin nicht einmal zur Kenntnis genommen haben, wieder in Frage gestellt wird. Spätestens, wenn die Mitarbeit eines Diskussionsteilnehmers an einem Max-PlanckInstitut nicht als Argument für dessen Kompetenz, sondern als »Interessenkonflikt« gesehen wird, dürfte vielen Wissenschaftlern die Bereitschaft zur Mitarbeit vergehen.
Können sie also bei dem Versuch, aus wissenschaftlicher Sicht ungeeignete oder gar falsche Strukturen zu verbessern, nur verlieren? Mitnichten! Denn das Beispiel zeigt nicht nur, wie schwer es zuweilen ist, sich mit wissenschaftlichen Argumenten auf Wikipedia durchzusetzen, sondern auch, dass es möglich ist. »Eine Auseinandersetzung [auf Wikipedia] gewinnt am Ende der, der mehr Zeit hat«, erklärt Manuel Merz von der TU Ilmenau. Das ist zwar richtig, aber nicht zwingend schlecht. Denn für die meisten Wissenschaftler dürfte egal sein, ob sich eine Verbesserung innerhalb weniger Tage oder in einem halben Jahr durchsetzt. Meist sind es die Streithähne, die zuerst das Interesse an einem Thema verlieren.
Langfristig setzt sich so regelmäßig auch der durch, der die besseren Argumente hat - wenn auch am Ende einer Diskussion meist ein Kompromiss steht. Für Wissenschaftler mag auch dieser zuweilen enttäuschend sein, für das Erfolgsmodell Wikipedia ist er indes von entscheidender Bedeutung. Denn letztlich sind Umfang, Vielfalt und Qualität von Wikipedia die Folge eines stetigen Verbesserungsprozesses, der täglich eine Fülle unterschiedlicher Meinungen, Vorstellungen und Ideen zusammenführt. Ralf Müller-Schmid von Dradio Wissen sieht darin gar »die erste technische Umsetzung« der Wahrheitstheorie des amerikanischen Philosophen Charles Sanders Peirce, der zufolge wahr sei, was »von Aussagen übrig bleibt, wenn nach gründlicher Diskussion die Einsprüche verstummen«; mit der Zahl derer, die ihre Argumente zu einem Thema ungehindert vorbringen können, steige insofern »die Chance, insgesamt richtig zu liegen«. Wikipedia lehre uns, »dass die Wahrheit über die Welt als eine unendliche Folge von Korrekturen verstanden werden muss«.




MC482

Vokabeln:


MC483

»Beklagenswerther Mensch, der im Reiche der Freyheit eine Sclavenseele mit sich herum trägt« - Der Wissenschaftsbetrieb als Hindernis
Allen Schwierigkeiten, die Wikipedia für Wissenschaftler birgt, zum Trotz: Die wichtigsten Gründe für den Mangel an wissenschaftlichen Autoren liegen auf Seiten der Wissenschaft.
Noch immer bestehen zahlreiche Ressentiments gegenüber dem Projekt. Nach zehn Jahren mag die Zahl derer, die Wikipedia insgesamt (und öffentlich) ablehnen, inzwischen gering sein; Professoren, die ihren Studenten pauschal von der Benutzung von Wikipedia abraten oder sie gar davor warnen, gibt es dennoch zuhauf. Natürlich sind Wikipedia-Artikel keine wissenschaftlichen Aufsätze und als kooperativ verfasste Texte keinem Verfasser zuzuordnen, der mit seinem Namen für ihre Richtigkeit bürgt. Natürlich besteht bei frei veränderbaren Texten die Gefahr einer einseitigen und verfälschenden Darstellung, gerade bei geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Themen. Brockhaus und Britannica sind insoweit aber kaum bessere Garanten für objektive Informationen. Dank ihrer größeren Transparenz und ihrer (mangels Platzbeschränkung) häufig umfangreicheren Belege ist Wikipedia gerade in puncto Objektivität dabei sogar klar im Vorteil.
Diejenige Kritik, die sich speziell gegen Wikipedia als offene Online-Enzyklopädie richtet, beruht zudem oft auf Unkenntnis. Beliebt ist etwa die Vorstellung, dass Wikipedia stets nur die letzte Version eines Artikels speichere und Vandalismus oder Fehler so nicht ohne weiteres bemerkt würden. Tatsächlich garantiert die Versionsgeschichte seit jeher die Transparenz der Bearbeitungen und ermöglicht es mit entsprechenden Tools sogar, jedes einzelne Wort eines Artikels seinem ursprünglichen Verfasser zuzuordnen. Dank des (deutschen) Systems der »gesichteten Versionen« werden dem einfachen Leser zudem (fast) nur vandalismusfreie Artikel angezeigt.
Der deutsche Wissenschaftsbetrieb bietet jedoch keinerlei Anreize, die genannten Vorurteile zu überwinden. Weder auf dem Weg zum eigenen Lehrstuhl noch im darauffolgenden Kampf um Reputation und Forschungsgelder bringen Publikationen außerhalb des etablierten Kanons einen Vorteil. Wer Seine Zeit in ein, für seine wissenschaftliche Karriere, nutzloses Projket investieren will, muss das ehrenamtlich in seiner Freizeit tun - von Letzterer haben die meisten Wissenschaftler indes ohnehin nicht viel. Dass bisher nur wenige von ihnen den Weg in das Projekt Wikipedia gefunden haben, ist auch insofern durchaus verständlich. Festzuhalten bleibt, dass eine Fülle von Hindernissen existiert auf Seiten von Wikipedia, aber auch auf Seiten der Wissenschaft. Beiden sollte daran gelegen sein, diese Hindernisse abzubauen.



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»Der Mensch allein, der Sterbliche kann wählen«
Warum Wikipedia für Wissenschaftler attraktiver werden muss, liegt auf der Hand: Nachdem die Enzyklopädie lange Zeit vor allem in die Breite gewachsen ist, besteht heute primär Bedarf an einer qualitativen Verbesserung der Artikel. Zudem müssen die Strukturen innerhalb der Fachbereiche vielfach überarbeitet und die Artikel besser miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt werden. Alles Aufgaben, die in Anbetracht des Umfangs von Wikipedia längst nur noch von Experten erledigt werden können.
Von den oben genannten Hürden sind jedoch viele dem Projekt inhärent und damit schwer zu bekämpfen. So kann Wikimedia zwar zusammen mit der Community daran arbeiten, technische Einstiegshürden abzubauen und besser über die Funktionsweise der Wikipedia aufzuklären; auch spezielle Anreize für Wissenschaftler können gesetzt werden, etwa durch die jährlich stattfindende Wikipedia Academy oder die ZedlerMedaille (die möglicherweise noch besser an ihre wissenschaftliche Zielgruppe angepasst werden kann). Die grundlegenden Unterschiede zwischen dem klassischen Wissenschaftsbetrieb und der Mitarbeit an einer freien Enzyklopädie werden dagegen ebenso fortbestehen wie die wochenlangen Diskussionen zur Einordnung des Donauturms oder wissenschaftlich anerkannte Erkenntnisse (wie jene der Rechtsvergleichung).
Möglichkeiten, Hindernisse abzubauen und den Weg vom Elfenbeinturm in die freie Enzyklopädie weniger steinig zu machen, hat daher vor allem die Wissenschaft. Anlass, daran zu glauben, dass sie davon Gebrauch macht, gibt es durchaus: Mut macht etwa, dass mit dem Aufstieg des Englischen zur primären Arbeits- und Publikationssprache in vielen Fächern inzwischen eine Entwicklung hin zu kollaborativem Arbeiten einhergeht. »Früher schrieb man ausschließlich auf Deutsch und alleine. Heute schreibt keiner mehr auf Deutsch, und an den Forschungsarbeiten im Fach Mathematik sind durchschnittlich 2,8 Autoren beteiligt - in der Physik sogar 4«, so der Berliner Mathematikprofessor Jochen Brüning.



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Weltweit scheinen sich Wissenschaftler dem Projekt inzwischen stärker zu öffnen. So forderten die National Institutes of Health, die wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung in den USA, ihre Mitarbeiter jüngst zur aktiven Mitarbeit an Wikipedia auf. Die Fachzeitschrift RNA verlangt von ihren Autoren, zu einem Artikel stets eine Zusammenfassung für Wikipedia einzureichen, die nach Veröffentlichung des Artikels in die Online-Enzyklopädie eingefügt wird. Science, eine der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt, veröffentlichte Anfang 2011 eine Science Hall of Fame, »a pantheon of the most famous scientists of the past two centuries« - die Wissenschaftler, deren Bedeutung anschließend untersucht wurde, wählten die Autoren anhand von Metadaten auf Wikipedia aus.
Auch in Deutschland gibt es erste Versuche einer Kooperation. Auf der vom Jenaer Professor Thomas Sauer erdachten Seite wiwiwiki.net etwa verfassen Studenten (zum Beispiel im Rahmen einer Seminarabeit) Artikel zu volkswirtschaftlichen Themen, die anschließend in Wikipedia integriert werden.
Kaum jemand hält das Online-Lexikon noch für »die Wichtigtuerei von Halbgebildeten« oder eine Plattform zum Abschreiben von Hausarbeiten.
Denn tatsächlich ist Wikipedia viel mehr. Sie ist die größte Wissenssammlung, die die Menschheit je gesehen hat. Sie hat Wissen in einem Umfang zugänglich gemacht, der bis vor einem Jahrzehnt nicht denkbar war. Sie ist damit unter anderem der Ort geworden, an dem das »populäre Geschichtswissen von morgen« entsteht, wie es der Historiker Peter Haber formuliert. Für die Wissenschaft ist das Aufgabe und Chance zugleich.



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»Ein edles Verlangen muss in uns erglühen« - Die Verantwortung der Wissenschaft
Auch Wissenschaftlern, die Wikipedia bei ihrer Arbeit vollständig ignorieren können, sollte nicht gleichgültig sein, was dort zu lesen ist. Denn selbst wenn sie ihre eigenen Studenten dazu bewegen können, sich über den Nationalsozialismus lieber mit Hilfe einschlägiger Fachliteratur zu informieren, wird die große Mehrheit der Bevölkerung bei Bedarf trotzdem zunächst auf Wikipedia nachlesen. Bei den Artikeln zu Faschismus, Holocaust oder Adolf Hitler, die von Hunderten Autoren beobachtet werden (und zudem »halbgesperrt« sind), mag das inzwischen kein Problem mehr sein, doch schon bei den Biographien weniger bekannter Nationalsozialisten sind unbemerkte Fehler ebenso möglich wie subtile Manipulationen. Regelmäßig wird es nur Experten gelingen, entsprechende Aussagen zu erkennen und die oft durchaus vorhandenen Literaturbelege richtig einzuschätzen. Von der großen Verantwortung, die mit dem Bedeutungszuwachs Wikipedias einhergeht, ist selbstverständlich nicht nur die Geschichtswissenschaft betroffen. Auch in zahllosen anderen Bereichen ermöglicht Wikipedia Schülern wie Lehrern, Politikern wie Journalisten einen ersten Zugang zu einem bis dahin unbekannten Thema. Entsprechend darf es der Wissenschaft nicht egal sein, was in den Artikeln zu Homöopathie, Klimawandel oder Finanzkrise steht. Sie sollte diese Herausforderung indes auch als Chance betrachten.



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»Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgethan« Die Chance der Wissenschaft
Im Institut für Römisches Recht der Universität zu Köln hängt seit Jahren eine Anzeige der Deutschen Forschungsgemeinschaft, auf der in klarer Schrift steht: »Wir müssen uns den Luxus der Grundlagenforschung einfach leisten. Das unterscheidet den Menschen vom Tier. Das ist Kultur.« Die große Mehrheit der aktiven Wikipedia-Autoren - selten selbst Wissenschaftler, umso häufiger aber wissenschaftlich interessiert wird diese Aussage ohne zu zögern unterschreiben. Für sie wird dabei aber entscheidend sein, die Ergebnisse jener Forschung demjenigen zugänglich zu machen, der diesen Luxus bezahlt und ermöglicht: der Gesellschaft.
»Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammeln, das allgemeine System dieser Kenntnisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, und es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei; damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern gleichzeitig auch tugendhafter und glücklicher werden, und damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdient gemacht zu haben.« - Mit diesen Worten leitete Diderot 1755 seine Erklärung des Begriffs Encyclopédie im gleichnamigen Werk ein. Wie viel mehr aber gelten seine Worte für ein Lexikon, das nicht dem wohlhabenden Bildungsbürgertum vorbehalten ist, sondern Wissen jedem Internetnutzer frei zugänglich macht.



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Vokabeln:


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Wikipedia, das ist für Wissenschaftler eine historisch einmalige Chance. Das ist die Möglichkeit, den eigenen Fortschritt zum Fortschritt aller zu machen. Das ist die Möglichkeit, Menschen für Japanologie zu interessieren, die eigentlich nur die Bedeutung des Wortes Sushi herausfinden wollten. Das ist die Möglichkeit, Menschen zu helfen.
Am 29. September 2009 erschien in den USA das Buch The Boy Who Harnessed the Wind (Der Junge, der den Wind einspannte.). Es erzählt die Geschichte von William Kamkwamba, einem Jungen aus Malawi, der die Schule abbrechen musste, weil seine Eltern das Schulgeld in Höhe von 80 Dollar nicht zahlen konnten. Bei seinen anschließenden Besuchen in der Bücherei seines Dorfes fand er kurz darauf das Buch Using Energy (Energie verwenden). Nach dessen Anleitung baute er aus blauem Eukalyptus, Fahrradteilen und Abfällen eine Windmühle, mit der seine Familie elektrische Geräte betreiben konnte. Es folgten zwei weitere Windmühlen und eine solargetriebene Wasserpumpe, die das Dorf seitdem mit Trinkwasser versorgt. Das Wissen, das diese Geschichte möglich machte, stellt Wikipedia heute über zwei Milliarden Internetnutzern kostenlos zur Verfügung in über 250 Sprachen. Vielleicht ist es eines Tages selbstverständlich, dass auch Wissenschaftler täglich daran mitwirken.


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»Sag bloß keinem, dass du da mitmachst!«
VON JONATHAN GROB
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Manchmal wünsche ich mir, ich wäre älter. Dann hätte ich manches welthistorische Ereignis aufmerksamer verfolgt. Wäre ich 1980 geboren, hätte ich den Mauerfall und die Transformation des Ostens bewusst erlebt und wäre schon 2001 zu Wikipedia gekommen.
Manchmal wünsche ich mir auch, ich wäre fünf Jahre später geboren. Dann hätte ich mein Abitur 2010 gemacht und bei der Vorbereitung über Millionen umfangreiche Wikipedia-Artikel verfügt.
Nun ist es halt so und lässt sich nicht ändern: Ich bin 1985 geboren, habe von der Wende nicht viel mitgekriegt und fand bei meiner Abiturvorbereitung 2004/2005 nur wenige, sehr kurz gefasste Wikipedia-Artikel über das Thema vor (zum Glück gab es dazu noch mehr Seiten im Internet). Aber das hat auch etwas Gutes: Ich gelangte zu einer sehr spannenden Zeit in ein stetig wachsendes Projekt, das gerade zu boomen begann. Während eines ganz normalen Arbeitstages im Archiv, wo ich mein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte, schrieb ich meine ersten kleinen Wikipedia-Artikel. Sehr bald wurde ich auf Wikipedia angesprochen und, wie zufällig, Teil der Autorengemeinschaft. Da es in Berlin, wo ich damals lebte, regelmäßige WikipediaTreffen gibt, hatte ich einen weiteren Ansporn. Wildfremde waren das, die ich dort im Januar 2006 traf, die sich aber alle untereinander kannten; und mich auch, zumindest virtuell. Ein aufregendes Gefühl! Ich wurde herzlich aufgenommen, tauschte mich mit ihnen aus, plante neue Projekte und wurde im Sommer zum Administrator gewählt. Der Abschied im September, als ich mein Studium im beschaulichen, kleinen Göttingen aufnahm. fiel mir nicht leicht.



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In Göttingen gab es damals auch eine kleine Wikipedia-Gemeinschaft, mit der ich mich bald vertraut machte. Vorher aber hatte ich ein Gespräch mit meiner Göttinger Großtante, einer Historikerin, damals 74, früher am Max-Planck-Institut für Geschichte tätig. Beim Tee erzählte ich ihr von meinem tollen Hobby Wikipedia. Sie reagierte verhalten und sagte mir zum Abschied in Bezug auf meine künftigen Dozenten: »Sag bloß keinem, dass du da mitmachst!«
Aber was soll man machen? Im November erhielt ich einen Brief von einem emeritierten Professor, der über seinen Sohn erfahren hatte, dass ich am Wikipedia-Artikel über ihn mitwirkte. Der Herr Professor lud mich in sein Büro ein und unterhielt sich mit mir über dieses ihm kaum bekannte Projekt, ließ sich von mir ausführlich informieren und ermutigte mich, mein Engagement fortzuführen. Daraus entstand mein Vorhaben, alle wichtigen Vertreter meines Faches bei Wikipedia einzustellen: eine Prosopographie der Altertumswissenschaft, wie ich es seit September 2009 nenne.
An meinem Institut bin ich bekannt als »der Wikipedianer«. Mit vielen Studenten, noch mehr aber mit den Dozenten habe ich mich seither oft über Wikipedia auseinandergesetzt. Interessant ist dabei der Gesinnungswandel, den ich bei den Dozenten beobachtete: Wer anfangs teilnahmslos war, interessierte sich irgendwann für Wikipedia; wer Wikipedia anfangs verachtete, rang sich schließlich partielle Anerkennung ab; wer anfangs seinen Studenten verboten hatte, mit ihr zu arbeiten, erwähnt sie nun beiläufig als erste Orientierungshilfe.
Die Arbeit bei Wikipedia ist meine liebste Freizeitbeschäftigung. Ich habe über das Projekt viele Menschen kennengelernt, auch Freunde gefunden. Und mich motiviert nicht zuletzt, dass man meine Artikel liest und dass ich anerkannt werde.


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Durch Kooperation zum Erfolg: Die Johann-Heinrich-Zedler-Medaille
VON GERNOT WILHELM
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Zum zehnten Jubiläum von Wikipedia habe ich ein wenig in Terminkalender und Akten geblättert, um mir den Anfang der Zusammenarbeit zwischen Wikipedia und der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu vergegenwärtigen. Frank Schulenburg hatte Anfang 2007 mit dem Generalsekretär der Akademie, Claudius Geisler, Kontakt aufgenommen und angefragt, ob unsere Akademie sich eine Zusammenarbeit mit Wikimedia vorstellen könne. Am 8. März 2007 kam er nach Mainz zu einem Gespräch mit dem Präsidium der Akademie. Wir wussten zwar von dem raschen Ausbau der Wikipedia und dem eindrucksvollen Anstieg ihrer Nutzung, hatten aber wenig eigene Erfahrung und auch wenig Kenntnisse über Zustandekommen und Strukturen der digitalen Enzyklopädie und der dahinterstehenden Community.
Die Zusammenkunft trug Früchte: Wikimedia stiftete die jährlich zu vergebende Zedler-Medaille für den besten Wikipedia-Beitrag, und meine Aufgabe war es, zunächst für die Geistes- und Sozialwissenschaften eine Jury zusammenzubringen. Der Brief, den ich an eine Reihe von Akademiemitgliedern schickte, spiegelt den Eindruck, den ich aus dem Gespräch mit Frank Schulenburg gewonnen hatte: »Das Präsidium hat mit Herrn Schulenburg vom Vorstand der Wikimedia ein Gespräch geführt, bei dem wir von dem (geradezu selbstlosen, jedenfalls ehrenamtlichen) Engagement und dem Problembewusstsein der Wikipedia-Betreiber beeindruckt waren und die Mitwirkung bei der geplanten Veranstaltung zugesagt haben.«
Eine Reihe von Kollegen sagte sofort zu. Ein gewichtiges Argument für die Juroren war es, dass die Internet-Enzyklopädie mittlerweile einen festen Platz in der Praxis, insbesondere auch bei Schülern und Studenten, eingenommen hatte; schon damals hatte die deutschsprachige Version von Wikipedia täglich 4,2 Millionen »Besucher« auf ihrer Website. Und wir waren der Meinung, dass das Bemühen um weitere Qualitätssteigerung Unterstützung verdiente.
Die Jury einigte sich nach gründlicher Diskussion der uns vorgelegten Manuskripte auf einen Artikel über den Philosophen Ludwig Feuerbach. Später erfuhren wir, dass wir einen guten Griff getan hatten: Als Autor stellte sich der bekannte Schweizer Übersetzer und Autor einer Feuerbach-Biographie Josef Winiger heraus, der bereits in seiner Dissertation über Feuerbach gearbeitet hatte. Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung von Mainzer Akademie und Wikimedia wurde ihm im August 2007 im Plenarsaal der Akademie die erste Johann-Heinrich-Zedler-Medaille überreicht. Auch in den folgenden Jahren haben wir gern wieder an der Auswahl mitgearbeitet, nun auch unter Berücksichtigung der Natur- und Ingenieurwissenschaften.


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