Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 059c

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Das Cover des Buches
Quelle für den Text der Lektionen 051c bis 063c Lektionen ist das Buch
Alles über Wikipedia und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt
Das Buch erschien unter einer freien Lizenz (Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa).
fuente: Allesueberwikipedia.pdf - CC-BY-SA Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa - CC-BY-SA
Inhalt
Inhalt
VORWORT 9
EINLEITUNG 11
DIE ENTSTEHUNG DER DEUTSCHEN WIKIPEDIA 15
Von Nupedia zu Wikipedia:Wie alles anfing ... 15
Odyssee ins Jahr 2001: Die Anfänge der deutschen Wikipedia 23
Ein Blick zurück von der anderen Seite der Diskette 31
Zehn Jahre Wikipedia: Meilensteine 35
Der millionste Artikel für die deutsche Wikipedia 41
Wikipedia: Eine kritische Sicht 43
DIE WIKIPEDIA-ARBEIT 47
Grundkenntnisse 47
Was braucht ein »guter« Artikel? 59
Ein Begrüßungslöschantrag 63
Von der IP zum Bürokraten: die »Karriere« eines Wikipedianers 64
Da kann ja jeder reinschmieren! 67
Wo erhalten Benutzer Hilfe und Unterstützung? 71
WIE GUTE ARTIKEL ENTSTEHEN 81
Die Qualität von Wikipedia: Anspruch und Wirklichkeit 81
Geständnis eines Kleinvandalen 100
Die Zebrarennschnecke:Vom Kindermund zum enzyklopädischen Artikel 101
Wer rastet, der rostet 104
Listen über Listen 105
Nicht zu benutzen 107
Wikipedia organisiert 108
Schon gewusst? - oder: Wie kommt man flott auf die Hauptseite? 115
Masse mit Klasse 118
Die Todesopfer an der Berliner Mauer 121
MOTIVATION: FREIWILLIG FÜR FREIES WISSEN 125
Unverhofftes Wiedersehen 125
Von Metzgern und Schlachtern - oder: Wenn's sonst keiner macht ... 127
Wikipedia-Mitarbeit hält die Festplatte am Drehen 130
Der Traum von einer eigenen Enzyklopädie 131
»Wikipedia and I« 133
Wikipedia - der erste Schuss ist gratis 138
Damenfang 140
Wikipedia: Ein persönlich gefärbter (was sonst?) Erfahrungsbericht 141
Warum ich immer noch mitspiele 144
Der Büchermessie 147
Wikipedia-Momente 149
KOMMUNIKATIONSKULTUR 151
Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Strukturen in derWikipedia 151
Wissen ist Macht 162
Exklusionisten gegen Inklusionisten ein enzyklopädischer Bruderkrieg 164
Exklusionismus: In den Maschinenräumen von Wikipedia 173
Inklusionismus: Mehr Toleranz! 178
Mit 80 + dabei 182
DIE DUNKLE SEITE DER WIKIPEDIA 187
Am Anfang war der Streit 187
Kaffeeservice und Bügelbrett: Von der Wikipedia ohne Umweg in die Köpfe 210
Aus der Löschhölle an die Wand 214
Von der »Hassenstein-Debatte« zu allerlei Erfreulichem 216
Trollosophie 222
DIE WISSENSCHAFT ZU WIKIPEDIA 225
Wikipedistik 225
Wikipedia als Forschungsobjekt 241
Die Wikipedia als Werkzeug für individuelle und kooperative Lernprozesse 243
Verborgenes Wissen in Wikipedia 246
Die Enzyklopädie und der Elfenbeinturm - wie Wikipedia und Wissenschaft zueinander finden können 247
»Sag bloß keinem, dass du da mitmachst!« 266
Durch Kooperation zum Erfolg: Die Johann-Heinrich-ZedlerMedaille 268
Wikipedia und Wissenschaft aus der Sicht der Akademieforschung 269
Einstieg mit Hürden 273
Wikipedia als Lebensweise 274
Wikipedia und Speziallexika im Wettstreit 276
DIE TECHNIK HINTER WIKIPEDIA 283
MediaWiki - oder: Das Web 0,0 283
Hardware: Betrieb der Wikipedia 295
Das Werden und Wachsen der Helferlein: Bots, Skripte und Werkzeuge 300
AUSBLICK: WIKIPEDIA 2021 311
ANHANG 327
Glossar: Wikipedia-Jargon für Anfänger 327
Die Autoren 333
Creative Commons License 344



MC401 - MC410

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MC401

Um zu beleuchten, wie es zu dem Vorfall kommen konnte, hier einige Gedanken:
1. Die herkömmlichen Medien sehen sich seit einigen Jahren durch die neuen Medien einem wachsenden Druck ausgesetzt, Aktualität von Meldungen wird immer entscheidender. Dass dies jedoch zu mangelnder Recherche führt und Falschmeldungen begünstigt, ist bedauerlich und beängstigend.
2. Ein weiterer möglicher Grund ist, dass das fragliche Ereignis 1989 stattgefunden hat - also zu einer Zeit, in der das World Wide Web gerade erst unter Laborbedingungen entstand. Berichte aus erster Hand sind also im Internet nicht zu finden. Offensichtlich wurde trotzdem gerade Wikipedia, die es ja erst seit 2001 gibt, als Quelle genutzt. Das ist auch gut so, doch sollte sie grundsätzlich nicht als einzige Quelle, erst recht nicht zu Geschehnissen aus jener Zeit, herangezogen werden.
3. Das Fass, das in männerdominierten Strukturen des Sportjournalismus eventuell die Mär um ein Bügelbrett als Prämie begünstigt haben könnte, möchte ich gar nicht aufmachen.
Diese Gründe mögen zutreffend sein oder nicht; sie entschuldigen aber keinesfalls das ungeprüfte Übernehmen von Aussagen aus einer Quelle, die bekanntermaßen
1. nicht verifizierte Informationen enthalten kann,
2. von Freiwilligen erstellt wird und
3. stellenweise von Vandalismus betroffen ist.
Der Fehler bei dieser Geschichte liegt im Übrigen - nach meiner Überzeugung - in keinerlei Hinsicht bei Wikipedia. Weder bei den Autoren noch - und das ist mir wichtig - bei dem System selbst. Bei Tausenden Bearbeitungen jeden Tag können und werden immer Fehler durchgehen. Wikipedia hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass in ihr enthaltene Informationen ohne jede Garantie bereitgestellt werden und unbedingt durch weitere Quellen erhärtet werden müssen.



MC402

Vokabeln:


MC403

Aus der Löschhölle an die Wand
VON BENUTZER:1TTI
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Löschdiskussion, Löschhölle, Relevanz: Viele enzyklopädische Schicksale entscheiden sich im Hinterzimmer der Wikipedia. Aber gerade hier finden sich die interessantesten Artikel, die oftmals, gerade weil sie in der Löschhölle schmoren, deutlich gewinnen.
Hier fand ich vor über einem Jahr den Artikel über einen Dortmunder Künstler. Zugegeben, kein Picasso, aber auch nicht völlig unbekannt. Eingestellt in die Löschhölle mit der Begründung: »Nach Recherche m.E. keine Relevanz erkennbar.« Die nun folgenden Stimmen unterstrichen dieses Votum, wobei sich aber auch herausstellte, dass die Löschung dieses Artikels bereits in einem anderen Hinterzimmer, dem der »Bildenden Kunst«, besprochene Sache war. :Hier war dann meine Neugierde endgültig geweckt. Im Folgenden entwickelte sich eine muntere Diskussion. Löschbefürworter und Löschgegner lieferten sich interessante Kontroversen. In dem Artikel konnten Ausstellungen und Presseberichte ergänzt werden. Die Diskussion gipfelte in der theoretischen Betrachtung, welcher Künstler ein größeres Publikum habe, einer, den man in ganz Österreich (laut Wikipedia 8,4 Millionen Einwohner) kennt, oder einer, der im Ruhrgebiet mit immerhin 5,1 Millionen Einwohnern populär ist.
Nach sieben Tagen die Entscheidung: »bleibt, in der Summe hinreichend viele Anhaltspunkte für Relevanz. Weiterentwicklung wäre schön.«
Mein Fazit: Nachdem ich mich sieben Tage mit dem Künstler beschäftigt und mir seine Werke angesehen hatte, besuchte ich eine seiner Ausstellungen. Dann habe ich es gewagt - ich benötigte noch ein Geburtstagsgeschenk für meinen Mann - und habe ihn angerufen.
Sehr nett wurde ich von ihm und seiner Frau aufgenommen, einen ganzen Nachmittag habe ich in seinen Bildern gestöbert, habe mir seine Geschichte und seine Geschichten angehört. Ich habe einen tollen Künstler mit einer sehr netten Ehefrau kennengelernt, und gegen Abend habe ich das schönste Bild gekauft: ein Aquarell, das einen Abstich im Oxygenstahlwerk Phoenix in Dortmund-Hörde zeigt. Schon vor Jahren wurde es stillgelegt, demontiert und nach China verkauft. Im Werk Phoenix hat zu seiner Zeit bereits mein Vater gearbeitet. Das Bild habe ich meinem Mann zum Geburtstag geschenkt. Er hat sich sehr gefreut.
Im Dezember 2010 ist der Künstler leider verstorben, sein Aquarell hat einen besonderen Platz in unserer Wohnung gefunden, und in siebzig Jahren, wenn die Urheberrechte erloschen sind, wird eine entsprechende Datei hoffentlich einen Platz in Wikipedia finden.



MC404

Vokabeln:


MC405

Von der »Hassenstein-Debatte« zu allerlei Erfreulichem
VON JAN-HERM JANSSEN
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Ein Bekenntnis vorab: Auch nach langjähriger Mitarbeit bin ich immer wieder verblüfft, welche schier unendliche Bandbreite an interessanten Artikeln die Wikipedia bietet. Dies auch gerade bei Themen, zu denen in anderen Nachschlagewerken schlicht nichts zu finden ist. Daher bin ich seit 2005 nicht nur gern Autor, sondern auch leidenschaftlicher Leser und Nutzer der Wikipedia. Als einer ihrer großen Pluspunkte sehe ich an, dass sie auch scheinbar »trivialen« oder schon fast vergessenen Persönlichkeiten, die sogar in Fachlexika unerwähnt bleiben, Eintritt gewährt. Hier gab es für mich manche Entdeckung - vom Agrarwissenschaftler und ersten deutschsprachigen Jules-VerneBiographen Max Popp über den Eiskunstlauf-Weltmeister und Forstwissenschaftler Gilbert Fuchs bis hin zu dem Autor und Verleger Carl Stephenson. Alle drei biographischen Artikel sind bis heute nicht vollständig und insgesamt unbefriedigend, auch weil offenbar keine ausreichende Literatur vorliegt. Aber es macht Spaß, gemeinsam mit anderen Autoren daran zu arbeiten, um am Ende doch ein paar echte Perlen »ausgegraben« und aufpoliert zu haben.


MC406

Vokabeln:


MC407

Ich gebe zu, dass mich die ersten Eindrücke von der Wikipedia im Sommer/Herbst 2005 zunächst abgeschreckt haben insbesondere, als ich der berühmt-berüchtigten, aber für die Entwicklung von Wikipedia wohl als Meilenstein einzustufenden »Hassenstein-Debatte« ansichtig wurde. Darin ging es anhand von Leben und Werk des Verhaltensbiologen Bernhard Hassenstein grundsätzlich um die Relevanzkriterien von Personen. Die in der Debatte vorgebrachten »Argumente« gegen die Aufnahme von Wissenschaftlern in Wikipedia waren zum Teil haarsträubend und zeugten davon, dass ein Großteil derer, die sich dort äußerten, offenbar noch nie eine akademische Einrichtung von innen gesehen hatte. Hätten sich diese Stimmen seinerzeit durchgesetzt, wäre das gesamte Enzyklopädie-Projekt wahrscheinlich schon bald zum Scheitern verurteilt gewesen. Glücklicherweise ist es nicht so gekommen, vielmehr hat sich Wikipedia danach alsbald mit Erfolg darum bemüht, verstärkt Autoren aus dem akademischen Spektrum zu gewinnen. Das ist kein Schlag gegen das »}eder-kann-hier-mitschreibenPrinzip« und auch kein elitärer »Kulturgeier«-Dünkel, sondern diente dazu, die Qualität von Wikipedia deutlich zu steigern und ihre Reputation nicht zuletzt auch in den Medien zu verbessern. :Persönlich bin ich stolz darauf, dass bislang noch keiner der von mir angelegten rund 200 Artikel - zumeist Biographien von Forstleuten - gelöscht wurde. Erfreuliche Erlebnisse gab es genug, etwa, wenn sich die in den Artikeln Porträtierten persönlich oder über Familienangehörige/Freunde bei mir meldeten, Lob spendeten und mir ergänzendes Material zukommen ließen. Das eine und andere Mal ergaben sich daraus auch Treffen in der »realen Welt«, was natürlich eine große Motivation zum Weitermachen ist. Auch freut es einen, wenn die eigenen Arbeiten Zustimmung von kompetenten Wissenschaftlern wie Wolfgang Böhm (alias Benutzer:Wolf von Sigmondy) erfahren. Mittlerweile hat er übrigens fast im Alleingang alle wichtigen Agrarwissenschaftler in die Wikipedia gebracht - Hut ab vor dieser Leistung! Im Vergleich dazu bin ich immer noch ein »Gelegenheitsbiograph«.



MC408

Vokabeln:


MC409

Nicht fuddeln: Die Lizenz zum totalen Abschuss und die Poirot-Fans
Wer jahrelang in der Wikipedia mitmacht, kommt um absurde Situationen nicht herum. Ein legendäres Erlebnis in dieser Hinsicht war für mich die Genese des Artikels zu dem Film Die Abenteuer des Rabbi Jacob. Quasi im Chat-Stil tauschte ich mich mit den Autoren über das meiner Ansicht nach unglückliche Werden des Textes, der häppchenweise und ohne Baustellensymbol wuchs, aus. Zu vorgerückter Stunde war das irgendwie putzige Autorengespann dann müde und meinte: »Jetzt ist schon 11:15 und damit Feierabend - da machen wir erst später wieder weiter!« Sprachens und ließen den Artikelrohbau halbfertig im Regen stehen - da blieb nur noch, ihn auf den Qualitätssicherungsseiten zu listen. :Ich habe nie verstanden, warum manche Wikipedia-Autoren an ihren Artikeln nicht im stillen Kämmerlein werkeln, bis sie fertig sind, sondern vor aller Augen online daran herumstricken. Wie auch immer, das Ganze zog eine längere Diskussion mit dem Tenor »übereilte Löschanträge« nach sich, in deren Zuge mir Benutzer:News dann in Anspielung auf meine forstliche Ausbildung riet, mehr Geduld mit jungen Artikeln und ihrem Wachstum zu haben: »Und so muss man an einem Thema auch arbeiten und einen Artikel allmählich entwickeln, dachte ich. Das geht nicht von jetzt auf nachher. Auch ein Wald muss sich doch erst entwickeln! Das musst du noch lernen. Oder hast du die Lizenz zum totalen Abschuss? Der Förster ballert doch auch nicht einfach so drauflos.« Da ich die »Lizenz zum totalen Abschuss« in der Tat nicht habe (bin und war nie Administrator ...), lasse ich seither in aller Regel die Finger von Löschanträgen, -knöpfen und -diskussionen. Merke: Wer sich als Eingangskontrolle betätigt, sieht alsbald (zu) viel Müll vorbeischwimmen und wird schließlich zum Zerberus, wenn er nicht Onkel Langmut in Person ist. Mit News habe ich mich übrigens alsbald versöhnt und ihn dazu angeregt, doch eine Benutzerseite anzulegen.



MC410

Vokabeln:


MC411 - MC420

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MC411

Eine großartige Perle von niedlicher Naivität lieferten auch die Fans der Fernsehserie Poirot mit David Suchet. Sie hatten bislang nicht deutsch synchronisierte Folgen für WikipediaArtikel »vorsorglich« schon einmal mit deutschen Titeln versehen. Ihre Begründung, hier im Original zitiert: »... die Deutschen Titel bei den Poirot Filmen haben wir gewählt, da sonst vielleicht noch ein eventueller Deutscher Verleih/Fernsehsender auf die Idee kommt, da irgendwas dran rumzufuddeln. Wir möchten zu 100% dass auch der deutsche Buchtitel verwendet wird, daher die >vorbestimmte< deutsche Titelvergabe.« Das war dann sogar für meine kleinen grauen Zellen zu viel: »Das ist ja absurd. Welchen Titel ein Sender für eine deutsche Fernsehausstrahlung wählt, hat nicht die Wikipedia zu entscheiden. Tatsache ist: Diese Filme sind bislang nicht synchronisiert und haben somit auch noch keinen deutschen Verleihtitel. Die Wikipedia kann sich jedenfalls keinen ausdenken. Ich möchte doch daran erinnern, dass dies hier eine Enzyklopädie ist und kein Wunschkonzert. Auch nicht für Poirot-Fans, mon ami!« Und merke: Hier wird nicht gefuddelt!


MC412

Vokabeln:


MC413

Beuys und Brights
Über kurz oder lang kommt aber wohl jeder, der in der Wikipedia mitarbeitet, um wirklich unangenehme Erfahrungen nicht herum: Es gab Wikipedianer, an die sich viele heute noch mit Gänsehaut erinnern dürften. Etwa die unendlichen Debatten mit Benutzer:Zita rund um das Werk von Joseph Beuys, speziell aber zur Sozialen Plastik. Wobei Zita beständig kritische Anmerkungen auf Diskussionsseiten kommentarlos löschte - am Ende schier unendlicher Drehkreiseldebatten riss dann auch anderen Mitdiskutierenden der Geduldsfaden, und es fiel das Fallbeil der Benutzersperrung. Ein weiterer Zeitgenosse, mit dem ich und andere ernstlich aneinandergerieten, war der sich selbst als »Bright« bezeichnende Benutzer:Max Hester, der versuchte, seine Weltsicht auf Biegen und Brechen an allen möglichen Ecken und Winkeln von Wikipedia ein- und unterzubringen. Hester, der schließlich vom »Recht zu gehen« Gebrauch machte, hat mich in meiner Überzeugung gestärkt, dass Atheisten derzeit insgesamt doch die gläubigsten und missionarisch eifrigsten (und eiferndsten) Zeitgenossen sind.


MC414

Vokabeln:


MC415

Speichellecker des Adels
Meine persönliche Lieblingsbeleidigung kam von einer IP. Der Anonymus nannte mich im Jahr 2008 einen »Speichellecker des Adels« mit der tiefsinnigen Feststellung: »Wart ihr Förster in Lummerland ja schon immer!« Ich habe auch nicht erwartet, dass diesem Dummling bekannt gewesen wäre, dass sich nicht zuletzt die »forstlichen Klassiker« im 19. Jahrhundert gegen das sogenannte »Adelsprivileg« gewandt haben. Aber mir ist schon unangenehm aufgefallen, dass sehr viele Wikipedianer arge Komplexe zu haben scheinen, was den »Adel« angeht. In mancher Diskussion hörte man da zwischen den Zeilen sozusagen geistig die Guillotine rasseln. Das gibt zu denken und sollte mal Gegenstand einer sozialpsychologischen Untersuchung werden: »Der Adelskomplex in der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia«.


MC416

Vokabeln:


MC417

Botanik-Bindestrich und Genealogen-Kreuz der ganz normale Wikipedia-Wahnsinn
Grauenvoll war und ist auch der immer wieder aufflackernde Ideologiekrieg um die »richtige« Schreibweise deutscher Pflanzennamen. Ist nun »Bergahorn« oder »Berg-Ahorn«, »Trauben-Eiche« oder »Traubeneiche«, »Schnitt-Lauch« oder »Schnittlauch«, »Stech-Fichte« oder »Stechfichte« korrekt? Ja, um diesen Bindestrich hat es erbitterte Debatten gegeben, die wohl schon ein eigenes Buch füllen dürften. Und innerhalb der WikipediaPflanzenartikel herrscht nun ein ziemliches Durcheinander. Noch viel heißer ist die immer wieder mal aufs Tapet gebrachte Diskussion um das sogenannte »genealogische Kreuzzeichen« (»t«) für »gestorben«. Ob Botanik-Bindestrich oder Genealogen-Kreuz - die Debatten darum sind vermintes Gelände, von dem ich mich kopfschüttelnd ferngehalten habe. Aber dankenswerterweise sammelt Benutzer:Magadan auf seiner Unterseite »Unvorstellbar öde Diskussionen«1 ja die »schönsten Meinungsbilder, irrwitzigsten Löschdiskussionen, Ödnis verbreitende Vandalenmeldungen und sonstige Metadiskussionen«. Willkommen im absoluten Wikipedia-Wahnsinn!



MC418

Vokabeln:


MC419

Bequellte Trivia und sonstiger Sprachschrott
»Null Toleranz« gilt bei mir vor allem, wenn die deutsche Sprache gequält wird. Mein besonderes Hassobjekt, das ich überall austilge, wo ich seiner ansichtig werde, ist das schreckliche Wörtchen »Trivia«. Diese Nicht-Übersetzung aus dem Englischen tummelt sich besonders gern in Filmartikeln. Da ist dann unter »Trivia« zu lesen, dass Schauspieler XY bei einem Stunt drei Zähne verloren hat oder aber die Produktionskosten des Films bei rund 200 Millionen Dollar lagen. Fürchterlich! Die Nackenhaare sträuben sich mir, wenn ich lesen muss, dass Justizrat Wendig an dieser oder jener Hochschule »graduierte« zumeist eine wörtliche, aber bedeutungsfalsche Übersetzung des englischen »graduated«. Auch an der »Entwelcherung« so manches Artikels habe ich schon mitgeholfen. Doch bei dem Wort »bequellen« (von Artikeln) stellen sich mir nicht nur die Federohren, sondern rollen sich mir auch die sprachlichen Zehennägel auf. Angesichts solcher Sprachgeschosse gehe ich lieber falkenschnell in Deckung. Leider ist in der Wikipedia einiger Sprachschrott zu finden - und manch eigenwillige Wortinterpretation. Manchmal fühlt man sich an die Szene mit Humpty Dumpty aus Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln erinnert: »>Wenn ich ein Wort verwenden erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, >dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts änderest >Die Frage ist doch<, sagte Alice, >ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst.< >Die Frage ist<, sagte Humpty Dumpty, >wer die Macht hat - und das ist alles.«<



MC420

Vokabeln:


MC421 - MC430

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MC421

Trollosophie
VON BENUTZER:KOENRAAD
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Trolle (wiss. Trollus robustus wikipedienis), diese omnipräsenten Geschöpfe der Wikipedia, die in Einsamkeit und Ödnis ihr kümmerliches Dasein auf allen Seiten des Projekts fristen, führen wichtige Erkenntnisse der abendländischen Philosophie ad absurdum. Die sicher geglaubten Methoden der Hermeneutik versagen, wenn ein Troll in Anmarsch ist. Das Hegelsche Axiom der bestimmten Negation, nach dem jede Erkenntnis neue Fragen aufwirft und somit den bis dato bekannten Bereich der Unwissenheit erweitert, gilt nicht für Trolle: Je weniger sie wissen, desto mehr verstehen sie. Immanuel Kants »Sapere aude« verhallt ungehört. Das Streben nach der sophia verwechseln sie mit dem Werben um eine Trollgefährtin. Der Schein - Karl Marx wird es ihm nicht danken - bestimmt des Trolls Bewusstsein. Sokrates' Lehrsatz heißt bei ihm: »Ich weiß, dass ich alles weiß.« Werte des Humanismus strafen Trolle mit Verachtung. Die großen Skeptiker raufen sich die Haare. René Descartes ist gleich in doppelter Hinsicht gebeutelt. Descartes' »De omnibus dubitandum« (an allem ist zu zweifeln) halten sie für Werbung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Zweifel sind ihnen ohnehin wesensfremd. Auch Descartes' Kernsatz »Je pense donc je suis« gilt bei Trollen nur im doppelt umgekehrten Sinne:
• Das Nicht-Denken ist die Quintessenz des Trolls. Für ihn gilt stets: Ich denke nicht, also bin ich.
• Aber auch das Gegenteil ist - ganz im Sinne der Dialektik richtig: Ich denke, also bin ich nicht {je pense donc je ne suis pas un Troll). Der denkende Troll, der dem Leitsatz von Sokrates folgend seiner Trollhaftigkeit gewahr wird, kostet damit bereits vom Schierlingsbecher, der seinem Trollwesen ein Ende bereitet. Erkennt er sich selbst, ist er kein Troll mehr; denn die wahren Trolle sind immer nur die anderen.
Sollten mir jemals Zweifel kommen, dass Ihr die Trolle seid, bin ich geheilt. Also trollt Euch bis dahin!


MC422

Vokabeln:


MC423

DIE WISSENSCHAFT ZU WIKIPEDIA
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Wikipedistik
VON DAVID LUDWIG UND TOBIAS SCHUMANN
Häufig wird Wikipedia als ein Projekt beschrieben, das »zwar in der Praxis, aber nicht in der Theorie« funktioniere - die digitale Enzyklopädie widerspreche traditionellen Vorstellungen von Wissensproduktion. Tatsächlich bringt Wikipedia gängige Annahmen zu Kooperation, Expertentum und Qualitätssicherung ins Wanken. So wirft das Fehlen klarer Hierarchien die Frage auf, ob und wie sich in dem Enzyklopädie-Projekt funktionsfähige Entscheidungsstrukturen entwickeln können. Der Offenheit von Wikipedia wird mit dem Einwand begegnet, dass eine kooperativ von Laien geschriebene Enzyklopädie keine hochwertigen Inhalte produzieren könne. Trotz zahlreicher theoretisch begründeter Zweifel sind der praktische Erfolg und das rasante Wachstum Wikipedias eine offensichtliche Tatsache. Die gleichberechtigte Inhaltserstellung durch Autoren mit unterschiedlichsten Hintergründen und Auffassungen führt weder zu organisatorischem Chaos noch zu gänzlich fehlerdurchdrungenen Artikeln - eine Herausforderung für die Wissenschaft, bestehende Theorien zu hinterfragen und gegebenenfalls zu revidieren.
Forscher verschiedener Disziplinen haben sich daher der Wikipedia als eines herausragenden Beispiels für die Funktionsweise kooperativer und digitaler Wissenserzeugung angenommen. Dabei variieren die Fragestellungen beträchtlich. In Diesem Kapitel soll ein Überblick über die Vielfalt an Forschungen gegeben und mit der Präsentation einiger Ergebnisse etwas Licht ins Dunkel des erklärungsbedürftigen Erfolgs von Wikipedia gebracht werden. Sämtliche Forschung zu dem globalen und komplexen Phänomen kann hier nicht erschöpfend wiedergegeben werden, weswegen eine Auswahl nötig ist und der Schwerpunkt auf die deutsch- und englischsprachige Ausgabe gesetzt wurde. Einen Einblick in drei Themenbereiche der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geben die folgenden Seiten. Zunächst steht die Frage nach der Motivation sowie den Entscheidungsprozessen und Machtstrukturen der Community im Zentrum. Zweitens sollen Untersuchungen zur Qualität und inhaltlichen Ausrichtung der Enzyklopädie geschildert werden. Schließlich wird Wikipedia hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung betrachtet und als Teil eines veränderten und zunehmend digitalisierten Zugangs zu Wissen diskutiert.


MC424

Vokabeln:


MC425

Die Community: Motivation und Kooperation
Die Seiten eines Wikis werden häufig als »living documents« bezeichnet. Ihr Inhalt steht niemals festgeschrieben wie auf einem Blatt Papier, sondern erlaubt einen permanenten Wandel. Ein Blick in die Versionsgeschichte eines Artikels verdeutlicht: Eine große Gemeinschaft freiwilliger Autoren und Mitarbeiter erschafft die digitale Enzyklopädie. Dabei ist das Wiki nicht nur das Medium für die Präsentation der Ergebnisse, sondern zugleich die Arbeits- und Interaktionsplattform der Community. Auf den unzähligen Diskussions- und Projektseiten, von den Löschkandidaten bis zum Wikipedia-Cafe, finden Kooperationen und Konflikte statt. Es steckt Leben in der Wikipedia.
Will man verstehen, wie Wikipedia funktioniert, dann muss man die Benutzer und ihre Interaktionsformen kennenlernen. Einige wissenschaftliche Studien gehen daher mittels Interviews der Frage nach, was für Menschen sich in Wikipedia engagieren. Auffallend an der Demographie der deutsch- und englischsprachigen Version ist eine klare männliche Dominanz bei den Projektbeteiligten, die je nach Studie zwischen 86 und 94 Prozent schwankt. Das durchschnittliche Alter liegt bei Mitte 30, jedoch mit einer großen und breit gestreuten Spannweite von beispielsweise zwölf bis 74 Jahren in einer der Studien. Auch wenn die interviewten Wikipedianer einer Befragung im Durchschnitt zwei Stunden täglich in die Online-Enzyklopädie investieren, ist die Mehrheit außerhalb Wikipedias in Vollzeit beschäftigt. Ein Großteil ist zudem gut ausgebildet: Je nach Studie besitzen 31 bis 57 Prozent einen Hochschulabschluss, während nur fünf Prozent überhaupt keinen Schulabschluss haben. Die Forschungen stammen aus den Jahren 2005 bis 2009, was angesichts der ähnlichen Ergebnisse auf eine Kontinuität der typischen Nutzerschalt trotz personaler Veränderungen in der Community hindeutet. :Weitaus schwieriger zu greifen als die demographische Zusammensetzung der aktiv Beteiligten ist deren Motivation zur Mitarbeit. Das freiwillige Engagement vieler Wikipedianer ist zeitintensiv und oft mühsam und aufreibend. Es gibt keine materielle Entlohnung, und für die außerhalb des Projekts stehenden Leser bleiben die Autoren in der Regel unbekannt. Mögen Hunderttausende die Arbeit lesen, ein Wikipedia-Enzyklopädist kann kaum Bekanntheit und Reputation außerhalb des Projekts erlangen. Trotzdem beschreiben Mitarbeiter ihre Tätigkeit des Öfteren als suchtartig. Ein zentrales Anliegen der Wikipedia-Forschung ist es daher, die Motivation der Wikipedianer zu ergründen.



MC426

Vokabeln:


MC427

Dass die Motivation der Autoren rätselhaft erscheint, berührt im Kern die grundsätzliche Frage, auf welche Weise scheinbar altruistisches Verhalten theoretisch zu fassen ist. Insbesondere aus der Perspektive von Theorien, die dem menschliehen Handeln ein stetes Abwägen von Kosten und Nutzen zugrunde legen, kann vor allem ein intensives Engagement in Wikipedia eine theoretische Herausforderung darstellen. Den Kosten der Mitarbeit steht kein adäquater Nutzen gegenüber.7 Angesichts der fehlenden finanziellen und anerkennungsbezogenen Anreize nehmen mehrere Forscher sogenannte intrinsische Motive an. Diese beziehen sich auf Handlungen, die gewissermaßen Selbstzweck sind. Die beabsichtigte Befriedigung stellt sich nicht durch die Realisation eines erst zu erreichenden Ziels ein, sondern die Tätigkeit selbst ist befriedigend. Kurz: Der Weg ist das Ziel. Tatsächlich ergeben mehrere Befragungen, dass sehr häufig genannte Motivationen zu einer Beteiligung am Projekt Spaß und Zeitvertreib, Wissenserwerb und Weiterbildung sowie das Gefühl der Selbstwirksamkeit sind. Die Identifikation mit dem Projekt und der Wunsch, zu dessen Verbesserung beizutragen, sind ebenfalls mehrfach geäußerte Gründe zur Mitarbeit. Aber auch soziale Faktoren wie die Freude an gemeinschaftlicher Kooperation und das Eingebundensein in eine Gemeinschaft scheinen eine große Rolle zu spielen und könnten als Erklärung dafür dienen, dass eine Beteiligung trotz bisweilen vorkommender subjektiver Nachteile stattfindet. Darüber hinaus gibt es offensichtlich starke Gewöhnungseffekte, die eine kontinuierliche Mitarbeit begünstigen.


MC428

Vokabeln:


MC429

Eine typische Eigenschaft der Kommunikation über das Medium Internet kommt den Wikipedia-Forschern zugute: Alles wird gespeichert. Im Gegensatz zur Flüchtigkeit mündlicher Kommunikation, wo jedes Wort sofort verhallt, zeichnen die Computer jede Äußerung unermüdlich auf. Wikipedia ist ein riesiges Gedächtnis all der Interaktionen, die in ihr zwischen den Projektbeteiligten stattfinden. Für Forscher ein Schatzkasten: umfassende Dokumentation der Ereignisse wie in einem Laborexperiment und zugleich Natürlichkeit realer Ereignisse ohne die Beeinflussung durch die Anwesenheit des Wissenschaftlers. Nahezu die gesamten Vorgänge der riesigen Institution sind verfügbar und zugänglich. Ermöglicht werden so ganz andere methodische Herangehensweisen.
Obwohl viele Studien die Motivation von Wikipedianern mittels Interviews untersuchen, ist diese Methode nicht unumstritten, da Handlungsmotive den Handelnden häufig selbst nicht bewusst sind. Der Soziologe Christian Stegbauer wählt daher, den Erkenntniswert von Befragungen bezweifelnd, eine andere Untersuchungsmethode: die Beobachtung. Statt sich auf die Auskünfte der Projektbeteiligten zu stützen, analysiert er ihr im Wiki dokumentiertes Verhalten. Auf der Suche nach gesellschaftlichen Ursachen menschlichen Handelns verfolgt er die These, dass letztlich die Position einer Person in einer Gemeinschaft bestimmt, wie sie sich verhält. Diese wechselseitige Einordnung der Beteiligten ist mit spezifischen Erwartungen verbunden. Von einem langjährigen Enzyklopädisten werden etwa andere Dinge erwartet als von einer anonym editierenden Person. Aus den gegenseitigen Erwartungen entstehen im Laufe der Zeit feste Rollen, die dann den Träger in seinem Tun nachhaltig bestimmen. Handlungen von Personen sind in dieser Forschungsperspektive nicht durch Handlungsmotive zu erklären, sondern durch die Erwartungen, die mit einer bestimmten Rolle verbunden sind. Das »Rätsel der Kooperation« findet seine Lösung also nicht in einer bestimmten Motivation der Individuen, sondern in deren Einbindung in eine Gemeinschaft und der damit verbundenen Zuteilung einer entsprechenden Rolle. Dafür sprechen die Ergebnisse einer Befragung mehrjährig aktiver Mitarbeiter über die Geschichte ihrer Beteiligung. Es konnte aufgezeigt werden, wie sich Aktivitäten und vor allem Motive ändern, je stärker die Befragten in die Gemeinschaft integriert waren.


MC430

Vokabeln:

MC431 - MC440

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MC431

Soziale Prozesse spielen aber nicht nur dort eine Rolle, wo es um Identität und Motivation von Wikipedianern seht. Die eigentliche Inhaltserstellung der Online-Enzyklopädie ist selbst gemeinschaftliche Interaktion, deren Untersuchung sich ein großer Teil der Forschung zu Wikipedia widmet. Zweifellos ist die Organisationsstruktur von Wikipedia ungewöhnlich: Jeder kann mitmachen, es existiert kein zentrales Entscheidungsorgan. Administratoren können zwar Artikel löschen oder Benutzer sperren, doch rein formell stehen ihnen keine Privilegien bei der Entscheidung über Inhalte zu. Daraus ergibt sich: Editieren bedeutet Aushandeln. Und die entscheidende Frage für die Forschung lautet: Wer setzt sich aus welchen Gründen durch? Natürlich gibt es die Regeln des Enzyklopädie-Projekts. Doch werden sie in der Realität tatsächlich befolgt und falls ja, wie werden sie durchgesetzt?
In den Regeln enthalten ist das Ideal eines verständigungsorientierten Handelns: Konsens in der Sache solle durch das bessere Argument oder einen glaubwürdigen Quellenbeweis erreicht werden. Zugleich steht dem Modell des besseren Arguments nicht nur die allgemeine Beobachtung gegenüber, dass sich in den Entscheidungsprozessen sozialer Gemeinschaften Machtstrukturen bilden. Vielmehr ist die Frage der Machtverteilung auch innerhalb von Wikipedia ein stark umstrittenes Thema und wird insbesondere mit Bezug auf die Rolle der Administratoren diskutiert. In der Analyse der Entscheidungsprozesse greifen verschiedene Untersuchungen auf die Diskussionsseiten als Datenquelle zurück. Zunächst einmal kann festgestellt werden, dass die dort stattfindende Kommunikation der artikelbezogenen Koordination dienen, was angesichts notorischer Beschimpfungstiraden in anderen Online-Foren nicht selbstverständlich ist. Auch eine Orientierung der Beteiligten an den Regeln wird konstatiert, wobei sich jedoch das Problem stellt, dass die Regeln keinesfalls eindeutig, sondern vielmehr interpretationsbedürftig sind. Dies eröffnet die Möglichkeit, sie zu eigenen Gunsten zu deuten und als Machtinstrument und »strategische Ressource« zu benutzen, um eigene Ansichten durchzusetzen. Im Streit um die inhaltliche Deutungshoheit können argumentative Strategien der Versuch sein, dem Autor mit gegenläufiger Position fehlende Neutralität oder einen Verstoß gegen Regeln und Konventionen zu unterstellen, etwa mit dem Ziel, ihn im Rahmen der gemeinschaftlichen Editierung zu diskreditieren oder im Extremfall eine Benutzersperrung anzustrengen.



MC432

Vokabeln:


MC433

In einer der umfassendsten Analysen von Entscheidungsprozessen in Wikipedia stellt Christian Stegbauer die Bedeutung von Machtstrukturen in den Vordergrund. Diese seien trotz der flach hierarchischen Organisationsstruktur von Wikipedia möglich, welche von Forschern hinsichtlich der starken Selbstbestimmtheit und Selbstorganisation der Beteiligten als »Heterarchie« beschrieben wird. Laut Stegbauer erwerben zentrale Akteure durch spezifische Positionen in der Gemeinschaft eine höhere Autorität, wobei verschiedene Formen sozialen Kapitals wie zum Beispiel die Anzahl der Beziehungen zu anderen Akteuren ausschlaggebend sind. Interne Reputation ist ein wichtiger Bestandteil in den Aushandlungsprozessen von Wikipedia, was etwa daran deutlich wird, dass Beiträge neuer Autoren anders behandelt werden als die von Etablierten. Es besteht eine hohe Chance, dass sie von Alteingesessenen nicht akzeptiert und deshalb verändert werden. In der Pragmatik von Wikipedia ist es für die Aushandlung des Artikelinhalts durchaus bedeutsam, dass bestimmte Autoren untereinander Kontakte pflegen, eventuell freundschaftlich oder ideologisch miteinander verbunden sind. Sie können sich dann gegenseitig mobilisieren und in einer Diskussion gegen jemanden durchsetzen. Zusätzlich zu den formalen Nutzerrollen bilden sich auf diese Weise informelle Machtstrukturen.



MC434

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Was bedeuten die Untersuchungen der Produzenten und ihrer Aktivitäten für die Erklärung der Funktionsweise von Wikipedia? Ein häufig diskutierter Erklärungsansatz stellt Wikipedia in die Reihe von Phänomenen kollektiver Intelligenz: die Online-Enzyklopädie als Monument der »Weisheit der Vielen« und ihrer Überlegenheit gegenüber dem Wissen einzelner Experten. Beispielsweise beruhen die von Amazon oder anderen Verkaufsplattformen bekannten Bewertungs- und Empfehlungsmechanismen auf dem Glauben an die hohe Effektivität des aggregierten, geballten Urteils der Masse. Funktioniert also Wikipedia dank identischer Mechanismen der Produktion von Open-Source-Software? Eric Raymond postuliert die Überlegenheit der Arbeit einer freiwilligen Programmierer-Community unbekannter Qualifikation gegenüber der professionellen Software-Produktion in Unternehmen. Er begründet dies mit dem einfachen Prinzip der höheren Mitarbeiterzahl: Je mehr Beteiligte, desto mehr Fehler könnten gefunden und gelöst werden. Norbert Bolz wiederum überträgt diese Erklärung auf Wikipedia. Die einzelnen Informationshäppchen von Laien wuchsen zu einer mit Expertenwissen konkurrenzfähigen Enzyklopädie zusammen. Angesichts der gigantischen Nutzerzahlen und der einfachen Beteiligungsmöglichkeit sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass für jede kleine Wissenslücke genau der richtige (Hobby-)Spezialist dabei sei. Kein Fehler könne lange bestehen. Untersuchungen über die Nutzung von Wikipedia und die Entstehung der Inhalte zeigen jedoch, dass dieser Erklärungsansatz nur bedingt herangezogen werden kann. Insbesondere gehen, folgt man den Forschungsergebnissen zu Machtstrukturen, nicht alle Beiträge der Teilnehmer gleichberechtigt ein. Darüber hinaus sprechen einige Forschungsergebnisse gegen eine »Weisheit der Vielen« in Wikipedia - weniger gegen die Intelligenz der Wikipedianer als vielmehr gegen ihre massenhafte Anzahl. Erstens beteiligt sich laut Befragungen nur ein geringer Teil der Leser aktiv an der Gestaltung des Projekts: Nur drei Prozent der Nutzer von Wikipedia haben laut der »ARD/ZDF-Onlinestudie 2010« Inhalte verfasst. Zweitens täuschen ebenso die hohen Zahlen Hunderttausender angemeldeter Autoren bei Wikipedia. Einer Studie zufolge sind es nur ein Prozent der Registrierten, die 70 Prozent der Editierungen vornehmen. Ohne diese institutionalisierte Community mit ihrer ausdifferenzierten Arbeitsteilung und ihrer hohen Zeitinvestition könnte Wikipedia nicht existieren, ganz im Gegensatz zu der mit dem Konzept der Weisheit der Vielen einhergehenden Vorstellung einer lose mit dem Projekt verbundenen und sporadisch beitragenden Nutzerschaft. Drittens fördern Untersuchungen zutage, dass im Durchschnitt die Anzahl der Autoren pro Artikel relativ gering ist. An die Intelligenz eines Schwarms ist hierbei schwerlich zu denken. Darüber hinaus wurden weitere strukturelle Unterschiede zu Surowieckis Konzept der Weisheit der Vielen festgestellt. Gleichwohl scheint zu gelten, dass die Wahrscheinlichkeit korrekter Inhalte mit der Anzahl der Autoren wächst. Somit lässt sich durchaus eine Analogie zum grundlegenden Prinzip von Open-Source feststellen.



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Die Inhalte: Qualität, Zuverlässigkeit und Neutralität
Das Erstaunen über den Erfolg einer ehrenamtlich und mit offenen Strukturen arbeitenden Community ist der Ausgangspunkt vieler Forschungsprojekte zu Wikipedia. Zugleich ist der Blick auf die rasante Entwicklung des Projekts oft mit Zweifeln bezüglich der inhaltlichen Qualität verknüpft. Ein von Laien kooperativ geschriebenes Lexikon mag für populärkulturelle Artikel wie »Kampfstern Galactica« funktionieren - aber wie sollen mit dieser Methode komplexe enzyklopädische Themen qualitativ hochwertig und verlässlich dargestellt werden? Maßgeblich für die frühen Debatten um diese Qualitätszweifel war der Wikipedia-Mitbegründer und Philosoph Larry Sanger, der sich 2002 aus dem Projekt zurückzog und Wikipedia mangelnden Respekt vor Experten und daraus erwachsende inhaltliche Probleme vorwarf.20 Die Qualitätsprobleme Wikipedias wurden zudem nicht nur durch Sangers Kritik, sondern insbesondere durch die mediale Berichterstattung über Skandale und Fehldarstellungen in das Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Kann man einer Enzyklopädie trauen, in der anonyme Editoren lebende Personen für tot erklären oder PR-Abteilungen ihre Artikel schönen? Angesichts derartiger Zweifel überraschte die angesehene Wissenschaftszeitschrift Nature 2005 mit einer Studie, nach der Wikipedia der Encyclopcedia Britannica in Bezug auf Zuverlässigkeit nicht weit nachstehe.



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Nature hatte 50 Artikel von Wikipedia und Encyclopcedia Britannica ausgewählt, von denen letztlich 42 einem sogenannten »peer review« unterzogen wurden. Die anonymisierten Texte wurden an etablierte Wissenschaftler geschickt, die im Folgenden nach groben inhaltlichen Fehlern und kleineren Ungenauigkeiten Ausschau hielten. Im Ergebnis war die Diskrepanz weniger gravierend als erwartet: Die Gutachter fanden insgesamt je vier grobe inhaltliche Fehler in beiden Enzyklopädien, zudem wurden in Wikipedia durchschnittlich vier und in der Encyclopcedia Britannica drei kleinere Ungenauigkeiten pro Artikel gefunden.
Den Ergebnissen der Nature-Studie folgte der scharfe Protest der Britannica-Redaktion, die der Studie zahlreiche Fehler und Verzerrungen vorwarf. Obwohl Nature keinen Grund zur Revision der Ergebnisse sah, ist die begrenzte Aussagefähigkeit der Studie unumstritten. So hatte Nature gar nicht den Anspruch, Qualität jenseits von inhaltlicher Korrektheit oder naturwissenschaftlichen Themen zu bewerten. In den folgenden Jahren haben sich zahlreiche Folgestudien der Qualitätsmessung in Wikipedia angenommen und bieten insgesamt ein uneinheitliches, aber zunehmend differenziertes Bild: Einerseits muss zwischen verschiedenen Qualitätsaspekten unterschieden werden, die nicht nur inhaltliche Korrektheit, sondern auch etwa Verständlichkeit, stilistische Qualität und Ausgewogenheit umfassen. Andererseits ist Qualität in Wikipedia nicht gleichmäßig verteilt und kann je nach Stichprobe stark variieren. So schneiden einige Themenbereiche in Wikipedia, wie zum Beispiel viele Naturwissenschaften, überdurchschnittlich gut ab. Zudem ist die Qualität von Artikeln wesentlich von der Aufmerksamkeit abhängig, die ihnen zukommt - in einem Artikel mit vielen Lesern gibt es auch mehr Korrekturleser, und Probleme werden schneller erkannt.



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Als besonders heikel erweist sich die Qualitätsfrage in Bezug auf den Neutralitätsanspruch, der in Wikipedia durch die Richtlinie des neutralen Standpunkts formuliert wird. Praktische wie theoretische Grenzen dieser Richtlinie werden sofort deutlich, wenn man sich Diskussionsseiten umstrittener Artikel wie »Neoliberalismus«, »Atheismus«, »Homöopathie« oder »Marxismus« anschaut. Wesentliche Streitfragen können nicht durch starre Regeln, sondern nur in einem komplexen Aushandlungsprozess beantwortet werden: Wie viel Raum soll welcher Meinung zugestanden werden? Wann wird etwas als Meinung und wann als Tatsache beschrieben? Welche Inhalte und Einschätzungen gehören in die Einleitungssätze?
Auf welche Weise derartige Fragen beantwortet werden, bestimmen die Debattenteilnehmer, weswegen die inhaltliche Ausrichtung von Wikipedia auf ihre Nutzerstruktur zurückverweist. Das offensichtlichste Beispiel hierfür sind bereits dargestellte Aspekte wie die Dominanz männlicher, junger und gut gebildeter Benutzer, die entsprechend auch einen überdurchschnittlichen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der Artikel haben. Vergleichende Studien zu verschiedenen Sprachversionen zeigen ebenfalls, auf welche Weise das Aushandeln von Inhalten abhängig vom Wertekontext der Benutzer ist. So haben etwa Pfeil et al. eine Analyse der deutschen, französischen, japanischen und niederländischen Wikipedia vorgelegt und unter Bezug auf Kulturdimensionen wie Machtdistanz oder Unsicherheitsvermeidung gezeigt, auf welche Weise kulturelle Unterschiede inhaltliche Arbeit in Wikipedia beeinflussen. Die kulturelle Variabilität von Inhalten und Richtlinien ist keineswegs überraschend, da selbst Standards für Neutralität bereits ein Wertesystem voraussetzen, das die Entwicklung entsprechender Kriterien erlaubt. Zugleich ergibt sich hieraus für die Wikipedistik die Herausforderung, Inhalte von Wikipedia in dem spezifischen Kontext der Benutzergruppen zu erforschen.



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Die gesellschaftliche Relevanz: digitale Kluft und intelligente Schwärme
Der rasante Wandel des gesellschaftlichen Zugangs zu Wissen hat sich zu einem Allgemeinplatz entwickelt, der sich in Begriffen wie »Wissensgesellschaft«, »Wissenstransfer« oder »Wissensökonomie« ausdrückt. Dass die digitalen Medien und insbesondere das Internet in diesem Prozess eine herausgehobene Stellung einnehmen, ist dabei unumstritten, genauso wie die Bedeutung Wikipedias im digitalen Zugang zu Wissen. Wikipedia ist mittlerweile eine der meistaufgerufenen Websites und verzeichnet mehrere hundert Millionen monatliche Besucher. Laut einer regelmäßigen Studie von ARD und ZDF haben sich, im jährlichen Vergleich mit steigender Tendenz, 73 Prozent der Internetnutzer in der Online-Enzyklopädie bereits informiert, 31 Prozent besuchen sie mindestens einmal pro Woche. Entsprechend dem Ideal eines freien und unbeschränkten Zugangs zu Wissen beschrieb Jimmy Wales das Ziel Wikipedias: »eine Welt, in der jeder Bewohner des Planeten freien Zugang zur Summe alles menschlichen Wissens hat«.
Ob sich Wikipedia einem solchen Ideal tatsächlich annähert, bleibt in der Wikipedistik jedoch umstritten und nur unzureichend erforscht. Einerseits bieten Daten über Zugriffszahlen eindringliche Beispiele für die Bedeutung Wikipedias als ein breit genutztes Wissensmedium. Mit dem Ausbruch der Influenza-Pandemie sprangen etwa die täglichen Zugriffszahlen des Artikels »Swine Influenza« innerhalb von einer Woche von etwa zehn auf über eine Million. Ohne Wikipedia hätte die Mehrzahl der Leser zwar Zugang zu einer Reihe von Medienberichten, jedoch nicht zu einer für Laien verständlichen Darstellung dieses komplexen virologischen Themas gehabt.




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Gleichwohl gibt es Gründe dafür, das Ideal des freien und für alle verfügbaren Wissens und eines damit einhergehenden gerechteren Zugangs zu Wissen in Frage zu stellen. So werden unter dem Begriff »digitale Kluft« globale wie auch innergesellschaftliche Unterschiede im Zugang zu digitalen Medien diskutiert. Die offensichtlichsten Ursachen für eine Kluft in der Verfügbarkeit digitalen Wissens sind mangelnde Alphabetisierung, unzureichende Medienkompetenz und ein fehlender Zugang zum Internet. Für den nicht geringen Anteil der Weltbevölkerung, auf den mindestens eine dieser Ursachen zutrifft, bedeutet die digitale Verfügbarkeit von Wissen in Medien wie Wikipedia keine Überbrückung, sondern eine Ausweitung sozialer Unterschiede. Die digitale Kluft umfasst jedoch weitere und weniger offensichtliche Aspekte wie die Dominanz bestimmter Sprachen im Internet oder die Tatsache, dass die meisten Inhalte auf die Interessen bestimmter Zielgruppen zugeschnitten sind. Wikipedia kann hier zum Teil als ein Lösungsversuch angesehen werden. Ihre derzeit rund 260 Sprachversionen sollen die enzyklopädischen Inhalte unabhängig von den Sprachkenntnissen zugänglich machen. Zugleich zeigen sich in der schleppenden Entwicklung vieler Sprachversionen auch Grenzen. So führt die Dominanz der englischen Wikipedia zu Problemen vieler kleinerer Ausgaben, in denen der Bevölkerungsteil mit Englischkenntnissen primär die englische Wikipedia nutzt.



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Das Ideal eines freien und unbegrenzten Wissenszugangs durch Wikipedia ist zudem nicht allein durch das Fortbestehen der digitalen Kluft, sondern ebenfalls durch grundlegende Zweifel an der kooperativen Arbeitsweise in die Kritik geraten. 2006 veröffentlichte etwa der Informatiker und Computerkritiker Jaron Lanier den Artikel »Digitaler Maoismus«, in dem er Wikipedia mit Bezug auf die gemeinschaftliche Zusammenarbeit den Vorwurf machte, nicht nur die Individualität der Autorenschaft zu bedrohen, sondern auf der Basis einer unkontrollierten Schwarmintelligenz eine totalitäre Gefahr darzustellen. Wikipedia wird von Lanier im Rahmen einer allgemeinen Tendenz zur Informationsaggregation und Ansammlung von Metainformationen im Internet beschrieben. So wie beispielsweise viele Filmbewertungsseiten individuelle Kritiken durch Mittelwerte der Ratings unzähliger Nutzer ersetzten, werde auch in Wikipedia personalisiertes Wissen durch eine anonymisierte und scheinbar objektivierte Form verdrängt. Das kollektivierte Wissen ohne persönliche Note sei, so Lanier polemisch, nicht nur in großen Teilen dümmlich und langweilig, sondern unter Umständen sogar totalitär und gefährlich.



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Laniers Kritik verdeutlicht, dass Wikipedia nicht einfach nur Wissen darstellt, sondern es auf eine bestimmte Weise produziert. Dennoch ist fraglich, ob seine Kollektivismuskritik die Wissensproduktion innerhalb Wikipedias adäquat beschreibt. So argumentieren etwa die Computerwissenschaftler Fernanda Viegas und Matthew Wattenberg, dass die Inhalte von Wikipedia eben nicht durch einen anonymen Algorithmus, sondern durch das Aushandeln von Autoren mit individuellen Perspektiven zustande kommen. Wikipedia sei daher letztlich das Gegenteil eines automatisierten Wissensaggregators, da sie durch Diskussionsseiten und Versionsgeschichten einen reichen Kontext bereitstelle. Darüber hinaus wecken die bereits dargestellten sozialwissenschaftlichen Studien zu Entscheidungsprozessen in Wikipedia Zweifel an einem einfachen Modell der Schwarmintelligenz. Trotz großer Unterschiede zwischen der kooperativen Arbeitsweise eines Wikis und klassischen Publikationsmedien verschwinden in Wikipedia nicht personalisierte Entscheidungsstrukturen, individuelle Autorenschaft oder traditionelle Formen sozialen Kapitals wie persönliche Bekanntschaften.
Dennoch ist die Arbeitsweise des Projekts in vielerlei Hinsicht neuartig. Eine die enzyklopädische Arbeit dominierende »kollektive Intelligenz« als Erklärungsmodell ist aber nicht ausreichend, wesentliche Fragen zur Struktur der kooperativen und digitalen Wissenserzeugung bleiben in der gegenwärtigen Wikipedia-Forschung noch ungeklärt. Wikipedia ist nach zehn Jahren längst im Alltag der Menschen angekommen und ist von dort für viele nicht mehr wegzudenken. Umso dringender ist die fortgesetzte wissenschaftliche Auseinandersetzung vonnöten, um die noch ungeklärten Fragen zu beantworten, die mit einer der zentralen Informationsquellen der Gegenwart weiterhin einhergehen.


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