Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 194c

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Archimedes (Teil 33)


„Setz dich zu mir her aufs Lager, Archimedes“, sagte Aletheia, als die Dienerinnen den Raum verlassen hatten. „Ich habe dich aus Alexandria und aus dem Museion hierhergelockt und bin dir jetzt klarste Rechenschaft schuldig. Wir befinden uns - das dürftest du wissen - im Nildelta. Fern vom Brausen der Stadt, fern auch von spähenden Blicken und klatschenden Zungen. Ich habe dafür Sorge getragen, dass man nicht weiß, wo ich mich befinde. Ich bin, dem Museion gegenüber, geschäftlich nach Meroe gereist. Du aber hast die Möglichkeit, durch meine Barke in Alexandria morgen früh mitteilen zu lassen, wo du dich befindest. Ich glaube, du wählst die entgegengesetzte Richtung, obgleich es niemand angeht, was wir tun und lassen. Mir ist aber unsere Freundschaft zu heilig, als dass ich sie von einem Sosibios oder Herophilos beschwätzen lassen möchte. Das also wäre in Ordnung.“
Archimedes war ihrer Aufforderung gefolgt und hatte am Rand des Lagers, auf dem sie ruhte, Platz genommen. Sie hatte recht. Es musste jetzt gesprochen werden. Denn die Rolle, die er spielte, war an die Grenze des Erträglichen gerückt. Gut, er hatte sie um Vergebung gebeten, hatte ihr versprochen, ihr zu vertrauen. Zu ungreifbaren Rätseln aber kann man kein Vertrauen haben, auch wenn sie noch so süß und berückend sind. Er war ja auch sicherlich nicht nach Aexandria gereist, um als Spielball undurchsichtiger Liebesabenteuer das Land zu durchqueren.
Trotzdem schwieg er, da sie ja selbst das, was sie Rechenschaft nannte, angekündigt hatte. Rechenschaft? Von ihrem Ufer aus betrachtet, war sie keine Rechenschaft schuldig. Sie hatte ihn freundlich eingeladen, versuchte ihm Schönes und Befruchtendes zu bieten, und er war dieser Einladung mehr als gutwillig gefolgt. Die „Rechenschaft“ musste sich also auf Weitergehendes beziehen als auf eine kurze Fahrt durch die Nacht.
„Du hast mich nicht entführt“, erwiderte er kopfschüttelnd. „Deine Gesellschaft ist mir wertvoll, und ich bin dir zu Dank verpflichtet. Aber gleichwohl habe auch ich das Gefühl, dass so viel Ungesprochenes zwischen uns liegt, dass es wie ein böser Geist der Unterwelt im Raume umherwandert und uns beide ängstigt. Und es mag sein, dass wir einander zu rasch nahegekommen sind, ohne einander noch wirklich nahe zu sein.“
„Glaubst du das, Archimedes?“ sagte sie mit geschlossenen Augen. Hältst du mich für derart halbbewusst? Nun gut. Wir wollen die Wand durchstoßen. Und deshalb erkläre ich dir, dass ich vom Beginn an nichts für mich, sondern alles für Hellas Wollte. Ich werde dir nicht zürnen, wenn du morgen wieder nach Alexandria zurückfährst. Ich Würde dich sogar begleiten, wenn du es wünschtest. Wir können aber auch einige Tage hierbleiben. Du hast, ich weiß es, ungeheure Anstrengungen und Leistungen hinter dir. Darfst du dich da nicht ein Wenig erholen?“ Unvermittelt setzte sie sich auf und sah ihn mit einem undurchdringlichen Blick an: „Du bist ein Mann und ein Hellene, Archimedes. Ich verstehe alles. In diesem Landhause bedienen mich die schönsten Sklavinnen, die ich in der Weite unseres Reiches finden konnte. Du hast bereits einige von ihnen gesehen. Sie gehören dir und deinen Wünschen. Du kannst jetzt zur Ruhe gehen, Archimedes. Und ich werde sie dir senden.“
Archimedes erschrak über die verhaltene Wildheit, die aus ihren letzten Worten durchbrach. Er wusste, dass die Antwort, die er jetzt geben würde, über ihre Freundschaft entschied. Was aber sollte er antworten, das nicht plump, kalt oder störend klang. Er sprang vom Lager und ging im Zimmer auf und nieder. Wozu Überlegungen? Überlegungen nützen nichts mehr, wenn man fühlt, wie das Blut die Wangen durchpulst und die Schläfen zum Pochen bringt.
„Ich verstehe dich nicht“, erwiderte er heiser. „Verstehe nichts, was du sagst, noch Weniger aber das, was du denkst. Ich bin so erfüllt von großen Dingen, dass mir alles näherliegt als der Wunsch nach solcher rein äußerer Lust. Wenn du aber glaubst, dass ich solange, als ich mit dir die größten Dinge des Geistes und des Hellenentums gemeinsam durchwandere, an Sklavinnen und deren eingelernte Künste denke, irrst du. Auch ich habe das Recht, unsere Freundschaft heilig zu empfinden.“
„Dann muss wohl ich selbst deine Sklavin sein“, sagte Aletheia ruhig und fein lächelnd. Sie sagte es mit solcher entschlossener Natürlichkeit, dass Archimedes zuerst den Sinn ihrer Worte überhaupt nicht begriff. Als er ihn aber begriff, war das Licht im Raum bereits erloschen, und er fühlte nichts mehr als einen geschmeidigen, duftenden Leib, der ihn heischend und doch wieder hingebend umhüllte.
Als Archimedes erwachte, war es noch früher Morgen. Das fühlte er an der Luft, an den Geräuschen und an den Vogelstimmen, die über seine ausklingenden Träume hereinströmten. Er fand sich nicht rasch zurecht. Als er sich jedoch aufsetzte, wurde ihm alles auf einmal zugleich bewusst. Aletheia lag in gelöstem Schlummer, den Arm zierlich unter dem Haupt, neben ihm und lächelte im Schlafe. Wunschlos, reuelos, erfüllt und wirklich. Seine Wirklichkeit.
Sie hatten noch vieles gesprochen. Nein, es war kein Schatten, kein Verdacht, kein Missverstehen zwischen ihnen. Aber nicht etwa, weil urgesetzlich der Mann zum Weibe gefunden hatte. Das war nur ein Wegräumen von Unruhe und Missverstehensmöglichkeit gewesen, so berauschend an und für sich diese Zone ihrer großen Liebe sein mochte. Denn gleich hinter dem Rausch war wieder das Endgültige, die Aufgabe emporgestiegen. Jetzt endlich wusste Archimedes in voller Klarheit, was sie plante und was sie meinte. Und jeder ihrer Sätze stand vor ihm, während der Frühmorgen weiter auf ihn eindrang und ihn selig umkoste.