Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 183c

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Archimedes (Teil 22)


„Ich lernte sie auf dem Paneion kennen, kurz nachdem ich hier landete. Sie führte mich durch das Fest hierher“, sagte Archimedes kühl, da ihn die Angriffslust der Blicke ärgerte und er unwillkürlich sein Erleben nicht trüben lassen wollte.
„Ja, wir unterschätzen sie noch“, krähte Sosibios auf. „Jetzt fängt sie uns schon die Philosophen vor der Ankunft ab, um sie gegen das Museion aufzuwiegeln. Übrigens eine lächerliche Posse, sich stets die Wirklichkeit zu nennen. Sie heißt einfach Aletheia, da sie verrückte Eltern hatte, die wahrscheinlich unter Aletheia etwas anderes verstanden als wir, wenn sie zur Täuschung den Artikel vorsetzt. Jeder würde sonst bloß Aletheia hören und sich am Klang freuen. Bei Xanthippe denkt man auch nicht an braune Pferde und bei Artemidoros nicht an das Geschenk der Artemis. Durch den Artikel aber zwingt sie uns den Begriff ihres Namens auf. Dazu tut sie dann noch recht geheimnisvoll, so dass schon manche Neulinge auf Grund ihres Gehabens und ihrer stets wechselnden Kostümierung gemeint haben, es wandelten noch selige Götter oder zumindest Charitinnen durch den Staub der Kanopischen Straße. Gut, sie ist nicht gerade ungebildet und hat in Athen Philosophie studiert. Aber das ist ihr zu Wenig. Sie will womöglich mehr sein als die Hetäre Diotima in Platons Gastmahl. Sie ist so weise und so launenhaft, dass sie schon manch einem von uns die Lust an der Arbeit gründlich genommen hat.“
Sosibios dämmte seinen Redefluss ein, da ihm der Arzt die Hand beschwörend entgegenhielt.
„Ich bin zwar durchaus nicht ihr Freund, Archimedes“, sagte er gewichtig, „durchaus nicht. Ich will aber trotzdem die Schmähungen des Sosibios, die wahrscheinlich aus gekränkter Liebe . . .“
„Ich liebe sie nicht einmal für Bezahlung“, fuhr Sosibios dazwischen.
„Jetzt, nach der Gehaltsregelung“, lachte Herophilos. „Vorher hättest du dich vielleicht erweichen lassen.“
Sosibios meckerte hämisch auf, doch schnitt er sofort mit wilder Abwehrgeste eine beleidigte Grimasse.
„Lassen wir Herophilos auch einige Worte sprechen“, sagte Eratosthenes ruhig, aber in deutlichem Befehlston.
Sosibios jappte noch einmal auf. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und goss ungemischten Samier in seinen Becher. Herophilos aber setzte fort:
„Sie ist irgendwie unsre Todfeindin, Archimedes. Aus dem Gefühl heraus, dass die Wirklichkeit nur im Weiberdienst besteht oder in allen materiellen Beschäftigungen. Uns hält sie für Gespenster. Das hat sie dir sicher schon gesagt. Du kennst aber noch nicht die Grundlage ihrer Macht, die es uns überhaupt erst wichtig macht, was sie über Dinge denkt, die sie im Grunde nichts angehen. Sie kam vor einigen Jahren hierher, heiratete einen der reichsten Kaufleute Alexandriens, der sie wie toll liebte, und bewog ihn, ihr alle Wünsche zu erfüllen. Der Palast vor der Mauer ist eine dieser Launen. Nun starb der Gatte an einem Leberleiden. Er war, nebenbei bemerkt, nicht der Jüngste gewesen. Und es geschah das weitere Wunder, dass die Milesierin auf Grund der Fähigkeiten Milets sich im Handel noch tüchtiger erwies als der tote Gatte. Kurz, sie ist die reichste Frau Alexandriens. Reihen von Häusern, riesige Ländereien im Delta, der ganze Papyroshandel liegen in ihrer Hand. Sie besitzt Schiffe, Wagen, Herden, Bergwerke. Ihr Einfluss reicht bis Arabien und Indien. Und sie verwaltet einen Teil der Vermögenschaften, aus denen unser Museion erhalten wird. Und liefert uns den Papyros. Dass sie beim König aus und ein geht wie eine Prinzessin, ist klar. Vollkommen unklar aber ist es, dass man ihr keine Laster nachsagen kann. Sie ist Wohltätig und freundlich und scheint bloß von einer einzigen Idee besessen, die echt weiblich ist. Sie will gleichzeitig das Museion fördern und es zerstören. Wir sind ihr zu wenig ,Wirklich‘. Mit Ausnahme der Ärzte. Die sind ihr Wieder zu Wirklich. Habe ich die Wahrheit über die Wirklichkeit gesprochen, großer Beta?“
In deiner Art, Herophilos“, lächelte Eratosthenes. „Die Tatsachen sind richtig. Nur bleiben sie zum Teil noch hinter der Wirklichkeit zurück. Man behauptet ja sogar, dass sie eine geheime Privatarmee unterhält, um Entwicklungen in Alexandrien zu unterdrücken, die ihr nicht passen. Trotzdem verschmäht sie jeden persönlichen Schutz. Das ist es auch, was ihr Philadelphos hoch anrechnet. Er hat Angst um sie, nicht Angst vor ihr. Leider hat sie uns schon durch ihre Ansichten einige zukunftsreiche Köpfe von hier vertrieben. Sei dessen eingedenk, Archimedes! Das ist alles, was ich dich im Namen des Museions bitte. Es soll deine Freiheit nicht antasten. Am Eros aber stirbt ein Hellene nicht. In welcher Form er auch an ihn herantritt. Es lebe die neueste Bundesgenossenschaft Archimedes-Aletheia, Wissenschaft und Wirklichkeit! Gut, dass der kleine Apollonios nicht anwesend ist! Der liebt den Einbruch der Wirklichkeit in die Wissenschaft nicht. Noch einmal, die Götter mögen diese sonderbare Freundschaft segnen!“
Der Zutrunk des Eratosthenes war an alle Tischgenossen eine zwar sanfte, aber eindringliche Mahnung, den Hauptgrundsatz des Museions, den höchster Freiheit, zu achten. Auch auf die Gefahr hin, dass sich diese Freiheit gegen das Museion selbst kehrte.
So wurden die Becher erhoben und bald wendete sich das Gespräch wieder der Weisheit und dem Allgemeinen zu, und Archimedes nahm, zuerst noch ein wenig nachdenklich und zerstreut, daran einigen Anteil.
Es wäre falsch zu glauben, dass er sich etwa in diesem hochgeistigen Kreise heute unwohl gefühlt hätte. Er konnte dies nicht, da jeder Augenblick neue Gesichtspunkte entschleierte. Trotzdem war der heutige Abend bloß ein schwacher Abglanz des gestrigen. Hatte sich doch inzwischen die Welt der „Wirklichkeit“ vor dem „Traum“ des Museions geschoben, der zudem heute sowohl inhaltlich als durch die Wiederholung und das Fehlen des Neuheitsprickels ungleich blasser wirken musste.