Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 182c

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Archimedes (Teil 21)


Dann erzählte sie eigentümliche und ungeahnte Dinge von dieser Stadt, die sie anscheinend bis in die letzten Zuckungen ihres Pulsschlages kannte.
Längst waren die letzten purpurroten und violetten Farben, die auflodernd wie eine riesige Kuppel über dem See Mareotis und über der mächtigen Linie der Stadtmauer, über Schiffen, Schilf und Wasservögeln gestanden waren, einem kalten Perlmuttergrau gewichen. Auch dieses zerfloss in milchiges Nichts und verwehte schließlich, so dass nur Dunkelheit überall lag. Lautlose Sklaven hatten die Kandelaber entzündet. Und die beiden saßen plötzlich in einem kleinen abgegrenzten Lichtkreis, der nach allen Seiten verschattende rote Zungen aussandte.
Durch all diesen Wechsel aber klang weich und eindringlich der schmiegsame ionische Dialekt der Milesierin, doppelt melodisch den Ohren des korinthischen Syrakusers.
Es gibt Stunden, in denen Menschenlaute an unsere Ohren dringen, deren keiner uns ganz bekannt und ganz unbekannt ist. Wiederholte Träume, Rückerinnerung an ferne, ferne Zeiten, die vielleicht vor unsre Geburt reichen. Keiner dieser Laute, kein Gedanke, kein Gefühl aber ist uns innerhalb dieser Offenbarungswelt zuwider.
So erging es Archimedes. Nach kurzer Zeit begann er zu antworten, begann sein Dorisch in ihr Ionisch zu flechten. Und es gab kein Geheimnis, kein Tasten, kein Berechnen da, obgleich alles, von außen gesehen, voll von Rätseln und Unausgesprochensein war.
Harmonisch wie alles andre war der Abschied. Sie wanderten schweigend zurück durch den Garten, leise knirschte der Kies unter ihrem Schreiten, und er wusste es im eigentlichen Sinn des Wortes erst in der beleuchteten Pracht der Säulenhallen, als sie mit leicht gesenktem Kopf und nachlächelndem Mund neben ihm einherging, dass noch im Urraum tiefsten Dunkels vor dem Tore ein kurzer, gleichwohl aber verlöschender und wahnsinnsnaher Kuss auf seinen Lippen gebrannt hatte.
Unheimlich dazu wie das Siegel Salomos, von dem er heute vormittags in der Wandelhalle des Museions gehört hatte.
Sie sprach halblaut, als fürchtete sie sich, die Urgewalt dieses riesigen Geschehens, das für einige zuckende Herzschläge in jedem der beiden und doch wie ein ganzer Kosmos außerhalb von ihnen sich ereignet hatte, zu profanieren oder in das Gegenteil furchtbarer Fremdheit zu verkehren. Sie wies nur ab und zu auf Bilder und Bronzen, um das Urgöttliche durch den Mittler der Kunst leise zum klaren Dasein heruntergleiten zu lassen. Und sie brachte es auch zustande, dass sie beide bereits unabsichtlich und unbefangen miteinander über gleichgültigere Dinge sprachen, als die ersten anderen Menschen, die Diener im Palaste, ihren Weg kreuzten.
Kurz und freundlich erteilte sie Befehle, verabschiedete sich mitten in der Flucht ihrer Säle von Archimedes und überließ ihn der geräuschlosen Obhut der Sklaven, die ihn durch eine flackernde Sternennacht, durch zunehmenden Staub und durch das noch Wache, rücksichtslose Leben der Weltstadt ins Museion zurückgeleiteten.
Am Tische des großen Beta wurde der kaum mehr erwartete Gast mit Jubel begrüßt. Man fragte nicht, beachtete nicht, dass Archimedes schwieg. Man diskutierte weiter und prüfte aneinander die Schärfe der Gedanken und Formulierungen. Aus dem gestrigen Kreise waren außer Eratosthenes nur der unvermeidliche Grammatiker Sosibios und der Chirurg anwesend. Die anderen waren Philosophen, Geographen und Historiker, da die Tischgesellschaften sich jeweilig gemäß dem eben diskutierten Thema zusammenfanden.
Archimedes hörte nur Bruchstücke der Unterhaltung und bemerkte zu seinem Schrecken, dass die erste Voraussage der Wirklichkeit bereits in Erfüllung gegangen war: ihn vermochte der Zauber des Museions nicht mehr zu bannen. Im Gegenteil, vieles, was ihn umgab, erschien ihm hart, kalt und erklügelt. Es klang hohl, hatte den Ton, der aufstöhnt, wenn man zerbrochene Tongefäße mit einem Holzstab anschlägt.
Doch war es durchaus kein Abrücken vom Geist, was ihn zu dieser Haltung drängte. Auch nicht der krankheitsnahe Nebel rauschgeborener Verliebtheit, der monomanisch alle Sinne abschließt und nur den einzigen Gedanken, die einzige Erinnerung als bunten Kreisel um die Achse dieser Leidenschaft herumdreht. Im Gegenteil. Wie ein brausender und doch wieder beruhigender Unterton begleitete ihn die Wirklichkeit. Nicht als Einzelwesen, sondern als Kraft. Oberhalb dieser Begleitung aber zeichnete sich stets klarer sein eigenstes Reich mit neuen, noch nie geschauten Wundergestalten, Zielen und Verwirklichungsmöglichkeiten ab.
Sie waren schon längere Zeit beisammengesessen, Archimedes hatte auch ab und zu getrunken, als er bemerkte, wie das Auge des Arztes Herophilos forschend auf ihm ruhte und sich seine weißen Zähne zusammenpressten.
Archimedes hatte das feste Gefühl, der Anatom wisse um seine Seele Bescheid, zergliedere sie säuberlich mit dem Messer der Gedanken. Wozu Verlegenheit oder Umschweife? Man musste dem Wähnen trotzen, dadurch, dass man es zum Wissen erweiterte; weil manchmal Wahrheit verwirrender ist als Andeutung oder gar Ableugnung.
Er sagte also, als eine Gesprächspause eintrat:
„Ich soll dir Vorwürfe machen, Eratosthenes, dass du einer Frau, die ich unter dem sonderbaren Namen der Wirklichkeit kennenlernte, heute noch nichts über die pergamenischen Blätter mitteiltest.“
Die Wirkung dieser knappen Worte war eine unerwartete. Alle kehrten sich ihm zu und die Augen des Herophilos weiteten sich beinahe hassend.
„Ich danke dir für die Botschaft“, antwortete Eratosthenes. „Ich werde das Versäumte nachholen. Besser, ich muss es. Denn der Wille und die Laune dieser Frau war in Alexandrien noch stets ein Befehl. Ich wundere mich bloß, woher du sie kennst, da sie meines Wissens noch niemals in Syrakus war.“