Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 196c

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Archimedes (Teil 35)


Plötzlich sprang Archimedes auf, da ein neuer Gedanke in seine Gedankenkreise hereingeschossen war, der ihn fast zersprengte:
Was aber, so schrie es in ihm fast körperlich, ergibt sich denn bereits aus dem, was ich sah? Warum bleiben die Ägypter bei ihrem Orakel stecken, ohne die ungeheuren Weiterungen zu erblicken? Gewicht und ziehende Kraft ist doch dasselbe. Auch hebende Kraft ist nichts anderes. Waage und Hebel sind doch nichts anderes als zwei Formen ein und desselben Gesetzes, ein und derselben Urmaschine. Ich hätte ja kein Gewicht aufzulegen brauchen, als Aletheia auf der Schale stand. Ich hätte den längeren Waagebalken auch mit der Hand fassen können, um sie zu heben. Und je länger der Balken wird, desto leichter kann ich die Last heben, die auf dem kürzeren Balkenteil ruht.
Archimedes setzte sich wieder. Allerdings ein wenig erschöpft. Er war aber ruhiger geworden, da das Denken und Schließen in ihm die Oberhand zu gewinnen begann. Und er wusste auch sofort, dass er nur Schritt für Schritt weiterschließen musste, um von der Urmaschine auf verwickeltere und anders geformte Maschinen zu stoßen, die dieses Urgesetz des Hebels und der Waage, das er quantitativ vorläufig nur in gröbstem Umriss kannte, in sich trugen. War diese neue Welt der Maschinen vielleicht die Wirklichkeit, die bisher den Hellenen fehlte? Die sie reicher, größer, mächtiger machte? Zu der eben die Hellenen, die besten Mathematiker des Erdkreises, wahrscheinlich mehr Voraussetzungen mitbrachten als alle anderen Völker? Und die sie, umbrandet von stumpf verständnislosen oder kalt feindseligen Nachbarn, in den Stand setzte, sich trotz ihrer verhältnismäßig kleinen Volkszahl siegreich gegen die Umwelt zu behaupten? Ja, jetzt gewann erst die stolze hellenische Mathematik ihren Wahren Sinn, wurde echtestes Volksgut, wurde der verlängerte Arm des ganzen Hellenentums. Nie aber wieder durfte ein rasender Knabe wie Apollonios reife Männer schmähen, weil sie die Wirklichkeit und die Wahre Bestimmung der Mathematik besser durchschauten als all jene, die Mathematik mit Dichtung verwechselten, indem sie Reinheit des Formalen so sehr an die Spitze stellten, dass dabei die einem ganzen Volk entglitt und es damit an die Schärfe des Schwertes ungenialerer, aber wirklichkeitsnäherer Feinde lieferte. Nein, Apollonios, dreimal nein. Ich schäme mich nicht mehr vor dir. Ich verzeihe dir vielmehr deine Sünde gegen Hellas und die Wirklichkeit, die wiederum keine Sünde ist, solange noch Männer leben, die deine Erkenntnisse zur Wirklichkeit erwecken können. Denn das ist das tiefste Geheimnis der Mathematik. Ganz groß kann sie nur als Selbstzweck werden, als voreilende Form, zu der sich erst die Inhalte vielleicht nach Äonen finden werden. Hier hat der Hellene recht, der um die Reinheit der Form kämpft. Der prometheische Hellene aber muss dann den neidischen Göttern den Funken entreißen, um ihn für sein Volk zu leuchtender und wärmender Flamme zu entfachen.
Wie viel Zeit verstrichen war, seit sein Geist durch das Reich der Maschinen, durch jene Vielfalt von Metall, Holz, Rädern, Seilen und Schrauben gerast war, wusste Archimedes nicht. Er erschrak nur, als Aletheia in einem weißen Byssosgewand vor ihm stand und ihn freundlich-spöttisch anlächelte.
„Habe ich dich sehr gestört?“ fragte sie und strich mit der Hand über seine Locken.
„Gestört?“ Archimedes war aufgestanden. „Nein, Aletheia, du störst mich nie. Denn es ist gleichgültig, bei welchem Herzschlag mein mathematisches Leben aufhört und mein Leben als Mensch beginnt. Wie ein Geflecht liegen beide Lebenskreise übereinander und durcheinander und eben du hast es mich gelehrt, dass die beiden Kreise einander an vielen Stellen überschneiden und einander Weiter, größer und erfüllter machen.“
„Schöneres konntest du mir nicht sagen. Jetzt bin ich königlich belohnt.“ Ihr Ton war warm, fast von Tränen der Freude durchklungen. Sofort aber straffte sie sich zur Härte: „Es ist noch nicht heiß draußen, Archimedes. Ich möchte dir gerne ein Stück meines Reiches, die Felder und die Papyrospflanzungen zeigen.“
Jenseits des Gartens, der das Landhaus auf allen Seiten schattend umgab, dehnte sich unabsehbar die Ebene des Deltas, aus der nur wie ferne Inseln Dörfer, Heiligtümer und Landsitze hervorragten, die auf kleinen künstlichen Hügeln sockelten.
Eine Sänfte trug sie zwischen gelben reifenden Ähren, zwischen Blattpflanzen bis an eine Gruppe von sumpfigen Weibern, in die von allen Seiten Kanäle mündeten. Erst von hier, wo sie die Sänfte verließen und dem Rande der Teiche entlang schritten, sah man von einem erhöhten Punkt aus, dass das ganze Land mit einem Netz von Bewässerungsrinnen überzogen war. Einige Stadien nordwärts aber trafen sie Wieder auf die Böschung des kanopischen Nilarmes, aus dem Schöpfräder knarrend das Wasser hoben, um es in die Rinnen zu ergießen. Die Räder aber Wurden von Büffeln angetrieben, die stumpf und geduldig im Kreise schritten.
Archimedes stellte zahlreiche Fragen an Aletheia, die sie schnell und sicher beantwortete. Sie war nicht bloß kraft ihres Geldes Herrin dieser Weiten. Sie bekümmerte sich wirklich und sachbewusst um die Mehrung des Volksreichtums.