Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 144c

índice
Lección 143c ← Lección 144c → Lección 145c
Lección 143Lección 144Lección 145


Geschichte der Mathematik (Teil 44)


Daher und nur aus diesem Grunde ist es möglich, auf jeder beliebigen Ebene gleichsam das Abbild der sichtbaren Welt herzustellen. Denn das Auge selbst „zeichnet“ oder „malt“ nach den Gesetzen der sogenannten Zentralperspektive, worunter man eine Art der Projektion versteht, bei der die Projektionsstrahlen alle einem zentrischen Bündel angehören. Daher stimmt auch weiters nur eine in sogenannter Zentralperspektive hergestellte Abbildung Wirklich mit dem überein, was wir als Abbild der Welt durch unser Auge zu sehen gewohnt sind. Es ist also jede in sogenannter „Parallelperspektive“ hergestellte. Figur mehr oder weniger unnatürlich. Und hier haben wir auch die Lösung des Rätsels, warum wir „in Wirklichkeit“ keine Parallelen sehen können. Denn die Zentralperspektive schließt die Parallelität aus. Streng genommen überhaupt. In der Praxis für jede größere Länge der Parallelen, wie sie etwa der Verlauf der Kanten eines Kirchturmes oder der Anblick eines Eisenbahngeleises, das sich in der Ferne verliert, darstellt. Nun sind wir es aber im Gegensatz zu dieser theoretischen Einschränkung in der Praxis gewohnt, alle technischen Pläne, Risse und schließlich auch den Großteil aller geometrischen Figuren in Parallelperspektive zu zeichnen. Das rührt davon her, daß wir unserer Vorstellung des Raumes rein parallelperspektivische Verhältnisse zugrunde legen und vom Standpunkt des Auges und von seinen projektiven Eigenschaften dabei vollständig absehen. Wir müssen uns aber stets klar darüber sein, daß wir dabei bewußt von einer anderen „Wirklichkeit“, nämlich von der Wirklichkeit des Schauens abstrahieren, diese Wirklichkeit also dabei vollständig ausschalten. Wozu noch etwas zweites kommt, das hier erwähnt sein möge: bei geometrischen Figuren aller Art legen wir noch eine Annahme unter, die eigentlich nur aus der Erfahrung in unserer Welt geschöpft ist. Wir denken nämlich sämtliche geometrische Figuren gleichsam als starre Körper. Wenn wir nicht Kugeln, Würfel, Dreiecke, Kegel, Pyramiden, Oktaeder u. dgl. aus Holz, Metall oder Stein herstellen, sondern wenn wir etwa Dreiecke und Quadrate nur aus nassem Löschpapier und Körper nur aus Streusand oder gar aus Flüssigkeiten formen könnten, würden wir unsere Art von Geometrie kaum erworben haben. Denn dann würde uns die Geradlinigkeit der Lichtstrahlen allein kaum zu einem solchen mächtigen Denkgebäude geführt haben. Diese von H. Poincaré und Hugo Dingler angestellten Erörterungen müssen uns nachdenklich stimmen. Sie dürfen aber anderseits wieder durchaus nicht als Beweis dafür gelten, daß Geometrie rein aus der „Erfahrung“ entstanden sei. Zwischen dem Entstehen von Begriffen und Anfschauungen „aus“ der Erfahrung und „an Hand“ der Erfahrung ist ein mächtiger Unterschied, den schon der große Kant klargestellt hat. Wir sind also höchstens dazu berechtigt, zu sagen, daß unsere Art, Geometrie zu treiben, sich, unter dem Einfluß der Denkmöglichkeit und des tatsächlichen Vorhandenseins starrer Körper in unserer Welt, gerade in dieser Form entwickelt habe, woraus auch sicher unsere vorwiegend parallelperspektivische, mit dem wirklichen Sehen nicht übereinstimmende Vorstellung des „wirklichen“ Raumes und seiner körperlichen Inhalte folgt.
Doch wir haben jetzt durch unsre Abschweifung die Untersuchung des Dualitätsprinzips in sträflicher Weise unterbrochen. Wir sagten, daß wir zur Gewinnung des Brianchonsatzes aus dem Pascalsatz eigentlich nichts anderes brauchten als die Dualität zwischen Punkt und Gerader. Natürlich hätten wir, da es sich ja bei der Dualität um eine umkehrbare, sogenannte eineindeutige Zuordnung handelt, auch den Pascalsatz mit demselben Rüstzeug aus dem Brianchonsatz ableiten können. In plastischer Art werden oft duale Sätze als „Spiegelsätze“ bezeichnet. Ein Satz ist gleichsam das Spiegelbild seines dual zugeordneten Satzes. Nur wäre es besser, dieses „Spiegeln“ nicht allzu wörtlich zu nehmen. Denn unser dualer Spiegel ist in gewissem Sinne ein Zerrspiegel. Er formt um und verkehrt die Grundgebilde ins Gegenteil. Man sollte also richtiger von „Zauberspiegelsätzen“ sprechen. Dazu noch ein Wort: Es ist selbstverständlich, oder besser, es sollte selbstverständlich sein, daß man den Lehrsatz, von dem man ausgeht, um den dazu dualen zu finden, bewiesen haben muß. Man darf sich nicht für einen Entdecker halten, wenn man zu irgendeiner ganz unbegründeten geometrischen Behauptung im Wege des Dualitätsprinzips das Zauberspiegelbild, den dualen Satz, aufstellt. Der Pascalsatz war bewiesen, folglich hätte Brianchon, wenn er das Dualitätsprinzip gekannt hätte, seinen Satz weder selbständig entdecken müssen, noch hätte er ihn irgendwie gesondert zu beweisen brauchen.
Wir formulieren also vorläufig folgendes: Wenn ein Satz der projektiven Geometrie einmal stichhältig und zureichend bewiesen ist, dann kann man mittels des Dualitätsprinzips nicht nur sofort den Zauberspiegelsatz, den dazu dualen Satz aussprechen, sondern man braucht ihn auch nicht mehr abgesondert zu beweisen. Vorausgesetzt, daß das Dualitätsprinzip richtig gehandhabt wurde und daß alle Vertauschungen korrekt durchgeführt wurden. Dazu aber dient am besten eine klare und übersichtliche Schreibweise.
Diese Schreibweise nun, konsequent durchgebildet und stets mehr erweitert, hat es schließlich zustande gebracht, daß, wie schon erwähnt, plötzlich die geometrische Hülle der „projektiven Geometrie“ verschwand und ein algebraischer Algorithmus zurückblieb, so daß es heute Geometriebücher gibt, in denen statt Linien und Figuren nur mehr Buchstaben, Indizes und kombinatorische Formeln stehen. Der Sieg der synthetischen über die analytische Geometrie wurde also eigentlich zu einer weltbewegenden Versöhnung und Übereinstimmung, und es stellte sich, wie schon so oft in der Wissenschaftsgeschichte, heraus, daß man zwei Wege durch fernste Zonen gegangen war, um einander schließlich, bereichert durch neues Wissen, zu treffen.
Einen ungeheuren, rein praktischen Vorteil hat neben allen theoretischen Umwälzungen die „neue Geometrie“ mit sich gebracht. Sie ermöglicht es, eine Unzahl von Konstruktionen, speziell der Kegelschnitte, in jeder beliebigen perspektivischen Verzerrung auszuführen, und zwar ohne jede Zuhilfenahme des Zirkels. Die Konstruktion „bloß mit dem Lineal“ ist einer der vielen Triumphe der „neueren Geometrie“. Aber eine noch viel weitertragende Möglichkeit ist aus dieser Geometrie erwachsen. Da man nämlich durch sie die allgemeinen Aufbaugesetze sämtlicher Gebilde studieren und dem kombinatorischen Algorithmus unterordnen konnte, gelang es Graßmann, Schläfli und anderen, die Beschränkung unsrer Geometrie auf den dreidimensionalen Raum zu sprengen. Wenn etwa die einfachste Figur, der „Simplex“, der nullten Dimension der Punkt und der Simplex der Geraden die Strecke ist, dann ist in der Ebene oder im zweidimensionalen Raum, im , wie man sagt, jene Figur die einfachste, die keinerlei Diagonalen zuläßt. Dieser oder der Simplex des ist das Dreieck bzw. Dreiseit. Es hat Ecken und Seiten oder Seiten und Ecken. Also stets drei Seiten und drei Ecken.
Im gewinnen wir den durch die Überlegung, daß ein Raum nicht wie die Ebene schon durch 3, sondern erst durch 4 Punkte bestimmt ist, die nicht in einer Ebene liegen.
Diese vier Punkte aber lassen sich kombinatorisch als Punkte bezeichnen, die durch Gerade und Flächen verbunden werden können, da stets zwei Punkte einer Geraden und drei Punkte einer Ebene angehören müssen, um sie zur Verbindungsgeraden oder Verbindungsebene zu stempeln. Der Simplex des R3 also besteht aus vier Punkten, sechs Geraden und vier Flächen. Es ist das Tetraeder.
Nun dürfen wir weiterschließen und sagen, daß im , also in der gefürchteten „vierten Dimension“, der Simplex dem Gesetz , , , , folgen müsse, da ein vierdimensionaler Raum nach allem bisherigen erst durch Punkte bestimmt sein kann, weil der einen Punkt, der zwei Punkte, der drei Punkte und der vier Punkte zur Bestimmung braucht, der also Punkte.
Unsre kombinatorischen Formeln aber heißen weiter nichts andres, als daß der Simplex der vierten Dimension aus fünf Eckpunkten, zehn Kanten, zehn Begrenzungsflächen und fünf Begrenzungskörpern oder „Zellen“ besteht. Ganz allgemein kann man behaupten, der Simplexkörper der n-ten Dimension sei« durch die Bauformel , , ... erschöpfend beschrieben.
Aber noch viel mehr. Der kombinatorische Algorithmus der modernen Geometrie erlaubt es, Beziehungen und Eigenschaften der Körper in Räumen beliebiger Dimensionsanzahl auszusagen. So gibt es etwa ein „Schnittgesetz“ für Räume beliebiger Dimensionierung, das uns erlaubt, zu berechnen, welche Schnittfigur zwei Gebilde beliebiger Dimension in einem beliebig dimensionierten Raum bilden müssen. Wenn nämlich die Dimensionszahlen zweier Gebilde n und m kleiner sind als die Dimensionszahl cl des Raumes, in dem sie zum Schnitt kommen sollen, dann gilt


oder
,


wobei die Dimensionszahl der neuen Schníttfigur ist. Wären also , und bekannt, dann ist .
Nur im Vorbeigehen wollen wir uns fragen, welche Schnittfigur etwa eine Gerade und eine Ebene im Raume haben. Also ein und ein im . Nach der Formel ist dann oder die Schnittfigur ist ein , d. h. ein Punkt, was offensichtlich stimmt. Im vierdimensionalen Raum würden sich zwei Ebenen gemäß auch in einem Punkt und eine Gerade und ein Körper gemäß also auch in einem Punkt schneiden, was wir uns in keiner Weise vorstellen können. Im fünfdimensionalen Raum aber schneiden einander zwei Körper gemäß in einer Geraden und zwei Gerade nach wie bei uns in einem Punkt, da Minusresultate stets bedeuten, daß noch Freiheitsgrade zum Kreuzen oder Windschiefstehen da sind. Sie können einander in zwei uns unvorstellbaren und in einer uns bekannten Art kreuzen. Im aber können einander schon zwei Körper kreuzen, im schneiden einander zwei Körper in einem Punkt usw.
Diese mehrdimensionale Geometrie ist sicherlich eine der unheimlichsten Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts, da sie in glasklarer, dennoch aber undurchsichtiger Art vor uns liegt. Sollen wir dem Algorithmus mehr vertrauen als der Anschauung? Sollen wir uns „auf Flügeln des Verstandes“ hinauswagen in die Gefilde eines , von dem wir bloß die Zauberformel kennen, die aus unsrem nach kombinatorischen Gesetzen extrapoliert ist? Einige Mathematiker versichern uns, es habe dies alles keine Mystik an sich, sei ungefährlich und harmlos wie , und sei eben nichts als „Rechnung“, unter der man sich nichts vorzustellen brauche, da sich dabei alles im logischen Raume, gleichsam im Denkraum oder, wie man später sagte, im Konfigurationsraum, vielleicht sogar in einem bloß kombinatorischen Raum abspiele. Mit irgendeiner „Erfahrung“ oder „Wirklichkeit“ hatten die höher dimensionierten Raume überhaupt nichts zu tun. Es sei zudem noch gar nicht ausgemacht, daß unser bekannter Erfahrungsraum dreidimensional sei. Vielleicht sei er undimensional oder metadimensional.
Wir können alles auch hier nur andeuten, da wir zudem mitten in die neueste Phase des Problems geraten sind. Wir wagen deshalb auch keinerlei Entscheidung, sondern glauben vielmehr vermuten zu dürfen, daß sich das Dimensionsproblem, das durch die projektive Geometrie erst wirklich beweglich wurde, noch nach allerlei Gesichtspunkten weiterentwickeln wird und weiterentwickeln muß, wobei der philosophische, erkenntniskritische Standpunkt nicht die letzte Rolle spielt.
Es soll dieses Kapitel aber, abgesehen von all dieser höchst erregenden Problematik, nicht geschlossen werden, ohne daß wir auch der Person Graßmanns, des Begründers der Dimensionentheorie, einige Worte widmen. Er wurde 1809 zu Stettin geboren, studierte Theologie und Philologie und war in der Mathematik durchaus Autodidakt. Mathematische Vorlesungen hat er niemals gehört. Gleichwohl machte er schon 1840 die ergänzende Lehramtsprüfung für Mathematik, da er als Lehrer auch diesen Gegenstand tradieren wollte. Seine „Lineale Ausdehnungslehre“ (1844) wurde überhaupt nicht -beachtet, und erst, nachdem er als Sanskritphilologe (Wörterbuch zum Rigveda), als Herausgeber deutscher Volkslieder und als Zeitungsredakteur sich durchgesetzt hatte, wurde speziell Helmholtz auf seine Untersuchungen über elektrische Ströme, Farbenlehre und Akustik aufmerksam und verhalf auch dem Mathematiker zu der ihm gebührenden Anerkennung, die jetzt um so leichter war, als inzwischen schon andere Mathematiker ähnliche Wege beschritten hatten. Als Lehrer machte Graßmann ein Martyrium durch, da seine Schüler ihm überhaupt nicht gehorchten und seine Unterrichtsstunden ein wüster Tummelplatz von Allotria waren. Dies hauptsachlich deshalb, weil Hermann Graßmanns Charakter bloß Güte, Bescheidenheit und Freundlichkeit beinhaltete.
Wie gesagt, war es diesem sonderbaren Zwitterwesen aus Heiligkeit, Genie und Weltfremdheit beschieden, die Bestätigung der Richtigkeit seiner Ideen, ihren Aufschwung und auch persönlichen Ruhm noch zu erleben.
Mit diesem etwas melancholischen Ausklang wollen wir dieses menschlich wie sachlich bewegte Kapitel beschließen. Wir werden gleichwohl in anderem Zusammenhange noch einmal auf manche der hier angeschnittenen Probleme zurückkommen. Und werden auch dort merkwürdigerweise eine menschliche Tragödie nach der anderen antreffen, gleich als ob die Berührung gerade der höchsten Probleme unserer Wissenschaft, ähnlich wie im alten Griechenland, den Zorn der Götter erweckte.