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== 41. Unions -Verhandlungen ==
 
:Etwa zwei Wochen später saßen an einem dunklen Herbst-Herbstabend Abt Molanus von Lokkum [Gerhard Wolter Molanus], der Franziskaner Rojas de Spinola und Leibniz um den Tisch im Erkerzimmer des neuen Hauses.
abend Abt Molanus von Lokkum, der Franziskaner Rojas de
Spinola und Leibniz um den Tisch im Erkerzimmer des neuen
Hauses.
Leibniz, dem selbst die besten seiner Freunde manchmal
nachgesagt hatten, daß ihn, trotz seiner geistigen und Gemüts-
Tiefe, doch nichts eigentlich bis zum Grund seiner Seele auf-
wühle, und daß erst Ereignisse größter Art sein Wesen erschüt-
tern müßten, um ihn ganz in die Nähe des Göttlichen zu führen,
war heute, im Gegensatz zu solcher Meinung seiner Freunde,
von wilden Schauern der Gottesgegenwart überkommen. Denn
das Unfaßbare, das stets Gehoffte, doch nicht mehr Geglaubte,
die größte Harmonie nach der größten Disharmonie des Chri-
stentums, nach dem furchtbaren Dreißigjährigen Krieg, be-
gann leise, doch unleugbar mit überirdischen Tönen zu er-
klingen.
Ins Irdische übersetzt: Die drei Männer, deren Antlitze durch
das flackernde Licht der Kerzen in eigentümlicher Schärfe und
Schattenkontrastierung hervortraten, waren im Begriff, die
Schlußredaktion des ersten Unions -Entwurfes zwischen Katho-
liken und Protestanten vorzunehmen. Und es gab dabei, soweit
es die Unterhändler betraf, keinen Rest, keine Unklarheit.
Rojas de Spinola, aus dessen dunkelhäutigem hispanischem
Gesicht nachtschwarze Augen lohten, dessen Bewegungen je-
doch von seltsamer, fast müder Gelassenheit waren, wandte sich
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:Leibniz, dem selbst die besten seiner Freunde manchmal nachgesagt hatten, daß ihn, trotz seiner geistigen und GemütsTiefe, doch nichts eigentlich bis zum Grund seiner Seele aufwühle, und daß erst Ereignisse größter Art sein Wesen erschüttern müßten, um ihn ganz in die Nähe des Göttlichen zu führen, war heute, im Gegensatz zu solcher Meinung seiner Freunde, von wilden Schauern der Gottesgegenwart überkommen. Denn das Unfaßbare, das stets Gehoffte, doch nicht mehr Geglaubte, die größte Harmonie nach der größten Disharmonie des Christentums, nach dem furchtbaren Dreißigjährigen Krieg, begann leise, doch unleugbar mit überirdischen Tönen zu erklingen.
eben an Molanus, der heute den Vorsitz des kleinen Kollegiums
führte und bei dem eher das Umgekehrte zu bemerken war.
Man war nämlich erstaunt, daß dieser Mann mit dem gütigen
frischen Greisenantlitz oft plötzlich den Verhandlungsgegner
in geradezu jugendlichem Feuer und Ungestüm ansprang.
Zwischen beiden stand nach seiner äußeren Charakteristik Leib-
niz, der alle Skalen menschlicher Möglichkeiten, vom harm-
losen Scherz über funkelnde Beredsamkeit zu kalter sachlicher
Replik und von sanfter, einfühlender Nachgiebigkeit über ent-
schiedene Wahrung des Standpunktes bis zu sarkastisch-iro-
nischer und rnitleidloser Vernichtung der Gegen-Argumente
durchlief.
Wie erwähnt, hatte sich Rojas de Spinola eben an Molanus
gewendet und sagte:
„Ich würde vorschlagen, daß wir beide, die wir in der
Hierarchie unsrer Kirchen stehen, die Ehre und die Freude, das
Ergebnis unsrer Beratungen zusammenfassen, dem Laien in
unsrem Kreise überantworten. Herr Leibniz, dessen Gedächtnis
wir schon mehr als einmal bewunderten, möge also Punkt für
Punkt all das wiederholen, worüber wir einig geworden sind.
Ich selbst behalte mir vor, zum Schluß noch eine Erklärung ab-
zugeben, die ich bisher aus höheren Rücksicht en zurückzuhalten
gezwungen war.“
Was für eine Erklärung? Wieder überschauerte es Leibniz,
als Molanus zustimmend erwiderte. Was gab es noch zu er-
klären? Sollte gar der Franziskaner weit größere Vollmachten
besitzen, als er es bisher zugegeben hatte? Also nicht bloß gleich-
sam nur aus eigenem Antrieb und auf eigene Verantwortung
handeln, um die Stimmungen der Protestanten zu sondieren,
wenn von dieser Absicht auch der deutsche Kaiser Leopold I.
und die Spinola unmittelbar Vorgesetzten Kirchenbehörden
wußten? Doch Leibniz durfte jetzt nicht grübeln und träumen.
Er war beauftragt worden, die weltentscheidenden Punkte der
Einigung zu formulieren.
„Die erste, wichtigste und vielleicht schwierigste Frage betraf
das Konzil von Trient“, sagte er, während er sich ein Papier zu-
rechtrückte, um die Stilisierung des Beschlusses sogleich fest-
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:Ins Irdische übersetzt: Die drei Männer, deren Antlitze durch das flackernde Licht der Kerzen in eigentümlicher Schärfe und Schattenkontrastierung hervortraten, waren im Begriff, die Schlußredaktion des ersten Unions -Entwurfes zwischen Katholiken und Protestanten vorzunehmen. Und es gab dabei, soweit es die Unterhändler betraf, keinen Rest, keine Unklarheit.
eben an Molanus, der heute den Vorsitz des kleinen Kollegiums
führte und bei dem eher das Umgekehrte zu bemerken war.
Man war nämlich erstaunt, daß dieser Mann mit dem gütigen
frischen Greisenantlitz oft plötzlich den Verhandlungsgegner
in geradezu jugendlichem Feuer und Ungestüm ansprang.
Zwischen beiden stand nach seiner äußeren Charakteristik Leib-
niz, der alle Skalen menschlicher Möglichkeiten, vom harm-
losen Scherz über funkelnde Beredsamkeit zu kalter sachlicher
Replik und von sanfter, einfühlender Nachgiebigkeit über ent-
schiedene Wahrung des Standpunktes bis zu sarkastisch-iro-
nischer und rnitleidloser Vernichtung der Gegen-Argumente
durchlief.
Wie erwähnt, hatte sich Rojas de Spinola eben an Molanus
gewendet und sagte:
„Ich würde vorschlagen, daß wir beide, die wir in der
Hierarchie unsrer Kirchen stehen, die Ehre und die Freude, das
Ergebnis unsrer Beratungen zusammenfassen, dem Laien in
unsrem Kreise überantworten. Herr Leibniz, dessen Gedächtnis
wir schon mehr als einmal bewunderten, möge also Punkt für
Punkt all das wiederholen, worüber wir einig geworden sind.
Ich selbst behalte mir vor, zum Schluß noch eine Erklärung ab-
zugeben, die ich bisher aus höheren Rücksicht en zurückzuhalten
gezwungen war.“
Was für eine Erklärung? Wieder überschauerte es Leibniz,
als Molanus zustimmend erwiderte. Was gab es noch zu er-
klären? Sollte gar der Franziskaner weit größere Vollmachten
besitzen, als er es bisher zugegeben hatte? Also nicht bloß gleich-
sam nur aus eigenem Antrieb und auf eigene Verantwortung
handeln, um die Stimmungen der Protestanten zu sondieren,
wenn von dieser Absicht auch der deutsche Kaiser Leopold I.
und die Spinola unmittelbar Vorgesetzten Kirchenbehörden
wußten? Doch Leibniz durfte jetzt nicht grübeln und träumen.
Er war beauftragt worden, die weltentscheidenden Punkte der
Einigung zu formulieren.
„Die erste, wichtigste und vielleicht schwierigste Frage betraf
das Konzil von Trient“, sagte er, während er sich ein Papier zu-
rechtrückte, um die Stilisierung des Beschlusses sogleich fest-
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:Rojas de Spinola, aus dessen dunkelhäutigem hispanischem Gesicht nachtschwarze Augen lohten, dessen Bewegungen jedoch von seltsamer, fast müder Gelassenheit waren, wandte sich eben an Molanus, der heute den Vorsitz des kleinen Kollegiums führte und bei dem eher das Umgekehrte zu bemerken war. Man war nämlich erstaunt, daß dieser Mann mit dem gütigen frischen Greisenantlitz oft plötzlich den Verhandlungsgegner in geradezu jugendlichem Feuer und Ungestüm ansprang. Zwischen beiden stand nach seiner äußeren Charakteristik Leibniz, der alle Skalen menschlicher Möglichkeiten, vom harmlosen Scherz über funkelnde Beredsamkeit zu kalter sachlicher Replik und von sanfter, einfühlender Nachgiebigkeit über entschiedene Wahrung des Standpunktes bis zu sarkastisch-ironischer und rnitleidloser Vernichtung der Gegen-Argumente durchlief.
von Spinola. Es ist nur selbstverständlich, daß wir beide die Ent-
wicklung so sehen, Wie es die Uberzeugungen unsres bisherigen
Lebens vorzeichnen. Übrigens soll über diese Fragen schon
die Ausführung des dritten Punktes Klarheit bringen, näm-
lich das allgemeine ökumenische Konzil, das an Stelle des
Konzils von Trient die Gesamtheit der Glaubensfrage regeln
Wird. Und an dem unsre Super-Intendenten, gleichsam als unsre
Bischöfe, als Mitrichter im Range von vollwertigen Bischöfen
der vereinigten Kirchen teilnehmen sollen. Wird die Formulie-
rung meines letzten Satzes anerkannt P“
„Ich hätte nichts hinzuzufügen. Wiederum nichts Juristisches,
meine ich“, erwiderte Spinola. „Wenn ich, für mich selbst, unsre
Bischöfe schon heute als feuerzüngige Vertreter unsrer Lehre
auf diesem Konzil vor mir sehe; wenn ich, darüber hinaus, am
liebsten gleich jetzt aufstehen möchte, um eine der Reden dieses
zukünftigen Konzils mit ebenso viel Eifer als Leidenschaft vor-
Wegzunehmen: so können Sie, meine Herren der anderen Kon-
fession, daraus höchstens entnehmen, Wie viel Gewissensqual es
mich gekostet hat, den Weg zu Ihnen zu beschreiten und diesen
Weg durch Zugeständnisse beinahe selbstvernichtender Art zu
Ende zu gehen.“
Molanus schüttelte ein Wenig verdüstert den Kopf. Dann sagte
er sarkastisch:
„GeWiß, Wir haben es leichter. Viel leichter. Weil Wir den
Gesamtheitsanspruch nicht stellen können und nicht stellen Wol-
len. Ich denke aber, Wir sollten diese Rückzugsgefechte, die jeder
von uns innerlich führt, wenn es sich um eine Konzession von
seiner Seite handelt, nicht mit unsrer sicher gottgefälligen Lö-
sung so sehr verquicken, daß man schließlich am eigenen Willen
zur Versöhnung irre Wird. Ich sage das natürlich durchaus nicht
nur für Sie, hochwürdiger Pater, sondern ebensogut auch für
mich selbst und für Leibniz.“
„Und ich“, sagte Leibniz, „bin durch eine Fügung des Schick-
sales jetzt in der Lage, den folgenden Punkt zu formulieren, bei
dem nicht einmal ein solcher Gewissenszweifel in Betracht
kommt. Denn eben dieser Punkt tilgt als freundlicher Januskopf
den alten Hader in gleicher Weise nach beiden Seiten. Punkt vier
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:Wie erwähnt, hatte sich Rojas de Spinola eben an Molanus gewendet und sagte:
 
:„Ich würde vorschlagen, daß wir beide, die wir in der Hierarchie unsrer Kirchen stehen, die Ehre und die Freude, das Ergebnis unsrer Beratungen zusammenfassen, dem Laien in unsrem Kreise überantworten. Herr Leibniz, dessen Gedächtnis wir schon mehr als einmal bewunderten, möge also Punkt für Punkt all das wiederholen, worüber wir einig geworden sind. Ich selbst behalte mir vor, zum Schluß noch eine Erklärung abzugeben, die ich bisher aus höheren Rücksicht en zurückzuhalten gezwungen war.“
lautet nämlich, daß wir Protestanten endgültig vom Vorwurf der
Ketzerei losgesprochen werden sollen, während wir es wieder
für alle Zeiten unterlassen werden, den Papst als den Antichrist
zu bezeichnen. Damitist, so glaube ich, unsrem Streit, wenn selbst
ein solcher zurückbleiben sollte, die häßliche Schärfe genommen.
Der Streit ist auf eine Ebene gerückt, die nicht mehr allzusehr
von den Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Katholizis-
mus und innerhalb des Protestantismus unterscheidet. Es blei-
ben dann nur noch Kontroversen, die immer bestanden haben
und immer bestehen werden und sogar bestehen sollen, da das
Prinzip einer Religion, zu deren unbestrittenen Offenbarungen
es gehört, daß die Haare auf dem Haupt jedes Gläubigen gezählt
seien, durchaus ein individualistisches, ein Persönlichkeitsprin-
zip sein muß und nie zu uniformer Gleichmacherei entarten kann.
Weil aber unsre vom Vorwurf der Ketzerei gereinigte Gottes-
kindschaft nunmehr ebenso unangefochten ist wie die Heiligkeit
des Papstes, ist es nur logisch gewesen, im Punkt fünf unsrer
Vereinbarungen die wiedervereinigten Kirchen dem Primat die-
ser Heiligkeit nach menschlichem und kirchlichem Rechte zu
unterstellen. Womit die ursprüngliche Hierarchie aller Christen
unsrer Bekenntnisse wieder Geltung gewinnt. Ob allerdings die
protestantische Kirche auch den Primat der Gerichtsbarkeit
Seiner Heiligkeit des Papstes damit anerkennt, haben wir im
vollen Bewußtseinder Schwierigkeit dieser Frage vorläufig offen-
gelassen. Wir haben aber als Auslegung des vierten Punktes zu-
sätzlich vereinbart, daß eine Verdammung oder Verketzerung
auch bei küdtigen Meinungsverschiedenheiten, die sich ja schon
aus Herrn von Spinolas und meinen ,Hoffnungen“ ergeben
müssen, unzulässig sein wird. Sofern es sich um Lehren handelt,
die den Rahmen der Fortentwicklung der katholischen oder
protestantischen Lehre nicht überschreiten.“
„Ich glaube, daß die wesentlichsten Punkte aufgezählt sind“,
sagte Molanus.
„Es fehlen nur noch Bestimmungen“, antwortete Leibniz, „die
sich eigentlich aus dem ersten Punkt mit logischer Notwendig-
keit ergeben. So die unbeschränkte Möglichkeit des deutschen
Gottesdienstes für die Protestanten und die Reichung des Laien-
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:Was für eine Erklärung? Wieder überschauerte es Leibniz, als Molanus zustimmend erwiderte. Was gab es noch zu erklären? Sollte gar der Franziskaner weit größere Vollmachten besitzen, als er es bisher zugegeben hatte? Also nicht bloß gleichsam nur aus eigenem Antrieb und auf eigene Verantwortung handeln, um die Stimmungen der Protestanten zu sondieren, wenn von dieser Absicht auch der deutsche Kaiser Leopold I. und die Spinola unmittelbar Vorgesetzten Kirchenbehörden wußten? Doch Leibniz durfte jetzt nicht grübeln und träumen. Er war beauftragt worden, die weltentscheidenden Punkte der Einigung zu formulieren.
 
:„Die erste, wichtigste und vielleicht schwierigste Frage betraf das Konzil von Trient“, sagte er, während er sich ein Papier zurechtrückte, um die Stilisierung des Beschlusses sogleich festhalten zu können. „Wir sind“, setzte er fort, „übereingekommen, daß das Tridentinum, die ganze auf deisem Konzil beschlossene Gesetzgebung, so weit sie Bannflüche gegen die Protestanten und ihre Lehre enthält, aufgehoben wrden soll.“
kelches. Wir haben allerdings eine ebenso selbstverständliche
Folgerung wegen ihrer, ich möchte sagen, allgemeinen Sichtbar-
keit als Punkt sechs ausdrücklich herausgehoben. Nämlich die
Gestattung der Ehe für protestantische Priester. Eine Erlaubnis,
die sich sogar auf die Bigamia similitudinaria, auf eine allfällige
zweite Ehe erstreckt. Der letzte unsrer Punkte, die Krönung
unsres Werkes endlich, trägt meiner Ansicht nach den Charakter
einer feierlichen Kundgebung urbibus et orbi, wenn ich mir diese
Variation eines geheiligten Ausdruckes gestatten darf: Die wech-
selseitige Kommunion der Katholiken und Protestanten soll für
alle Zukunft zum Ausdruck bringen, daß die trennendste Schran-
ke zwischen unsren Bekenntnissen gefallen ist, daß sich das
Mysterium des Abendmahles, der Transsubstantiation, gleich
wahr und gleich gültig in beiden Formen vollzieht; und daß, bis
zum letzten, das Gotteshaus des Katholiken die Heimat und
die Zuflucht des Protestanten ebenso sein kann wie das Gottes-
haus des Protestanten für den Katholiken.“
Spinola sah merkwürdig feierlich auf, als Leibniz schwieg. Da
Molanus, der angestrengt grübelte, nichts mehr zu finden schien,
was der Erörterung bedurfte, erhob sich nach einer weiteren
kleinen Pause der Franziskaner, zog die schmalen Lippen ein
und faltete die Hände zum Gebet. Dabei kerbten sich die Falten
seines Asketenantlitzes tiefer und der Strahl seiner glosenden
Augen schien sich nach innen zu kehren. .
Nur einige Herzschläge lang verharrte er in dieser Stellung.
Unvermittelt schlug er ein Kreuz und sein Gesicht entspannte
sich zu einem verklärten Lächeln.
„Wir haben Gott für die glückliche Vollendung eines Werkes
gedankt“, sagte er leise aber betont, „eines Werkes, das durch die
Schwächen und durch die Irrungen der Menschen notwendig
geworden ist. Denn nie kann es der Wille Gottes gewesen sein,
diese furchtbaren, schon durch mehr als zwei jahrhunderte wäh-
renden Zerwürfnisse zu wünschen. Es war eine große, eine größte
Prüfung. Und auch heute, da wir die erste Stufe der Treppe
gelegt haben, die uns gemeinsam vor Seinen allerheiligsten
Thron hinanleiten soll, steht es uns nicht zu, mehr zu glauben,
mehr zu hoffen, als daß es eben diese erste Stufe ist. Gleichwohl
 
:„Ich habe dieses beinahe beispiellose Zugeständnis gemacht“, antwortete Spinole und senkte den Blick. „Und zwar habe ich es ohne jeden Vorbehalt gemacht. Ich bin nämlich überzeugt, daß die Wucht der Tatsachen, die Notwendigkeit des Weltablaufs und die nähere Einsicht in die Fragenkomplexe auch auch die Protestanten bald ähnliche Wege werden gehen lassen, wie wir sie auf dem Tridentinum gegangen sind.“
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:Molanus lachte leise auf.
darf ich jetzt meine ebenso gutwilligen als glaubensstarken Mit-
streiter an diesem Einigungswerk über Wesentlichstes nicht mehr
im Zweifel lassen. Über Allerwesentlichstes. Das ich nicht aus
Hinterhältigkeit bisher verbarg. Sondern im unabweislichen In-
teresse des Ansehens und der Macht der katholischen Kirche
und ihres geheiligten Oberhauptes. Ich bin nämlich, unter dem
tiefsten Siegel der Verschwiegenheit, nicht nur vom deutschen
Kaiser, von der katholischen Majestät Leopolds des Ersten, er-
mächtigt, diese Verhandlungen zu führen, sondern auch Seine
Heiligkeit, Papst Innozenz der Elfte, hat mir gestattet, den Prote-
stanten alle Hoffnung zu machen, daß er selbst solche Unions-
verträge genehmigen würde; wenn sie sich in einem Rahmen
bewegten, der, wie ich betone, durch unsre Vereinbarungen
nicht nur nicht gesprengt, sondern durchaus erfüllt und begrenzt
ist. Und ich verfüge darüber hinaus noch über die Zustimmung
mehrerer Kardinäle, des Jesuitengenerals Noyelles, des Magisters
sacri palatii und andrer Theologen. Seine Heiligkeit, der Papst,
weiß die Wichtigkeit unsrer Bestrebungen voll zu ermessen. Er
hat bekanntlich als einfacher Kriegsmann im Dreißigjährigen
Kriege auf den blutgetränkten Gefilden Deutschlands und Po-
lens gekämpft. Und deshalb wird kein andrer Papst so heiß wie
er es wünschen und ersehnen, daß nie mehr die Verschiedenheit
der Lehre Christen gegen Christen auf die Walstatt treibt. Ich
habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Wenn ich noch hinzufüge,
daß ich in unsrem kleinen Kreis die Wiedervereinigung der Kir-
chen als schon vollzogen ansehe, will ich damit nur die unbedingte
und vorbehaltlose Freundschaft ausdrücken, die uns drei in ge-
meinsamen Werk zur höheren Ehre Gottes verbunden hat.
Und die sich selbst dann nicht lockern würde, wenn Gott in
seinem unerforschlichen Ratschlusse unsre Treppenstufe ver-
werfen sollte.“ Spinola ließ sich langsam nieder und senkte den
Blick.
In Leibniz aber brauste die Harmonie, jene nie geglaubte, stets
gehoffte Harmonie in vollen Akkorden auf. Was fehlte noch zum
Gelingen? Papst und Kaiser, von den anderen zu schweigen,
hatten Roj as de Spinola zu Verhandlungen ermächtigt. Hatten
einen Rahmen gezogen, der, wie der Franziskaner gesagt hatte,
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:„Also kein Vorbehalt?“ sagte er dann, ein wenig ironisch.
durch den schon geschlossenen Pakt nicht überschritten war.
Was fehlte noch? Was fehlte, daß zumindest die protestantische
Kirche Hannovers, die durch ihn selbst und Molanus vertreten
war, sich mit der katholischen vereinigte? Was fehlte noch? Und
sofort sah er alle Folgen, eine berauschender als die andere. Wo
war dann ein Gegensatz zwischen seinem Herzog und dem Volk
Hannovers? Zwischen den Würdenträgern am Hofe? Wo die
Bekehrungsversuche Arnauds und des edlen Landgrafen von
Hessen -Rheinfels, der einenvorwurfsvollenß rief nach dem andern
an ihn richtete? Wo ein Konflikt mit Steno aus Jütland ? Er, Leib-
niz, würde nach Italien ziehen, würde Rom betreten, würde als
vollgültiger Christ dem HeiligenVater und den Kardinälen ge-
genüberstehen. Und wichtiger als all das: In seiner eigenen Brust
würde der Zweifel und der Kampf seines Charakters, der ihn an
die Religion der Väter band, mit den Tiefen seiner Gefühle, die
ihn mächtig zum Kosmos des Katholischen hinzogen, zur Ruhe
kommen; und er würde mit aller Kraft seines Geistes den Monos
Theos, den nunmehr in vollster Klarheit einzigen und einheit-
lichen Gott gegen die vordringlichen Ansprüche der Vernunft
und gegen den Primat der logischen,verstandes gemäßen „Wahr-
heit“ verteidigen, Ansprüche, die ihm aus eigenstem Erleben
durchaus nicht fremd waren. Verteidigen im Angriff und in der
Abwehr. Nicht aber vielleicht, um Verfolgungen auszuweichen,
wie seine freigeisternden Feinde behaupteten. Nicht, um sich
den Höfen gefällig zu zeigen, die sich an Gott zur Stützung und
Aufrechterhaltung ihrer Machtansprüche klammerten. Auch
nicht, um der Euthanasie, des beruhigten gesicherten Todes mit
einem verbrieften Anspruch auf ewige Seligkeit teilhaft zu wer-
den. Nein, nicht deshalb. Sondern nur, weil er wußte, sicherer
wußte als alle Sicherheit der Mathematik und Logik, daß der
ewige Anstieg menschlichen Geistes, menschlicher Erkenntnis,
menschlicher Vollendung vom Glauben und von der Gnade ab-
hing. Und daß jeder andere Weg der Seins- und Wissenserwei-
terung schließlich nur in Wüsten führen konnte, durch die
disharmonisch das tönende Erz und die klingenden Schellen
lärmten; mit diesem Lärm aber die unfaßbare Harmonie der
Sphären überdeckten. l
 
:„Kein juristisch greifbarer Vorbehalt“, replizierte Spinola. „Sie müssen jedoch zugeben, verehrter Herr Abt, daß der katholizismus seine Grundansicht, seinen ersten tragenden Stützpfeiler, der im Worte ‚kaht‘ holou‘, die in dieser Erstreckung ‚über alles‘ liegt, auch dann nicht preisgeben kann, wenn wir uns wieder vereinigen. Nicht wir haben uns losgetrennt, sondern Ihre Konfession hat sich abgesondert. Und wir werden, ohne Zwang natürlich, versuchen, auch die Einheitlichkeit des Glaubens im Lauf der Geschichte wieder herzustellen. Besser, diese Einheitlichkeit wird sich selbst in integrum restituieren, in den vorherigen Stand wieder einsetzen.“
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:„Obwohl“, fiel Leibnitz ein, „der zweite Punkt unseres Übereinkommens, daß keine Antastung der wesentlichen Grundsätzde der lutherischen Konfession stattfinden darf. Ich möchte über diese Formel hinaus beifügen, daß ich Ihre Hoffnungen, hochwürdiger Herr von Spinola nicht als eine solche Antstung empfinde. Denn auch wir erwarten, wieder aus protestantischer Überzeugung, daß manche unserer Lehren durch das Zusammenleben der Bekenntnisse in den Katholizismus Eingang finden werden. Wir stehen noch heute auf dem Standpuntk des Augustinermönches martin Luther, der sich beim Anschlag seiner Thesen in Wittenberg wahrscheinlich nur bewußt war, nach Wissen und Glauben die Gebote Christi und der Kirche zu erfüllen. Also Hoffnung gegen Hoffnung, hochwürdigster Herr von Spinola. Es ist nur selbstverständlich, daß wir beide die Entwicklung so sehen, Wie es die Uberzeugungen unsres bisherigen Lebens vorzeichnen. Übrigens soll über diese Fragen schon die Ausführung des dritten Punktes Klarheit bringen, nämlich das allgemeine ökumenische Konzil, das an Stelle des Konzils von Trient die Gesamtheit der Glaubensfrage regeln wird. Und an dem unsre Super-Intendenten, gleichsam als unsre Bischöfe, als Mitrichter im Range von vollwertigen Bischöfen der vereinigten Kirchen teilnehmen sollen. Wird die Formulierung meines letzten Satzes anerkannt?“
Leibniz War bleich und Tränen schimmerten in seinen Augen,
als er sich erhob, um in schlichten Sätzen für die innigen und
erhabenen Worte des Franziskaners zu danken.
 
:„Ich hätte nichts hinzuzufügen. Wiederum nichts Juristisches, meine ich“, erwiderte Spinola. „Wenn ich, für mich selbst, unsre Bischöfe schon heute als feuerzüngige Vertreter unsrer Lehre auf diesem Konzil vor mir sehe; wenn ich, darüber hinaus, am liebsten gleich jetzt aufstehen möchte, um eine der Reden dieses zukünftigen Konzils mit ebenso viel Eifer als Leidenschaft vorWegzunehmen: so können Sie, meine Herren der anderen Konfession, daraus höchstens entnehmen, wie viel Gewissensqual es mich gekostet hat, den Weg zu Ihnen zu beschreiten und diesen Weg durch Zugeständnisse beinahe selbstvernichtender Art zu Ende zu gehen.“
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:Molanus schüttelte ein wenig verdüstert den Kopf. Dann sagte er sarkastisch:
Kapitelende
 
:„Gewiß, Wir haben es leichter. Viel leichter. Weil wir den Gesamtheitsanspruch nicht stellen können und nicht stellen wollen. Ich denke aber, wir sollten diese Rückzugsgefechte, die jeder von uns innerlich führt, wenn es sich um eine Konzession von seiner Seite handelt, nicht mit unsrer sicher gottgefälligen Lösung so sehr verquicken, daß man schließlich am eigenen Willen zur Versöhnung irre wird. Ich sage das natürlich durchaus nicht nur für Sie, hochwürdiger Pater, sondern ebensogut auch für mich selbst und für Leibniz.“
 
:„Und ich“, sagte Leibniz, „bin durch eine Fügung des Schicksales jetzt in der Lage, den folgenden Punkt zu formulieren, bei dem nicht einmal ein solcher Gewissenszweifel in Betracht kommt. Denn eben dieser Punkt tilgt als freundlicher Januskopf den alten Hader in gleicher Weise nach beiden Seiten. Punkt vier lautet nämlich, daß wir Protestanten endgültig vom Vorwurf der Ketzerei losgesprochen werden sollen, während wir es wieder für alle Zeiten unterlassen werden, den Papst als den Antichrist zu bezeichnen. Damitist, so glaube ich, unsrem Streit, wenn selbst ein solcher zurückbleiben sollte, die häßliche Schärfe genommen. Der Streit ist auf eine Ebene gerückt, die nicht mehr allzusehr von den Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Katholizismus und innerhalb des Protestantismus unterscheidet. Es bleiben dann nur noch Kontroversen, die immer bestanden haben und immer bestehen werden und sogar bestehen sollen, da das Prinzip einer Religion, zu deren unbestrittenen Offenbarungen es gehört, daß die Haare auf dem Haupt jedes Gläubigen gezählt seien, durchaus ein individualistisches, ein Persönlichkeitsprinzip sein muß und nie zu uniformer Gleichmacherei entarten kann. Weil aber unsre vom Vorwurf der Ketzerei gereinigte Gotteskindschaft nunmehr ebenso unangefochten ist wie die Heiligkeit des Papstes, ist es nur logisch gewesen, im Punkt fünf unsrer Vereinbarungen die wiedervereinigten Kirchen dem Primat dieser Heiligkeit nach menschlichem und kirchlichem Rechte zu unterstellen. Womit die ursprüngliche Hierarchie aller Christen unsrer Bekenntnisse wieder Geltung gewinnt. Ob allerdings die protestantische Kirche auch den Primat der Gerichtsbarkeit Seiner Heiligkeit des Papstes damit anerkennt, haben wir im vollen Bewußtseinder Schwierigkeit dieser Frage vorläufig offengelassen. Wir haben aber als Auslegung des vierten Punktes zusätzlich vereinbart, daß eine Verdammung oder Verketzerung auch bei küdtigen Meinungsverschiedenheiten, die sich ja schon aus Herrn von Spinolas und meinen ,Hoffnungen“ ergeben müssen, unzulässig sein wird. Sofern es sich um Lehren handelt, die den Rahmen der Fortentwicklung der katholischen oder protestantischen Lehre nicht überschreiten.“
 
:„Ich glaube, daß die wesentlichsten Punkte aufgezählt sind“, sagte Molanus.
 
:„Es fehlen nur noch Bestimmungen“, antwortete Leibniz, „die sich eigentlich aus dem ersten Punkt mit logischer Notwendigkeit ergeben. So die unbeschränkte Möglichkeit des deutschen Gottesdienstes für die Protestanten und die Reichung des Laienkelches. Wir haben allerdings eine ebenso selbstverständliche Folgerung wegen ihrer, ich möchte sagen, allgemeinen Sichtbarkeit als Punkt sechs ausdrücklich herausgehoben. Nämlich die Gestattung der Ehe für protestantische Priester. Eine Erlaubnis, die sich sogar auf die Bigamia similitudinaria, auf eine allfällige zweite Ehe erstreckt. Der letzte unsrer Punkte, die Krönung unsres Werkes endlich, trägt meiner Ansicht nach den Charakter einer feierlichen Kundgebung urbibus et orbi, wenn ich mir diese Variation eines geheiligten Ausdruckes gestatten darf: Die wechselseitige Kommunion der Katholiken und Protestanten soll für alle Zukunft zum Ausdruck bringen, daß die trennendste Schranke zwischen unsren Bekenntnissen gefallen ist, daß sich das Mysterium des Abendmahles, der Transsubstantiation, gleich wahr und gleich gültig in beiden Formen vollzieht; und daß, bis zum letzten, das Gotteshaus des Katholiken die Heimat und die Zuflucht des Protestanten ebenso sein kann wie das Gotteshaus des Protestanten für den Katholiken.“
 
:Spinola sah merkwürdig feierlich auf, als Leibniz schwieg. Da Molanus, der angestrengt grübelte, nichts mehr zu finden schien, was der Erörterung bedurfte, erhob sich nach einer weiteren kleinen Pause der Franziskaner, zog die schmalen Lippen ein und faltete die Hände zum Gebet. Dabei kerbten sich die Falten seines Asketenantlitzes tiefer und der Strahl seiner glosenden Augen schien sich nach innen zu kehren.
 
:Nur einige Herzschläge lang verharrte er in dieser Stellung. Unvermittelt schlug er ein Kreuz und sein Gesicht entspannte sich zu einem verklärten Lächeln.
 
:„Wir haben Gott für die glückliche Vollendung eines Werkes gedankt“, sagte er leise aber betont, „eines Werkes, das durch die Schwächen und durch die Irrungen der Menschen notwendig geworden ist. Denn nie kann es der Wille Gottes gewesen sein, diese furchtbaren, schon durch mehr als zwei jahrhunderte währenden Zerwürfnisse zu wünschen. Es war eine große, eine größte Prüfung. Und auch heute, da wir die erste Stufe der Treppe gelegt haben, die uns gemeinsam vor Seinen allerheiligsten Thron hinanleiten soll, steht es uns nicht zu, mehr zu glauben, mehr zu hoffen, als daß es eben diese erste Stufe ist. Gleichwohl darf ich jetzt meine ebenso gutwilligen als glaubensstarken Mitstreiter an diesem Einigungswerk über Wesentlichstes nicht mehr im Zweifel lassen. Über Allerwesentlichstes. Das ich nicht aus Hinterhältigkeit bisher verbarg. Sondern im unabweislichen Interesse des Ansehens und der Macht der katholischen Kirche und ihres geheiligten Oberhauptes. Ich bin nämlich, unter dem tiefsten Siegel der Verschwiegenheit, nicht nur vom deutschen Kaiser, von der katholischen Majestät Leopolds des Ersten, ermächtigt, diese Verhandlungen zu führen, sondern auch Seine Heiligkeit, Papst Innozenz der Elfte, hat mir gestattet, den Protestanten alle Hoffnung zu machen, daß er selbst solche Unionsverträge genehmigen würde; wenn sie sich in einem Rahmen bewegten, der, wie ich betone, durch unsre Vereinbarungen nicht nur nicht gesprengt, sondern durchaus erfüllt und begrenzt ist. Und ich verfüge darüber hinaus noch über die Zustimmung mehrerer Kardinäle, des Jesuitengenerals Noyelles, des Magisters sacri palatii und andrer Theologen. Seine Heiligkeit, der Papst, weiß die Wichtigkeit unsrer Bestrebungen voll zu ermessen. Er hat bekanntlich als einfacher Kriegsmann im Dreißigjährigen Kriege auf den blutgetränkten Gefilden Deutschlands und Polens gekämpft. Und deshalb wird kein andrer Papst so heiß wie er es wünschen und ersehnen, daß nie mehr die Verschiedenheit der Lehre Christen gegen Christen auf die Walstatt treibt. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Wenn ich noch hinzufüge, daß ich in unsrem kleinen Kreis die Wiedervereinigung der Kirchen als schon vollzogen ansehe, will ich damit nur die unbedingte und vorbehaltlose Freundschaft ausdrücken, die uns drei in gemeinsamen Werk zur höheren Ehre Gottes verbunden hat. Und die sich selbst dann nicht lockern würde, wenn Gott in seinem unerforschlichen Ratschlusse unsre Treppenstufe verwerfen sollte.“ Spinola ließ sich langsam nieder und senkte den Blick.
 
:In Leibniz aber brauste die Harmonie, jene nie geglaubte, stets gehoffte Harmonie in vollen Akkorden auf. Was fehlte noch zum Gelingen? Papst und Kaiser, von den anderen zu schweigen, hatten Roj as de Spinola zu Verhandlungen ermächtigt. Hatten einen Rahmen gezogen, der, wie der Franziskaner gesagt hatte, durch den schon geschlossenen Pakt nicht überschritten war. Was fehlte noch? Was fehlte, daß zumindest die protestantische Kirche Hannovers, die durch ihn selbst und Molanus vertreten war, sich mit der katholischen vereinigte? Was fehlte noch? Und sofort sah er alle Folgen, eine berauschender als die andere. Wo war dann ein Gegensatz zwischen seinem Herzog und dem Volk Hannovers? Zwischen den Würdenträgern am Hofe? Wo die Bekehrungsversuche Arnauds und des edlen Landgrafen von Hessen-Rheinfels, der einenvorwurfsvollenß rief nach dem andern an ihn richtete? Wo ein Konflikt mit Steno aus Jütland? Er, Leibniz, würde nach Italien ziehen, würde Rom betreten, würde als vollgültiger Christ dem Heiligen Vater und den Kardinälen gegenüberstehen. Und wichtiger als all das: In seiner eigenen Brust würde der Zweifel und der Kampf seines Charakters, der ihn an die Religion der Väter band, mit den Tiefen seiner Gefühle, die ihn mächtig zum Kosmos des Katholischen hinzogen, zur Ruhe kommen; und er würde mit aller Kraft seines Geistes den Monos Theos, den nunmehr in vollster Klarheit einzigen und einheitlichen Gott gegen die vordringlichen Ansprüche der Vernunft und gegen den Primat der logischen,verstandes gemäßen „Wahrheit“ verteidigen, Ansprüche, die ihm aus eigenstem Erleben durchaus nicht fremd waren. Verteidigen im Angriff und in der Abwehr. Nicht aber vielleicht, um Verfolgungen auszuweichen, wie seine freigeisternden Feinde behaupteten. Nicht, um sich den Höfen gefällig zu zeigen, die sich an Gott zur Stützung und Aufrechterhaltung ihrer Machtansprüche klammerten. Auch nicht, um der Euthanasie, des beruhigten gesicherten Todes mit einem verbrieften Anspruch auf ewige Seligkeit teilhaft zu werden. Nein, nicht deshalb. Sondern nur, weil er wußte, sicherer wußte als alle Sicherheit der Mathematik und Logik, daß der ewige Anstieg menschlichen Geistes, menschlicher Erkenntnis, menschlicher Vollendung vom Glauben und von der Gnade abhing. Und daß jeder andere Weg der Seins- und Wissenserweiterung schließlich nur in Wüsten führen konnte, durch die disharmonisch das tönende Erz und die klingenden Schellen lärmten; mit diesem Lärm aber die unfaßbare Harmonie der Sphären überdeckten.
 
:Leibniz War bleich und Tränen schimmerten in seinen Augen, als er sich erhob, um in schlichten Sätzen für die innigen und erhabenen Worte des Franziskaners zu danken.