Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 268c»

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:„Sehen Sie, Graf Tschirnhaus“, begann er plötzlich, „auch die Addition, auch die Multiplikation und Division, wie sie die Knaben in der Schule lernen, ist solch ein Zauber, solch ein Algorithmus. Ein Abacus, eine Denkmaschine. Nur gibt man sich kaum Rechenschaft davon, was bei diesen Tätigkeiten alles problematisch ist. Weil wir gerade von den Rechenoperationen sprechen: Die eine der neuen, noch fehlenden Operationen, die Berechnung der Länge der Kurven, die Berechnung von Flächen und Körpern, die von Kurven eingeschlossen sind, ist schon ein wenig ausgebildet. Es ist eine zusammensetzende Operation, die der Addition, der Multiplikation und der Potenzierung entspricht. Ganz unbekannt aber ist die dazugehörige auflösende Rechnungsart. Also das Gegenstück der Subtraktion, Division und Radizierung. Ich nenne sie vorläufig Transmutation. Später einmal wird sie vielleicht anders heißen. Und jetzt, Graf Tschirnhaus, wollen wir gegen den Gipfel steigen. Was ich suche, ist eine Schreibweise für diese zwei neuen Rechnungsarten, eine Schreibweise, die so klar und einfach ist, daß sie all diese Überlegungen dem Bereich zufälliger Erleuchtungen der Virtuosen entzieht, daß jeder Mittelmäßige sie handhaben kann, daß sie - kurz gesprochen - zum Algorithmus, zum Abacus, zur selbsttätigen Denkmaschine wird. Nirgends brauche ich diese Maschine notwendiger als hier. Denn es handelt sich dabei um nichts weniger als um Rechenoperationen mit dem unendlich Kleinen und unendlich Großen. Oder wenn Sie es lieber wollen, mit dem beliebig Kleinen und beliebig Großen.“ Leibniz nahm wieder sein Notizheft, das er abseits gelegt hatte, und setzte fort: „Ich will Ihnen jetzt eine kleine Zeichnung zeigen. Anknüpfend an eine Überlegung von Blaise Pascal, die allerdings anderen Zwecken diente. Sie werden jetzt auch verstehen, warum ich behaupte, Ihre Tangentenaufgabe habe mich angeregt. Sehen Sie, hier ist die Zeichnung.“
 
[[File:Egmont Colerus, Leibniz, Der Lebensroman, Kapitel 22, Seite 153.jpg|thumb|400 px]]
:Und er reichte das Notizheft Tschirnhaus. „Es ist doch klar“, sprach er weiter, „daß das große dickumränderte Dreieck dem kleinen geschrafften Dreieck ähnlich ist. Es hat ja die gleichen Winkel. Das große Dreieck nenne ich nun ,das charakteristische“. Und nun stellen Sie sich vor, daß, im Sinne der Pfeile, die beiden punktierten Linien und zugleich die Punkte D und E immer näher zusammenrücken. Dadurch wird doch das kleine Dreieck,
:Und er reichte das Notizheft Tschirnhaus. „Es ist doch klar“, sprach er weiter, „daß das große dickumränderte Dreieck dem kleinen geschrafften Dreieck ähnlich ist. Es hat ja die gleichen Winkel. Das große Dreieck nenne ich nun ,das charakteristische“. Und nun stellen Sie sich vor, daß, im Sinne der Pfeile, die beiden punktierten Linien und zugleich die Punkte D und E immer näher zusammenrücken. Dadurch wird doch das kleine Dreieck, ohne seine Gestalt zu ändern, stets kleiner und kleiner werden. Es wird aber dem ,charakteristischen“ Dreieck stets ähnlich bleiben. Wird auch nicht seine Lage verändern. Und nun wollen wir den letzten Schritt wagen. Das kleine Dreieck sei so sehr zusammengeschrumpft, daß es dem Auge nur mehr als Punkt, als der Punkt A nämlich, erscheint. Ich entdecke es als winziges Dreieck, noch immer ähnlich dem ,charakteristischen“, durch ein Mikroskop. Ich gebe mich nicht zufrieden. Ich schiebe durch irgendwelche Werkzeuge die Punktlinien und D und E noch näher zueinander, bis auch im Mikroskop nur mehr ein Punkt sichtbar ist. Und in Gedanken, mit Hilfe dieses wahren Deus ex machina, gehe ich noch weiter und noch weiter. Beliebig weit. Unendlich weit. Alles ist längst verschwunden, ruht als Atom im Punkt A. Übriggeblieben ist das Verhältnis der drei Seiten des kleinen Dreiecks. Denn ich habe sie alle drei nicht willkürlich, sondern verhältnismäßig verkleinert. Und dieses Verhältnis bleibt, gleichsam riesengroß, vor mir als Verhältnis der Seiten des charakteristischen Dreiecks stehen. Ablesbar für jeden, der messen kann. Und jetzt die Krönung: Die Hypotenuse des winzigen Dreiecks ist ein Stück der Tangente der Kurve im Punkt A. Zugleich aber ein Punkt der Kurve, wenn Sie es wollen...“
 
 
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ohne seine Gestalt zu ändern, stets kleiner und kleiner werden. Es wird aber dem ,charakteristischen“ Dreieck stets ähnlich bleiben. Wird auch nicht seine Lage verändern. Und nun wollen wir den letzten Schritt wagen. Das kleine Dreieck sei so sehr zusammengeschrumpft, daß es dem Auge nur mehr als Punkt, als der Punkt A nämlich, erscheint. Ich entdecke es als winziges Dreieck, noch immer ähnlich dem ,charakteristischen“, durch
 
 
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ein Mikroskop. Ich gebe mich nicht zufrieden. Ich schiebe durch irgendwelche Werkzeuge die Punktlinien und D und E noch näher zueinander, bis auch im Mikroskop nur mehr ein Punkt sichtbar ist. Und in Gedanken, mit Hilfe dieses wahren Deus ex machina, gehe ich noch weiter und noch weiter. Beliebig weit. Unendlich weit. Alles ist längst verschwunden, ruht als Atom im Punkt A. Übriggeblieben ist das Verhältnis der drei Seiten des kleinen Dreiecks. Denn ich habe sie alle drei nicht willkürlich, sondern verhältnismäßig verkleinert. Und dieses Verhältnis bleibt, gleichsam riesengroß, vor mir als Verhältnis der Seiten des charakteristischen Dreiecks stehen. Ablesbar für jeden, der messen kann. Und jetzt die Krönung: Die Hypotenuse des winzigen Dreiecks ist ein Stück der Tangente der Kurve im Punkt A. Zugleich aber ein Punkt der Kurve, wenn Sie es wollen...“
 
:„Berauschend! Herrlich! Die kalten Schauer laufen wieder über meinen Rücken. Jetzt aber weiter, immer weiter.“ Tschirnhaus ließ das Notizheft fallen und preßte beide Hände an den Kopf.
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:„Aber das charakteristische Dreieck ist doch an jeder Stelle der Kurve anders geartet“, warf Tschirnhaus in höchster Erregung ein. „Wie bannen Sie diese Schwierigkeit?“
 
:„Das ist keine Schwierigkeit“, erwiderte Leibniz schnell. „Dafür habe ich ja die analytische Gleichung der Kurve. Auch diese Gleichung ändert an jedem Punkt der Kurve ihr Gesicht und behält es doch. Ich muß also nur die Verbindung meines winzigen Dreiecks mit der Kurvengleichung herstellen. Und mit dem Wesen der Funktion und mit den Koordinaten. Mein neuer Algorithmus wird x und y als Veränderliche enthalten. Und jetzt fällt mir plötzlich noch etwas ein, Graf Tschirnhaus, etwas, das mir, über die Hoffnung hinaus, fast alle Gewißheit gibt. Die Gewißheit, daß mein Wollen nicht unmöglich ist. Wenn man nämlich unendlich Kleines zu unendlich Kleinem addiert, erhält man wieder unendlich Kleines. Wenn man unendlich Kleines mit unendlich Kleinem multipliziert, ergibt sich auch unendlich Kleines. Auch Subtraktion und Potenzierung ändern nichts am unendlich Kleinen. Wenn man aber unendlich Kleines durch unendlich Kleines dividiert, dann kann man alle endlich großen Werte der Welt als Quotienten erhalten. Daher auch die Gleichheit der Seitenverhältnisse und der daraus gewonnenen Ergebnisse beim winzigen Dreieck und beim ,triangulum characteristicum‚characteristicum‘. Das Verhältnis zweier Größen ist eben vom absoluten Wert dieser zwei in Beziehung stehenden Größen unabhängig. Das Firmament kann sich zur Erde verhalten wie die Erde zu einem Staubkorn. Und die Erde kann sich zum Staubkorn verhalten wie das Staubkorn zu einem magnetischen Teilchen, das durch Glas dringt, Graf Tschirnhaus, ich Weiß es jetzt. Der Algorithmus meiner neuen, die Kurven ins Unendlich kleine auflösenden Rechnungsart wird ein Quotient sein! Ein Quotient zwischen einem unendlich kleinen y und einem unendlich kleinen x. Und die Jahrhunderte werden mit diesem Algorithmus rechnen Wie heute die Knaben in der Schule mit den Regeln der Division.“