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Geschichte der Mathematik (Teil 37)
 
 
:Nun muß der sogenannte Grenzübergang erfolgen, d. h. die Überlegung, welche der unendlich kleinen Größen für die Rechnung von Belang sind. Denn den obigen Ausdruck hätten wir ebensogut auch als Differenzenquotienten bei endlichen Zuwächsen erhalten, und wir gewännen dabei als
:<math> \textstyle \frac{\Delta y}{\Delta x}</math> schließlich <math> (2x + \Delta x) </math> als Tangenswert der Sekanten.
:Wir können jetzt diesen Grenzübergang in zweierlei Art bewerkstelligen. Entweder rechnen wir überhaupt zuerst mit dem Differenzenquotienten und erklären dann, daß <math> (2x + \Delta x) </math> bei einem Schwinden des <math> \Delta x </math> zu <math> dx </math>, also zu einem unendlich kleinen Zuwachs, einfach zu <math> 2x </math> wird, da Addition einer unendlich kleinen Größe eine endliche Größe unverändert läßt.
:Somit ist <math> \textstyle \frac{dy}{dx} = 2x </math>.
:Oder aber wir rechnen von Anfang an mit Differentialen und erklären in der Formel <math> \textstyle \frac{dy}{dx} = 2x </math>
:das <math> \textstyle \frac{2x dx + (dx)^2}{dx} </math> als „Kleinheit zweiter Ordnung“, die sich zu <math> dx </math> so verhält wie <math> dx </math> zu <math> x </math>.
:Wir dürfen also diese „Kleinheit zweiter Ordnung“ einfach weglassen und gewinnen aus <math> \textstyle \frac{2x dx + (dx)^2}{dx} </math>
:jetzt <math> \textstyle \frac{2x dx}{dx} = 2x </math>, also wieder dieselben <math> 2x </math> als Differentialquotienten von <math>y = x^2 - 7</math>.
:Leibniz hat diese Kleinheit höherer Ordnung einmal dadurch plastisch zu machen versucht, daß er sagte, das Firmament verhielte sich zur Erde wie die Erde zu einem Staubkorn und die Erde wieder verhielte sich zum Staubkorn wie das Staubkorn zu einem magnetischen Teilchen, das durch Glas dringt. (Wir würden heute das „magnetische Teilchen“, das Leibniz prophetisch erwähnt, als Elektron bezeichnen. Das aber nur nebenbei.) Leibniz meint, daß das Firmament etwa das <math> x </math> sei. Das <math> dx </math> wäre dann die Erde, das <math> (dx)^2 </math> das Staubkorn und das <math> (dx)^3 </math> das „magnetische Teilchen“.
:Sicherlich genügt es, wenn man neben dem Firmament (Weltall) noch das Nichts Erde berücksichtigt. Das Staubkorn oder gar das „magnetische Teilchen“ zu berücksichtigen, ware um so sinnloser, als wir ja schon die Erde, also das <math> dx </math>, relativ zum Weltall als unendlich klein annehmen.
:Wir müssen aber jetzt die Erörterung des speziellen Algorithmus abbrechen. Wir stellen also nur fest, daß Leibniz nicht bloß in kurzer Zeit die Differentiation der einfacheren Funktionen und ihrer Verknüpfung beherrschte, sondern sogar noch in Paris bereits höhere Differentialquotienten, also Differentialquotienten von Differentialquotienten, berechnete, die physikalisch sehr aufschlußreich sind, da der erste Differentialquotient die Geschwindigkeit und der zweite die Geschwindigkeitsveränderung oder Beschleunigung ausdrückt. Die höheren Differentialquotienten sind aber auch als Kriterium für Maxima und Minima, nämlich für die Frage, ob der berechnete Wert ein Maximum oder Minimum darstellt, unentbehrlich.
:Für die Entdeckungsgeschichte ist es ein Glück, daß Leibniz die Gewohnheit besaß, wichtige Stationen seiner Forschungen zu notieren und diese Notizblatter mit genauem Datum zu versehen. Daher wissen wir, daß er noch in Paris am 29. Oktober 1675 zu vollster und allgemeinster Bewußtheit über seinen Kalkül gelangt war.
:Er schrieb nämlich unter diesem Datum:
::„Es wird nützlich sein, statt der Gesamtheiten des Oavalieri, also statt Summe aller <math> y^' </math> von nun an <math> \textstyle \int y dy </math> zu schreiben. Hier zeigt sich endlich die neue Gattung des Calcüls, die neue Rechenoperation, die der Addition und Multiplikation entspricht.
:Ist dagegen <math> \textstyle \int y dy = \frac{y^2}{2} </math> gegeben, so bietet sich sogleich das zweite auflösende Calcül, das aus <math> \textstyle d( \frac{y^2}{2} ) </math> wieder <math> y </math> macht. Wie nämlich das Zeichen <math> \int </math> die Dimension vermehrt, so vermindert sie das <math> d </math>. Das Zeichen <math> \int </math> aber bedeutet eine Summe, <math> d </math> eine Differenz.“
:Mit dieser Erkenntnis war der Algorithmus der Infinitesimalanalysis aufgestellt, der sich bald die Welt erobern sollte und der auch bis heute im Besitz der Weltherrschaft geblieben ist. Auf welchem Gebiet Leibniz am genialsten war, ist sehr schwer zu entscheiden. Daß er aber ein Spezialgenie der richtigen und adäquaten Schreibweise, der mathematischen Notation war, unterliegt nicht dem allergeringsten Zweifel. Über der Einführung von neuen Begriffen und neuen Zeichen liegt ein tiefes, wahrscheinlich unergründliches Geheimnis. Nur wenige dieser Begriffe oder Zeichen sind so „richtig“, so überdeckend, daß sie in allgemeinen Gebrauch kommen. Wenn sie aber einmal im Gebrauch sind, dann beweisen sie ein Beharrungsvermögen, als ob es sich um naturgewordene Gegenstände und nicht um bloße Konventionen handelte. Ein kleiner Teil des Geheimnisses ist vielleicht durchschaubar, soweit es sich um neue „Zeichen“ handelt. Sie müssen sich nämlich irgendwie in die Tradition einfügen, müssen gleichsam gestaltlich und rein ästhetisch in den mathematischen Kosmos passen. Man kann einem lebendig gewordenen Organismus, wie es dieser „mathematische Gegenstand“ ist, nicht einfach willkürlich irgendwelche künstlichen Organe aufpfropfen oder gar verlangen, daß irgendein „Befehl“ bloß durch ein Pünktchen erschöpfend gegeben sei, wenn man zur Ausführung schwierige und noch ungewohnte Operationen durchführen muß. Ein Befehl wie <math> x^3 </math> ist sehr durchsichtig. Er erinnert sofort an <math> 3x </math> und zeigt durch die Hochstellung der Drei an, daß gleichsam etwas „Höheres“ gemeint ist als <math> 3x </math> oder <math> x + x + x </math>. Es ist eben <math> x \cdot x \cdot x </math> damit gemeint. Wie nun sollte sich ein Mensch des siebzehnten Jahrhunderts vorstellen, daß Newtons <math> \dot x </math> eine so komplizierte Angelegenheit, wie die Bildung des Differentialquotienten, bedeute? Und gar erst <math> \acute x </math> das Integral über <math> x </math>. Selbst in den heutigen Tages mit allem Raffinement gedruckten Büchern, in denen Newtons Schreibweise als historisches Kuriosum dargestellt ist, läßt der Punkt oberhalb des x oft aus, erscheint dem nicht vollständig Eingeweihten wie eine Druck-Unregelmaßigkeit, ein Papierfehler u. dgl. Aber es ist da noch viel mehr zu bemängeln. Die Struktur der Rechnung tritt bei Newton überhaupt nicht hervor, es entsteht nicht der geringste Einblick in das Zahnräderwerk des Algorithmus. Bei Leibniz dagegen überall.
:Es sei uns deshalb gestattet, diese Notation in einer etwas vereinfachenden und vom strengen Standpunkte anfechtbaren Art zu beleuchten. Was wir dabei sündigen, werden wir später sofort wieder korrigieren. Aber - und dieses „Aber“ ist sehr entscheidend - wir behaupten, daß eben die populäre Vorstellung des Unendlichkleinen jener Anschauungsrest ist, der das rein Begriffliche, an sich jedoch Undurchschaubare des Algorithmus, zu sehr leichter Verständlichkeit hebt. Wir sprechen also nicht mehr bloß vom Verhaltnis der unendlichkleinen Größen, sondern vergrößern sie durch ein Zaubermikroskop einzeln und benennen sie „Differentiale“.
:Für uns ist <math> dx </math> eine Länge, <math> dy </math> ebenfalls eine solche, und das Integralzeichen, das nichts andres ist als ein in die Länge gezogenes, zusammengedrücktes S (Summe), deutet an, daß es sich bei der Integration um eine stetige, ineinanderfließende infinitesimale Summe handelt. Hierdurch erhalten wir sofort einen klaren Überblick über den Mechanismus des Kalküls.
:Hätten wir etwa die Gleichung <math> f' (x) = \frac{dy}{dx} </math> gegeben, bei der wir noch gar nicht wissen müssen, daß sie den Differentialquotienten oder die „Derivierte“ der Funktion bedeutet, dann können wir, rein nach den Regeln der Gleichungen, auch schreiben <math> f' (x)dx = dy </math> oder <math> dy = f' (x)dx </math>. Nun wissen wir weiter, daß eine Gleichung sich nicht ändert, wenn wir auf beiden Seiten dieselbe Operation vornehmen. Fordern wir also kühn, daß wir, Oavalieris Spuren folgend, auf beiden Seiten die „Summa omnium linearum“ bilden wollen.
:Da Leibniz es für „nützlich“ hält, werden wir nicht: „Omnia dy = Omnia f'(x)dx“ schreiben, sondern einfach <math> \int dy = \int f'(x)dx </math>.
:Die Summe aller <math> dy </math> ist aber nichts andres als die Summe aller Zuwächse von 0 bis <math> x </math>, also die Ordinate des Endpunktes des vorgelegten „Bereiches“.
:Daher ist <math> \int dy = y = \int f'(x)dx </math>.
:Nun ist aber weiters <math> y=f(x) </math> oder die ursprüngliche Funktion.
:Daher ist <math> y = \int f'(x)dx </math> oder, das Integral über dem Differentialquotienten ist gleich der Stammfunktion, aus der dieser Differentialquotient gewonnen ist. Dabei spielt das dx, das das Integral gleichsam abschließt, eine merkwürdige Rolle. Denn es ist nichts als der distributiv zuzuteilende Faktor, der aus jedem Wert des Differentialquotienten, also aus jedem <math> y' = f'(x) </math>, erst das die Fläche zusammensetzende Rechteck macht. Das <math> dx </math> ist also gleichsam die Schrittgröße oder der Abstand zwischen den Ordinaten. Wir haben bisher absichtlich verschwiegen, daß der Differentialquotient selbst ja nichts andres ist als das Verhältnis der unendlichkleinen Katheten des zusammengeschrumpften „schraffierten“ Dreiecks unsrer oben geschilderten Figur&nbsp;7. Die Hypotenuse dieses Infinitesimaldreiecks ist jenes Stück, in dem die Kurve und die Tangente ein und dasselbe werden. Also das Geradbiegungs- oder Rektifikationsstück der Kurve. Wir wollen es mit <math> ds </math> bezeichnen und können nach dem Pythagoras-Satz behaupten, daß <math> (ds)^2 = (dx)^2 + (dy)^2 </math>.
:Da nun <math> ds = \sqrt{(dx)^2 + (dy)^2} </math>, so ist die Summe aller <math> ds </math> wieder <math> \int ds </math> und ist gleichbedeutend mit der Kurvenlänge. Daher ist weiters wegen <math> ds = \sqrt{(dx)^2 + (dy)^2} </math> die Kurvenlänge <math> ds = \int{\sqrt{(dx)^2 + (dy)^2}} </math>, woran sich allerdings allerlei weitere Erwägungen schließen müssen.
:So also sieht der Zusammenhang des Kalküls der Differential- und der Integralrechnung aus, wenn man vom Differentialquotienten ausgeht. Wenn man dagegen, wie es Leibniz in seiner weltbewegenden Notiz getan hat, vom Integral ausgeht, und <math> \int y dy = \frac{y^2}{2} </math> als gegeben betrachtet, dann findet man, daß <math> \textstyle d ( \frac{y^2}{2} ) </math>, d. h. der Differentialquotient des Integralresultats, wieder zu y, also zu dem zurückführt, was unter dem Integral steht.
:Wir haben nicht die Aufgabe und nicht den Willen, ein Lehrbuch der Infinitesimalrechnung zu geben. Wir wollten nur darstellen, wie einfach und zwanglos sich die Notation Leibnizens in die schon vorhandenen Algorithmen einbauen ließ und wie durchsichtig sie dabei war. Das „Differential“ konnte nirgends entschlüpfen. Es stand, mikroskopisch vergrößert, fortwährend in der Rechnung und blieb dabei unter Kontrolle. Und es ist Leibniz kaum je passiert, falsch zu rechnen, was sich bei höheren Differentialquotienten, die Newton <math> \dot x </math>, <math> \ddot x </math> usw. schrieb, eben bei Newton selbst häufig ereignete, da er die Maschine trotz all seiner persönlichen Virtuosität nicht mehr meistern konnte.
 
 
:'''Newtons Unendlichkeitsrechnung verhält sich zu der Leibnizens wie die Wortalgebra zur algorithmisch geschriebenen Algebra!'''
 
 
:Das kann durch die Jahrhunderte nicht oft genug wiederholt werden, um den tiefsten Sinn oder Unsinn des Prioritätskampfes zwischen Leibniz und Newton deutlich hervortreten zu lassen. Ganz abgesehen davon, daß außer diesem Unterschied noch andere wesentliche Verschiedenheiten zwischen der Newtonschen und Leibnizschen Auffassung bestanden.
:Wir wollen an dieser Stelle, bevor wir den eigentlichen Überblick über den mathematischen Kosmos Leibnizens zu gewinnen trachten, rein historisch berichten, daß Leibniz im Jahre 1684 in der durch ihn gegründeten Zeitschrift „Acta Eruditorum“ den Kalkül der Differentialrechnung in seiner Anwendung auf Maxima und Minima veröffentlichte. In dieser Arbeit wird auch der Doppelpunkt endgültig als Divisionszeichen eingeführt. Leibniz hatte sich erst neun Jahre nach der Entdeckung seiner Methode zur Veröffentlichung entschlossen, da sein Freund, der etwas abenteuerlich-genialische [[:de:w:Ehrenfried Walther von Tschirnhaus|Walter Ehrenfried Graf von Tschirnhaus]], bereits begann, Leibnizens ihm anvertraute Entdeckungen als eigene Erkenntnisse zu publizieren, wobei er sich allerdings gewöhnlich verrannte. Tschirnhaus war kein gewöhnlicher Mensch. Er war, wie gesagt, nur ein etwas stürmischer und diffuser Charakter. Es gelang ihm auch eine der besten Lösungsmethoden der kubischen Gleichungen. Doch dies nur nebenbei.
:Nun war durch die Veröffentlichung der LeibnizMethode das Geheimnis der Unendlichkeitsanalysis ein für allemal aufgedeckt. Geniale Mitarbeiter, wie Johann und Jakob Bernoulli, Varignon, der Marquis de l'Hospital und andre, eigneten sich den Kalkül an und bauten ihn in wenigen Jahren so weit aus, daßäwir heute noch über diese Genieleistungen von einem Erstaunen ins andre geraten. Alle Wege bis zur infinitesimalen Variationsrechnung, einem der höchsten Zweige der Unendlichkeitsanalysis, wurden beschritten, obwohl die Grundlagen kaum noch festgefügt waren. Und wir begreifen kaum, wie die Bernoullis imstande waren, die kompliziertesten Integrale auszuwerten. Die Variationsrechnung - dies nur nebenbei - stellt als Problem, die Maximal- und Minimaleigenschaften nicht von einzelnen Kurvenpunkten, sondern von Funktionen an und für sich zu ergründen. So ist die sogenannte „[[:de:w:Brachistochrone|Brachistochrone]]“ ein derartiges Problem. Man solle, so verlangt die von Johann Bernoulli den Mathematikern vorgelegte Frage, die Kurve finden, auf der sich ein nur der Schwere unterworfener Massenpunkt in einer senkrechten Ebene von einem höheren Punkt dieser Ebene zu einem tieferen, nicht lotrecht unter ihm befindlichen, in der kürzesten Zeit bewegt. Bei der Lösung, die durch Leibniz, de l'Hospital, Newton und die beiden Bernoullis gemeistert wurde, stellte es sich übereinstimmend heraus, daß diese Kurve eine Radlinie oder Zykloide sei. Und Jakob Bernoulli entdeckte hierbei noch das grundlegende Gesetz, daß diese„Brachistochrone“ nur dann als Ganze der gestellten Bedingung entsprechen könne, wenn die Bedingung auf jedes infinitesimale Stück der Kurve zutrafe. Also müsse auch jedes „Kurvenelement“ vom Punkte in kürzester Zeit durchlaufen werden.
:Es war nicht zu verwundern, daß sich sofort heftige Gegner der neuen Methode zum Wort meldeten, obwohl der Kalkül Leibnizens mehr als einmal, nicht zuletzt bei der „Florentiner Aufgabe“, seine Richtigkeit augenfällig bestätigt hatte. Der Galileischüler Viviani hatte nämlich Leibniz herausgefordert, eine Aufgabe zu leisten, die er selbst nach archimedischen Prinzipien behandelt hatte. Leibniz gelangte durch seinen neuen Kalkül sofort zur gleichen Lösung und Jakob Bernoulli bewies zudem noch, daß unendlich viele Lösungen möglich wären. Die Aufgabe betraf den Schnitt einer Kuppel durch einen Zylinder, wobei vier Fenster in der Kuppel entstanden. Dabei sollte die Flache der übrigbleibenden Kuppel rational quadrierbar sein. Bei den oben erwahnten Angriffen, die auch durch solche Taten, wie sie die Lösung der Florentiner Aufgabe war, nicht zum Schweigen gebracht wurden, spielte viel absichtliches und unabsichtliches Mißverständnis eine Rolle, das dann noch durch den Prioritatsstreit mit Newton zur Überlebensgröße hinaufgetrieben wurde. Leibniz war in den Augen der Zeitgenossen fast ein Schwindler, ein geistiger Dieb und Charlatan. Einer jener Goldmacher, Hofintriganten und Abenteurer, wie man sie etwa in Hofrat Becher erlebt hatte. Weil es in der Barockzeit einige solche Figuren gab, nutzten dem großen Genius Leibniz alle Titel, Auszeichnungen und Ehrungen nichts. Man sagte „Unendlichkeitsparadoxien“ und meinte die nationale Gegensätzlichkeit Deutschland-England oder die Parteifehde zwischen Whigs und Tories. Wobei anerkannt werden muß, daß die Romanen unbedingt zu Leibniz standen und ihm früher sein Recht verschafften als die eigenen Landsleute. Nur der Tod hatte Leibniz gehindert, den Rest seines Lebens als Emigrant in Wien oder noch wahrscheinlicher in Paris zu beschließen, ein Plan, der die schlagendste Antwort auf das Verhalten der einzelnen Nationen gewesen wäre, wenn er hätte ausgeführt werden können.
:Wie mehrfach erwähnt, ist es nicht unsere Aufgabe, die Prinzipien der Infinitesimalrechnung erschöpfend auseinanderzusetzen. Wir mußten aber anderseits beispielsweise einige grundlegende Prinzipien dieser Rechnung demonstrieren, da wir sonst das Verdienst Leibnizens gerade auf diesem Gebiet nicht hätten ins rechte Licht stellen können. Wir fügen an Einzelheiten noch bei, daß Leibniz zwar das Operationssymbol des Integrierens einführte, daß der Name „Integral“ jedoch von Jakob Bernoulli stammt. Die beiden mathematischen Großmächte Leibniz und Bernoulli einigten sich nämlich dahin, daß in Hinkunft das Zeichen Leibnizens, dagegen der durch Bernoulli geprägte Ausdruck Integral in der Mathematik angewendet werden solle. Ein Vertrag, der tatsächlich bis heute für die ganze Welt rechtswirksam geblieben ist.
:Bevor wir weitere Verdienste Leibnizens um die Entwicklung der Mathematik erwähnen, die eigentlich erst das zum vollen Wirken brachten, was wir unter „Mathematik als Kosmos“ verstehen, müssen wir einem Irrglauben entgegentreten, der auch heute noch sehr verbreitet ist: daß nämlich Leibniz gleichsam in philosophischer Naivität oder auf Grund seiner berühmten Monadenlehre, die übrigens auch sehr gerne verdreht oder mißverstanden wird, frisch und fröhlich mit „Differentialen“ darauf losgewirtschaftet habe, die etwa die Rolle mathematischer Atome spielten. Daß er also in gröbste Fehler und Gegengesetzlichkeiten des Unendlichkeitsbegriffes ahnungslos hineingeschlittert sei, die nicht einmal den Angriffen Zenons aus Elea standgehalten hätten.
:Wir behaupten nicht, sondern wir treten den Beweis an, daß das Gegenteil der Fall war. Gewiß, Leibniz hat, um seine allzuneuen Begriffe (auch für philosophisch minderbegabte Mathematiker) zu popularisieren, manchmal sehr beiläufig gesprochen. Diese Sprache war jedoch keine wissenschaftliche Erörterung, sondern eine pädagogischwissenschaftspolitische Angelegenheit. Als ihn der schon erwähnte Physiker und Mathematiker Varignon, der als erster den Satz des Kräfteparallelogramms allgemein formuliert hatte, in freundschaftlicher Weise auf die Bedenken und Angriffe aufmerksam machte, die sich bezüglich einiger Äußerungen Leibnizens in Frankreich erhoben, erwidert Leibniz unter dem Datum des 2. Februar 1702 folgende unmißverständlichen Worte: „Ich bin Ihnen, mein Herr, und den Gelehrten Ihres Landes sehr verbunden, daß Sie mir die Ehre erweisen, Betrachtungen über einen Brief anzustellen, den ich gelegentlich von Einwänden, die im ,Journal de Trevoux“ gegen den Differential- und Summenkalkül erhoben wurden, an einen Freund gerichtet hatte. Ich erinnere mich nicht mehr genau der Ausdrücke, die ich gebraucht haben mag, meine Absicht war jedoch, zu zeigen, daß man die mathematische Analysis von metaphysischen Streitigkeiten nicht abhängig zu machen braucht, also nicht zu behaupten braucht, daß es in der Natur Linien gibt, die, relativ zu unseren gewöhnlichen, in aller Strenge unendlich klein sind, noch auch solche, die unendlichmal größer als die gewöhnlichen sind. Um daher diese subtilen Streitfragen zu vermeiden, begnügte ich mich, da ich meine Erwägungen allgemein verständlich machen wollte, das Unendliche durch das Unvergleichbare zu erklären, d.&nbsp;h. Größen anzunehmen, die unvergleichlich größer oder kleiner als die unsrigen sind. Auf diese Weise nämlich erhält man viele Grade unvergleichlicher Größen, sofern ein unvergleichlich viel kleineres Element, wenn es sich um die Feststellung eines unvergleichlich viel größeren handelt, bei der Rechnung außer acht bleiben kann. So ist etwa ein Teilchen der magnetischen Materie, die das Glas durchdringt, einem Sandkorn, dieses wiederum der Erdkugel, die Erdkugel schließlich dem Firmament nicht vergleichbar. Daher habe ich früher in den „Acta Eruditorum“ einige Hilfssätze mit den Unvergleichbaren aufgestellt, die man sowohl auf das Unendliche im strengen Sinne, wie auch auf Größen anwenden kann, die, am anderen gemessen, nur nicht in Betracht kommen.
:Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen - fährt Leibniz in diesem Briefe weiter fort -, daß die unvergleichlich kleinen Größen, selbst in ihrem populären Sinne genommen, keineswegs konstant und bestimmt sind, da sie vielmehr, weil man sie so klein annehmen kann, als man nur will, in geometrischen Erwägungen dieselbe Rolle wie die Unendlichkleinen im strengen Sinne spielen. Will nämlich ein Gegner unsren Sätzen die Richtigkeit absprechen, so zeigt unser Kalkül, daß der Irrtum geringer ist als irgendeine angebbare Größe, da es in unsrer Macht steht, das Unvergleichbarkleine - das man ja immer so klein, als man nur will, annehmen kann - zu diesem Zwecke hinlänglich zu verringern. Dies dürfte es wohl sein, was Sie mit dem Unerschöpflichen meinen, und zweifellos liegt darin der strenge Beweis unsrer Infinitesimalrechnung. Ihr Vorzug liegt darin, daß sie unmittelbar und augenscheinlich und in einer Art, die den eigentlichen Quell der Entdeckung freilegt, dasjenige gibt, was die Alten, so z. B. Archimedes, auf Umwegen vermittels des indirekten Beweises erreichten. Sie konnten indes mangels eines solchen Kalküls in verwickelten Fällen nicht zur richtigen Lösung gelangen, wenngleich die Grundlagen der Entdeckung ihnen bekannt waren. Man kann somit die unendlichen und unendlichkleinen Linien - auch wenn man sie nicht in metaphysischer Strenge und als reelle Dinge zugibt - doch unbedenklich als ideale Begriffe brauchen, durch welche die Rechnung abgekürzt wird, ähnlich den sogenannten imagiären Wurzeln in der gewöhnlichen Analysis, wie z. B. <math> \sqrt{-2} </math>.
:Mag man diese auch als imaginär bezeichnen, so sind sie dennoch nützlich und bisweilen sogar unentbehrlich, um auf analytische Weise reelle Größen auszudrücken. So ist es z. B. unmöglich, ohne ihre Hilfe den analytischen Ausdruck einer Geraden zu geben, die einen gegebenen Winkel in drei gleiche Teile teilt. Ebenso könnte man unsren Kalkül der transzendenten Kurven nicht aufstellen, ohne von Differenzen zu sprechen, die im Begriffe sind, zu verschwinden, wobei man ein für allemal den Begriff des Unvergleichbarkleinen einführen kann, statt stets von Größen zu reden, die unbegrenzter Verminderung fähig sind. In derselben Weise denkt man sich mehr als drei Dimensionen und selbst Potenzen, deren Exponenten nicht gewöhnliche Zahlen sind: alles, um damit Begriffe zu bezeichnen und aufzustellen, die zur Abkürzung der Rechnung dienen, und die in Realitäten ihre Grundlage haben.
:Man darf jedoch nicht glauben - fährt Leibniz fort -, daß durch diese Erklärung die Wissenschaft des Unendlichen herabgewürdigt und auf Fiktionen zurückgeführt wird, denn es bleibt - um mich schulmäßig auszudrücken - immer ein synkategorematisch Unendliches (<small>d.&nbsp;h. dasselbe wie das „Potentiell-Unendliche", das durch unbegrenztes Fortschreiten entsteht</small>) bestehen; so bleibt es z.&nbsp;B. immer richtig, daß 2 gleich ist
 
:<math> \frac{1}{1} + \frac{1}{2} + \frac{1}{4} </math> <math>+ \frac{1}{8} + \frac{1}{16} + \frac{1}{32} + ... </math>,
 
:d.&nbsp;h. gleich einer unendlichen Reihe, die alle Brüche in sich begreift, deren Zähler 1 sind und deren Nenner in geometrischer Progression fortschreiten. Trotzdem kommen in dieser Reihe immer nur gewöhnliche Zahlen zur Anwendung und es tritt niemals ein unendlich kleiner Bruch, dessen Nenner eine unendliche Zahl wäre, auf... “