Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 159c»

Contenido eliminado Contenido añadido
Página creada con «:índice :Lección 158c ← Lección 159c → Curso de alemán nivel...»
 
Sin resumen de edición
Línea 26:
 
:Wir zeigen es im Bilde, zeigen, wie dabei durch „Weltumseglung“ die rechte und linke Seite vertauscht Wird, Was ein sogenanntes Beltramisches Flächenwesen gar nicht verstände, da es sich nicht in die dritte Dimension erheben kann.
:Wir haben auch nichts über die große Erregung berichtet, die all diese geometrischen Entdeckungen hervorriefen. So erfuhr etwa der berühmte Astrophysiker Zöllner (geb. 1834), der durch seine Untersuchungen der Protuberanzen und Spektrallinien rühmlichst bekannt ist, einmal zufällig durch Felix Klein, daß ein Knoten in einem <math> R_3 </math> eine Angelegenheit der Lagegeometrie, also gegen jede Verzerrung seinem Wesen nach invariant oder unempfindlich sei. Im <math> R_4 </math> dagegen könnte ein solcher Knoten durch bloße „Verzerrung“ gelöst werden. Klein war über die enthusiastische Aufnahme dieser Neuheit durch Zöllner erstaunt. Er war aber geradezu entsetzt, als er erfuhr, daß sich Zöllner mit dem damals berühmten, später entlarvten amerikanischen Medium und Okkultisten Slade verbündet habe, um im Wege der Knotenlösung die reale Existenz des vierdimensionalen Raumes zu beweisen. Durch die Taschenspielerkunststücke Slades gelangen die Experimente trotz Versiegelung der Knoten und trotz anderer Vorsichtsmaßnahmen. Nun gab es für Zöllner keinen Halt mehr. Er begann eine fieberhafte Tätigkeit zu entwickeln, ließ in seinen letzten Lebensjahren taglich mindestens einen Bogen Abhandlungen drucken und starb im Jahre 1882 infolge Überreizung, noch nicht fünfzig Jahre alt, an Gehirnschlag.
:Wir haben aber auch noch über viele andere Dinge geschwiegen. Vor allem über die heute bereits zu unerhörter Durchbildung gelangte Wahrscheinlichkeitsrechnung, die in alle Wissenschaften stets siegreicher eindringt und die im Begriffe ist, das von „Gesetzen“ beherrschte klassische Weltbild zu einem „Statistischen Weltbild“ umzumodeln, in dem es keine Sicherheit, sondern nur mehr Grade von Wahrscheinlichkeit gibt. Wir haben weiters gar nicht erwähnt, daß Hamilton, Cayley und andere Mathematiker die Algebra durch einen Symbolkalkül erweiterten, der an Allgemeinheit und Unerforschtheit alles Bisherige übertrifft; und haben vor allem nicht die Kombinatorik durchleuchten können, die für manche Mathematiker geradezu die Grundlage der Forschung geworden ist. Ganz zu schweigen von den Höhen der Zahlentheorie, von denen sich selbst der mathematisch einigermaßen Gebildete kaum eine Vorstellung machen kann.
:Damit aber nicht genug. Es gibt noch etwas Diffuseres im heutigen Reich der Mathematik, etwas, das der Laie gar nicht erfahren sollte. So hat etwa ein Mann wie Felix Klein, der einer der ganz großen führenden Geometriker und Funktionentheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts war, nach seiner Darstellung der Quaternionen Hamiltons von englischen „Q,uaternionisten“ die Zensur erhalten, es seien gar nicht Quaternionen, von denen er spreche. Und von dem ebenso berühmten Mathematiker und Zahlentheoretiker Kronecker behauptete Henri Poincaré, er hätte niemals etwas Geniales zustandegebracht, wenn er nicht zeitweilig die eigenen philosophischen Grundsätze seiner Forschung Vergessen hatte. Riemann und Weierstraß erging es nicht viel besser, und es ist unbestreitbar, daß es Gebiete gibt, in denen selbst große Mathematiker einander nicht mehr folgen können.
:Wir sprechen hier von durchwegs seriösen Kennern ihres Faches und nicht von den zahllosen mathematisierenden Philosophen, die frisch, frank und frei Generalurteile über das „Wesen der Mathematik“ abgeben und sofort betreten schweigen, wenn man ihnen als Widerlegung ihrer Behauptungen ein verhältnismäßig einfaches Exempel irgendeines Gebietes der Mathematik vorhält.
:Das alles soll uns aber nicht hindern, auf solider Grundlage eine Vereinfachung dieser babylonischen Verwirrung zu erstreben. Und so wollen wir festhalten, daß wohl der Zahlbegriff stets die Grundlage aller Mathematik bleiben wird und bleiben muß. Wir haben gerade auf diesem Gebiete im neunzehnten Jahrhundert durch die Ausbildung der Theorie der komplexen Zahlen ungeheuer viel Terrain gewonnen, und auch die Gleichungstheorie tat ihr übriges, um den Zahlbegriff zu festigen und zu erweitern, da sie ja mit Wurzeln, Irrationalitaten und komplexen Zahlen aufs innigste zusammenhangt. Dann hat uns das neunzehnte Jahrhundert endgültige Erkenntnisse über die Unauflösbarkeit der Gleichungen, die den vierten Grad überschreiten, und über die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises gebracht (Lindemann 1882). Weiters gewannen wir in den Determinanten, Mengen und Gruppen gleichsam neue „Überzahlen“, mit denen wir bereits ohne viel Schwierigkeit operieren. Und schließlich hat es die darstellende, die projektive und die nichteuklidische Geometrie verstanden, einen neuen bedeutenden Aufstieg der Geometrie einzuleiten, der Weit über alles Vorhergegangene hinaufreicht.
:Nach all dem, Was mathematisch, physikalisch und philosophisch in diesem neunzehnten Jahrhundert vorging, war es klar, daß in mehr als einem Kopf und Gemüt der Wunsch erwachte, das riesige Chaos der genialen Entdeckungen und Verallgemeinerungen zu bändigen. Und man war bestrebt, gleichsam die Wurzeln all dieses üppigen Wachstums bloßzulegen. In geometrischen Dingen hatte man für diese Bemühung ein leuchtendes Vorbild, nämlich Euklid, an dessen Sturz durch die nichteuklidischen Geometrien Wohl nur neuerungssüchtige Progressisten glaubten, denen die Auflösung und Relativierung aller Wahrheit irgendwie am Herzen lag.
:Nun gelang es David Hilbert (geb. 1862, zuletzt Professor in Göttingen) in einer fast endgültigen Art, die ganzen Fragenkomplexe über die Grundlagen der Geometrie zu klären, und sein Axiomensystem ist eine der großen Leistungen des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Axiomatik erlaubt es nämlich, sämtliche Typen von Geometrien in ihrem Aufbau und in ihrer Bedingtheit klarzustellen. Durch bloße Weglassung gewisser Axiome gewinnen wir mühelos die nichteuklidischen, die nichtarchimedischen und andere Geometrien und können dadurch begreifen, warum Geometrien wíderspruchsfrei möglich sind, die unserem am vollständigen euklidischen Axiomensystem geschulten Empfinden auf den ersten Blick wie Wahnsinn erscheinen. Hilbert leistete in seinen „Grundlagen der Geometrie“ jedoch noch weit mehr. Vor allem zeigte er, daß die Verschwisterung von Geometrie und Arithmetik, also von Größe und Zahl, nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn sämtliche Rechnungsregeln reeller Zahlen vollständig identisch auch für die sogenannte Streckenrechnung, also für eine Rechnung mit Größen gelten. Ist eine solche Identität zu erweisen, dann dürfen, gleichsam gruppentheoretisch, Größe und Zahl oder Zahl und Größe mutatis mutandis miteinander vertauscht werden. Diese Möglichkeit, die als stillschweigende Voraussetzung jeder analytischen und jeder Maßgeometrie überhaupt zugrunde liegt, ist das unerläßliche Fundament der logischen Berechtigung der Maßgeometrie. Wie Hilbert zeigt, ist diese Verschwisterung von Größe und Zahl durchaus nicht selbstverständlich, sondern muß auf Grund der projektiven Geometrie, insbesondere der Sätze von Pascal und Desargues, sorgfältig nachgeprüft und nachgewiesen werden.
:Wir wollen nicht verschweigen, daß auch die Geometriker Pasch und Schur, Zermelo und andere an der axiomatischen Grundlagenforschung in vieler Beziehung beteiligt sind. Sie ist überhaupt seit mindestens fünfzig Jahren auf der „Tagesordnung“, und noch niemals hat ein so heißes Bemühen stattgefunden, den erworbenen Geistesbesitz zu sichern.
:Die Gründe für solche Bemühungen liegen sehr tief und sind in verschiedener Richtung zu suchen. Rein historisch betrachtet, handelt es sich um die Rezeption Euklids im faustischen Kulturkreis. Aber auch nur zum Teil. Denn es steckt ebensogut der Geist des Ramon Lullus hinter all diesen Bestrebungen. Wissenschaftspsychologisch kommt man einfach vom Traum der „Denkmaschine“, der „allgemeinen Charakteristik“, der „ars inveniendi“ nicht los und will es mit der Logisierung der Mathematik versuchen, wenn es im Algorithmus und Kalkül selbst nicht mehr weitergeht. Dabei ergeht es der Logik aber genau so wie der Geometrie. Wir haben früher schon die Tragikomödie erwähnt, daß die projektive Geometrie aus dem Wunsch heraus geschaffen wurde, dem sieghaften Algorithmus der Algebra ein Paroli zu bieten. Der Schluß war eine vollständige Algebraisierung der Geometrie, wobei sich projektive Geometrie und Algebra fast unlösbar amalgamierten, und aus der revolutionierenden Geometrie erst recht eine Algebra der Formen, Invarianzen und anderer Beziehungen wurde. Die Algebra scheint ein Licht zu sein, in das die Schmetterlinge der anderen Geisteszonen nicht ungestraft fliegen dürfen. Denn wenn auch die Logik sich plötzlich als Übermathematik zu gebarden begann, sich als Überwissenschaft konstituierte und mit allen Mitteln der Symbolik zu operieren anhub, so stellte es sich gleichwohl sehr bald heraus, daß sie nichts anderes getan hatte, als sich in aller Stille zu algebraisieren. Wie ein militanter Eroberer, der ein fremdes Reich unterwirft, am Ende jedoch Sprache und Sitten der unterjochten Völker annimmt, ist es der Logik und der Logistik ergangen. Und nur unter vollständiger Verwirrung aller Begriffe kann man ernstlich behaupten, daß der Gedanke des Kalküls und der Symbolschreibung eine logische und keine mathematische Kategorie sei.
:Wir wollen in keiner Weise die Fruchtbarkeit dieser „Streckung der Logik“ anzweifeln, solange sie sich in vernünftigen Grenzen halt. Wenn aber behauptet wird, daß es sich plötzlich „herausgestellt“ habe, daß die Mathematik nichts sei als ein Komplex von Tautologien und Kreisschlüssen, dann muß der Historiker der Mathematik darauf hinweisen, daß eine solche Auffassung zumindest etwas einseitig ist, wenn sie auch nicht ohneweiters widerlegt werden kann. Sie kann namlich deshalb schwer widerlegt werden, weil sie Dinge postuliert, die vollständig der Willkür unterliegen. Und diese Dinge sind eben die Kompetenzgrenzen von Mathematik und Logik. Durch Jahrtausende hat sich die Mathematik der logischen Operationen des Schließens, des Beweisens und des Analysierens bedient. Sie hatte auch stets und fast zu jeder Zeit das Bestreben, dieses „negative Kriterium der Wahrheit“, wie es Kant nennt, nicht zu verletzen. Sie war aber gezwungen, nicht nur die formale, sondern auch die transzendentale Logik zu berücksichtigen. Mußte darüber hinaus stets am Rande der Metaphysik, ja sogar der Mystik operieren, da ihr sonst gerade die leuchtendsten Gipfel ihres Erfolges nicht beschieden gewesen waren. Von einem gewissen Standpunkte aus könnte man der Mathematik sogar biologische Bedingtheiten nachsagen, zumindest aber kulturmorphologische.
:In solchen Bindungen und gegen solche Bindungen hat sich die Mathematik entwickelt und es ist vom Standpunkt einer Wesensschau kaum zweifelhaft, was man unter mathematischem Denken und Handeln verstehen kann und was nicht. Wenn sich also eine der Mathematik irgendwie bisher stets nebengeordnete Wissenschaft plötzlich der integrierenden Errungenschaften der Mathematik zu bedienen beginnt und aus dieser Position heraus Vorrangsansprüche stellt, ist das Wesen der Sache, vom historischen Standpunkt aus, so gut wie ins Gegenteil verkehrt.
:Wir wollen an diese Stelle einige Worte Hilberts aus dessen Abhandlung über „Logik und Arithmetik“ setzen, die nach unserer Ansicht das Wesentliche sehr scharf wiedergeben. Hilbert sagt: „Man bezeichnet wohl die Arithmetik als einen Teil der Logik und setzt meist bei der Begründung der Arithmetik die hergebrachten logischen Grundbegriffe voraus. Allein bei aufmerksamer Betrachtung werden wir gewahr, daß bei der hergebrachten Darstellung der Gesetze der Logik gewisse arithmetische Grundbegriffe, z. B. der Begriff der Menge, zum Teil auch der Begriff der Zahl, insbesondere als Anzahl bereits zur Verwendung kommen. Wir geraten so in eine Zwickmühle und zur Vermeidung von Paradoxien ist daher eine teilweise gleichzeitige Entwicklung der Gesetze der Logik und der Arithmetik erforderlich.“
:Wir haben absichtlich nicht einen Intuitionisten oder Mystiker der Mathematik, sondern einen der strengsten und erfolgreichsten Logiker der Mathematik zitiert. Wir sind namlich der festen Überzeugung, daß sich diese unpolare und objektive Stellungnahme gegenüber der Rangordnung der beiden Wissenschaften Logik und Mathematik deshalb durchringen muß, weil die Verwischung oder Veranderung der Grenzen keiner der beiden Wissenschaften auf die Dauer Vorteile bringen kann. Und Wir sind Weiter der Überzeugung, daß die Geschichtsschreibung einer nicht allzufernen Zeit eine „Epoche“ konstatieren Wird, die mit dem Titel „Prioritatsstreit der Logik mit der Mathematik“ überschrieben werden könnte. Wobei „Priorität“ nicht zeitlich, sondern erkenntniskritisch gemeint ist.
:Noch einmal: es fällt uns nicht im geringsten ein, die Bemühungen um die logische Fundierung und Reinigung der Mathematik zu verkennen und zu verkleinern. Wer so dachte, dem lage die Wahrheit nicht am Herzen und er müßte als schlechter Mann verachtet Werden, der nicht bedenkt, was er vollbringt. Anderseits aber erscheint uns Wieder die heute sehr verbreitete Bestrebung, die Produktivität der Mathematik um jeden Preis zu verriegeln, und die Erzeugung des Wahnglaubens, es sei bereits alles „durchschaut“, als eine Versündigung am Geist, die scharfe Zurückweisung verdient. Aus solchem Sterilitatsaspekt heraus, der sich puritanisch gebärdet Wie irgendeine andere Beckmesserei der Weltgeschichte, Wird den „Meistersingern“ der Mathematik, vor allem den Stolzings, der Weg versperrt, auf dem allein nach allen Lehren der Mathematikgeschichte die Wissenschaft vorwärtskam. Es muß namlich -- und hier liegt die Gefahr--nicht jeder geniale Mathematiker durchaus a priori ein großer fachlich geschulter Logiker und Philosoph sein. Und es könnte geschehen, daß solche zukünftige Bahnbrecher gleichsam verzagt und kopfscheu Werden, wenn sie den Wust vor sich sehen, durch den sie angeblich schreiten müssen, oder aber wenn man ihnen von philosophischer Seite vorhalt, sie befanden sich in einem Zauberkreis, den sie nicht sprengen könnten.
:Unsere Ermahnung zu intensiverer historischer Einstellung gegenüber dieser Wahrscheinlich bald wieder vorübergehenden einseitigen Hyper-Logisierung der Mathematik, die in Wahrheit allem Anschein nach nichts ist als die Tragikomödie einer Mathematisierung der Logik, richtet sich auch nicht an die Fachleute, die ja sicherlich alle diese Tatbestände kennen und ihre eigenen Lehren durchaus nicht so einseitig meinen, wie sie von all denen aufgefaßt werden, die weder die Mathematik, noch die Logik, noch die Philosophie, noch auch die Kulturgeschichte hinreichend allgemein überblicken. Kurz zusammengefaßt: wir befinden uns seit der Grundlagenforschung der Mathematik und seit der Erfindung des Logikkalküls in einer äußerst spannungsreichen und interessanten Epoche der Mathematik und der Logik, die durch die Aufstellung der mehrwertigen Logiken und durch die Verbindung n-wertiger Logiken mit der Wahrscheinlichkeitstheorie, wie sie etwa durch Reichenbach erfolgte, an Problematik nicht gerade arm ist; wobei gleichwohl ein kühler Historiker der Mathematik mit einer gewissen Skepsis feststellen muß, daß diese Überkomplikationen den Befähigungsnachweis nach der produktiven Seite hin noch durchaus nicht erbracht haben.
:Wir wollen deshalb die strengen Bereiche der logisierten Mathematik und der mathematisierten Logik, die wir ja auch bloß streifen durften, verlassen und wollen uns am Schluß dieser Reise durch Zeiten und Räume der Frage zuwenden, welches übergeordnete, gemeinsame Merkmal wohl all den Bestrebungen der Jahrhunderte seit Leibniz, insbesondere dem neunzehnten und dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert, zukommen möge. Wir sind uns darüber klar, daß wir damit in gewissem Sinne den Boden der Tatsachen verlassen und die Regionen subjektiver Eindrücke betreten müssen. Wir werden uns aber gleichwohl bemühen, diese Eindrücke nicht zu Träumen oder zur Fabuliererei entarten zu lassen.
:Wenn wir also auf den langen und mühsamen Weg zurückblicken, den wir bisher miteinander gegangen sind, dann fällt uns eine merkwürdige Eigenschaft auf, die all den Entdeckungen der letzten hundertfünfzig Jahre mehr oder minder versteckt zugrundeliegt. Wir wollen sie vorläufig sehr angenähert als „Perspektive“, als „Ähnlichkeitsuntersuchung“ und als „Maßstabveränderung“ bezeichnen. Im innersten Wesen gehören alle drei Standpunkte irgendwie eng zusammen. Wir wollen es aber nicht bei der Andeutung größerer Zusammenhänge bewenden lassen, sondern unsere Vermutung im einzelnen durchführen.
:Daß sich die darstellende und die projektive Geometrie, weiters auch überhaupt jede Geometrie der Lage, mit allen dreien der oben erwahnten Begriffskategorien befaßt und befassen muß, ist einleuchtend und bedarf keiner weiteren Erörterung. Dieser Drang, alle Dinge unter anderen Gesichtswinkeln abzubilden, sie zu transformieren, um zu untersuchen, was dabei Bestand habe und was nicht, griff jedoch Weit über den engeren Bereich der darstellenden und der projektiven Geometrie hinaus und wurde etwa bezüglich der nichteuklidischen Geometrien zur unbedingten Verallgemeinerung des Begriffes einer Geometrie überhaupt. Dadurch auch entwickelte sich die Idee einer invarianten oder unempfindlichen Zone, die sämtlichen Geometrien gemeinsam ist und von manchen Autoren treffend die „absolute Geometrie“ neben den unendlich vielen möglichen, gleichsam relativen Geometrien genannt wird. Da nun aber seit Descartes ein Weitgehender Strukturparallelismus, wenn nicht gar eine Identitat von Geometrie und Algebra besteht, indem beide Teilreiche der Mathematik als nichts anderes betrachtet werden denn als untergeordnete Vasallenstaaten eines über beiden stehenden Reiches der reinen Formen,
::(<small>Wir gebrauchen den Ausdruck „Form“ in noch umfassenderem Sinn als die moderne Theorie, die unter „Form“ die linke Seite einer aufs Null gebrachten Gleichung versteht.</small>)
:war es sehr wenig verwunderlich, daß sich die Veranderung in den Anschauungen über die Geometrie sofort auch als eine Verfassungsänderung im Reiche der Algebra und der universellen Symbolik geltend machte. Auf dieser Linie liegen sämtliche epochalen Entdeckungen über Kongruenz im Sinne Gaußens und über Gruppen. Überall in diesen Ideengebäuden handelt es sich irgendwie um die Frage, was bei allerlei Verzerrungen, allerlei anderen Perspektiven und allerlei Substitutionen bzw. Transformationen erhalten oder invariant bleibt. Wir erinnern uns bei diesen vielfältigen Bemühungen um versteckte Zusammenhänge unwillkürlich an die „Koinzidenzen“ des Gusanus. Natürlich ist die Ähnlichkeit des scholastischen Begriffes der „Koinzidenz“ mit dem modernen Begriff der „StrukturInvarianz“ nur eine sehr ungefähre. Aber sie besteht trotzdem irgendwie in der psychologischen Richtung des Herantretens an die Probleme.
:Was, so fragen wir uns, ist nun der tiefste Sinn und die unterste Absicht all dieser perspektivischen Bemühungen? Ist es bloß das Bestreben, die Dinge aus verschiedensten Gesichtswinkeln zu erblicken, sie deutlicher oder allgemeiner zu machen? Sicherlich sind derartige Motive in diesem Forschungsziel auch mitenthalten. Sie sind aber unserer Ansicht nach nicht die primären Triebkräfte. Denn „Verallgemeinerung“ an sich wäre bloß eine extensive und durchaus keine intensive Bemühung. Man hätte dadurch letzten Endes das Feld der Forschung nur verbreitert, ohne den wirklichen Zusammenhängen näher an den Leib zu rücken. Im Gegenteil: man hätte sich -- und es schien zum Teil wirklich so - durch eine zügellose Verallgemeinerung sogar von der Möglichkeit entfernt, die Zusammenhänge zu durchschauen. Aber es schien nur oberflächlichen Betrachtern so. Denn die gleichzeitige Bemühung um Verallgemeinerung und Erkenntnis der Invarianz ist etwas grundlegend anderes als die Ausbreitung und Anhäufung des verallgemeinerten Materiales ohne die Korrektur der Invarianzuntersuchung. Wählen wir ein simples Beispiel: schon Diophant, wenn nicht manch noch früherer Arithmetiker, hat instinktmäßig gewußt, daß eine an sich unlösbare Gleichung sofort lösbar wird, wenn man, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, für die Unbekannte einfachere oder vielleicht auch manchmal kompliziertere Ausdrücke „substituiert“. Die Tätigkeit des Umformens, die wir etwa bei der Cardanoschen Lösung der kubischen Gleichungen in besonderer Deutlichkeit erfolgreich am Werke gesehen haben, ist jedoch nicht auf die Gleichungen beschränkt geblieben. In weit umfassenderer und noch viel weniger durchsichtiger Art trat sie bei der Auswertung (Lösung) von Integralen auf, bei denen sie zum großen Teil die Voraussetzung der Brauchbarkeit des ganzen Integral-Algorithmus wurde. Warum nun darf man das eine Mal substituieren, das andre Mal nicht? Warum führt die eine Art dieser Transformation bei gewissen Integralen sicher zum Ziel, während sie ein anderes Mal kläglich versagt? Was, wie und wo darf man transformieren? Wir sprechen dabei noch gar nicht von der theoretischen Physik, bei der solche Fragen gleichsam stündlich auftreten.
:Kurz, man mußte in all diese Probleme des Algorithmus irgendeine Klarheit hineinbringen, mußte die einzelnen Algorithmen gleichsam degradieren, mußte sie zu Teilalgorithmen machen, um die Möglichkeit und Richtigkeit der Übergänge von einem Formreich zum andren zu zeigen. Diesem Zwecke diente auch in hervorragendem Maße die Einführung der komplexen Zahlen. Wir haben wiederholt vom „Geisterreich“ der Mathematik gesprochen, haben die komplexen Gebilde mit platonischen Ideen verglichen und behauptet, sie seien in ihrer Vollkommenheit und Symmetrie die Urbilder aller anderen Zahlen, die manchmal so sehr verstümmelt, so sehr von „irdischen“ Mängeln und Gebrechen entstellt seien, daß man ihre wahren Eigenschaften überhaupt nicht mehr erkennen könne und dadurch zwangsläufig in Fehler verfalle, die nur dann vermeidbar seien, wenn man sich Rat im Geisterreich bei den Vorbildern hole. Auch diesen Methoden liegt ein perspektivischer, ein Abbildungsgedanke zugrunde. Man projiziert gleichsam das reelle Reich ins komplexe und das komplexe ins reelle und erkennt bei dieser Transformation, welche Eigenschaften erhalten bleiben und welche nicht. Und man ist imstande, im komplexen Gebiet Operationen allgemeinster Art durchzuführen, deren manchmal sehr begrenzte Spezialfälle hierauf die Operationen im reellen Reiche sind. Denken wir hier bloß an den Fundamentalsatz der Algebra, an die polygonale Anordnung der Wurzellösungen und an die mit dieser Polygoneigenschaft zusammenhängende Lehre von der Kreisteilung. Diese Kreisteilungslehre setzt sich Weiter in trigonometrischer, konstruktiver und gleichungstheoretischer Richtung fort und man ist, etwa in der Gruppentheorie, imstande, eine „Gruppe“ der Lösungen einer Gleichung ''n''-ten Grades zu bilden, die sich nun nach dem Algorithmus der Gruppentheorie zu anderen Gruppen, etwa Rest-Modulsystemen, in Beziehung setzen läßt. Oder denken wir an die Logarithmen, deren Eigenschaften zugleich erklärlicher, zugleich aber noch mystischer und noch „wundertätiger“ werden, wenn wir erfahren, daß im Geisterreich jeder Zahl unendlich viele Logarithmen zugeordnet sind. Solche „Geistereigenschaften“ treten auf der reellen „Erde“ plötzlich irgendwo unvermutet ans Tageslicht und sind ebenso undurchsichtig wie verheerend, wenn man die Urbilder nicht kennt.
:Es gibt aber noch ein weiteres Gebiet der Mathematik, das mit dieser „perspektivischen Weltanschauung“ zu tun hat, die wir als gemeinsames Symptom der Forschungen des neunzehnten Jahrhunderts ansprechen. Wir meinen den Begriff der Konvergenz. Rein optisch betrachtet, ist eine konvergente Reihe nichts andres als eine Skala, deren „Einheiten“ irgendwie perspektivisch liegen. Gewisse konvergente Reihen gleichen, bildlich gesprochen, einem Meßband, das sich in die Ferne verliert, so daß die „Einheiten“ sich mehr und mehr verkürzen, bis sie endlich an die Sky-line, an den Horizont des Grenzpunktes, bzw. komplex gesprochen, des Randes oder Konvergenzkreises stoßen. Aus solchen Überlegungen heraus verbinden sich auch sofort die nichteuklidischen Geometrien, die projektive Geometrie und die Konvergenzbetrachtungen zu einer neuen Über-Einheit von Gebieten. Derartige Standpunkte aber leiten weiter zu kosmologischen Betrachtungen, wie etwa zurAnsicht von der Geschlossenheit' und Endlichkeit des Universums über, da es sich ja dabei um nichts andres als um die Postulierung einer nichteuklidischen Struktur des Erfahrungsraumes h andelt. Aber selbst die Mengenlehre, die auf den ersten Blick mit ihrer aktualen Unendlichkeit den Gesetzen der Perspektive nicht zu folgen und abseits von diesen Aspekten ihren Weg zu schreiten scheint, ist durchaus in das „perspektivische Weltbild“ des neunzehnten und des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts eingegliedert. Die „punktweise Zuordnung“ der Mengen allein ist eine perspektivische Angelegenheit, und sämtliche Maßstabfragen der Koordinatengeometrie, die mit Punktmengen operiert, führen auf derartige Probleme zurück.
:Wir haben versucht, in kurzen Andeutungen zu zeigen, daß die ganze Mathematik der letzten hundertfünfzig Jahre, so vielfältig, verworren, esoterisch und andersgeartet sie auch erscheint, gleichwohl einen sehr deutlichen „Konvergenzpunkt“ besitzt, der alles eher denn ein unendlich ferner Punkt zu sein scheint. Irgendwie liegt die Tat des Jakobiners De Monge und seiner Schüler, die auf deutschem Boden dann ihren faustischen Aufwärtstrieb erhielt, als Schatten über dem Jahrhundert. Und wir vermuten, daß sich, rein historisch betrachtet, eine Synthese all dieser „perspektivischen“ Ansätze vorbereitet, die in irgendeine allgemeinste „Ähnlichkeitsmathematik“ münden wird. Dieser Mathematik gegenüber dürfte die „vor-Galoissche“ oder „vor-Gaußsche“ Mathematik als „Gleichheitsmathematik“ bezeichnet werden dürfen.
:Naturgemäß ist der einwandfreie und gesicherte Ausbau dieser Synthese, zu der im höchsten Maß sämtliche Vektorenbetrachtungen mit ihren Verschiebungen, Drehungen, Drehstreckungen und Drehkürzungen gehören, ohne gründlichste philosophische Kontrolle nicht möglich. An dieser Stelle und von diesem neuen Standpunkt aus ist die Mitarbeit der Logistik nicht nur interessant, sondern höchst ersprießlich, sofern sie sich ihrer kontrollierenden Aufgabe bewußt bleibt und nicht wähnt, die letzte Instanz eines vollendeten logisch-mathematischen Kosmos zu sein. Dieser letztere, durchaus magische Gedanke widerspricht, wie wir zu zeigen versuchten, den Tatsachen der Geschichte. Und widerspricht, wie man in unerschöpflicher Vielfalt zeigen könnte, auch dem tiefsten Instinkt zahlreicher erstrangiger Mathematiker.
:So sagt etwa Felix Klein auf Seite 51 seiner bereits erwähnten „Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert“ ungefahr, daß „Strenge“ der Mathematik ein aus der griechischen Antike stammendes Ideal sei, das die rein logische Ableitung der ganzen Mathematik aus einer möglichst beschränkten Anzahl an die Spitze gestellter Voraussetzungen beinhalte. „Hier möchte ich“, fährt Klein fort, „nun betonen, daß selbst bei einer idealen ,Strenge“ in diesem Sinne ein gewisses, anschauungsmäßiges, alogisches Element bei der Bildung der Grundlagen beteiligt bleibt.“ Und er sagt dann auf Seite 53 weiter: „Aus der Betrachtung der Geschichte unsrer Wissenschaft ergibt sich nämlich, daß „Strenge“ bei alledem etwas Relatives ist, eine Forderung, die sich mit der fortschreitenden Wissenschaft erst entwickelt. Es ist interessant, zu beobachten, wie in einer auf Strenge gerichteten Periode die Zeitgenossen jedesmal glauben, das Maximum in dieser Richtung geleistet zu haben, und wie dann noch eine spätere Generation in ihren Forderungen und Leistungen über sie hinwegschreitet. So wurde Euklid überholt, so Gauß, so Weierstraß. Es scheinen der Entwicklung in dieser Richtung so wenig Grenzen gesetzt zu sein, wie sie für die schöpferische Erfindungskraft existieren.“
:Diese Worte sind nicht etwa als Programm, sondern als Summe eines unendlich reichen Lebens gesprochen worden. Der damals mehr als sechzigjährige Klein hielt seine „Vorlesungen“ in den ersten Kriegsjahren, also zu einer Zeit, da alle Untersuchungen über die Grundlagen der Mathematik, an die man heute appelliert, bereits vorlagen. Kronecker, Frege, Hilbert, um nur wenige Namen zu nennen, waren Klein bereits genau bekannt, ebenso Poincaré, Couturat und andre.
:Wir halten somit diese Worte für durchaus mehr als ein geistreiches Aperçu. Und wir können und wollen uns nach unsrer Fahrt durch Raum und Zeit keinerlei Untergangs- oder Vollendungsbehauptung unterwerfen. Im Gegenteil: wie sich nach der Monadenlehre eines der Größten unsrer Wissenschaft, des großen Leibniz, ein Kosmos über den andren türmt, um schließlich in die Monade der Monaden, in Gott, zu münden, so scheinen, um die Worte Kleins abgekürzt zu wiederholen, weder der kritischen noch der produktiven Entwicklung unsrer herrlichen, wahrhaft königlichen Wissenschaft irgendwelche Grenzen des Höherbaues gesetzt zu sein.