Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 070c»

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:Mathematik von A bis Z (Teil 7)
 
 
== 22 ==
 
 
:'''Zweiundzwanzigstes Kapitel'''
:---
:'''Koordinaten'''
:---
:Wie wir es gewohnt sind, wollen wir uns, bevor wir Näheres besprechen, eine Verdeutlichungsmaschine konstruieren, die uns zuerst einige Begriffe der allgemeinsten Bewegungslehre, der Phoronomie, vermitteln soll. Diese Phoronomie ist heute, selbst dem Namen nach, fast in Vergessenheit geraten. Man spricht in ähnlichem Sinne von „Kinematik“, kennt in der Physik, der Mechanik zahlreiche Bewegungsgesetze, meint aber damit fast stets physikalische Bewegung, das heißt Bewegung eines körperlichen Etwas, auch wenn es nur ein ungreifbarer physischer „Massenpunkt“ ist.
:Uns interessiert aber das bewegte Etwas überhaupt nicht. Wir werden, obwohl derartiges in der „Wirklichkeit“ nicht möglich ist, soweit abstrahieren, daß wir nur die Bewegung als solche vor uns haben. Und wir operieren daher mit mathematischen Punkten, mit mathematischen, breitelosen Linien und allenfalls mit dickelosen Flächen. Also mit Gebilden, die man nur denken, aber nicht wahrnehmen kann. Daher auch das Groteske folgenden Scherzes: Ein Parvenü hat seinen Sohn als „Einjährigen“ zu einem vornehmen Regiment gesteckt. Der Sohn braucht Geld und da er keine Begründung mehr findet, den Pump anzulegen, schreibt er dem Vater, er habe beim Geschützexerzieren die „Visierlinie“ zerbrochen und müsse sie dem Ärar ersetzen. — Nun wäre solch eine „Visierlinie“ für uns ein Ideal. Denn sie ist eine wirkliche mathematische, körperlose Linie. Nämlich die Linie, die man sich aus dem visierenden Auge über Visier und Korn bis zum Ziel verlängert denkt. Sie hat also nur Länge und keine Breite. Und man kann sie dieser Ungreifbarkeit wegen auch „äußerst schwer“ zerbrechen.
:Dies alles aber nur zur Verdeutlichung, was wir meinen, wenn wir im folgenden unsere Punkte und Linien zeichnen. Wir geben ihnen symbolische Sichtbarkeit, dürfen aber nie vergessen, daß sie eigentlich unsichtbar sein sollen. Nun aber zu unserer „Maschine“. Wir nehmen ein gewöhnliches Reißbrett, bespannen es über und über mit einem Bogen Zeichenpapier und legen eine Reißschiene tief gegen den unteren Rand zu an. Hierauf ziehen wir von einem Ende des Reißbrettes zum anderen eine horizontale Linie. Und nun bitten wir einen Helfer, die Reißschiene ganz regellos nach oben zu schieben. Wir selbst aber ziehen mit gleichbleibender Geschwindigkeit einen Strich von links nach rechts:
 
 
 
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Fig. 30
 
 
 
:Zu unserem Erstaunen ist durchaus keine gerade Linie, sondern eine höchst unregelmäßige Zickzacklinie auf dem Papier entstanden, mit der wir eigentlich nichts anfangen können. Sie steigt nicht einmal stetig. An einer Stelle — es geschah, als unser Helfer die Reißschiene entgleiten ließ und sie daher zurückglitt — fällt unsere Linie sogar. Natürlich können wir das Experiment beliebig oft und in beliebiger Art wiederholen. Wir könnten auch mit dem „Helfer“ vereinbaren, im Hinaufschieben der Reißschiene entweder Gleichförmigkeit oder einen gewissen Rhythmus einzuhalten. Was sich dabei ergeben müßte, werden wir später entdecken.
:Jetzt wollen wir vorerst „phoronomisch“untersuchen, warum die merkwürdige Linie überhaupt entstanden ist. Und wir verdeutlichen uns, scharf analysierend, den Vorgang. Es ereigneten sich, das leuchtet ein, stets zwei zueinander senkrechte Bewegungen gleichzeitig. Nämlich mein gleichförmiges Weiterrücken des Bleistiftes nach rechts und das regellose Hinaufrücken der Reißschiene durch den Helfer nach oben. Und in jedem kleinsten Teilchen der Bewegung wurde der Bleistift zugleich nach rechts und nach oben geschoben. Und der Bleistift versuchte, wenn man so sagen darf, beiden Bewegungen zugleich gerecht zu werden. VVenn sich ein Eisenbahnzug durch einen Platzregen bewegt, dessen Regentropfen genau senkrecht hinunterfallen, dann erscheinen die Regentropfen an den Waggonfenstern nicht als senkrechte Nässespuren, sondern als schräge Linien. Und werden desto schräger, je schneller der Zug fährt. Sie versuchen eben auch, zwei aufeinander senkrechten Bewegungen zugleich zu folgen. Wir könnten uns einen winzigsten Teil einer derartigen Bewegung auch so vorstellen:
 
 
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Fig. 31
 
 
:Dieses sogenannte „Bewegungsparallelogramm“ bringt das Bestreben des Punktes '''P''' zum Ausdruck, beiden Bewegungen zugleich zu folgen. Dieses Bestreben ist auch erfolgreich. Denn bei '''P<sub>1</sub>''' hat der Punkt sowohl die waagrechte als die senkrechte Bewegungsforderung, die an ihn gestellt wurde, erfüllt: Er ist den befohlenen Weg nach rechts und nach oben gerückt.
:Jedoch gilt diese Art der Deutung nur annähernd, wenn nicht auch die Aufwärtsbewegung streng gleichförmig war. Das heißt, es kann als „Bahn“ des Punktes zwischen '''P''' und '''P<sub>1</sub>''' nur dann eine Gerade entstehen, wenn beide Bewegungen gleichförmig verliefen. Nun hatten wir bei unserer Maschine aber angenommen, die Aufwärtshewegung erfolge willkürlich und ungleichmäßig. Wir dürfen also unser „Bewegungsparallelogramm“ selbst für unser kleinstes Teilchen der Bewegung nur als annähernd gelten lassen. Denn in Wahrheit wäre auch die Bahn innerhalb des Parallelogramms irgendwie unregelmäßig. Etwa:
 
 
 
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Fig. 32
 
 
:Und ich könnte so kleine Teilchen wählen als ich wollte, so würde ich wegen des unregelmäßigen Aufwärtsschubs stets auf unregelmäßige „Bahnelemente“ stoßen.
:Wir müssen unsere „Analysis“ also anders anpacken. Der einzige Ausweg, bei Unregelmäßigkeit auch nur einer der beiden Bewegungen unregelmäßige Bahnen zu vermeiden, ist der Versuch, die Bahnlänge überhaupt auszuschalten und bloß einen längelosen Punkt der Bahn zu untersuchen. Und zwar einen beliebigen.
 
 
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Fig. 33
 
 
 
:Wir wählen den Punkt '''P''' auf dem Reißbrett, nachdem wir die Reißschiene abgehoben haben. In welcher Art ist dieser Punkt „phoronomisch“ an den beiden Bewegungen beteiligt? Sicherlich wurde er um die Länge ''x'' nach rechts geschoben, das heißt wir bewegten den Bleistift um die Länge ''x'' nach rechts. Die Höhe aber, die er durch den Aufwärtsschub erreichte, nennen wir ''y''.
:Nun hätten wir dieselbe Überlegung für jeden Punkt der „Bahn“anstellen und jedesmal die „Länge“ mit ''x'', die „Höhe“ oder „Breite“ mit ''y'' bezeichnen können. Jeder Punkt der Bahn ist also durch sein ''x'' und sein ''y'' eindeutig bestimmt. Die Werte für ''x'' und ''y'', die wir ja einfach messen können, sind dem betreffenden Punkt '''P''' zugeordnet, „koordiniert“. Und Leibniz prägte dafür den Ausdruck „Koordinaten“. Präzis gesagt, haben wir sogenannte „Punktkoordinaten“ bestimmt, weil wir einem Punkt gewisse für ihn charakteristische Lagewerte koordiniert, zugeordnet haben.
:Wir haben damit aber sehr wenig erreicht. Denn wir können ja nicht unendlich viele Punkte nach ''x'' und ''y'' abmessen und dadurch ihre Koordinaten bestimmen. Daß unsere Bahn aber aus unendlich vielen Punkten besteht, ist schon deshalb beinahe sicher, weil ja oberhalb jedes Punktes der Grundgeraden ein Punkt der Bahn liegt und weil wir weiters beim Ziehen der Linie nach rechts den Bleistift nicht absetzten. Nach unseren bisherigen Anschauungen ist aber eine solch stetige Linie aus mehrfach unendlich vielen Punkten zusammengesetzt. Arithmetisch könnte ich zudem behaupten, daß meine x-Linie, also die Grundlinie, überhaupt nichts anderes ist als die Linie der reellen Zahlen. Denn wir können ja das ''x'' an jeder Stelle von 0 ab wählen, also auch als Bruch oder als Irrationalzahl.
:Was uns fehlt, ist offensichtlich eine allgemeine Formel, nach der wir ''x'' und ''y'' bestimmen können. Nun wissen wir weiter, daß eine Formel, in der ''x'' und ''y'' vorkommen und unbekannt sind, nichts anderes ist als eine diophantische oder nichtdiophantische, jedoch gleichfalls unbestimmte Gleichung mit zwei Unbekannten. Wir haben es aber ganz gut in der Hand, etwa das jeweilige ''x'' insoweit bekannt zu machen, als wir es willkürlich wählen. Wenn ich aber willkürlich wählen darf und in das ''x'' einsetzen kann, was ich will, dann muß sich das richtige zugehörige ''y'' zwangsläufig ergeben, wenn die Formel stimmen soll.
:Wir sehen also plötzlich einen Weg. Und kennen sogar das Instrument, uns auf diesem Weg sicher zu bewegen. Es ist die Funktion! Denn bei der Funktion ergibt sich aus willkürlichem ''x'' zwangsläufig ein zugehöriges ''y''. Wie aber gewinnen wir diese Funktion, die die Eigenschaft haben soll, für jeden Punkt der „Bahn" zu gelten? Die Angelegenheit sieht sehr verzweifelt aus. Denn mein Naturverstand sagt mir, daß ich für eine gerade, ansteigende Bahn, für einen Kreis, meinetwegen noch für eine Ellipse eine Bahnfunktion finden werde, daß dies mir aber bei solch unregelmäßigen Zickzackbahnen kaum möglich sein wird. Nun gäbe es aber noch einen letzten Ausweg. Vielleicht kann man unsere unregelmäßige Bahn in einzelne Stücke zerlegen, die regelmäßiger sind. Und für jedes dieser Stücke eine eigene Funktion bilden. Wir verraten, daß alle Einwände und alle Vorschläge stichhältig sind. Gleichwohl ist der Begriff „regelmäßig" wohl ein sehr vager. Und außerdem ein Zirkel. Denn wir könnten das ganze Problem umdrehen und behaupten, daß wenn jeder „Bahn" eine Funktion entspricht, auch jeder Funktion eine „Bahn" entsprechen müsse. Auch das ist in groben Zügen richtig. Um jedoch unseren Ahnungen Gestalt zu verleihen, wollen wir uns weiteres wichtiges Handwerkszeug zu unserer „Analysis" oder „analytischen Geometrie" herbeischaffen.
:Zuerst erinnern wir an eine Bemerkung, die wir seinerzeit machten: daß nämlich die Funktion die faustische oder abendländische Zahl sei. Wie sollen wir das verstehen? Wir müssen uns dazu das Wesen der Funktion deutlicher ansehen. Wir erwähnten, daß man eine Funktion ganz allgemein <math> y=f(x) </math> schreibt und damit meint, daß das ''y'' irgendeiner Zusammenstellung aus x-Werten und Konstanten gleich sei. Auch einer eventuell sehr verwickelten. So ist die Gleichung
:<math> y = (2x+5) \cdot \frac{\sqrt{5x^3 - 19}}{x^5 - x^3 + 2} \cdot 25x^7 </math>
:ganz bestimmt eine Funktion, wenn auch eine höchst komplizierte. Und <math> y=5x+13 \cdot \sin x </math> ist auch eine Funktion. Das Wort Funktion ist nämlich nicht ganz eindeutig. Einmal versteht man darunter die ganze Gleichung, bei der man voraussetzt, daß man in das ''x'' willkürlich einsetzen soll. Das andere Mal wieder versteht man darunter direkt das ''y'' selbst, da ja dieses ''y'' gleichsam das Resultat der mit den ''x'' vorgenommenen Rechnungen ist. Wir könnten auch schreiben
:(Funktion von x) <math> =f(x)=5x+ 13 \sin x </math>
:oder noch deutlicher
:<math> y=f(x) </math>
:<math> y=5x+ 13 \sin x </math>
:------------------------------------
:<math> f(x)=5x+ 13 \sin x </math>.
:Natürlich ginge es auch folgendermaßen:
:<math> f(x)=y </math>
:<math> f(x) = 5x+ 13 \sin x </math>
:-------------------------------------
:<math> y =5x+ 13 \sin x </math>.
:Es wird durch Zusammenwerfen der verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Funktion“, das im Tiefsten doch wieder nur eine Bedeutung hat, viel gesündigt. Und der Anfänger wird dadurch verwirrt. Darum werden wir die Angelegenheit aus dem gröbsten Anfang ableiten. Nehmen wir etwa an, wir hätten eine Gleichung vor uns:
:<math> 15x^2+9x+3y= 12x-27 </math>.
:Hier kommen ''x'' und ''y'' vor. Das ''x'' außerdem noch in zwei verschiedenen Potenzen. Das ''y'' hat einen Koeffizienten, nämlich 3. Wenn wir mit dieser „Funktion“ arbeiten sollten, würden wir in Verlegenheit kommen. Auch unsere kunstvolle Maschine mit dem Zeiger würde versagen. Denn der Zeiger zeigt ''y'' und nicht ''3y'' an. Wir nennen auch eine solche Funktion „implizit“ (gleichsam „eingewickelt“) und müssen versuchen, sie für uns „auszuwickeln“, sie „explizit“ zu machen. Da wir bisher uns stets für das Ergebnis interessierten, wie groß ''y'' sei, müssen wir wohl das ''y'' in ähnlicher Art „isolieren“ wie seinerzeit das ''x'' bei den gewöhnlichen Gleichungen. Es ist ja im Wesen kaum etwas anderes. Wenn wir nämlich das Recht haben, für ''x'' irgendwelche Werte zu wählen, dann verwandeln wir ja eigentlich alle Größen, in denen ''x'' vorkommt, in Konstante. Und es bleibt als Unbekannte (gleichungstechnisch gesprochen) nur das ''y''. Wir lösen die Gleichung eben nach ''y'' auf, so wie wir eine Gleichung
:<math> 2x+5a=24+17b </math>
:in ganzen, konkreten Zahlen nach ''x'' auflösen können, wenn es uns erlaubt wird, für ''a'' und ''b'' beliebige Werte zu wählen. Etwa <math> a=2 </math>, <math> b=4 </math>. Dann wäre
:<math> 2x+(5 \cdot2)=24+(17 \cdot 4) </math> oder
:<math> 2x=24+ (17 \cdot 4) - (5 \cdot 2) </math>
:<math> 2x=82 </math>
:<math> x=41 </math>
:Der Funktionscharakter wird einer Gleichung allerdings erst erteilt, wenn wir in das ''x'' nicht nur einmal eine Zahl einsetzen dürfen, sondern stets und jede beliebige Zahl.
:Wir werden also jetzt, um leicht nach ''y'' auflösen zu können, unsere Funktion:
:<math> 15x^2 + 9x + 3y = 12x - 27 </math>
:zuerst „auswickeln“, sie „explizit“ machen.
:<math> 3y= 12x-27-9x-15x^2 </math>
:<math> 3y=3x- 15x^2 -27 </math>
:<math> y=x-5x^2-9 </math> oder, geordnet
:<math> y= - 5x^2+x-9 </math>.
:Nun können wir sagen, das ''y'' sei eine Funktion von ''x'', oder <math> y=f(x) </math>, wenn wir dazudenken, daß das ''x'' willkürlich gewählt werden darf. Für jede Wahl eines x-Wertes wird im allgemeinen ein anderes ''y'' entstehen. Und wir können natürlich unzählige solcher Ypsilons bestimmen. Wir wollen dies praktisch durchführen und hiezu eine kleine Tabelle anlegen:
:{| class="wikitable"
|-
! &nbsp;&nbsp;&nbsp;x&nbsp;&nbsp;&nbsp; !! &nbsp;&nbsp;&nbsp;y&nbsp;&nbsp;&nbsp; !! &nbsp;&nbsp;&nbsp;x&nbsp;&nbsp;&nbsp; !! &nbsp;&nbsp;&nbsp;y&nbsp;&nbsp;&nbsp; !! &nbsp;&nbsp;&nbsp;x&nbsp;&nbsp;&nbsp; !! &nbsp;&nbsp;&nbsp;y&nbsp;&nbsp;&nbsp;
|-
| 1 || -13 || <math> \textstyle \frac{1}{2} </math> || <math> \textstyle - \frac{39}{4} </math> || 0 || -9
|-
| 2 || -27 || <math> \textstyle \frac{2}{3} </math> || <math> \textstyle - \frac{95}{9} </math> || <math> \sqrt{2} </math> || -17,586...
|-
| 3 || -51 || <math> \textstyle \frac{1}{8} </math> || <math> \textstyle - \frac{573}{64} </math> || <math> \pi </math> || -55,2064...
|-
| 4 || -85 || <math> \textstyle \frac{4}{7} </math> || <math> \textstyle - \frac{493}{49} </math> || <math> \text{e} </math> || -43,227...
|}
 
:In der ersten Tabellenspalte haben wir einfache natürliche positive ganze Zahlen eingesetzt. In der zweiten gemeine Brüche. In der dritten Null und irrationale Zahlen. Stets hat sich uns für das ''y'' ein bestimmter Wert ergeben.
:Wenn wir nun weiter jedes ''x'' mit seinem zugehörigen ''y'' als Zahlpaar bezeichnen, erhielten wir soviele Zahlpaare, als wir x-Werte einsetzten.
:Damit haben wir aber noch nicht das erste Problem gelöst: wie man nämlich dazukommt, das ''y'' als „Zahl“als „faustische Zahl“, zu bezeichnen. Wir antworten, daß das ''y'' eine Art von vieldeutiger, beweglicher Zahl ist, die sich durch den Wert von ''x'' ergibt. Und zwar vom zugehörigen ''x''. Wenn dieses ''x'' auch willkürlich ist, kann das ''y'' aber gleichwohl nicht jeden Wert annehmen. Es ist ja durch die Art, in der das ''x'' auftritt, in bestimmte Schranken gewiesen. Und wird dadurch nicht irgendeine, sondern eine ganz bestimmte Zahlenfolge bilden, wie klein man auch die Zwischenräume zwischen den x-Werten wählt. Das ''y'' erhält eine zwangsläufige Form durch die Konstellation der ''x''. Es verändert sich abhängig, zwangsläufig. Und diese erzwungene „Zahlenfolge“ der y-Werte kann man in höherem Sinne als „faustische“, bewegliche Zahl auffassen. Ihr Abbild, phoronomisch betrachtet, ist aber unsere „Bahn“oder wie man sagt, eine „Kurve“, eine „Bildkurve der Funktion“.
:Nun liegen bei der Funktion weiters die Verhältnisse so, daß wir, wie schon angedeutet, alles umdrehen dürfen. Wir könnten ebensogut behaupten, eine Folge von Zahlpaaren sei eine Funktion. Aus dieser letzten Bemerkung ersehen wir, daß uns eine Funktion in dreierlei Art gegeben sein kann:
:1. Als implizite oder explizite Gleichung mit zwei Unbekannten. Etwa:
:<math> y= -5x^2+3x-9 </math>.
::(<small>Wir beschränken uns auf zwei Veränderliche!</small>)
:2. Als „Kurve“, zu der wir die Formel, die „Funktion“, erst suchen sollen.
:3. Als Tabelle von Zahlpaaren, die etwa aus der Beobachtung stammen. (Z.&nbsp;B. Zahl der monatlichen Gewitter bei bestimmter Durchschnittstemperatur des jeweiligen Monats.)
:Im zweiten Fall ist die „Funktion“ wie schon erwähnt, zu suchen. Im dritten Fall ist überhaupt erst festzustellen, ob ein funktionaler, gesetzmäßiger Zusammenhang vorliegt.
:Doch wir kommen mit all unseren tiefen Einsichten nicht weiter, wenn wir nicht „analytische“ Hilfsmittel heranziehen. Wir wollen uns also die Frage vorlegen, wie man eine gegebene Funktion in eine Bildkurve verwandelt- Die Frage, wie man eine Kurve in eine Funktion rückverwandelt, wird uns erst im letzten Kapitel beschäftigen. Ebenso die Frage, wie man aus Zahlpaaren eine Kurve gewinnt (Interpolationsproblem). Unsere Frage setzt, bevor wir sie rasch und einfach beantworten, noch eine Kleinigkeit voraus. Nämlich eine konventionelle Festsetzung des „Koordinatensystems“. Das wird uns wenig Schwierigkeiten machen, da wir mit Ähnlichem schon bei den imaginären Zahlen gearbeitet haben.
:Wir folgen also Descartes (Cartesius) und wählen ein sogenanntes rechtwinkliges, cartesisches oder orthogonales Koordinatensystem, in dem wir allerlei Namen und andere Ordnungsvoraussetzungen vereinbaren. Noch einmal: Wir vereinbaren unser System. Es ist durch nichts vor anderen möglichen Systemen prinzipiell ausgezeichnet als höchstens durch eine gewisse Einfachheit. Es sieht folgendermaßen aus (s. Fig. 34).
:Der Punkt 0 heißt Koordinatenursprungspunkt. Die x-Achse heißt die Abszissenachse oder Abszisse, die y-Achse die Ordinatenachse oder Ordinate. Beide Achsen zusammen „die Koordinaten“. Die „Quadranten“ sind gleichsam „Viertel“ einer unendlichen Ebene.
 
 
 
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Fig. 34
 
 
 
Und sind im Gegensinn der Drehung des Uhrzeigers numeriert. Was die darunter stehenden Vorzeichen bedeuten, wollen wir gleich einfacher erklären: Wir dürfen nämlich die Achsen auch beiläufig als zwei senkrecht gekreuzte reelle Zahlenlinien ansehen. Dadurch ergibt sich die Bedeutung der Vorzeichen zwanglos, wenn wir nur voraussetzen, daß die Minuszahlen der waagrechlen Linie links von der Null und bei der senkrechten Linie unterhalb der Null stehen. Wir sind auch jetzt ohne weiteres imstande, „Zahlenpaare“ richtig zu placieren. Jedes Zahlenpaar der Welt stellt sich im Koordinatensystem als Punkt dar, vorausgesetzt, daß es ein Paar reeller Zahlen ist. Denn wir haben beide Achsen reell gefordert. Die Placierung imaginärer und komplexer Zahlen haben wir schon früher gesehen. Imaginäre und komplexe Zahlpaare oder Zahlpaare imaginärer (komplexer) und reeller Werte sind in einer und derselben Ebene nicht zu placieren. Wir benötigen dazu zwei Ebenen und gelangen zur „konformen Abbildung“. Dieses Gebiet jedoch übersteigt bei weitem unseren Rahmen, da es in die höchste Mathematik gehört.
 
 
 
== 23 ==
 
 
:'''Dreiundzwanzigstes Kapitel'''
:---
:'''Analytische Geometrie'''
:---
:Das wiederholt eingestandene Ziel unseres Ehrgeizes bleibt für uns stets die Erschließung der Grundbegriffe der Unendlichkeitsanalysis; also der Disziplin, die im allgemeinen als „die höhere Mathematik“ bezeichnet wird. Und wir müssen uns bei jedem Schritt, den wir unternehmen, bewußt sein, daß wir ununterbrochen neues Vorbereitungsmaterial für diesen Zweck herbeischaffen. Wir vernachlässigen bis zu einem gewissen Grad das Einzelne, das an sich hochinteressant und wichtig wäre. Und wir bringen manches nur in gröbsten Umrissen oder in einer dem gewöhnlichen Unterricht fremden Beleuchtung. So etwa werden wir jetzt in recht lückenhafter und eigenwilliger Art „analytische“ oder Koordinatengeometrie treiben, obgleich gerade dieser Teil der Geometrie eine der Hauptvoraussetzungen der höheren Mathematik war und ist. Jetzt aber wollen wir nicht weiter ankündigen, sondern handeln.
:Wir legen uns zuerst die scheinbar abwegige Frage vor, welcher Bedingung beliebig gewählte Senkrechte auf einer Geraden genügen müssen, damit ihre Endpunkte durch eine Gerade verbunden werden können und verbunden werden müssen. Oder noch besser, wir stellen uns, wie dies in der Geometrie häufig geschieht, das Problem schon als gelöst vor und suchen aus der Lösung die „Bedingungen“ des Zustandekommens (s. Fig. 35).
 
 
 
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Fig. 35
 
 
:In den Punkten A bis K der „Geraden g“ seien Senkrechte errichtet, die genau so lang sind, daß ihre Endpunkte alle in einer „Geraden g<sub>1</sub>“ liegen. Die Senkrechten (Lote) heißen l<sub>0</sub> bis l<sub>9</sub> und sind in ganz willkürlichen Abstünden voneinander errichtet. Wollte ich etwa den Punkt A als Nullpunkt der Messung annehmen und irgendein Längenmaß wählen, dann kann ein oder der andere Fußpunkt eines Lotes auch auf einer „irrationalen“ Stelle ruhen. Es ist uns vereinbarungsgemäß gleichgültig. Nun wird jeder halbwegs geometrisch Begabte die „Bedingung“ sogleich aus der Figur ablesen können: Die Strecke AB, das Lot l<sub>1</sub> und der Abschnitt a<sub>1</sub> der geforderten Geraden g<sub>1</sub>, bilden ein Dreieck. Diesem Dreieck ist das Dreieck aus AC, l<sub>2</sub> und <math> (a_1+a_2) </math> ähnlich. Diesen beiden wieder das Dreieck aus AD, l<sub>3</sub> und <math> (a_1+a_2+a_3) </math> und so fort: bis das letzte ähnliche Dreieck aus AK, l<sub>9</sub> und <math> (a_1+a_2+ \dots +a_9) </math> gebildet ist. Es handelt sich dabei um rechtwinklige Dreiecke. Diese aber sind dann ähnlich, wenn etwa die beiden Katheten stets im gleichen Verhältnis zueinander stehen. Da nun aber die Ähnlichkeit der Dreiecke Voraussetzung für die Verbindungsmöglichkeit der Endpunkte unserer Senkrechten durch eine Gerade g<sub>1</sub> ist; und da weiters diese Ähnlichkeit ein fixes gleichbleibendes Verhältnis der Katheten zueinander voraussetzt, so ist die „Bedingung“für unsere Problemlösung eben dieses gleichbleibende Verhältnis.
:Da nun aber schließlich die Wahl der Abstände unserer LoLc von einem angenommenen Fixpunkt willkürlich ist, so müßte ich nur ein einziges Verhältnis zwischen Lot und Abstand festlegen, um den Verlauf der ganzen Geraden g<sub>1</sub> zu kennen. Ich könnte schreiben
::Abstand : Lot verhält sich wie m : n oder
::n mal Abstand = m mal Lot oder
::<math> Lot = \frac{\text{n mal Abstand} }{m} </math>
:Nun sieht unsere letzte Formulierung einer Funktion, und zwar einer ausgewickelten, zum Verwechseln ähnlich. Denn wenn ich das beliebige Lot gleich ''y'' und den beliebigen Abstand gleich ''x'' setze, so erhalte ich
:<math> \textstyle y = \frac{n}{m} x </math>.
:Nun können weitere ''m'' und ''n'', die einen Bruch bilden, durch Division auf ''k'' reduziert werden. So daß ich schließlich
:<math> y=kx </math>
:als allgemeine Bedingung dafür erhalte, daß alle Endpunkte jedes beliebigen, zu einem willkürlichen ''x'' gehörigen y-Wertes in einer Geraden liegen.
:Da eine Gerade durch zwei Punkte eindeutig bestimmt ist, wollen wir uns unsere „Gerade <sub>1</sub>“, der wir durch Wahl des <math> k=2 </math> einen konkreten Sinn geben, in ein rechtwinkliges Koordinatensystem hineinkonstruieren. Die zwei Punkte hätten einmal <math> x=3 </math>, das andere Mal <math> x=-2 </math> (s. Fig. 36).
:Da unsere Bedingung <math> y=kx </math> (bei <math> k=2 </math>) <math> y=2x </math> lautet, ist ''y'' für <math> x=(+3)</math> gleich <math> (+6) </math> und für <math> x=(-2) </math> gleich <math> (-4) </math>. Unsere Gerade geht durch den 0-Punkt des Koordinatensystems. Nun kann der Leser, am besten auf Millimeterpapier, für irgendein anderes ''x'' das zugehörige ''y'' suchen. Er wird finden, daß dessen Endpunkt stets in der Geraden liegt.
 
 
 
??
 
Fig. 36
 
 
:Wir haben also, wie man sagt, die „analytische Gleichung“ einer Geraden als eine Funktion der Form <math> y=kx </math> bestimmt. Beide Unbekannten stehen hier in der ersten Potenz. Weil aber die Gleichung einer Geraden stets die erste Potenz der Unbekannten verlangt, nennt man eine solche Gleichung (Funktion) eine lineare (von „linea“, die gerade Linie). Bevor wir weitergehen, noch ein Wort über den gemischten Gebrauch der Worte Funktion und Gleichung. Wir wollen das Dilemma kurz abtun. Und zwar dadurch, daß wir feststellen, jede Funktion sei eine Gleichung, weil sie formal als <math> y=f(x) </math> geschrieben wird. Jede Gleichung ist aber durchaus nicht eine Funktion. So ist <math> 5x^2+3x+9=27 </math> sicher eine Gleichung, keineswegs aber eine Funktion. Denn ich finde nur die eine Unbekannte ''x'' in ihr und kann weder von willkürlicher noch von zwangsläufiger Veränderlicher sprechen. Auch dieser Sprachwirrwarr macht Anfängern große Schwierigkeiten.
:Nun sind wir mit der Untersuchung der „Gleichung“ unserer Geraden, die eine „Funktion“ sein muß, um analytisch darstellbar zu sein, noch durchaus nicht fertig. Denn wir behaupten, daß auch
:<math> y=2x+3 </math>
:eine „lineare“ Funktion ist. Also eigentlich auch eine Gerade liefern müßte. Machen wir die Probe:
 
 
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Fig. 37
 
 
:Für <math> x=(+3) </math> erhalten wir als ''y'' den Wert 9, für <math> x=(-2) </math> ist <math> y=(-1) </math>. Die Gerade schneidet diesmal nicht den Nullpunkt des Koordinatensystems, sondern den Plusteil der Ordinatenachse bei (+3). Dies hätten wir auch rechnerisch feststellen können. Denn für <math> x=0 </math> erhalten wir <math> y=(+3) </math>. Wenn aber <math> x=0 </math> wird, heißt das analytisch nichts anderes, als daß ich einen Punkt der Ordinate suche, durch den unsere Gerade geht. Denn sie hat dort eben ein <math> x=0 </math>. Ebenso bedeutet <math> y=0 </math> den Schnittpunkt mit der Abszisse. Also <math> 0=2x+3 </math>, oder <math> 2x= -3 </math> oder <math> \textstyle x= - \frac{3}{2} </math>. Ein Blick überzeugt uns, daß tatsächlich die Gerade die x-Achse (Abszisse) im Punkt <math> \textstyle x= - \frac{3}{2} </math> schneidet. Unsere neue Rechen- und Denkmaschine entpuppt sich also wieder als ein besonderes Zauberwerk, noch zauberhafter dadurch, daß sie in magischer Art Geometrie mit Arithmetik verbindet. Wir werden diesen unheimlichen Zauber noch an viel verwickeiteren Beispielen bestaunen. Gleich eine Probe: Wir behaupteten, die allgemeine Form der „Geradengleichung“, abgeleitet aus Ähnlichkeitsüberlegungen, sei
:<math> y = \frac{n}{m} x </math>
:wobei <math> \frac{n}{m}</math> das Verhältnis des Lotes zum Abstand war. Nun sind aber Lot und Abstand „Katheten“. Folglich ist ihr Verhältnis eine der trigonometrischen Funktionen des Winkels <math> \alpha </math>.
 
 
??
 
Fig. 38
 
 
 
:Und zwar, nach unseren schon festgelegten Definitionen, die sogenannte Tangensfunktion. Da aber der Bruch <math> y = \frac{n}{m} x </math> stets „ausgerechnet“ werden kann, so ist in der Gleichung
:<math> y=kx </math>
:der „Koeffizient“ des ''x'' nichts anderes als der Wert für den „Tangens“ von <math> \alpha </math>. Also ist stets in einer ausgewickelten linearen Funktion der Form:
:<math> y=kx+c </math> (''c'' ist eine Konstante)
::(<small>Die additive Konstante ändert niemals die Winkelfunktion, wie man sich zeichnerisch aberzeugen kann. Sie verschiebt bloß die Gerade ohne Winkeländerung im Koordinatensystem.</small>)
:das k der Wert der Tangensfunktion des Winkels <math> \alpha </math>, das heißt des Winkels, den die Gerade beim Schnitt mit der Abszissenachsc bildet. Wenn uns aber der Tangens dieses Winkels bekannt ist, so ist uns auch der Winkel und damit die Neigung gegen die (durchwegs als positiv angenommene) Abszissenachse bekannt. Von diesen Überlegungen werden wir später noch Gebrauch machen.
:Nun ist aber unser analytischer Ehrgeiz gestiegen und wir wollen auch die Gleichung einer krummlinigen Figur, etwa des Kreises, ausfindig machen.
 
 
??
 
Fig. 39
 
 
 
:Wir wollen, kurz gesagt, eine Formel finden, die uns bei jedem ''x'' ein ''y'' liefert, dessen Endpunkt im Kreis liegt. Zuerst sehen wir, daß nur x-Werte sinnvoll sind, die sowohl nach der Plus- als nach der Minusseite die Größe des Halbmessers nicht übersteigen. Denn ein Lot im Punkte '''C''' wird niemals den Kreis treffen. Wie aber fassen wir unsere höchst heikle Aufgabe an? Vielleicht wieder durch ein „Verhältnis“. Denn wo wir auch immer ein ''x'' wählen, trifft das „Lot“ den Kreis an einem Punkt. Das war gefordert. Nun können wir diesen Punkt durch einen Halbmesser mit dem Kreismittelpunkt verbinden. Dadurch aber entstehen stets rechtwinklige Dreiecke, deren Hypotenuse in allen Fällen der Radius ist, während die Katheten stets der „Abstand“und das „Lot“ sind. Wenn ich also den Abstand wieder mit ''x'', das Lot mit ''y'' bezeichne und dazu noch den Halbmesser kenne oder zumindest als erkennbar annehme, gilt die Beziehung
:<math> r^2 = x^2 + y^2 </math> oder
:<math> y^2 = r^2 - x^2 </math> oder
:<math> y = \pm \sqrt{r^2 - x^2} </math>
:nach den Regeln des pythagoräischen Lehrsatzes. Daß ich dabei für ''y'' oft irrationale Werte erhalten werde, folgt aus der Lehre von den Wurzeln. Weiters errechne ich für jeden Fall eines ''x'' zwei Werte für ''y'', nämlich einen positiven und einen negativen, die allerdings dieselbe „absolute“ Größe haben. Ich könnte also schreiben:
:<math> |y| = | \sqrt{r^2 - x^2}| </math>
:Alles, was wir rein arithmetisch ableiten, ist richtig. Ein Blick auf die Figur belehrt uns, daß tatsächlich zu jedem ''x'' zwei y-Wertegehören. Und zwar ein ''y'' für die obere und ein ''y'' für die untere Kreishälfte. Beide aber haben denselben „absoluten“ Wert, dieselbe Länge und sind nur im Vorzeichen und damit in ihrer Lage im Koordinatensystem verschieden. Und wir erstaunen neuerlich über die Zauberkraft der Koordinatengeometrie. Denn es ist fast unbegreiflich für uns, daß sich die (uns aus den Regeln der Befehlsverknüpfung bekannte) Tatsache der Mehrwertigkeit einer Quadratwurzel sofort im Koordinatensystem geometrisch sinnvoll abbildet. Dieser, den Anfänger höchst beunruhigende, verblüffende Zusammenhang zwischen Arithmetik und Geometrie, diese Identität zweier weltverschiedener Zweige der Mathematik, ist wohl einer der größten Triumphe menschlichen Entdeckens. Und die Aufklärung dieses Zusammenhanges ist eine Aufgabe tiefer und schwieriger mathematischer und philosophischer Erörterungen, die unseren Rahmen weit überschreiten. Wir wollen uns daher auf die einfachste Erklärung zurückziehen. Und andeuten, daß wir ja eigentlich nicht Geometrie treiben, wenn wir Koordinaten verwenden. Wir benützen vielmehr zwei aufeinander senkrechte, nach Plus und Minus festgelegte Zahlenlinien. Und operieren sodann mit Zahlenpaaren aus diesen zwei Linien. Diese nehmen aber, in Form „symbolischer Abbildung“ den Charakter von Flächenpunkten an. Und unterliegen dann innerhalb der Fläche ebenso geometrischen Bedingungen, wie die Punkte in einer Zahlenlinie (wenn auch nur längenmäßig) der Geometrie gehorchen. Dies jedoch nur zur Anregung philosophisch veranlagter Leser, die in jedem guten Buch über analytische Geometrie alle Aufklärung finden können.
:Wir wollen unserer Koordinatengeometrie aber noch in anderer Art „auf den Zahn fühlen“. Und zwar dadurch, daß wir in schlauer Weise versuchen, mittels der Kreisgleichung eine quadratische Gleichung aufzulösen:
:<math> y = \sqrt{r^2 - x^2} </math>.
:So lautete die Kreisgleichung. Nun ist es natürlich ohne weiteres möglich, daß wir den Punkt oder die Punkte des Kreises untersuchen, bei denen <math> y=0 </math> ist. Vorher quadrieren wir aber die Gleichung noch auf beiden Seiten:
:<math> y^2 = r^2 - x^2 </math>.
:Wenn ''y'' gleich 0 sein soll, dann erhalten wir:
:<math> 0 = r^2 - x^2 </math> oder <math> x^2 = r^2 </math>.
:Folglich ist <math> x = \pm \sqrt{r^2} = \pm r </math>.
:Analytisch betrachtet sehen wir, daß bei <math> y=0</math>, also an den Stellen, an denen die Ordinatenhöhe gleich Null ist, der Kreis die Abszissenachse schneidet.
 
 
 
??
 
Fig. 40
 
 
:Es sind dies die Punkte ''P'' und ''Q''. Also hat auch hier wieder die analytische Geometrie sinnfällig die Mehrwertigkeit der Quadratwurzel zum Ausdruck gebracht.
:Wir verraten beiläufig, daß wir mit dieser Betrachtung eine höchst wichtige Sache angeschnitten haben. Man kann nämlich jede beliebige Gleichung mit einer Unbekannten so auffassen, als ob sie gleichsam das Überbleibsel einer Funktion wäre, bei der man das ''y'' gleich Null gesetzt hat. Hätten wir etwa die Gleichung
:<math> x^2-2x-15=0 </math>
:und machen aus ihr eine Funktion
:<math> y=x^2-2x-15 </math>,
:dann muß sich, rein zeichnerisch, das gesuchte ''x'' dort ergeben, wo die zur Funktion gehörige Bildkurve die Abszissenachsc schneidet. Nämlich an jenen Punkten dieser Bildkurve, bei denen ''y'' gleich ist Null. Würden wir die Kurve auf Millimeterpapier in ein Koordinatensystem zeichnen, so würden wir sehen, daß sie die x-Achse in den beiden Punkten <math> x=+5 </math> und <math> x=-3 </math> schneidet. Diese „graphische“ Methode der Gleichungslösung wird zur näherungsweisen Lösung von Gleichungen verwendet, die eine arithmetische Behandlung nicht mehr zulassen. Das sind solche, bei denen das ''x'' in höherer als der vierten Potenz vorkommt. Man setzt — kurz angedeutet — in das ''x'' allerlei Werte ein, zeichnet die Kurve und sieht, wo sie sich dem Schnitt mit der Abszissenachse nähert. Dort geht man in stets kleineren Schritten im Einsetzen des x-Wertes weiter, um das ''x'' möglichst genau zu treffen, bei dem <math> y=0 </math> wird. Man kann auch gleichsam diesen Punkt überschießen und hätte dann bei einer willkürlich angenommenen Kurve etwa das Bild:
 
??
 
Fig. 41
 
 
 
:Bei <math> x = 1 \frac{1}{2} </math> befindet sich die Kurve noch unterhalb der x-Achse. Bei <math> x = 1 \frac{5}{6} </math> schon oberhalb. Also muß das ''x'', bei dem <math> y=0 </math> wird, zwischen <math> 1 \frac{1}{2} </math> und <math> 1 \frac{5}{6} </math> liegen. Man kann nun innerhalb dieses Intervalls weiterprobieren, bis man den Wert möglichst genau trifft. Diese Methode heißt die „regula falsi“, die „Regel des Falschen“ und ist eine sogenannte Annäherungsmethode. Es wird zuerst absichtlich nach beiden Seiten Falsches versucht, um zu erkennen, wo das Richtige liegen kann.
:Wir dürfen auch hier nicht länger verweilen, da die Fülle des zu bewältigenden Stoffes stets größer wird, je weiter wir vordringen. Wir erwähnen nur, daß wir durch diese Art der Lösung von Gleichungen bemerken, daß es stets von der höchstvorkommenden Potenz des ''x'' abhängt, wie viele Schnittpunkte die Bildkurve mit der Abszissenachse hat. Eine „lineare“ Gleichung hat einen Schnittpunkt, eine quadratische zwei, eine kubische drei usw. Folglich hat auch jede Gleichung soviele „Lösungen“ für das ''x'', als die höchste Potenz des ''x'' anzeigt. Daß es dabei auch „imaginäre“ und „komplexe“ Schnittpunkte bzw. Lösungen gibt, soll bloß erwähnt werden.
:Aus praktischen Gründen wollen wir nur noch rasch die arithmetische Lösung der sogenannten gemischtquadratischen Gleichung nachtragen, die das ''x'' sowohl in der zweiten als in der ersten Potenz enthält. Also eine Gleichung der allgemeinen Form
:<math> x^2 \pm bx \pm c = 0 </math>.
:Wir wissen schon, daß <math> (a+b)^2 = a^2 +2ab + b^2 </math> ist. Diesen Satz wollen wir nun benützen. Wir wählen die Gleichung
:<math> x^2 + bx + c = 0 </math>
:und schaffen zuerst das ''c'' „hinüber“. Also:
:<math> x^2 + bx = -c </math>.
:Dann machen wir einen Kunstgriff. Wir ergänzen nämlich die „linke Seite“ zu einem vollständigen Quadrat. Und zwar dadurch, daß wir <math> \textstyle \frac{b^2}{4} </math> addieren. Denn
:<math> \textstyle (x + \frac{b}{2})^2 </math> muß gleich sein
:<math> \textstyle x^2 + bx + \frac{b^2}{4} </math>.
:Da wir aber auf der linken Seite <math> \textstyle \frac{b^2}{4} </math> addiert haben, müssen wir auch die rechte Seite der „Gleichungswaage“ mit demselben Übergewicht belasten. Also:
:<math> \textstyle x^2 + bx + \frac{b^2}{4} = -c + \frac{b^2}{4} </math>.
:Dann ist
:<math> \textstyle (x + \frac{b}{4})^2 = \frac{b^2}{4} - c </math>
:Wenn wir jetzt auf beiden Seiten die Quadratwurzel ziehen, erhalten wir:
:<math> \sqrt{(x + \frac{b}{2})^2} = \pm \sqrt{ \frac{b^2}{4} - c }</math>
:<math> x + \frac{b}{2} = \pm \sqrt{ \frac{b^2}{4} - c }</math> und schließlich
:<math> x = - \frac{b}{2} \pm \sqrt{ \frac{b^2}{4} - c } </math>
:Durch diese höchst wichtige Formel sind wir imstande, jede gemischtquadratische Gleichung zu lösen, vorausgesetzt, daß das <math> x^2 </math> isoliert ohne Koeffizienten in der Gleichung steht. Ist dies nicht der Fall, so muß die „Isolierung“ zuerst vorgenommen werden. Etwa:
:<math> 4x^2 + 7x - 57 = 0 </math>
:Zuerst wird das ''x'' vom Koeffizienten befreit. Und wir erhalten
:<math> x^2 + \frac{7}{4}x - \frac{57}{4} = 0 </math>
:Nun haben wir eine Gleichung, bei der dem ''b'' das <math> \frac{7}{4} </math> und dem ''c'' der Formel das <math> ( - \frac{57}{4}) </math> entspricht. Wir setzen ein
:<math> \textstyle x = - \frac{7}{8} \pm \sqrt{ \frac{49}{64} - (- \frac{57}{4}) } </math>
:<math> \textstyle x = - \frac{7}{8} \pm \sqrt{ \frac{49}{64} + \frac{57}{4} } </math>
:<math> \textstyle x = - \frac{7}{8} \pm \sqrt{ \frac{49+912}{64} } </math>
:<math> \textstyle x = - \frac{7}{8} \pm \sqrt{ \frac{961}{64} } </math>
:<math> \textstyle x = - \frac{7}{8} \pm \frac{31}{8} </math>
:x ist also entweder
:<math> \textstyle - \frac{7}{8} + \frac{31}{8} = \frac{24}{8} = 3 </math> oder
:<math> \textstyle - \frac{7}{8} - \frac{31}{8} = - \frac{38}{8} = - \frac{19}{4} = - 4 \frac{3}{4} </math>
:Eine Kurve, die die Gleichung <math> y=4x^2 + 7x - 57 </math> hätte, müßte die x-Achse in den Punkten <math> x=+3 </math> und <math> x = - 4 \frac{3}{4} </math> schneiden, was der Leser auf Millimeterpapier nachprüfen kann.
:Nun wollen wir unser Kapitel über Koordinaten, das uns wieder zu allerlei Exkursen verleitete, damit abschließen, daß wir feststellen:
::Jede Funktion der allgemeinen Form
:::<math> y=f(x) </math>
:ist als Bildkurve innerhalb eines Koordinatensystems darstellbar. Dabei ist der Ausdruck „Kurve“ so allgemein gefaßt, daß auch eine Gerade als Kurve gilt. Sie ist der „Grenzfall“ einer Kurve, ist eine Kurve ohne Krümmung. Diese Art, nicht dazugehörige Dinge zur Erhaltung eines einheitlichen Systems in den Oberbegriff einzubeziehen, ist uns von der nullten Potenz und dergleichen schon bekannt. Wir unterscheiden „Ordnungen“ der Kurven nach der Potenz des ''x''. So ist die Gerade eine Kurve erster, der Kreis eine Kurve zweiter Ordnung. Der zweiten Ordnung gehören alle Kegelschnitte, wie Kreis, Ellipse, Parabel, Hyperbel an. Kurven höherer Ordnung, etwa <math> y= x^3 + x^2 + 5x - 17 </math> heißen „Parabeln“ dritter Ordnung. Und höherer Ordnung, wenn das ''x'' in der vierten Potenz oder einer höheren Potenz auftritt.
<math> y=x^7 + 4x^3 + 7x - 49 </math> wäre eine „Parabel“ siebenter Ordnung.
:Nun gäbe es in der analytischen Geometrie viele lockende Aufgaben. Etwa Schnittpunkte zweier Kurven zu berechnen oder die Tangente an eine Kurve durch eine Gleichung auszudrücken usw. Wir müssen aber alle diese Probleme der „niederen“ analytischen Geometrie links liegen lassen, um zu den Problemen der „höheren“ Analysis aufzusteigen. Um diese Probleme aber zu erfassen, werden wir sie uns im nächsten Kapitel in aller Schärfe stellen und ihre geschichtliche Entwicklung in groben Umrissen verfolgen.
 
 
== 24 ==
 
 
:'''Vierundzwanzigstes Kapitel'''
:---
:'''Problem der Quadratur'''
:---
:Von der „Quadratur des Zirkels“ dürfte jeder Leser schon in irgendeinem Zusammenhang gehört haben. Ebenso darüber, daß diese Aufgabe unlösbar ist wie etwa die Konstruktion des „Perpetuum mobile“.
:Was ist eine solche „Quadratur“? Nun, eigentlich nichts anderes als eine Flächenmessung. Denn die Aufgabe fordert, einen Kreis (Zirkel=circulus) entweder in lauter Einheitsquadrate zu zerlegen, ihn als die Summe solcher Quadrate darzustellen, zu sagen, wieviel Quadrateinheiten (etwa Quadratmillimeter) er enthalte; oder aber, was prinzipiell dasselbe ist, ein Quadrat darzustellen, das denselben Flächeninhalt hat wie der Kreis. Daß diese Aufgabe unlösbar ist, wie klein ich auch die Maßquadrate wähle, hat eigentlich erst Lindemann in den Achtziger jähren des neunzehnten Jahrhunderts bewiesen, obgleich man es schon weit früher ahnte und z. B. aus Leibnizens Reihe ungefähr wußte. Die Zahl <math> \pi </math> ist also ein unendlichcr Dezimalbruch irrationaler Art und da die Kreisfläche sich stets als <math> r^2 \pi </math> darstellt, muß <math> r \cdot r \cdot \pi </math> auch eine Irrationalzahl sein. Eine solche Zahl ist aber niemals durch irgendwelche, zur Messung verwendeten Quadrate darstellbar, da ich diese Quadrate ja unendlich klein machen müßte, damit mir nicht ein Rest bliebe. Unendlich kleine Quadrate aber sind Punkte, und die Fläche des Kreises, in Punkten gemessen, gäbe eine unendliche Anzahl solcher „Quadrateinheiten“.
:Nun wußte aber schon der große Archimedes, daß es kompliziertere Gebilde als den Kreis gibt, deren Fläche durchaus nicht als Irrationalzahl sich darstellt. Es ist auch nicht einzusehen, warum eine krummlinig begrenzte Figur nicht zufällig inhaltsgleich sein könnte mit einer rationalen Zahl von Flächeneinheiten (Quadraten). Man kann dafür sogar einen höchst sinnfälligen „Beweis“ führen. Wenn man etwa aus einem durchaus gleichmäßig dicken Kartonblatt ein beliebiges Quadrat, etwa mit der Seite 1&nbsp;cm, ausschneidet und dieses Blättchen auf einer Präzisionswaage abwiegt und dafür angenommenermaßen ein rundes Gewicht, etwa <math> \textstyle \frac{1}{10} </math> Gramm erhält, dann muß es möglich sein, aus demselben Kartonblatt bei Anwendung peinlichster Sorgfalt eine beliebig krummlinig begrenzte Figur auszuschneiden, die etwa 3&nbsp;Gramm wiegt. Diese Figur hat aber dann unbedingt den Flächeninhalt 30 Quadratzentimeter. Von Irrationalität ist dabei keine Spur.
:Über solche Erwägungen hinaus gaben etwa die „Möndchen des Hippokrates aus Keos“ den Mathematikern Griechenlands schon viel zu denken. Ihre „Quadratur“ beruht auf einer Erweiterung des pythagoräischen Lehrsatzes. Es wurde nämlich, auch schon im Altertum, bewiesen, daß nicht nur die Summe der Quadrate über den Katheten gleich sei dem Quadrat über der Hypotenuse, sondern daß ganz allgemein die Flächensumme zweier ähnlicher, über den Katheten errichteter Figuren gleich sei einer ähnlichen Figur über der Hypotenuse. Nebenbei bemerkt liefert dieser erweiterte pythagoräische Lehrsatz einen ebenso einfachen als sinnfälligen Beweis für die „erweiterte Eselsbrücke“.
 
 
 
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Fig. 42
 
 
:Die Figur zeigt, daß sich das ganze rechtwinklige Dreieck durch eine Höhe h in zwei Teildreiecke zerlegen läßt, die einander ähnlich sein müssen, da ihre Winkel paarweise gleich sind. Man kann nun diese beiden Teildreiecke als ähnliche Figuren auffassen, die über den Katheten (hier allerdings nach innen) errichtet sind. Da nun weiter das ganze Dreieck den beiden Teildreiecken infolge Winkelgleichheit ebenfalls ähnlich ist und außerdem als „ähnliche Figur über der Hypotenuse“ aufgefaßt werden kann, ergibt sich die Richtigkeit des erweiterten pythagoräischen Satzes mit sinnfälligster Deutlichkeit. Denn die Summe der „Kathetendreiecke“ ist ja nichts anderes als das „Hypotenusendreieck“.
 
 
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Fig. 43
 
 
 
:Es ist außerdem nach dem erweiterten „Pythagoräer“ auch der Halbkreis über der Hypotenuse flächengleich der Summe aus den Halbkreisen über den Katheten. Denn Halbkreise sind untereinander stets ähnliche Figuren. Da sich aber der Halbkreis über der Hypotenuse in unserer Figur als Summe der Fläche des rechtwinkligen Dreiecks plus der Fläche der beiden weißen Segmente S<sub>1</sub> und S<sub>2</sub> darstellt, während die Halbkreise über den Katheten als Segment S<sub>1</sub> plus Möndchen M<sub>1</sub> bzw. Segment S<sub>2</sub> plus Möndchen M<sub>2</sub> in Erscheinung treten, muß nach dem erweiterten Pythagoräer die Gleichheit bestehen:
:Dreiecksfläche + S<sub>1</sub> + S<sub>2</sub> = (M<sub>1</sub> + S<sub>1</sub>) +(M<sub>2</sub> + S<sub>2</sub>) oder
:Dreiecksfläche + (S<sub>1</sub> + S<sub>2</sub>) = (M<sub>1</sub> + M<sub>2</sub>) + (S<sub>1</sub> + S<sub>2</sub>) oder
:Dreiecksfläche = (M<sub>1</sub> + M<sub>2</sub>) + (S<sub>1</sub> + S<sub>2</sub>) - (S<sub>1</sub> + S<sub>2</sub>) oder
:Dreiecksfläche = M<sub>1</sub> + M<sub>2</sub>
:Wir sehen zu unserem Erstaunen, daß es rein elementargeometrisch gelingt, die Summe der „Möndchen“ zu quadrieren. Denn die Dreiecksfläche kann jederzeit als irgendeine rationale Zahl angegeben oder ausgemessen werden. Die Möndchen aber sind allseitig krummlinig begrenzte Flächen, noch dazu von Kreisteilen eingeschlossen, so daß es nahe läge zu glauben, sie müßten irrationalen Flächeninhalt aufweisen. Es ist aber — und dafür gibt es keine Ableugnung — augenscheinlich das Gegenteil der Fall.
:Da man nun, wie erwähnt, ähnliche Dinge schon im klassischen Altertum wußte, glaubte man, die Kreisausmessung scheitere nur an der Mangelhaftigkeit der Methode. Dazu kam aber noch ein Umstand. Ins Körperliche übertragen, entspricht der „Quadratur“ die sogenannte „Kubatur“, die Darstellung eines körperlichen Gebildes in „Einheitswürfeln“. Nun wäre, grob gesagt, das Problem, ein Kilogramm Birnen abzuwiegen oder einen bauchigen Krug mit dem Inhalt von zwei Litern herzustellen, von vornherein unmöglich, wenn es keine „Kubatur“ krummlinig bzw. krumm flächig begrenzter Körper gäbe. Quadratur und Kubatur scheitern also nicht so sehr prinzipiell am Unregelmäßigen oder Gekrümmten der Fläche und des Raumgebildes, als vielmehr am Fehlen der Methode, die Flächen und Körper rechnerisch zu fassen. Ein Rechteck, ein Dreieck, eine Pyramide, ein Prisma, auch noch ein Trapez oder ein Oktaeder kann man quadrieren bzw. kubieren, wenn genügend „Bestimmungsstücke“ (Seiten oder Kanten) gegeben sind. Beim Kegel, beim Zylinder und der Kugel treten infolge des dort unvermeidlichen <math> \pi </math> schon Irrationalitäten auf. Ebenso etwa beim Rotationsellipsoid. Wie man aber den komplizierteren krummlinig oder krummflächig begrenzten Flächen und Körpern beikommen sollte (von deren einigen man sogar wußte, daß sie quadrierbar und kubierbar sein müssen, da man sich davon durch Wägung überzeugen konnte), bildete eines der größten Rätsel und brennendsten Probleme der Mathematik. Obgleich wir damit schon Gesagtes eigentlich wiederholen, versetze man sich in die Lage eines Mathematikers, dem folgende Frage vorgelegt wird: Ist es eine Kubatur oder nicht, wenn 25&nbsp;Kubikzentimeter Blei, die in genau gemessenen Würfelchen zu je 1&nbsp;cm<sup>3</sup> vor uns liegen, eingeschmolzen werden und man hierauf unter der Annahme, daß vom Blei nichts verloren ging, aus dem geschmolzenen Blei irgendeinen unregelmäßigen, krummflächig begrenzten „Kuchen“ gießt? Wenn man diesen Kuchen dann abwiegt und sich überzeugt, er habe das gleiche Gewicht mit den 25&nbsp;Würfelchen; und wenn man schließlich behauptet, der „Kuchen“ sei kubierbar? Er enthalte nämlich genau das Volumen von 25&nbsp;Kubikzentimeter. Darauf gibt es für den Mathematiker keine andere Antwort als das Einbekenntnis, die Mathematik sei unfähig, die Kubatur zu leisten. Außer auf Umwegen. Etwa, wie Archimedes das Goldvolumen der Krone des Königs Hieron von Syrakus dadurch bestimmte, daß er sie unter Wasser tauchte und die Menge des verdrängten Wassers maß, wodurch das berühmte „archimedische Prinzip“ entdeckt wurde.
:Wir wollen jedoch nicht weiter orakeln, sondern bekanntgeben, daß Jahrtausende des Nachdenkens, von den ältesten Zeiten bis auf Kepler, doch manches Licht in das Problem brachten. So hat Kepler im besonders ergiebigen Weinjahre 1624 in Oberösterreich tiefgründige Untersuchungen über die Weinfässer angestellt und dabei nicht nur ihre Kubatur erforscht, sondern zugleich das schwierigere Problem angefaßt, wie man Fässer von möglichst großem Inhalt bei kleinstem Holzvcrbrauch (das heißt geometrisch: bei kleinster Oberfläche) erzeugen könnte.
:Im siebzehnten Jahrhundert — es seien bloß Fermat, Cavalieri, Pascal, Gregorius a Sto. Vincentio, Wallis, Sluse, de Witt genannt — rückte man von allen Seiten dem Quadratur- und Kubaturproblem näher an den Leib und fand auch viel Gutes und Richtiges. Dabei bediente man sich zum Teil der Methoden des Archimedes, auf die hier noch nicht näher eingegangen werden kann. Volles Licht in die Zusammenhänge brachten allerdings erst Newton und Leibniz durch die Begründung der Infinitesimalgeometrie, der Unendlichkeitsanalysis.
:Deshalb wollen wir jetzt die historischen Erörterungen beschließen und versuchen, Schritt für Schritt, möglichst sinnfällig das Problem der Quadratur zu lösen. Wir verzichten dabei bewußt auf philosophische Feinheiten, die auch heute noch nicht restlos geklärt sind, und gehen die Angelegenheit in einer Weise an, die unserem Widersacher oft Gelegenheit geben wird, die Augen entsetzt zum Himmel zu richten. Wir sind aber der Ansicht, daß ein ungefähres Verständnis besser ist als überhaupt keines. Besonders, wo wir eigentlich nicht mehr verbrechen, als daß wir Anschauungen wiedergeben, wie sie im achtzehnten Jahrhundert selbst die größten Mathematiker nicht als falsch empfanden. Der ehrgeizigere Leser kann sich dann immer noch später in den Werken großer und strenger Virtuosen der Mathematik von unseren Ketzereien reinwaschen.
:Wir bemerken einleitend, daß das Quadraturproblem
::(<small>Das durchaus ähnliche Problem der Kubatur vernachlässigen wir, da wir nur „analytische Geometrie der Ebene“ voraussetzen.</small>)
:in großer Allgemeinheit erst zugänglich wurde, als einmal die Koordinatengeometrie begründet war. Also im Wesen nach Dcscartes. Und wir setzen es uns jetzt in den Kopf, den Flächeninhalt irgendeiner Fläche zu berechnen, die keineswegs überall geradlinig begrenzt ist. Etwa der Fläche OBC.
 
 
 
 
??
 
Fig. 44
 
 
 
 
:Die Kurve ''K'' ist durchaus nicht das Stück eines Kreises. Sie ist irgendeine Kurve, allerdings eine, deren „Gleichung“ wir zufällig kennen. Diese Gleichung sei <math> y=f(x) </math>, das heißt, jedes ''y'' ist für jedes ''x'' dadurch errechenbar, daß ich in die ''x'' den konkreten Wert für ''x'' einsetze. Wir schreiben absichtlich keine komplizierte Funktion hin, um später leichter rechnen zu können. Es ist aber vorausgesetzt, daß <math> f(x) </math> irgendein verwickelter Ausdruck ist, bestehend aus einer Zusammenstellung von x-Potenzen mit Koeffizienten und von konstanten Größen.
 
 
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Fig. 44
 
 
 
:<math> f(x) </math> heißt also irgendein aus x-Potenzen und Konstanten bestehender Ausdruck, dessen nähere Einzelheiten mich momentan nicht interessieren.
:Vielleicht stört den Anfänger diese erweiterte Allgemeinheit. Wir wollen ja jetzt nicht einmal mehr mil allgemeinen Zahlen, sondern mit noch höheren Einheiten, nämlich mit „faustischen Zahlen“oder Funktionen rechnen. Deshalb erläutern wir den Vorgang noch einmal kurz:
:<math> y=f(x) </math> wäre etwa <math> y = \frac{x^2}{5} + 3 </math>.
:Natürlich könnte es ebensogut <math> y = 3x^2 + 4x +9 9 </math> oder noch etwas anderes sein. Etwa <math> \textstyle y = 2 \sqrt{y^4 - 1} (\frac{2}{x} + 17) </math>.
:Gemeinsam ist all diesen Möglichkeiten die Form <math> y=f(x) </math>. Das heißt, in allen Fällen ist vorausgesetzt, daß der x-Wert willkürlich gewählt werden kann und sich dann ''y'' daraus zwangsläufig ergibt. Daher ist es arithmetisch auch dasselbe, ob wir ''y'' oder <math> f(x) </math> sagen. Beide Größen sind einander ja gleich und sind geometrisch nichts anderes als Ordinaten. Die „faustische Zahl“ ist also nichts anderes als eine Ordinate, die aus dem jeweiligen Punkt ''x'' der Abszissenachse gezogen wird. Die „Kopfpunkte“ aller Ordinaten aber bilden die „Kurve“.
:Noch eine kleine Zwischenbemerkung, bevor wir die „Quadratur“ entdecken gehen. Real gesprochen, heißt „Funktion“ die Tatsache, daß eine Größe gesetzmäßig von einer anderen abhängt Jedes Kind weiß, daß sieh Gegenstände durch Erwärmung ausdehnen. Auf dieser physikalischen Erfahrung beruht ja das Quecksilberthermometer. Ich darf nun sagen daß die Ausdehnung eine Funktion der Temperatur sei. Solche Beispiele lassen sich zu Tausenden ersinnen. Die zurückgelegte Strecke bei einer Reise ist eine „Funktion“ der Reisegeschwindigkeit. Die Schnelligkeit des Falls von Körpern ist eine Funktion der Anziehungskraft der Erde, die Größe des Menschen eine Funktion des Alters. Auch die Güte des Weines und Gorgonzolakäses kann eine Funktion des Alters sein.
:Da aber etwa auch der Flächeninhalt eines Kreises vom Radius abhängt, so ist die Kreisfläche eine Funktion des Radius. Als weiteres Beispiel noch eine Betrachtung aus dem Alltagsleben: Jeder versierte Raucher weiß, daß Zigaretten milder schmecken, wenn sie dicker sind. Derselbe Tabak in einer dünneren Hülse schmeckt schärfer als in einer Hülse größeren Durchmessers. Wie läßt sich das erklären? Nun, sehr einfach. Die Papiermenge wächst bei größerer Zigarettendicke in „linearem“ Maßstab. <math> \text{Umfang} = 2 r \pi </math>. Ist ''r'' etwa 5&nbsp;mm,dann bekommt man den Rauch von (<math> 2 \cdot 5 \cdot 3 \cdot 14 </math>)&nbsp;mm, also etwa 31,4&nbsp;mm Papier zu schlucken.
:Wird r&nbsp;=&nbsp;10&nbsp;mm, dann verbrennt ein Papierumfang von (<math> 2 \cdot 10 \cdot 3 \cdot 14 </math>)&nbsp;mm, also 62,8...&nbsp;mm. Die Tabakfläche, die brennt, ist dagegen durch <math> F = r^2 \pi </math> ausgedrückt. Bei r=5 mm ist sie (<math> 25 \cdot 3 \cdot 14 \dots </math>)&nbsp;mm =&nbsp;78,5...&nbsp;mm<sup>2</sup>, bei r=10 dagegen (<math> 100 \cdot 3 \cdot 14 \dots </math>)&nbsp;mm =&nbsp;314,1...&nbsp;mm<sup>2</sup>.
:Nun die Nutzanwendung: Die „Milde“ ist eine quadratische Funktion von ''r'', die „Schärfe“ eine bloß lineare. Wollte ich die „Bildkurve“ zeichnen, würde ich sehen, daß die „Milde“ ungleich rascher steigt als die „Schärfe“.
::(<small>Die „Milde“ steigt in einer Parabel, die „Schärfe“ in einer geraden Linie.</small>)
:Deshalb sind eben dickere Zigaretten bei Materialgleichheit milder als dünnere.
:Zum Abschluß ein parodoxes Beispiel, das wir dem ausgezeichneten Buch von Georg Scheffers entnehmen. Es sei um den Äquator ein eiserner, genau anpassender Ring gelegt, der aus lauter Teilstücken zu je einem Meter besteht. Die Erde ist als geometrisch ideale, glatte Kugel angenommen. Wieweit, fragen wir, wird der Ring sich lockern, wieweit wird er ringsherum um die Erde abstehen, wenn ich an irgendeiner Stelle ein Meterslück einfüge. Jeder wird nach dem „Hausverstand“ antworten, daß man die Lockerung über haupt nicht bemerken wird. Ein Abstand von der Erde wird sicherlich nirgends sichtbar sein, da er höchstens einige Milliontel von Millimetern betragen könnte. Nun, so billig ist die Sache keineswegs. Unser Beispiel wird uns nicht bloß von der Unverläßlichkeit des „Hausverstandes“ sondern auch von der wunderbaren Eindeutigkeit der Mathematik überzeugen.
:Wir schließen folgendermaßen: Der ursprüngliche Kreis hat den Umfang <math> 2r \pi </math>. Folglich ist der Radius <math> \textstyle \frac{2r \pi}{2 \pi} </math>. Der um das Meterstück erweiterte Kreis hat den Umfang <math> (2r \pi + 1) </math>, folglich den Radius <math> \textstyle \frac{2r \pi + 1}{2 \pi} </math>, da jeder Radius nach der Formel <math> \textstyle \frac{\text{Umfang}}{2 \pi} </math> zu berechnen ist. Nun subtrahieren wir den kleineren vom größeren Radius, wodurch wir den Abstand des neuen Kreisringes von der Erde erhalten müssen. Also
:<math> \textstyle \frac{2r \pi + 1}{2 \pi} - \frac{2r \pi}{2 \pi} =</math><math> \text{Abstand} =</math><math> A </math>
:<math> \textstyle \frac{2r \pi}{2 \pi} + \frac{1}{2 \pi} - \frac{2r \pi}{2 \pi} = A </math>
:<math> \textstyle A = \text{Abstand} = \frac{1}{2 \pi} </math>
:Da wir Metermaß verwendeten,ist <math> 1 : 2 \pi = 1 m : 6{,}283 \dots </math>, was 15,92...&nbsp;cm oder rund 16&nbsp;cm ergibt. Wahrhaftig, ein verblüffendes Resultat! Der Kreisring um die Erde wird also durch Hinzufügung eines einzigen Meters zu den restlichen 40.000 Kilometern überall um 16 cm von der Erde abgerückt. Der Mathematiker allerdings wundert sich nicht. Denn er sieht aus der Beziehung
:<math> \textstyle A = \frac{1}{2 \pi} </math>
:daß der Abstand nur von <math> \pi </math> abhängt, also von einer Größe, die mit dem jeweiligen Radius nichts zu tun hat. Er würde schreiben
:<math> y = A = f( \pi) </math>
:und damit zum Ausdruck bringen, daß der Abstand bei Einfügung eines neuen Kreisstückes stets um das gleiche wachst, ob es sich nun um den Äquator, einen Fingerring oder um die als kreisförmig angenommene Neptunbahn handelt. Stets ist allgemein
:<math> \textstyle y = \frac{\text{St}}{2 \pi} </math> wobei ''St'' das eingefügte Stück bedeutet. Füge ich gar etwa einen ganzen Kreisumfang ein, also <math> 2r \pi </math>, dann erhalte ich
:<math> \textstyle y = \frac{2r \pi}{2 \pi} = r </math>
:was nichts anderes sagt, als daß bei einem Kreis von doppeltem Umfang auch der Radius aufs Doppelte wächst. Das aber wissen wir schon vom „Zigarettenbeispiel“, allerdings in umgekehrter Weise.
:Für „Naturverständler“ will ich nur beifügen, daß ja 16&nbsp;cm auch im Verhältnis zum Erdradius im selben Verhältnis so wenig bedeuten wie der Meter zum Erdäquator. Wenn man das gehörig erfaßt hat, wird man wissen <math> 16 cm : \text{Erdradius} = 1 m : \text{Erdumfang} </math>
:und wird befriedigt sein.
:Jetzt aber, wieder um ein Stück gebildeter und elastischer, müssen wir uns der Quadratur zuwenden. Wir legten uns schon früher die Aufgabe vor, ein Flächenstück zu berechnen, das etwa durch eine uns bekannte Kurve mit der Gleichung <math> y=f(x) </math>, der Abszissenachse und durch zwei Ordinaten <math> y_1 </math> und <math> y_9 </math> begrenzt wäre (s. Fig. 45).
:Es ist aus der Figur ersichtlich, daß unsere gesuchte Fläche zwischen der Summe aller senkrechten Flächenstreifen (Rechtecke) liegen wird, bei denen die schraffierten kleinen Rcchtccke nicht mitgezählt sind und zwischen der Summe aller Streifen, bei denen diese schraffierten Rechtecke mitgezählt sind. Wäre keine Kurve, sondern eine Gerade vorhanden, dann hätte ich leichtes Spiel. Denn danil wäre jedes der schraffierten Rechtecke halbiert und ich könnte alles sehr einfach berechnen. Da wir aber nun gerade eine Kurve zur Grundlage der Quadratur benutzen wollen, müssen wir weiter forschen.
 
 
 
??
 
Fig. 45
 
:Wie groß ist einmal die Summe der sogenannten „der Kurve einbeschricbenen“ Streifen. Wir haben die Streifen numeriert:
:Streifen I&nbsp;&nbsp;&nbsp;ist <math> (x_2 - x_1) \cdot y_1 </math>
:Streifen II&nbsp;&nbsp;ist <math> (x_3 - x_2) -\cdot y_2 </math>
:Streifen III ist <math> (x_4 - x_3) \cdot y_3 </math>
:usw. bis
:Streifen VIII ist <math> (x_9 - x_8) \cdot y_8 </math>.
:Da nun aber weiter <math> (x_2 - x_1) </math> gleich ist <math> (x_3 - x_2) </math> usw., da ja die ''x'' um gleiche Betrage nach rechts rücken, nennen wir diese Differenzen, die alle gleich sind, einfach <math> \Delta x </math>. Somit ist die Summe der einbeschriebenen Streifen
:<math> S_e = y_1 \Delta x + y_2 \Delta x + y_3 \Delta x +</math><math> y_4 \Delta x +</math><math> y_5 \Delta x +</math><math> y_6 \Delta x +</math><math> y_7 \Delta x +</math><math> y_8 \Delta x </math>
:Die Summe der umbeschriebenen Streifen, deren jeweilige Höhe naturgemäß größer ist als die der einbeschriebenen, da ja noch die kleinen geschrafften Rechtecke dazukommen, ist laut Figur:
:<math> S_u = y_2 \Delta x + y_3 \Delta x + y_4 \Delta x +</math><math> y_5 \Delta x +</math><math> y_6 \Delta x +</math><math> y_7 \Delta x +</math><math> y_8 \Delta x +</math><math> y_9 \Delta x </math>
:Wenn wir uns nun erinnern, daß man solche Summen mit dem Summenbefehl schreiben kann, dürfen wir die erste Summe
:<math> S_e = \sum_{\nu=1}^8 y_{\nu} \Delta x </math> und die zweite Summe <math> S_u = \sum_{\varrho=2}^9 y_{\varrho} \Delta x </math> setzen.
:Weiters dürfen nach dem distributiven Gesetz die Faktoren, die bei allen Summanden vorkommen, vor das Summenzeichen gestellt werden.
:Ich darf also <math> \Delta x \sum_{\nu=1}^8 y_{\nu} </math> und <math> \Delta x \sum_{\varrho=2}^9 y_{\varrho} </math> schreiben.
:Wenn wir weiters die gesuchte richtige, von der Kurve begrenzte Fläche mit ''F'' bezeichnen, dann wissen wir, daß
:<math> \Delta x \sum_{\nu=1}^8 y_{\nu} < F < \Delta x \sum_{\varrho=2}^9 y_{\varrho} </math>
:was nichts anderes ist, als die mathematische Formulierung dafür, daß die von der Kurve begrenzte Fläche zwischen der Summe der einbeschriebenen und der umbeschriebenen Flächenstreifen liegt.
:Man könnte sich nun der großen Mühe unterziehen, mit Hilfe der bekannten Gleichung <math> y=f(x) </math>, die y-Werte für alle x-Werte wirklich auszurechnen. Dadurch erhielte man sowohl die Fläche der einbeschriebenen als der umbeschriebenen Rechtecke und wüßte, daß die gesuchte „Quadratur“ irgendwo zwischen diesen Werten liegt. Machen wir nun das <math> \Delta x </math> kleiner und kleiner, die Flächenstreifen also schmaler, dann wird der Zwischenraum zwischen der „Innensumme“ und der „Außensumme“ der Streifen, wie man leicht aus einer entsprechenden Zeichnung sehen könnte, stets kleiner werden. Wenn man nach dieser Methode, die uns die Wirklichkeit stets besser erschöpft (daher Exhaustionsmethode von exhaurire = ausschöpfen), fortfährt, kommt man schließlich zu ganz guten angenäherten Ergebnissen. Allerdings ist die Arbeit ungeheuer groß und das Resultat, wie erwähnt, nur angenähert. Man stelle sich etwa vor, die Parabel <math> \textstyle y = \frac{x^2}{5} + 3 </math> für den Bereich von <math> x_1 = 5 </math> und <math> x_1000 = 10 </math> zu „erschöpfen“. Man müßte zuerst feststellen, wie groß <math> \Delta x </math> ist. Da ich zwischen <math> x = 5 </math> und <math> x = 10 </math> nicht weniger als 999 Flächenstreifen legen soll, wäre <math> \textstyle \Delta x = \frac{10-5}{999} = \frac{5}{999}</math>. Nun müßte ich Schritt für Schritt tausendmal das ''y'' berechnen. Also für
:<math> \begin{align}
\textstyle x_1 = 5 & y_1 = \textstyle \frac{25}{5} + 3 = 8 \\
\textstyle x_2 = 5 + \frac{5}{999} & y_2 = \textstyle \frac{({5 + \frac{5}{999})}^2}{5} + 3 \\
\textstyle x_3 = 5 + \frac{10}{999} & y_2 = \textstyle \frac{({5 + \frac{10}{999})}^2}{5} + 3
\end{align} </math>
:usw.
:Dann müßte ich weiters sämtliche einbeschriebenen und sämtliche umbeschriebenen Flächenstreifen berechnen. Also:
:einbeschriebener Streifen l <math> \textstyle = y_1 \Delta x = 8 \cdot \frac{5}{999} = \frac{40}{999} </math>
:einbeschriebener Streifen 2 <math> \textstyle = y_2 \Delta x = [\frac{({5 + \frac{5}{999})}^2}{5} + 3] \cdot \frac{5}{999} </math>
:usw.
:umbeschriebener Streifen 1 <math> \textstyle = y_2 \Delta x = [\frac{({5 + \frac{5}{999})}^2}{5} + 3] \cdot \frac{5}{999} </math>
:umbeschriebener Streifen 2 <math> \textstyle = y_3 \Delta x = [\frac{({5 + \frac{10}{999})}^2}{5} + 3] \cdot \frac{5}{999} </math>
:Wenn man nun auch 1000 Streifen statt 999 hätte wählen können, um die Rechnung zu vereinfachen und wenn auch weiters jeder nächstfolgende um beschriebene dem vorhergegangenen einbeschriebenen Streifen gleich ist, sieht man doch, daß schon eine so einfache Funktion wie
:<math> \textstyle y = \frac{x^2}{5} + 3 </math>
:geradezu unerhörte Schwierigkeiten macht und daß man außerdem nur erst ein angenähertes Ergebnis dadurch erhält.
:Man sieht aber noch etwas anderes: daß nämlich die Genauigkeit zunehmend wächst, in je mehr Streifen wir die Fläche zerlegen. Wenn wir also das <math> \Delta x </math> so klein als möglich wählen dürften, wenn wir aus <math> \Delta x </math> das ''dx'', das eben noch „hinschwindend“ eine Größe besitzt, zur Grundlinie der Flächenstreifen machen könnten, dann würden wir eine genaue Quadratur erhalten. Dazu aber müßten wir unendlich viele ''y'' berechnen, denn jede Länge des ''x'' bestellt aus unendlich vielen ''dx''. Wir fordern also zur Quadratur eine Operation, die es erlaubt, die Summe aller, innerhalb eines Bereiches von <math> x_1 </math> bis <math> x_n </math> gelegenen bzw. von diesen Fußpunkten aufragenden Ordinaten mit ''dx'' zu multiplizieren. Der große Cavalieri schrieb daher das Quadraturproblem als „Summa omnium y“ („Summe aller y“). Und Leibniz notierte auf jenem welthistorischen Zettel am 29.&nbsp;Oktober 1676 die Worte: „Es wird nützlich sein, von nun an statt ,summa omnium y‘ des Cavalieri das Zeichen <math> \int y \; dx </math> zu schreiben...“
:Wir sind damit eigentlich auf dem Gipfel unseres Buches angelangt. Leibniz behauptet, es sei nützlich, statt des „Summa omnium y“-Befehls einfach den Integralbefehl <math> \int y \; dx </math> zu erteilen.
::(<small>Das Wort Integral wurde von [[:de:w:Jakob I. Bernoulli|Jakob Bernoulli]] geprägt und mit Leibniz einverständlich als Bezeichnung des neuen Algorithmus <math> \int y \; dx </math> festgesetzt.</small>)
:Ist das nicht bloß eine Wortspielerei? Oder steckt doch mehr dahinter? Etwa wieder eine „wahre Kabbala“?
:Das müssen wir jetzt Schritt für Schritt untersuchen. Auf jeden Fall wissen wir schon, was von uns verlangt wird. Wir wollen es noch verdeutlichen. Wie beim Summenzeichen werden wir den „Bereich“ des Integrals notieren und dieses dadurch zum „bestimmten“ Integral machen. Ist das erste ''x'', das uns interessiert, etwa gleich ''a'' und das Ende des Bereiches <math> x=b </math>, dann schreiben wir:
:<math> \int \limits_{a}^{b} y \; dx </math>
:und lesen: „Integral über ''y'' von ''a'' bis ''b''“. Oder „Integral von ''y'' von der Untergrenze ''a'' bis zur Obergrenze ''b''“. Nun wollen wir einen weiteren Schritt vorwärts machen. Wir wissen, daß ''y'' gleich ist ''f(x)''. Daher können wir auch schreiben
:<math> \int \limits_{a}^{b} y \; dx = \int \limits_{a}^{b} f(x) \; dx </math>
:Der Befehl also wäre da. Nun fehlt aber noch das Rezept zur Ausführung des Befehls. Denn an und für sich ist der Befehl wieder einmal der helle Wahnsinn. Wir werden uns zur Konstatierung dieses psychopathischen Verlangens einmal ansehen, was im Bauche des Integrals vorgehen muß, um den Befehl zu erfüllen. Diese Zaubermaschine soll nicht weniger leisten, als folgende unendliche Summe zu bilden:
:1. Flächenstreifen <math> f(a) \cdot dx </math>
:2. Flächenstreifen <math> f(a+dx) dx </math>
:3. Flächenstreifen <math> f(a+2dx) dx </math>
:4. Flächenstreifen <math> f(a+3dx) dx </math>
:usw. unendlich oft,
:vorletzter Flächenstreifen <math> f(b-dx) dx </math>
:letzter Flächenstreifen <math> f(b) \cdot dx </math>
:Dabei bedeuten <math> f(a) </math>, <math> f(a+dx) </math> usw. die y-Werte, die bei dem jeweiligen <math> x=a </math>, <math> x=a+dx </math>, <math> x=a+2dx </math> usw. resultieren.
:Außerdem soll das ''dx'' gleich sein <math> \lim 0 </math>, also den letzten Wert vor dem Nichts repräsentieren. Oder wie man ungenau sagt: ''dx'' soll unendlich klein sein.
:Da nun Leibniz und all die anderen großen Geister, die diese Wissenschaft begründeten, alles andere eher als geistesgestört waren, wollen wir nicht weiter grübeln, sondern wir werden jetzt das Wunder dankbar aus ihren Händen in Empfang nehmen.
 
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