Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 152c»
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:Bis endlich Eratosthenes leise auflachte und sagte:
:„Wir sind gleichwohl Menschen, liebe Freunde, wenn wir auch auf goldenen Wagen durch die obersten Bereiche sausen. Eben dieselben Gestirne, aus denen ich plötzlich auf die Erde zurückfiel, haben mir mitgeteilt,
:Sie stiegen also die Treppen hinab in die Wandelhalle und verabschiedeten sich dort von Konon, dessen Wohnung in einem anderen Gebäude lag.
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:„Schlaf wohl, Archimedes“, sagte Eratosthenes, „wir werden gleich am Morgen den größten Schatz des Museions besichtigen.“ Damit entfernte er sich ebenso liebenswürdig und langsam, wie es hier alle taten. Es war Zeit, alles nachzuholen, was man etwa vergessen hatte zu sagen oder zu tun.
:Der Diener, der die letzten Reste von Schlaftrunkenheit verloren hatte, schien äußerst erfreut,
:Es war noch nicht genug, was das Museion schon in diesem Raum seinen Bewohnern bot. Ein Vorhang schob sich unter der Hand des Dieners zur Seite und in einem kleineren Zimmer glitzerte das Wasser eines in die Fliesen eingelassenen Badebeckens, an dessen Rand auf einem Tischchen Salben, Essenzen und Tücherlagen.
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:Nein, keine Unrast, keine Eile! Im Museion steht die Zeit still. Hier ist es Pflicht, alles zu tun, um das Werkzeug Mensch zu höchster Schärfe zu schleifen. Alles ist hier selbstverständlich. Und doch liegt ein leiser Hauch von Windstille, von Übersättigung in allem.
:Am Rande seiner Gedanken stand plötzlich das Mädchen Wirklichkeit, als ihn die lauen Wasser umspielten. Hinweg, Mädchen Wirklichkeit! Du selbst warst der tiefste Traum, den ich in den wenigen Stunden hier träumte. Ich werde dich nie wiedersehen. Was man hier schaut, zerrinnt zwischen den Händen wie dieses duftende, schäumende Smegma, diese weißen Wolken, die mir der Diener auf den Schultern verreibt,
:Alles scheint hier einmalig zu sein. Auch einen Apollonios werde ich nie wieder sprechen, nie Wieder die Qualen seiner Eifersucht erblicken, nie wieder den starren Blick seines Hasses und die kalten Worte, in denen der heilige Zorn ihn um Jahrzehnte reifen ließ, fühlen. Vielleicht auch nie wieder dieses Bad, wie es mich heute umkräuselt. Ist das der letzte Sinn der Sattheit dieser Stadt,
:Die Schläfen pochten nicht mehr, als der Diener ihn mit kräuterduftenden Essenzen rieb und mit weichrauhen Tüchern trocknete. Eine beruhigende I-land hatte sich auf sein Denken gelegt. Es begann abzuebben und sich der Windstille zu nähern. Und er streckte sich auf das kühle Lager und hörte schon in weiten Fernen die leisen Tritte des Dieners, der sich in den Vorraum zurückzog.
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:Eratosthenes und Archimedes aßen nach der uralten Vorschrift der Pharaonen, wie Beta scherzend sagte, Milch, Weißbrot und frische Feigen.
:Sie erhoben sich, als ihr Hunger gestillt war, und wiederum ging es durch zahlreiche Höfe. Diesmal jedoch bis ans Ende des Gebäudekomplexes, der die Speisesäle und Wohnstätten
:„Mein Palast“, sagte Eratosthenes lächelnd. „Es ist die einzigartige Bibliothek, der ich vorstehe.“
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:„Wir haben hier nahe an sechzigtausend Rollen“, erläuterte Eratosthenes. „Drüben im Serapistempel fast noch einmal dieselbe Anzahl. Die Ausgaben und verschiedenen Lesarten Homers allein umfassen mehr als tausend Rollen. Aber wozu Zahlen? Du wirst bald sehen.“
:Auf dem Weg, der die Wiese durchschnitt, war ein eifriges Gehen und Kommen, und es wurde noch dichter, als sie in die Vorhalle des Riesengebäudes eintraten. Mächtige offene Türen ließen zu beiden Seiten eine Flucht von Sälen durchblicken, deren Boden mit grünem, spiegelndem Marmor belegt war und deren Decken ein glattes, stumpfes Weiß zeigten. Kein Bild, keine Verzierung. In der Mitte der Säle lange glatte Tische und an den Wänden Regale, auf denen in gedrängten Reihen die zylindrischen Kapseln der Papyrosrollen standen. An den Tischen standen und saßen Lesende und Schreibende, und Diener und Bibliothekare eilten um die gewünschten Kapseln, wobei sie manchmal hohe Treppen zu Hilfe nehmen
:„Wir sind mehr als das. Du wirst es gleich sehen. Wirst auch in den Mittelpunkt einer Riesenschlacht des Geistes geraten, in einen Umsturz der Wissenschaft, wie ihn die Welt bisher noch nicht sah. Dieses Schlachtfeld allerdings ist selbst den Gelehrten des Museions verschlossen. Aber einmal darfst du einen Blick hinter die Bühne tun.“
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:Einige Beamte der Werkstätten kamen auf Eratosthenes zu. Der eine trug ein Bündel von milchweißen harten Blättern, ein anderer hatte einige beschriebene Blätter in der Hand. Alle aber waren im höchsten Maße erregt.
:„Das Rätsel von Pergamon ist gelöst“, sagte der erste Beamte und warf die Blätter auf einen Tisch,
:„Sieh nur, großer Beta, sie beschreiben die Blätter auf beiden Seiten und heften sie aneinander. Der Stoff ist vollkommen undurchsichtig. Und verträgt Feuchtigkeit, Fett und Biegung.“
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:Eratosthenes nahm eines der Blätter prüfend in die Hand. Dann sagte er zu Archimedes:
:„Unser König hörte,
:Archimedes bog die Blätter und betrachtete sie voll von Erstaunen. Dabei aber durchzuckte ihn ein Gedanke, der sich weitete und ihn zunehmend erregte, so
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:Archimedes erblickte mitten im Getriebe der Arbeitenden den großen Konon und für einen Herzschlag auch den kleinen Apollonios, der sich jedoch sofort abkehrte und mit geröteten Wangen auf seinen Arbeitstisch starrte.
:Diese Arbeitstische vervollständigten die Bequemlichkeit der Einrichtung. Jeder Tische war geteilt. Während aber die eine Hälfte gleichsam eine offene Schublade war, in der feiner angefeuchteter Sand es erlaubte, mit einem Elfenbeingriffel flüchtige Skizzen zu zeichnen, die man mit einer breiten Spachtel glättend wieder fortwischte, war die zweite Hälfte der Tische eine Art von Reißbrett, auf dem die endgültigen Zeichnungen auf den Papyros aufgetragen wurden. Und es war dafür gesorgt,
:Konon kam sofort auf Archimedes und Eratosthenes zu. Er lächelte leicht, als er den Fieberblick wahrnahm, mit dem Archimedes diese mathematische Werkstätte musterte.
:„Hast du Verlangen nach irgendeiner mathematischen Schrift?“ fragte Konon scherzend. „Auch deine bisherigen Schriften stehen dort oben. Aber es wäre ja möglich,
:Wieder überkam Archimedes eine quälende Unrast und ein traumartiger Zustand. Warum wunderte er sich im Angesichte der Tatsachen über Dinge, die er doch
:„Verschaffe mir die Bücher des Eudoxos, mein lächelnder Konon“, erwiderte er schnell. „Dann werde ich an die Zauberei glauben.“
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:Konon warf einen prüfenden Blick auf die Aufschriften.
:„Es ist alles, was Eudoxos geschrieben hat. Bist du zufrieden, Archimedes? Da du wahrscheinlich in deinem Zimmer arbeiten willst, wirst du es nachher dort finden. Es
:„Und mich wirst du jetzt entschuldigen“, ergänzte Eratosthenes. „Ich wollte dir bloß noch eröffnen,
:Archimedes sah ihn fassungslos an.
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:Da lachte Eratosthenes auf.
:„Das
:Archimedes aber stand noch immer angewurzelt da und sah nicht einmal die lächelnden Blicke Konons, der sich an seinem entrückten Gesicht weidete.
:Der Traum eines Traumes? Wer hatte das gesagt? Gleichgültig, wer es gesagt hatte. Würde dieser Traum ein Ende nehmen? Wohin waren die Bücher des Eudoxos verschwunden? Er würde sie nachher auf dem Zimmer finden. Und entrollen. Und alles würde er leiblich vor Augen haben, was er seit Jahren suchte. Er
:Er ertrug es plötzlich nicht mehr, mitten in diesem Saal zu stehen. Alle, die da zirkelten und rechneten, lasen und kritzelten, schienen ihm Widerspruch entgegensetzen zu wollen. Es war die Schule Euklids, er fühlte den kalten Schatten des Riesen fast körperlich. Nein, nein, nein! Man sollte ihn nicht einfangen, nicht mit Gewalt bestechen, zu nichts zwingen. Er
Línea 157:
:Archimedes aber, der die Worte nur halb verstanden hatte, wanderte wie im Traum den Weg zurück, den er mit Beta gekommen war.
:Er war so erregt,
:Als Archimedes in sein Zimmer stürmte, galt sein erster Blick dem Tisch, auf dem bereits die Werke des Eudoxos standen.
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:Ja, da war es! Alles war da. Alles, von dem er bisher nur armselige Bruchstücke gekannt hatte. Wie ein weites sattes Land lag es vor ihm. Satz um Satz, Beweis um Beweis. Und unvermittelt schrak er zusammen. Wie, wenn Eudoxos schon alles geleistet hatte, nach dem er selbst strebte? Hatte er so sichere Nachricht, da er nur Auszüge und Bruchstücke bisher kannte?
:Seine Augen flogen über die Kolumnen, die zitternden Finger entrollten und spannten den Papyros. Jetzt
:War er noch ein Gefangener des Museions? Wer störte ihn? Lebte er nicht körperlich im lichten Ideenreiche Platons? In einem Elysion, das schöner war als die begeisterten Schilderungen der Dichter?
:Und er raste weiter und er
:Plötzlich begannen sich die Schriftzüge, Zeichnungen und Buchstaben vor seinem Auge zu verwischen. Und eine mehrfach wiederholte Botschaft traf sein Ohr.
:Da erwachte er aus seiner Entrücktheit. Kein Wunder,
:Das Gemurmel war verstummt. Der Diener stand unvermittelt vor Archimedes und beobachtete, ob er noch in die Weisheit vertieft sei. Als er sich davon überzeugt hatte,
:„Herr, ein Brief. Ein Sklave hat ihn abgegeben, ohne
:Archimedes blickte erstaunt auf den gefalteten und gesiegelten Papyros. Schreibstoff solcher Feinheit und Farbe hatte er noch nie gesehen. Dabei duftete das Schreiben eigentümlich. Wie nach fremdesten Blumen. Hatte er diesen Duft nicht schon gespürt?
:„Geh, ich werde dich rufen,wenn ich etwas brauche“, sagte er leise. Als der Diener verschwand, öffnete er den Brief, wobei ihn schon mächtige vordrängende Erinnerungsbilder umgaukelten. Er
:Da stand es außerdem in schönen, energischen griechischen Worten:
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verstrickt, mein Freund. Ich weiß es. Trotzdem rufe ich Dich zu mir.
:,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Diesen Vers sang Dein herrlicher bukolischer Landsmann Theokrit, durch dessen Worte sich die Wälder wieder mit Göttern belebten, die - wie der große Pan - schon tot waren. Lies die Idylle ,Die Zauberin‘, damit Du verstehst, was ich meine. Wenn Du es aber verstanden hast, dann nimm es wieder nicht zu ernst, auf
:,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Den Kreisel treibt mein Sklave, der Dich vor dem Museion auf der Kanopischen Straße erwartet. Auf Wiedersehen, mein Freund!“
:Als Archimedes die Zeilen überflogen hatte,
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:Archimedes kritzelte schnell „Idyllen des Theokrit“ auf den Papyros. Er kannte die Gedichte des großen Landsmannes nicht. Der Diener war sofort verschwunden, nachdem er den Zettel in Empfang genommen hatte.
:Archimedes sprang auf und durchmaß das Zimmer in schnellen Schritten. Auf und ab. Gut, er hatte bisher gelebt wie jeder Jüngling in Hellas. Auch Frauen waren schon oft in sein Erleben eingetreten. Auch Dirnen, auch Knaben. Aber heute war das kein bukolisches Idyll, kein Schäfergetändel. Auch keine Liebe. Es war mehr und weniger. Es war ein beinahe unheimliches Geschehen, so gewöhnlich die Außenseite erschien. Er sollte nicht ernst nehmen, was er las. Das war es eben. In diesem Ausgleiten lag die Überlegenheit der „Wirklichkeit“. Wenn er nun aber doch eine Buhlerin traf, die
:Der Diener stellte den Bücherbehälter auf den Tisch. Archimedes fand die Schnelligkeit, mit der sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, bereits selbstverständlich. Er entrollte das erste Buch. Gut, gleich die zweite Idylle. „Die Zauberin.“
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::„Auf, wo hast du den Trank? Wo, Thestylis, hast du die Lorbeeren?
::Komm und wind um den Becher die purpurne Blume des Schlafes;
::
:So begann es. Und er flog die Verse durch, die vom liebeswunden Mädchen in stets steigender Erregung gesprochen wurden, das sich nicht anders zu helfen
::„Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.“
:Plötzlich aber schweigt der
::„Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen.“
:Bis sich die Erinnerung an genossenen Liebesrausch wieder bis zu
::„Hat er nicht anderswo Süßes entdeckt und meiner vergessen?
::Jetzt mit Liebeszauber beschwör' ich ihn; aber wofern er länger mich kränkt - bei den Moiren! - an Hades' Tor soll er klopfen!
Línea 230:
::Ein assyrischer Gast, o Königin, lehrt' es mich mischen.“
:Endlich der resignierte
::„Lebe nun wohl, und hinab zum Okeanos lenke die Rosse,
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:Archimedes warf die Rolle auf den Tisch. Der dionysische Inhalt des Gedichtes, die mehrschichtige Harmonie des Aufbaues mit den Kehrversen hatte ihn übermächtig erschüttert. Zugleich standen die Berge und Wälder seiner Heimat und Alexandria vor ihm. Zugleich die Geometrie und die Wirklichkeit.
:„Melde Eratosthenes,
:Sein Diener zeigte ihm am Tor den Sklaven, der geduldig vor einer von zwei anderen Sklaven getragenen Sänfte stand.
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:Die Sklaven neigten sich tief vor Archimedes, als er einstieg. Dann aber begannen sie, die Kanopische Straße entlang zu laufen, die heute zwar auch belebt war, im Verhältnis zu gestern aber in ihrer Breite fast leer wirkte.
:Archimedes bemerkte erst jetzt,
:Die Sklaven liefen in die Richtung, aus der er gestern zum Museion gekommen war. Sie machten aber vor dem Paneion nicht halt, sondern bogen erst ein gutes Stück westlicher gegen Süden ab. Das Stadtviertel, in das die Querstraße jetzt vordrang, wurde zusehends reicher und vornehmer. Hinter Mauern und Gittern funkelten inmitten feucht duftender Gärten prächtige Landhäuser, die manchmal sogar Palästen glichen. Bis sich endlich vor ihnen wuchtig die südliche Stadtmauer erhob. Hier bogen die Sklaven neuerlich gegen Westen und hasteten auf einem schmalen Pfad zwischen zwei Gärten, der plötzlich nicht weiterführte, da ihn ein hohes Bronzetor
:Nach Durchquerung des Tores wurde das Ziel des Weges jedoch durchaus nicht deutlicher, da dieser Weg in einigen Windungen sich zwischen hohen Gebüschen durchschlängelte.
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:Unvermittelt bog er nach Süden ab und sie standen am Fuße der riesigen Stadtmauer, auf deren Höhe eine Holzrampe hinaufführte, der man es ansah,
:Archimedes
:Geduldig schleppten ihn die Sklaven die Rampe hinauf, ohne ihren Lauf wesentlich zu verlangsamen. Auf der Höhe der Mauer stellten sie die Sänfte nieder, und der Begleiter, der bisher vorangelaufen war, trat zu Archimedes:
:„Die Herrin
:Archimedes hatte die Worte kaum verstanden, jedoch kam er unwillkürlich der Aufforderung nach. Als er aber an den südlichen Rand der Stadtmauer getreten war, stockte ihm fast der Atem. Links von ihm lag der mächtige „Sumpfhafen“, der alle Schiffe barg, die vom Nil aus Ägypten, Arabien oder Indien herüberkamen. Oder von noch weiter her. Der Hafen aber war durch eine Mole abgeschlossen, nach deren Einmündung in die Stadtmauer diese senkrecht in den See Marcotis abfiel, so
:„Der Tempel der Wirklichkeit, soll ich dir sagen, o Herr, wenn du zum erstenmal hinabsiehst, hat mir die große Herrin befohlen“, murmelte der Sklave. „Jetzt aber darf ich dich bitten, wieder die Sänfte zu besteigen. Wir sind sofort am Ziele.“
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:Von einem Lager aus Edelholz aber erhob sich lächelnd das Mädchen Wirklichkeit und kam ungeziert und natürlich auf Archimedes zu.
:„Es freut mich,
:Archimedes war so benommen,
:Jetzt erst blickte Archimedes ,die Wirklichkeit‘ an. Sie war heute weltenweit anders
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:„Woher weißt du davon?“ fragte Archimedes erschrocken zurück.
:„Es ist das Geringste, was ich weiß. Aber ich sehe,
:„Dazu also?“ stieß Archimedes geärgert hervor, da ihn plötzlich Enttäuschung überkroch.
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:„Nein, durchaus nicht!“ lachte sie. „Das hätte ich einfacher haben können. Ich bin aber nun einmal eine alberne Person und liebe das Versteckenspielen. Der Wirklichkeit ist nie etwas genug. Ihr genügen nicht einmal Paläste. Sie will alles haben. Auch Geheimnisse. Auch rollende Kreisel, die Jünglinge herbeizaubern.“ Sie
:Archimedes schwieg. Ein Wirbel von Gedanken
:„Sieh, Archimedes“, sprach sie weiter, „du weißt,
:Archimedes fühlte sich durch ihre Worte stets mehr und mehr gebannt. Er hatte es schon längst aufgegeben, ihr Rätsel zu ergründen. Gab es da überhaupt ein ergründbares Rätsel? Wer sie war, wie sie hieß, ihren Rang, Reichtum, all das würde er von Eratosthenes erfahren. Dadurch auch wahrscheinlich ihre Absichten. Was bedeutete das aber? Wie konnte das die Ruhe, den Auftrieb erklären, den sie ihm gab. Er sah sich genau. Sah sich wie einen schüchtern blöden Epheben vor ihr sitzen, der ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Entschiedenheit nicht einmal ein Wort hervorbrachte. Trotzdem war es keine Lähmung, keine Befangenheit. Er wollte gar nicht sprechen, wollte sich ihr hingeben, sich von „der Wirklichkeit“ einhüllen lassen, fühlte stets wieder das letzte Geheimnis der „Urmütter“, das sie ausstrahlte. Sie stand mit dem geheimnisvollen „Ort der Entstehung“, dem Urgrund, sichtbar in Verbindung. Deshalb auch
:„Du spielst mit mir“, sagte er plötzlich vor sich hin. „Die Wirklichkeit ist eine große Gefahr für Menschen, denen die Götter einen unabänderlichen Weg vorgeschrieben haben. Vielleicht sollen sie eben deshalb der Wirklichkeit ausweichen.“
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:Sie schüttelte fast traurig den Kopf.
:„Ich spiele nicht mit dir, Archimedes“, antwortete sie weich und gleichwohl fest. „Ich will es eben verhindern,
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:Dann erzählte sie eigentümliche und ungeahnte Dinge von dieser Stadt, die sie anscheinend bis in die letzten Zuckungen ihres Pulsschlages kannte.
:Längst waren die letzten purpurroten und violetten Farben, die auflodernd wie eine riesige Kuppel über dem See Mareotis und über der mächtigen Linie der Stadtmauer, über Schiffen, Schilf und Wasservögeln gestanden waren, einem kalten Perlmuttergrau gewichen. Auch dieses
:Durch all diesen Wechsel aber klang weich und eindringlich der schmiegsame ionische Dialekt der Milesierin, doppelt melodisch den Ohren des korinthischen Syrakusers.
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:So erging es Archimedes. Nach kurzer Zeit begann er zu antworten, begann sein Dorisch in ihr Ionisch zu flechten. Und es gab kein Geheimnis, kein Tasten, kein Berechnen da, obgleich alles, von außen gesehen, voll von Rätseln und Unausgesprochensein war.
:Harmonisch wie alles andre war der Abschied. Sie wanderten schweigend zurück durch den Garten, leise knirschte der Kies unter ihrem Schreiten, und er
:Unheimlich dazu wie das Siegel Salomos, von dem er heute vormittags in der Wandelhalle des Museions gehört hatte.
:Sie sprach halblaut, als fürchtete sie sich, die Urgewalt dieses riesigen Geschehens, das für einige zuckende Herzschläge in jedem der beiden und doch wie ein ganzer Kosmos außerhalb von ihnen sich ereignet hatte, zu profanieren oder in das Gegenteil furchtbarer Fremdheit zu verkehren. Sie wies nur ab und zu auf Bilder und Bronzen, um das Urgöttliche durch den Mittler der Kunst leise zum klaren Dasein heruntergleiten zu lassen. Und sie brachte es auch zustande,
:Kurz und freundlich erteilte sie Befehle, verabschiedete sich mitten in der Flucht ihrer Säle von Archimedes und
:Am Tische des großen Beta wurde der kaum mehr erwartete Gast mit Jubel begrüßt. Man fragte nicht, beachtete nicht,
:Archimedes hörte nur Bruchstücke der Unterhaltung und bemerkte zu seinem Schrecken,
:Doch war es durchaus kein Abrücken vom Geist, was ihn zu dieser Haltung drängte. Auch nicht der krankheitsnahe Nebel rauschgeborener Verliebtheit, der monomanisch alle Sinne abschließt und nur den einzigen Gedanken, die einzige Erinnerung als bunten Kreisel um die Achse dieser Leidenschaft herumdreht. Im Gegenteil. Wie ein brausender und doch wieder beruhigender Unterton begleitete ihn die Wirklichkeit. Nicht als Einzelwesen, sondern als Kraft. Oberhalb dieser Begleitung aber zeichnete sich stets klarer sein eigenstes Reich mit neuen, noch nie geschauten Wundergestalten, Zielen und Verwirklichungsmöglichkeiten ab.
:Sie waren schon längere Zeit beisammengesessen, Archimedes hatte auch ab und zu getrunken, als er bemerkte, wie das Auge des Arztes Herophilos forschend auf ihm ruhte und sich seine weißen Zähne
:Archimedes hatte das feste Gefühl, der Anatom wisse um seine Seele Bescheid, zergliedere sie säuberlich mit dem Messer der Gedanken. Wozu Verlegenheit oder Umschweife? Man
:Er sagte also, als eine Gesprächspause eintrat:
:„Ich soll dir Vorwürfe machen, Eratosthenes,
:Die Wirkung dieser knappen Worte war eine unerwartete. Alle kehrten sich ihm zu und die Augen des Herophilos weiteten sich beinahe hassend.
:„Ich danke dir für die Botschaft“, antwortete Eratosthenes. „Ich werde das Versäumte nachholen. Besser, ich
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:„Ich lernte sie auf dem Paneion kennen, kurz nachdem ich hier landete. Sie führte mich durch das Fest hierher“, sagte Archimedes kühl, da ihn die Angriffslust der Blicke ärgerte und er unwillkürlich sein Erleben nicht trüben lassen wollte.
:„Ja, wir unterschätzen sie noch“, krähte Sosibios auf. „Jetzt fängt sie uns schon die Philosophen vor der Ankunft ab, um sie gegen das Museion aufzuwiegeln. Übrigens eine lächerliche Posse, sich stets die Wirklichkeit zu nennen. Sie heißt einfach Aletheia, da sie verrückte Eltern hatte, die wahrscheinlich unter Aletheia etwas anderes verstanden als wir, wenn sie zur Täuschung den Artikel vorsetzt. Jeder würde sonst bloß Aletheia hören und sich am Klang freuen. Bei Xanthippe denkt man auch nicht an braune Pferde und bei Artemidoros nicht an das Geschenk der Artemis. Durch den Artikel aber zwingt sie uns den Begriff ihres Namens auf. Dazu tut sie dann noch recht geheimnisvoll, so
:Sosibios dämmte seinen
:„Ich bin zwar durchaus nicht ihr Freund, Archimedes“, sagte er gewichtig, „durchaus nicht. Ich will aber trotzdem die Schmähungen des Sosibios, die wahrscheinlich aus gekränkter Liebe . . .“
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:„Lassen wir Herophilos auch einige Worte sprechen“, sagte Eratosthenes ruhig, aber in deutlichem Befehlston.
:Sosibios jappte noch einmal auf. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und
:„Sie ist irgendwie unsre Todfeindin, Archimedes. Aus dem Gefühl heraus,
:In deiner Art, Herophilos“, lächelte Eratosthenes. „Die Tatsachen sind richtig. Nur bleiben sie zum Teil noch hinter der Wirklichkeit zurück. Man behauptet ja sogar,
:Der Zutrunk des Eratosthenes war an alle Tischgenossen eine zwar sanfte, aber eindringliche Mahnung, den Hauptgrundsatz des Museions, den höchster Freiheit, zu achten. Auch auf die Gefahr hin,
:So wurden die Becher erhoben und bald wendete sich das Gespräch wieder der Weisheit und dem Allgeıneinen zu, und Archimedes nahm, zuerst noch ein wenig nachdenklich und zerstreut, daran einigen Anteil.
:Es wäre falsch zu glauben,
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:Als sein Geist sich aber langsam aus dem Schlafe löste, da begann er die Träume in die Ordnung des Wachseins zu übersetzen. Die Nacht hatte einen großen Gewissenszweifel endgültig entschieden und einen klaren Plan geboren.
:Der Diener meldete, er habe den Brief bereits bestellt und als Gegengabe einen Strauß fremdartiger Blumen für den Herrn erhalten. Die Herrin aber lasse sagen,
:Das also war der Sinn der viertägigen Pause? Seine Seele schäumte fast über in Dank zu der Befruchterin. Woher
:Er ließ die dunkel gefleckten, betäubend duftenden Orchideen in eine Vase stellen, verlangte,
:Archimedes aber
:Die folgenden Stunden sahen ihn in scheinbar konfuser Geschäftigkeit. Er zeichnete, zirkelte, maß, trank dazwischen Milch, schritt im Zimmer auf und nieder,
:Schließlich hatte er alles beisammen, was er brauchte. Er .zeichnete auf das Pergament und schnitt daraus höchst sorgfältig Figuren. Zuerst überzeugte er sich durch Abwägen zweier kongruenter, aus dem Pergament geschnittener Figuren,
:Plötzlich, mitten in allen Arbeiten, durchzuckte ihn ein Gedanke. Ein scheinbar wahnsinniger Gedanke. Die Kugel war doch nichts anderes als ein Kegel, dessen Öffnungswinkel ein voller Kreis war? Wenn er also einmal die Größe der Kugeloberfiäche entdeckte, konnte er auf dem Umweg über die bereits bekannten Kegelformeln den Inhalt der Kugel bestimmen, oder umgekehrt, aus dem Rauminhalt der Kugel ihre Oberfläche.
:„Du
:
:„Da er nicht so schnell neue Drehmesser erzeugen kann, soll er sie machen, so groß er will. Der Preis ist mir einerlei. Ich brauche keine Goldkugeln und keine Edelsteinkugeln.“
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:„Die eine der Kugeln soll aus zwei Halbkugeln bestehen“, sagte er zum Diener. „Verstehst du? Sie soll in zwei Halbkugeln zerschnitten sein. Aus demselben Material aber
:Archimedes saß, ohne sich weiter um den Diener zu kümmern, bereits beim Arbeitstisch. Die Überlegungen folgten einander so rasend, so überstürzend,
:Ich rücke, sprach es in ihm, der ungreifbaren Glätte der Kugel näher, sie wird plötzlich anders, wenn ich sie anders denke. Sie ist vollständig im Banne des Kreises, die Kugel. Nur im Banne des Kreises. Eudoxos und noch frühere haben die Gesetze des hellenischen Denkens und Schauens in ähnlich frevelhafter Art überschritten, wie ich es jetzt eben tue. Ich zerschneide die Kugel in zwei Halbkugeln. Eine davon betrachte ich weiter: zuerst hat sie einen Grundkreis, den Äquator, der ein größter Kreis der Kugel ist. Nehmen wir an, dieser Kreis sei eine unsäglich dünne Scheibe aus Papyros oder pergamenischem Schreibstoff. Wie sieht der nächsthöhere Schnitt aus? Er
:Nun weiß ich aber, wie groß der Rauminhalt des Kegels und der des Zylinders ist. Gesucht bleibt der Kugel- oder der Halbkugelinhalt. Ich kann jedoch die drei Körper sehr gut vergleichen, wenn sie alle die gleiche Basisfläche und die gleiche Höhe haben. Der Zylinder ist dann größer, der Kegel bestimmt kleiner als die Halbkugel. Schneide ich die drei Körper senkrecht in der Achse, dann wird aus der Halbkugel ein Halbkreis, aus dem Zylinder ein diesem Halbkreis umgeschriebenes Rechteck, dessen Grundlinie der Kugeldurchmesser und dessen Höhe der Halbmesser ist. Der Kegelschnitt aber wird ein dem Halbkreis eingeschriebenes gleichschenkeliges Dreieck mit dem Durchmesser als Basis und dem Halbmesser als Höhe.
:Lassen wir diesen senkrechten Schnitt. Ich weiß,
:Es bleibt also eigentlich nur mehr die Aufgabe übrig, die Kreiseigenschaft möglichst genau zu berechnen, damit ich in die Lage komme, auch wirkliche Inhaltsberechnungen durchzuführen.
:Für die Kugeloberfläche aber habe ich schon früher den Weg gefunden. Sie ist die gedachte Grundfläche eines Kegels, dessen Höhe der Halbmesser ist. Eigentlich ist die Kugel eine Unzahl winziger Kegel, die ihre Grundflächen in der Kugelfläche und den Scheitel im Kugelmittelpunkt haben. Sie schließen aneinander wie unzählbar viele Tüten oder Wespenwaben. Nun weiß ich schon vieles. Fast alles. Denn die Kugeloberfläche mal dem Halbmesser, der ja die Höhe aller Kleinkegel bildet, mal einem Drittel, das ja aus der Kegelformel bekannt ist,
Línea 460:
:Archimedes sank mit dem Kopf vor Erschöpfung schweißüberströmt auf die Blätter, die bereits mit zahllosen Zeichnungen und Formeln bedeckt waren. Seine Schläfen hämmerten, sein Puls jagte. Und das Wort Wirklichkeit, das seine Gedankenflucht abgeschlossen hatte, traf ihn als zweite, überschwemmende Gefühlswoge.
:War es noch Vormittag oder schon Nachmittag? Er
:Er
:Da sprang er auf, und alle Müdigkeit war plötzlich verweht. Denn es nahte die Entscheidung.
Línea 470:
:„Du wirst mir jetzt helfen“, sagte Archimedes heiser vor Erregung und nahm die Waage, während er die Gewichte der Größe nach auf den Tisch reihte. „Leg zuerst einmal den Kegel auf die Waage.“ Während er noch sprach, lief er mit der Waage in der Hand wieder zurück zum Arbeitstisch und holte sich Papyrosblätter und Schreibstifte.
:Der Ägypter lächelte vor Neugierde. So fein allerdings,
:„Diese erste Zahl ist eine Zahl, sonst nichts“, murmelte Archimedes vor sich hin. „Man kann sicherlich aus ihr die Kreiszahl gewinnen, wenn man sie dreifach nimmt und durch den Kubus des Halbmessers teilt. Allerdings ist dabei noch die Schwere des Holzes zu berücksichtigen.“ Dabei legte er die Gewichte auf die andre Waagschale und vertauschte dann zur Vorsicht Kegel und Gewichte. Die Waage war äußerst genau. Ein merkbarer Unterschied der beiden Wägungen war nicht festzustellen.
:Er hatte bei dieser Feinarbeit fast wieder das Ziel vergessen und schrieb die gefundene Gewichtsgröße auf den Papyros. Um so stärker begann sein Herz zu pochen, als er sich
:„Nun die Halbkugel. Oder, besser, wir prüfen zuerst, ob sie beide gleich schwer sind. Der Drechsler kann unregelmäßig gearbeitet haben oder das Holz kann ungleichmäßig schwer sein.“
:Der Ägypter machte alle Handreichungen geduldig, geschickt und zart. Man sah sofort,
:Nach einigen Proben notierte Archimedes den gefundenen Versuchswert und sah nicht auf den ersten des Kegels. Er nahm vielmehr in der gleichen Art den Zylinder vor.
Línea 484:
:Als auch dieses Gewicht bestimmt war, schickte er den Diener hinaus. Er wollte allein sein mit seiner Entdeckung oder mit seiner Enttäuschung.
:Als er sich zum Arbeitstisch gesetzt hatte, begann die unfehlbare Rechen- und Denkmaschine in seinem Inneren sofort zu arbeiten. Es
:Er sah auf das Blatt und seine Knie zitterten. War es möglich? Eine einfache, klare, rationale Lösung? Die gesuchte Zahl war zwei. Und sofort weiter die Zahl für den Zylinder drei. Es verhielt sich also Kegel, Halbkugel und Zylinder unter den von ihm geforderten Voraussetzungen wie eins zu zwei zu drei. Und die Kugelformel lautete vier Drittel mal der Kreiszahl mal dem Kubus des Halbmessers.
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