Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 152c»

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:Blick nicht schwieriger zu sein als die Anfangsgründe der Rechenkunst, wie sie die Knaben in der untersten Schule lernten. Diese Stunden waren im wahrsten Sinn eine Reise durch alle Sphären der Erde und des Himmels. Und sie gebaren dazu noch, gleichsam im munteren Ballspiele, neue Ergebnisse und neue Ausblicke, die vorher noch niemand erdacht oder erschaut hatte. Bis endlich Eratosthenes leise auflachte und sagte: „Wir sind gleichwohl Menschen, liebe Freunde, wenn wir auch auf goldenen Wagen durch die obersten Bereiche sausen. Eben dieselben Gestirne, aus denen ich plötzlich auf die Erde zurückfiel, haben mir mitgeteilt, daß der Morgen nicht mehr allzufern ist. Es ist gut so. Wir haben in unsrer Weise das große Fest, dessen Lärm noch herüberweht, mitgefeiert. Aber ein kurzer Schlaf ist besser als gar keiner. Und der müde Wanderer Archimedes soll jetzt sehen, daß das Museion auch das kurze Vergessen des wahren Lebens schätzt.“ Sie stiegen also die Treppen hinab in die Wandelhalle und verabschiedeten sich dort von Konon, dessen Wohnung in einem anderen Gebäude lag.
 
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Eratosthenes führte Archimedes über zwei kleinere Höfe, die dem großen glichen und ebenso von zerstäubtem Wasser und Blüten dufteten, in eine Säulenhalle, die ebenfalls durch Öllampen erleuchtet war und von Gemälden schimmerte. Nur reihte sich hier eine Türe an die andere. Nach wenigen Schritten öffnete der große Beta eine dieser Bronzetüren und sie traten in einen Vorraum, in dem ein Diener auf einem Löwenfell schlief, bei ihrem Eintreten jedoch sogleich aufsprang. Es war ein untersetzter Bursche in kurzem, weißem Kittel. Sein Gesicht war rund und glatt und seine Haare waren kurz geschoren. „Ein Ägypter, Archimedes. Er ist dir zugeteilt. Du wirst erst in einigen Tagen voll ermessen, wie nützlich er ist. Er wird dir beim Bad behilflich sein, er ist ein geschickter Handwerker, der dir alles anfertigt, was du brauchst; er versteht es, in der Bibliothek Schriften aufzustöbern und ist zudem ein äußerst flinker Schreiber. Er kennt auch Stadt und Leute in Alexandria. Du wirst zufrieden Sem.“ Der Diener lächelte still vor sich hin und wartete auf Befehle. „Schlaf wohl, Archimedes“, sagte Eratosthenes, „wir werden gleich am Morgen den
 
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:Blick nicht schwieriger zu sein als die Anfangsgründe der Rechenkunst, wie sie die Knaben in der untersten Schule lernten.
 
 
:Diese Stunden waren im wahrsten Sinn eine Reise durch alle Sphären der Erde und des Himmels. Und sie gebaren dazu noch, gleichsam im munteren Ballspiele, neue Ergebnisse und neue Ausblicke, die vorher noch niemand erdacht oder erschaut hatte.
 
:Bis endlich Eratosthenes leise auflachte und sagte:
 
:„Wir sind gleichwohl Menschen, liebe Freunde, wenn wir auch auf goldenen Wagen durch die obersten Bereiche sausen. Eben dieselben Gestirne, aus denen ich plötzlich auf die Erde zurückfiel, haben mir mitgeteilt, daß der Morgen nicht mehr allzufern ist. Es ist gut so. Wir haben in unsrer Weise das große Fest, dessen Lärm noch herüberweht, mitgefeiert. Aber ein kurzer Schlaf ist besser als gar keiner. Und der müde Wanderer Archimedes soll jetzt sehen, daß das Museion auch das kurze Vergessen des wahren Lebens schätzt.“
 
:Sie stiegen also die Treppen hinab in die Wandelhalle und verabschiedeten sich dort von Konon, dessen Wohnung in einem anderen Gebäude lag.
 
 
 
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:Eratosthenes führte Archimedes über zwei kleinere Höfe, die dem großen glichen und ebenso von zerstäubtem Wasser und Blüten dufteten, in eine Säulenhalle, die ebenfalls durch Öllampen erleuchtet war und von Gemälden schimmerte. Nur reihte sich hier eine Türe an die andere. Nach wenigen Schritten öffnete der große Beta eine dieser Bronzetüren und sie traten in einen Vorraum, in dem ein Diener auf einem Löwenfell schlief, bei ihrem Eintreten jedoch sogleich aufsprang. Es war ein untersetzter Bursche in kurzem, weißem Kittel. Sein Gesicht war rund und glatt und seine Haare waren kurz geschoren.
größten Schatz des Museions besichtigen.“ Damit entfernte er sich ebenso liebenswürdig und langsam, wie es hier alle taten. Es war Zeit, alles nachzuholen, was man etwa vergessen hatte zu sagen oder zu tun. Der Diener, der die letzten Reste von Schlaftrunkenheit verloren hatte, schien äußerst erfreut, daß die weitere Führung nunmehr ihm anvertraut war. Er hob die Öllampe aus der Erzpfanne und öffnete eine Türe, die in ein großes, auffallend kühles Gemach leitete. Dieses Gemach war ungemein vornehm und prächtig ausgestattet. Nichts fehlte. Alles war vorhanden: ein im wahrsten Sinne schwellendes Lager, ein Tisch, auf dem Schüsseln mit Obst, Backwerk und Karaffen voll Wein standen, ein Arbeitstisch nahe dem Fenster. Wiederum Gemälde und Plastiken. Schwere Vorhänge vor dem Fenster. Ein breiter Lehnstuhl. Schreibgeräte. Metallspiegel. Es war noch nicht genug, was das Museion schon in diesem Raum seinen Bewohnern bot. Ein Vorhang schob sich unter der Hand des Dieners zur Seite und in einem kleineren Zimmer glitzerte das Wasser eines in die Fliesen eingelassenen Badebeckens, an dessen Rand auf einem Tischchen Salben, Essenzen und Tücherlagen.
 
:„Ein Ägypter, Archimedes. Er ist dir zugeteilt. Du wirst erst in einigen Tagen voll ermessen, wie nützlich er ist. Er wird dir beim Bad behilflich sein, er ist ein geschickter Handwerker, der dir alles anfertigt, was du brauchst; er versteht es, in der Bibliothek Schriften aufzustöbern und ist zudem ein äußerst flinker Schreiber. Er kennt auch Stadt und Leute in Alexandria. Du wirst zufrieden Sem.“
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:Der Diener lächelte still vor sich hin und wartete auf Befehle.
 
:„Schlaf wohl, Archimedes“, sagte Eratosthenes, „wir werden gleich am Morgen den größten Schatz des Museions besichtigen.“ Damit entfernte er sich ebenso liebenswürdig und langsam, wie es hier alle taten. Es war Zeit, alles nachzuholen, was man etwa vergessen hatte zu sagen oder zu tun.
„Es ist laues Wasser, Herr“, sagte der Diener. „Es kommt aus den Springbrunnen und ich ließ es ein, als die Sonne noch hoch stand. Willst du jedoch kaltes, dann lasse ich es abströmen und du wirst das Wasser haben, das nur die Sterne bestrahlten.“ Archimedes warf die Kleider ab. Eine Gier nach Entspannung war über ihn gekommen. Windstille, Wellengekräusel, Sturm. Peisithanatos. Was ist Lust, was Form, was Freitod? Ist die bewohnte Erde ein Frevel, sind es die Sterne? Oder der Rauminhalt der glatten, ungreifbaren, irrationalen Kugel? Oder ist alles nur ein Traum? Der Traum eines Traumes? Sein Herz hämmerte, die Schläfen pochten, an tausend Stellen stach es in seiner Haut wie mit Nadeln. Nein, keine Unrast, keine Eile! Im Museion steht die Zeit still. Hier ist es Pflicht, alles zu tun, um das Werkzeug Mensch zu höchster Schärfe zu schleifen. Alles ist hier selbstverständlich. Und doch liegt ein leiser Hauch von Windstille, von Übersättigung in allem. Am Rande seiner Gedanken stand plötzlich das Mädchen Wirklichkeit, als ihn die lauen Wasser umspielten. Hinweg, Mädchen Wirklichkeit! Du selbst warst der tiefste Traum, den ich in den wenigen Stunden hier träumte.
 
:Der Diener, der die letzten Reste von Schlaftrunkenheit verloren hatte, schien äußerst erfreut, daß die weitere Führung nunmehr ihm anvertraut war. Er hob die Öllampe aus der Erzpfanne und öffnete eine Türe, die in ein großes, auffallend kühles Gemach leitete. Dieses Gemach war ungemein vornehm und prächtig ausgestattet. Nichts fehlte. Alles war vorhanden: ein im wahrsten Sinne schwellendes Lager, ein Tisch, auf dem Schüsseln mit Obst, Backwerk und Karaffen voll Wein standen, ein Arbeitstisch nahe dem Fenster. Wiederum Gemälde und Plastiken. Schwere Vorhänge vor dem Fenster. Ein breiter Lehnstuhl. Schreibgeräte. Metallspiegel.
 
:Es war noch nicht genug, was das Museion schon in diesem Raum seinen Bewohnern bot. Ein Vorhang schob sich unter der Hand des Dieners zur Seite und in einem kleineren Zimmer glitzerte das Wasser eines in die Fliesen eingelassenen Badebeckens, an dessen Rand auf einem Tischchen Salben, Essenzen und Tücherlagen.
 
:„Es ist laues Wasser, Herr“, sagte der Diener. „Es kommt aus den Springbrunnen und ich ließ es ein, als die Sonne noch hoch stand. Willst du jedoch kaltes, dann lasse ich es abströmen und du wirst das Wasser haben, das nur die Sterne bestrahlten.“
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:Archimedes warf die Kleider ab. Eine Gier nach Entspannung war über ihn gekommen. Windstille, Wellengekräusel, Sturm. Peisithanatos. Was ist Lust, was Form, was Freitod? Ist die bewohnte Erde ein Frevel, sind es die Sterne? Oder der Rauminhalt der glatten, ungreifbaren, irrationalen Kugel? Oder ist alles nur ein Traum? Der Traum eines Traumes?
 
:Sein Herz hämmerte, die Schläfen pochten, an tausend Stellen stach es in seiner Haut wie mit Nadeln.
Ich werde dich nie wiedersehen. Was man hier schaut, zerrinnt zwischen den Händen wie dieses duftende, schäumende Smegma, diese weißen Wolken, die mir der Diener auf den Schultern verreibt, daß sie das Wasser trüben. Alles scheint hier einmalig zu sein. Auch einen Apollonios werde ich nie wieder sprechen, nie Wieder die Qualen seiner Eifersucht erblicken, nie wieder den starren Blick seines Hasses und die kalten Worte, in denen der heilige Zorn ihn um Jahrzehnte reifen ließ, fühlen. Vielleicht auch nie wieder dieses Bad, wie es mich heute umkräuselt. Ist das der letzte Sinn der Sattheit dieser Stadt, daß sie alles nur einmal erleben läßt, obgleich sie es täglich, stündlich bietet? Daß sie unsre Sehn~ sucht steigert, je vollkommener sie Erfüllung gibt? Poros und Penia, Überfluß und Mangel als die Eltern des Eros. So hat es der göttliche Platon gesehen. Hier aber erzeugt der Überfluß den Mangel, der zum unauslöschlichen Eros wird. Die Schläfen pochten nicht mehr, als der Diener ihn mit kräuterduftenden Essenzen rieb und mit weichrauhen Tüchern trocknete. Eine beruhigende I-land hatte sich auf sein Denken gelegt. Es begann abzuebben und sich der Windstille zu nähern. Und er streckte
 
:Nein, keine Unrast, keine Eile! Im Museion steht die Zeit still. Hier ist es Pflicht, alles zu tun, um das Werkzeug Mensch zu höchster Schärfe zu schleifen. Alles ist hier selbstverständlich. Und doch liegt ein leiser Hauch von Windstille, von Übersättigung in allem.
 
:Am Rande seiner Gedanken stand plötzlich das Mädchen Wirklichkeit, als ihn die lauen Wasser umspielten. Hinweg, Mädchen Wirklichkeit! Du selbst warst der tiefste Traum, den ich in den wenigen Stunden hier träumte. Ich werde dich nie wiedersehen. Was man hier schaut, zerrinnt zwischen den Händen wie dieses duftende, schäumende Smegma, diese weißen Wolken, die mir der Diener auf den Schultern verreibt, daß sie das Wasser trüben.
 
:Alles scheint hier einmalig zu sein. Auch einen Apollonios werde ich nie wieder sprechen, nie Wieder die Qualen seiner Eifersucht erblicken, nie wieder den starren Blick seines Hasses und die kalten Worte, in denen der heilige Zorn ihn um Jahrzehnte reifen ließ, fühlen. Vielleicht auch nie wieder dieses Bad, wie es mich heute umkräuselt. Ist das der letzte Sinn der Sattheit dieser Stadt, daß sie alles nur einmal erleben läßt, obgleich sie es täglich, stündlich bietet? Daß sie unsre Sehn~ sucht steigert, je vollkommener sie Erfüllung gibt? Poros und Penia, Überfluß und Mangel als die Eltern des Eros. So hat es der göttliche Platon gesehen. Hier aber erzeugt der Überfluß den Mangel, der zum unauslöschlichen Eros wird.
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:Die Schläfen pochten nicht mehr, als der Diener ihn mit kräuterduftenden Essenzen rieb und mit weichrauhen Tüchern trocknete. Eine beruhigende I-land hatte sich auf sein Denken gelegt. Es begann abzuebben und sich der Windstille zu nähern. Und er streckte sich auf das kühle Lager und hörte schon in weiten Fernen die leisen Tritte des Dieners, der sich in den Vorraum zurückzog.
 
sich auf das kühle Lager und hörte schon in weiten Fernen die leisen Tritte des Dieners, der sich in den Vorraum zurückzog. Archimedes hatte nicht geahnt, welche Fülle von Farben und Lichtern das Museion durchglühte, wenn die volle Morgensonne es traf. Er saß mit Eratosthenes in der Wandelhalle, in der es von zahlreichen Angehörigen des Museions lebendig war. Diskutierende Gelehrte, lehrende Meister mit einem Schwarm von Schülern, sinnende Philosophen, Lesende, Schreibende, alles in buntem und doch gemessenem und lärmlosem Wirrwarr. Ärzte, die mit verbissenen Mündern rasch die Gruppen durchschritten, um zu den Kranken zu eilen. Diener, die allerlei für ihre Herren herbeischleppten. Sogar Frauen und Mädchen, die den Wissenschaften oder bloß der Neugierde oder auch der Liebe nachhingen. Es gab im Museion nur ein Gesetz. Und dieses hieß: Beförderung und Auftrieb des Geistes und der Weisheit. Das Mittel zu diesem Ziele blieb in vollster Freiheit jedem überlassen, sofern es nicht andere physisch störte. Eratosthenes und Archimedes aßen nach der uralten Vorschrift der Pharaonen, wie
 
 
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:Archimedes hatte nicht geahnt, welche Fülle von Farben und Lichtern das Museion durchglühte, wenn die volle Morgensonne es traf.
Beta scherzend sagte, Milch, Weißbrot und frische Feigen. Sie erhoben sich, als ihr Hunger gestillt war, und wiederum ging es durch zahlreiche Höfe. Diesmal jedoch bis ans Ende des Gebäudekomplexes, der die Speisesäle und Wohnstätten umfaßte. Nach Durchschreiten des letzten Gebäudes lag eine breite und lose mit Bäumen bestandene Wiese vor ihnen, an deren jenseitiger Begrenzung ein langgestreckter, riesiger Bau wuchtete, der alle Weitere Sicht versperrte. „Mein Palast“, sagte Eratosthenes lächelnd. „Es ist die einzigartige Bibliothek, der ich vorstehe.“ In Archimedes zitterte plötzlich Erregung. Gut, Bücher. Man hatte sich bisher bei den Hellenen schon manchmal um Bücher gekümmert. Hatte sie gesucht, gefunden, gekauft, besessen. War stolz, einige Schriften sein eigen zu nennen. Schon Peisistratos hatte in Athen die Gesänge Homers aufschreiben lassen, als das lebendige Gedächtnis des Volkes und die Kunst der Rhapsoden nachließ. Aber die Anhäufung allen Wissens hatte erst der unheimliche Sammler Aristoteles begonnen, hatte diesen Trieb dem großen Alexander eingepflanzt, der ihn dann den Diadochen vererbte,
 
:Er saß mit Eratosthenes in der Wandelhalle, in der es von zahlreichen Angehörigen des Museions lebendig war. Diskutierende Gelehrte, lehrende Meister mit einem Schwarm von Schülern, sinnende Philosophen, Lesende, Schreibende, alles in buntem und doch gemessenem und lärmlosem Wirrwarr. Ärzte, die mit verbissenen Mündern rasch die Gruppen durchschritten, um zu den Kranken zu eilen. Diener, die allerlei für ihre Herren herbeischleppten. Sogar Frauen und Mädchen, die den Wissenschaften oder bloß der Neugierde oder auch der Liebe nachhingen. Es gab im Museion nur ein Gesetz. Und dieses hieß: Beförderung und Auftrieb des Geistes und der Weisheit. Das Mittel zu diesem Ziele blieb in vollster Freiheit jedem überlassen, sofern es nicht andere physisch störte.
 
:Eratosthenes und Archimedes aßen nach der uralten Vorschrift der Pharaonen, wie Beta scherzend sagte, Milch, Weißbrot und frische Feigen.
 
:Sie erhoben sich, als ihr Hunger gestillt war, und wiederum ging es durch zahlreiche Höfe. Diesmal jedoch bis ans Ende des Gebäudekomplexes, der die Speisesäle und Wohnstätten umfaßte. Nach Durchschreiten des letzten Gebäudes lag eine breite und lose mit Bäumen bestandene Wiese vor ihnen, an deren jenseitiger Begrenzung ein langgestreckter, riesiger Bau wuchtete, der alle Weitere Sicht versperrte.
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:„Mein Palast“, sagte Eratosthenes lächelnd. „Es ist die einzigartige Bibliothek, der ich vorstehe.“
 
:In Archimedes zitterte plötzlich Erregung. Gut, Bücher. Man hatte sich bisher bei den Hellenen schon manchmal um Bücher gekümmert. Hatte sie gesucht, gefunden, gekauft, besessen. War stolz, einige Schriften sein eigen zu nennen. Schon Peisistratos hatte in Athen die Gesänge Homers aufschreiben lassen, als das lebendige Gedächtnis des Volkes und die Kunst der Rhapsoden nachließ. Aber die Anhäufung allen Wissens hatte erst der unheimliche Sammler Aristoteles begonnen, hatte diesen Trieb dem großen Alexander eingepflanzt, der ihn dann den Diadochen vererbte, insbesondere den Ptolemäern, die noch dazu durch ägyptische Sitten in diesem Hang bestärkt wurden. Ist das nicht alles Angst? Greisenhafte Gier, die Klänge der Jugend zu retten? Oder aber, wie es die Alexandriner fühlen, doch ein neues, größeres, vollertönendes Instrument? Oder gar der Zusammenklang zahlloser Instrumente, der Neues, Ungehörtes offenbaren soll?
insbesondere den Ptolemäern, die noch dazu durch ägyptische Sitten in diesem Hang bestärkt wurden. Ist das nicht alles Angst? Greisenhafte Gier, die Klänge der Jugend zu retten? Oder aber, wie es die Alexandriner fühlen, doch ein neues, größeres, vollertönendes Instrument? Oder gar der Zusammenklang zahlloser Instrumente, der Neues, Ungehörtes offenbaren soll? „Wir haben hier nahe an sechzigtausend Rollen“, erläuterte Eratosthenes. „Drüben im Serapistempel fast noch einmal dieselbe Anzahl. Die Ausgaben und verschiedenen Lesarten Homers allein umfassen mehr als tausend Rollen. Aber wozu Zahlen? Du wirst bald sehen.“ Auf dem Weg, der die Wiese durchschnitt, war ein eifriges Gehen und Kommen, und es wurde noch dichter, als sie in die Vorhalle des Riesengebäudes eintraten. Mächtige offene Türen ließen zu beiden Seiten eine Flucht von Sälen durchblicken, deren Boden mit grünem, spiegelndem Marmor belegt war und deren Decken ein glattes, stumpfes Weiß zeigten. Kein Bild, keine Verzierung. In der Mitte der Säle lange glatte Tische und an den Wänden Regale, auf denen in gedrängten Reihen die zylindrischen Kapseln der Papyrosrollen standen.
 
:„Wir haben hier nahe an sechzigtausend Rollen“, erläuterte Eratosthenes. „Drüben im Serapistempel fast noch einmal dieselbe Anzahl. Die Ausgaben und verschiedenen Lesarten Homers allein umfassen mehr als tausend Rollen. Aber wozu Zahlen? Du wirst bald sehen.“
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:Auf dem Weg, der die Wiese durchschnitt, war ein eifriges Gehen und Kommen, und es wurde noch dichter, als sie in die Vorhalle des Riesengebäudes eintraten. Mächtige offene Türen ließen zu beiden Seiten eine Flucht von Sälen durchblicken, deren Boden mit grünem, spiegelndem Marmor belegt war und deren Decken ein glattes, stumpfes Weiß zeigten. Kein Bild, keine Verzierung. In der Mitte der Säle lange glatte Tische und an den Wänden Regale, auf denen in gedrängten Reihen die zylindrischen Kapseln der Papyrosrollen standen. An den Tischen standen und saßen Lesende und Schreibende, und Diener und Bibliothekare eilten um die gewünschten Kapseln, wobei sie manchmal hohe Treppen zu Hilfe nehmen mußten. „Wir sind nicht bloß Bibliothek“, sagte Eratosthenes,
 
An den Tischen standen und saßen Lesende und Schreibende, und Diener und Bibliothekare eilten um die gewünschten Kapseln, wobei sie manchmal hohe Treppen zu Hilfe nehmen mußten. „Wir sind nicht bloß Bibliothek“, sagte Eratosthenes, :„Wir sind mehr als das. Du wirst es gleich sehen. Wirst auch in den Mittelpunkt einer Riesenschlacht des Geistes geraten, in einen Umsturz der Wissenschaft, wie ihn die Welt bisher noch nicht sah. Dieses Schlachtfeld allerdings ist selbst den Gelehrten des Museions verschlossen. Aber einmal darfst du einen Blick hinter die Bühne tun.“ Und er ging auf eine verschlossene Tür zu, vor der vier Makedonier Posten standen, die beim Anblick des Leiters der Bibliothek die Flügel, militärisch grüßend, öffneten, sie jedoch gleich wieder unerbittlich hinter den beiden schlossen. Durch einige Korridore gelangten sie in eine neue Flucht von Sälen, in denen es von Arbeit geradezu summte und schwirrte. Viele Hunderte von Schreibern pinselten mit unwahrscheinlicher Geschicklichkeit nach Vorlagen Zeile um Zeile, Kolumne auf Kolumne, und stets neue Stapel von Papyrosrollen wurden hereingeschafft. Die fertigen Schriften aber wanderten sofort in Werkstätten in
 
:Und er ging auf eine verschlossene Tür zu, vor der vier Makedonier Posten standen, die beim Anblick des Leiters der Bibliothek die Flügel, militärisch grüßend, öffneten, sie jedoch gleich wieder unerbittlich hinter den beiden schlossen. Durch einige Korridore gelangten sie in eine neue Flucht von Sälen, in denen es von Arbeit geradezu summte und schwirrte. Viele Hunderte von Schreibern pinselten mit unwahrscheinlicher Geschicklichkeit nach Vorlagen Zeile um Zeile, Kolumne auf Kolumne, und stets neue Stapel von Papyrosrollen wurden hereingeschafft. Die fertigen Schriften aber wanderten sofort in Werkstätten in denen die Begrenzungsstäbe der Rollen gedrechselt, mit Knöpfen versehen und an die Enden der Rollen geklebt Wurden. Vergolder verzierten Knöpfe und Stäbe und versahen auch die Behälter, die wieder in anderen Werkstätten geschaffen Wurden, mit Aufschriften.
 
:Einige Beamte der Werkstätten kamen auf Eratosthenes zu. Der eine trug ein Bündel von milchweißen harten Blättern, ein anderer hatte einige beschriebene Blätter in der Hand. Alle aber waren im höchsten Maße erregt.
 
:„Das Rätsel von Pergamon ist gelöst“, sagte der erste Beamte und warf die Blätter auf einen Tisch, daß es hörbar klatschte.
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:„Sieh nur, großer Beta, sie beschreiben die Blätter auf beiden Seiten und heften sie aneinander. Der Stoff ist vollkommen undurchsichtig. Und verträgt Feuchtigkeit, Fett und Biegung.“
 
:Eratosthenes nahm eines der Blätter prüfend in die Hand. Dann sagte er zu Archimedes:
denen die Begrenzungsstäbe der Rollen gedrechselt, mit Knöpfen versehen und an die Enden der Rollen geklebt Wurden. Vergolder verzierten Knöpfe und Stäbe und versahen auch die Behälter, die wieder in anderen Werkstätten geschaffen Wurden, mit Aufschriften. Einige Beamte der Werkstätten kamen auf Eratosthenes zu. Der eine trug ein Bündel von milchweißen harten Blättern, ein anderer hatte einige beschriebene Blätter in der Hand. Alle aber waren im höchsten Maße erregt. „Das Rätsel von Pergamon ist gelöst“, sagte der erste Beamte und warf die Blätter auf einen Tisch, daß es hörbar klatschte. „Sieh nur, großer Beta, sie beschreiben die Blätter auf beiden Seiten und heften sie aneinander. Der Stoff ist vollkommen undurchsichtig. Und verträgt Feuchtigkeit, Fett und Biegung.“ Eratosthenes nahm eines der Blätter prüfend in die Hand. Dann sagte er zu Archimedes: „Unser König hörte, daß Eumenes von Pergamon die Absicht habe, unser Museion und unsere Bibliothek nachzuahmen. Philadelphos ist nicht neidisch, aber er fürchtete, daß eine Zersplitterung manche Gelehrte abziehen
 
:„Unser König hörte, daß Eumenes von Pergamon die Absicht habe, unser Museion und unsere Bibliothek nachzuahmen. Philadelphos ist nicht neidisch, aber er fürchtete, daß eine Zersplitterung manche Gelehrte abziehen könnte und dadurch gerade den Grundgedanken und die größte Stärke des Museions, die Zusammenballung aller Geisteskräfte der Erde, vernichten würde. Da nur wir hier in Ägypten nennenswerte Mengen von Papyros haben, erließ er ein Ausfuhrverbot. Wir hörten lange nichts von Pergamon. Bis endlich die Kunde kam, der Attalide ließe besseren, dauerhafteren und schöneren Schreibstofi aus Tierhäuten herstellen und habe dadurch sogar dem Buch, ja sogar der Bibliothek, eine neue Form geschaffen, da das neue pergamenische Buch viel weniger Raum beanspruche. Hier der Beweis. Ich schenke dir zwei solche pergamenische Blätter, Archimedes.“ Und er reichte dem Archimedes zwei Tafeln, die an den Rändern wellig gezackt waren, deren Fläche jedoch beinahe glasige Glätte aufwies. „Gleichwohl fürchte ich nicht für unser Museion. So schnell wird Eumenes nicht mehr als hunderttausend Bücher auf diesem teuren Stoff herstellen. Wir haben mehr als hundert Jahre Vorsprung.“
 
:Archimedes bog die Blätter und betrachtete sie voll von Erstaunen. Dabei aber durchzuckte ihn ein Gedanke, der sich weitete und ihn zunehmend erregte, so daß er den Gang durch die Bibliothek selbst zwar als Ereignis empfand, dem einzelnen jedoch nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit schenkte wie vorher. Dies änderte sich jedoch sofort, als sie zu den Schriften der Mathematiker gelangten.
 
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könnte und dadurch gerade den Grundgedanken und die größte Stärke des Museions, die Zusammenballung aller Geisteskräfte der Erde, vernichten würde. Da nur wir hier in Ägypten nennenswerte Mengen von Papyros haben, erließ er ein Ausfuhrverbot. Wir hörten lange nichts von Pergamon. Bis endlich die Kunde kam, der Attalide ließe besseren, dauerhafteren und schöneren Schreibstofi aus Tierhäuten herstellen und habe dadurch sogar dem Buch, ja sogar der Bibliothek, eine neue Form geschaffen, da das neue pergamenische Buch viel weniger Raum beanspruche. Hier der Beweis. Ich schenke dir zwei solche pergamenische Blätter, Archimedes.“ Und er reichte dem Archimedes zwei Tafeln, die an den Rändern wellig gezackt waren, deren Fläche jedoch beinahe glasige Glätte aufwies. „Gleichwohl fürchte ich nicht für unser Museion. So schnell wird Eumenes nicht mehr als hunderttausend Bücher auf diesem teuren Stoff herstellen. Wir haben mehr als hundert Jahre Vorsprung.“ Archimedes bog die Blätter und betrachtete sie voll von Erstaunen. Dabei aber durchzuckte ihn ein Gedanke, der sich weitete und ihn zunehmend erregte, so daß er den Gang durch die Bibliothek selbst zwar als Ereignis empfand, dem einzelnen jedoch nicht mehr
 
:Schon rein äußerlich bildete dieser Saal der Mathematiker eine Besonderheit. Auch hier der spiegelglatte, grüne Marmorfußboden. Auch hier die stumpfweiße, zieratlose Decke. Auch hier schließlich die Regale mit den zahllosen Kapseln der Papyri. Aber es waren noch andere Regale da, auf deren Brettern, sorgfältig geordnet, alles lag, was sich der anspruchsvollste Mensch als Zeichenbehelf ersinnen konnte. Zirkel aller Größen, Lineale, Maßstäbe, Stöße von Papyrosrollen und dazu jene sonderbaren und umstürzenden Geräte zur Darstellung von Kegelschnitten, Muschel- und Epheukurven, die zur rein zeichnerischen Lösung der großen Probleme der Würfelverdoppelung und Winkeldreiteilung von den Zeitgenossen Platons ersonnen worden waren.
 
:Archimedes erblickte mitten im Getriebe der Arbeitenden den großen Konon und für einen Herzschlag auch den kleinen Apollonios, der sich jedoch sofort abkehrte und mit geröteten Wangen auf seinen Arbeitstisch starrte.
 
:Diese Arbeitstische vervollständigten die Bequemlichkeit der Einrichtung. Jeder Tische war geteilt. Während aber die eine Hälfte gleichsam eine offene Schublade war, in der feiner angefeuchteter Sand es erlaubte, mit einem Elfenbeingriffel flüchtige Skizzen zu zeichnen, die man mit einer breiten Spachtel glättend wieder fortwischte, war die zweite Hälfte der Tische eine Art von Reißbrett, auf dem die endgültigen Zeichnungen auf den Papyros aufgetragen wurden. Und es war dafür gesorgt, daß reichlich Licht durch hohe Fenster einströmte.
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:Konon kam sofort auf Archimedes und Eratosthenes zu. Er lächelte leicht, als er den Fieberblick wahrnahm, mit dem Archimedes diese mathematische Werkstätte musterte.
die gleiche Aufmerksamkeit schenkte wie vorher. Dies änderte sich jedoch sofort, als sie zu den Schriften der Mathematiker gelangten. Schon rein äußerlich bildete dieser Saal der Mathematiker eine Besonderheit. Auch hier der spiegelglatte, grüne Marmorfußboden. Auch hier die stumpfweiße, zieratlose Decke. Auch hier schließlich die Regale mit den zahllosen Kapseln der Papyri. Aber es waren noch andere Regale da, auf deren Brettern, sorgfältig geordnet, alles lag, was sich der anspruchsvollste Mensch als Zeichenbehelf ersinnen konnte. Zirkel aller Größen, Lineale, Maßstäbe, Stöße von Papyrosrollen und dazu jene sonderbaren und umstürzenden Geräte zur Darstellung von Kegelschnitten, Muschel- und Epheukurven, die zur rein zeichnerischen Lösung der großen Probleme der Würfelverdoppelung und Winkeldreiteilung von den Zeitgenossen Platons ersonnen worden waren. Archimedes erblickte mitten im Getriebe der Arbeitenden den großen Konon und für einen Herzschlag auch den kleinen Apollonios, der sich jedoch sofort abkehrte und mit geröteten Wangen auf seinen Arbeitstisch starrte. Diese Arbeitstische vervollständigten die Bequemlichkeit der Einrichtung. Jeder
 
:„Hast du Verlangen nach irgendeiner mathematischen Schrift?“ fragte Konon scherzend. „Auch deine bisherigen Schriften stehen dort oben. Aber es wäre ja möglich, daß du in Syrakus noch nicht alles dir beschaffen konntest, was dich brennend interessiert. Befiehl, Archimedes. Wir werden versuchen, zu zaubern.“
 
:Wieder überkam Archimedes eine quälende Unrast und ein traumartiger Zustand. Warum wunderte er sich im Angesichte der Tatsachen über Dinge, die er doch gewußt hatte, bevor er in Syrakus das Schiff bestieg? Derentwegen er ja hierher gereist war? Plötzlich bildete er sich ein, in diesen Kapseln auf den Regalen wäre nichts oder nur Unwesentliches enthalten. Er wollte eine Probe machen, an deren Gelingen er zweifelte. Hatte er doch nach diesen Büchern seit Jahren vergeblich gefahndet, ohne mehr zu erreichen als kärgliche Auszüge. Man konnte sie also auch hier nicht besitzen.
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:„Verschaffe mir die Bücher des Eudoxos, mein lächelnder Konon“, erwiderte er schnell. „Dann werde ich an die Zauberei glauben.“
 
:„Sonst Willst du nichts?“ fiel Eratosthenes in. „Wir haben davon, soviel ich weiß, mehrere Abschriften. Du kannst sie also ruhig auf dein Zimmer nehmen.“ Und er Winkte einem Gehilfen, der sofort in eine entfernte Ecke des Saales eilte, dort eine Leiter bestieg und nach kürzester Zeit mit zwei Behältnissen erschien.
Tische war geteilt. Während aber die eine Hälfte gleichsam eine offene Schublade war, in der feiner angefeuchteter Sand es erlaubte, mit einem Elfenbeingriffel flüchtige Skizzen zu zeichnen, die man mit einer breiten Spachtel glättend wieder fortwischte, war die zweite Hälfte der Tische eine Art von Reißbrett, auf dem die endgültigen Zeichnungen auf den Papyros aufgetragen wurden. Und es war dafür gesorgt, daß reichlich Licht durch hohe Fenster einströmte. Konon kam sofort auf Archimedes und Eratosthenes zu. Er lächelte leicht, als er den Fieberblick wahrnahm, mit dem Archimedes diese mathematische Werkstätte musterte. „Hast du Verlangen nach irgendeiner mathematischen Schrift?“ fragte Konon scherzend. „Auch deine bisherigen Schriften stehen dort oben. Aber es wäre ja möglich, daß du in Syrakus noch nicht alles dir beschaffen konntest, was dich brennend interessiert. Befiehl, Archimedes. Wir werden versuchen, zu zaubern.“ Wieder überkam Archimedes eine quälende Unrast und ein traumartiger Zustand. Warum wunderte er sich im Angesichte der Tatsachen über Dinge, die er doch gewußt hatte, bevor er in Syrakus das Schiff bestieg? Derentwegen
 
:Konon warf einen prüfenden Blick auf die Aufschriften.
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er ja hierher gereist war? Plötzlich bildete er sich ein, in diesen Kapseln auf den Regalen wäre nichts oder nur Unwesentliches enthalten. Er wollte eine Probe machen, an deren Gelingen er zweifelte. Hatte er doch nach diesen Büchern seit Jahren vergeblich gefahndet, ohne mehr zu erreichen als kärgliche Auszüge. Man konnte sie also auch hier nicht besitzen. „Verschaffe mir die Bücher des Eudoxos, mein lächelnder Konon“, erwiderte er schnell. „Dann werde ich an die Zauberei glauben.“ „Sonst Willst du nichts?“ fiel Eratosthenes in. „Wir haben davon, soviel ich weiß, mehrere Abschriften. Du kannst sie also ruhig auf dein Zimmer nehmen.“ Und er Winkte einem Gehilfen, der sofort in eine entfernte Ecke des Saales eilte, dort eine Leiter bestieg und nach kürzester Zeit mit zwei Behältnissen erschien. Konon warf einen prüfenden Blick auf die Aufschriften. :„Es ist alles, was Eudoxos geschrieben hat. Bist du zufrieden, Archimedes? Da du wahrscheinlich in deinem Zimmer arbeiten willst, wirst du es nachher dort finden. Es muß bloß eingetragen und verbucht werden. Wir senden außerdem noch Papyros zum Zeichnen und Zeichengeräte mit. Die magst du dir ebenfalls auswählen.“
 
:„Und mich wirst du jetzt entschuldigen“, ergänzte Eratosthenes. „Ich wollte dir bloß noch eröffnen, daß du dir in den Kanzleien dein Gehalt beheben kannst. Man wird dich hinführen.“
 
:Archimedes sah ihn fassungslos an.
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:„Was für ein Gehalt? Ich bin doch Schüler.“
und Zeichengeräte mit. Die magst du dir ebenfalls auswählen.“ „Und mich wirst du jetzt entschuldigen“, ergänzte Eratosthenes. „Ich wollte dir bloß noch eröffnen, daß du dir in den Kanzleien dein Gehalt beheben kannst. Man wird dich hinführen.“ Archimedes sah ihn fassungslos an. „Was für ein Gehalt? Ich bin doch Schüler.“ Da lachte Eratosthenes auf. „Das mußt du wohl dem Urteil unsres Königs und unsrem Urteil überlassen, als was wir dich hier ansehen. Schüler sind wir schließlich alle bis ans Ende. Sonst wären wir nicht richtige Mitglieder des Museions. Der König hat es so gewünscht. Er dürfte wissen warum. Jetzt aber leb wohl, Archimedes! Wenn es dir paßt, sehen wir uns bei Tisch. Wenn nicht, wird niemand fragen, wo du bist. Alexandria ist schön und groß und die Muse ist auch anderswo zu treffen als im Museion, was Sosibios als Paradoxon bezeichnen würde.“ Mit diesen Worten kehrte sich der große Beta ab und erteilte sofort Weisungen an Beamte, die ihm nachgegangen waren und ihm geschäftig Aktenstücke entgegenhielten. Archimedes aber stand noch immer angewurzelt da und sah nicht einmal die lächelnden
 
:Da lachte Eratosthenes auf.
 
:„Das mußt du wohl dem Urteil unsres Königs und unsrem Urteil überlassen, als was wir dich hier ansehen. Schüler sind wir schließlich alle bis ans Ende. Sonst wären wir nicht richtige Mitglieder des Museions. Der König hat es so gewünscht. Er dürfte wissen warum. Jetzt aber leb wohl, Archimedes! Wenn es dir paßt, sehen wir uns bei Tisch. Wenn nicht, wird niemand fragen, wo du bist. Alexandria ist schön und groß und die Muse ist auch anderswo zu treffen als im Museion, was Sosibios als Paradoxon bezeichnen würde.“ Mit diesen Worten kehrte sich der große Beta ab und erteilte sofort Weisungen an Beamte, die ihm nachgegangen waren und ihm geschäftig Aktenstücke entgegenhielten.
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:Archimedes aber stand noch immer angewurzelt da und sah nicht einmal die lächelnden Blicke Konons, der sich an seinem entrückten Gesicht weidete.
Blicke Konons, der sich an seinem entrückten Gesicht weidete. Der Traum eines Traumes? Wer hatte das gesagt? Gleichgültig, wer es gesagt hatte. Würde dieser Traum ein Ende nehmen? Wohin waren die Bücher des Eudoxos verschwunden? Er würde sie nachher auf dem Zimmer finden. Und entrollen. Und alles würde er leiblich vor Augen haben, was er seit Jahren suchte. Er wußte genau, warum er gerade nach Eudoxos fahndete. Bei Eudoxos war die erste Spur, die Wurzel, aus der sein Riesenbaum sich entfalten sollte. Dieser unheimliche Baum, dessen Früchte der kleine Apollonios wahrscheinlich für giftig hielt. Er ertrug es plötzlich nicht mehr, mitten in diesem Saal zu stehen. Alle, die da zirkelten und rechneten, lasen und kritzelten, schienen ihm Widerspruch entgegensetzen zu wollen. Es war die Schule Euklids, er fühlte den kalten Schatten des Riesen fast körperlich. Nein, nein, nein! Man sollte ihn nicht einfangen, nicht mit Gewalt bestechen, zu nichts zwingen. Er mußte fliehen, bevor es zu spät war. Es gab eine Freiheit, die tödlicher war als der wildeste Zwang. Warum lächelt Konon in einem fort? Warum flüstert Apollonios jetzt mit einem grauhaarigen Mathematiker?
 
:Der Traum eines Traumes? Wer hatte das gesagt? Gleichgültig, wer es gesagt hatte. Würde dieser Traum ein Ende nehmen? Wohin waren die Bücher des Eudoxos verschwunden? Er würde sie nachher auf dem Zimmer finden. Und entrollen. Und alles würde er leiblich vor Augen haben, was er seit Jahren suchte. Er wußte genau, warum er gerade nach Eudoxos fahndete. Bei Eudoxos war die erste Spur, die Wurzel, aus der sein Riesenbaum sich entfalten sollte. Dieser unheimliche Baum, dessen Früchte der kleine Apollonios wahrscheinlich für giftig hielt.
 
:Er ertrug es plötzlich nicht mehr, mitten in diesem Saal zu stehen. Alle, die da zirkelten und rechneten, lasen und kritzelten, schienen ihm Widerspruch entgegensetzen zu wollen. Es war die Schule Euklids, er fühlte den kalten Schatten des Riesen fast körperlich. Nein, nein, nein! Man sollte ihn nicht einfangen, nicht mit Gewalt bestechen, zu nichts zwingen. Er mußte fliehen, bevor es zu spät war. Es gab eine Freiheit, die tödlicher war als der wildeste Zwang. Warum lächelt Konon in einem fort? Warum flüstert Apollonios jetzt mit einem grauhaarigen Mathematiker?
 
 
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„Ich sehe, du willst zu deinem Eudoxos“, sagte unvermittelt Konon. „Du hast recht. Er ist ein Geist, der dir verwandt ist. Wir sehen uns wieder, wenn du mich brauchst.“ Und er winkte mit der Hand und ging zu seinem Arbeitstisch zurück. Archimedes aber, der die Worte nur halb verstanden hatte, wanderte wie im Traum den Weg zurück, den er mit Beta gekommen war. Er war so erregt, daß es ihn nicht verwunderte, als er irgendwo im Hof des Wohngebäudes seinen Diener traf, der ihn wortlos in die Kanzlei führte, da man angeblich bereits zu ihm geschickt habe. Man zahlte ihm eine Summe aus, deren Höhe ihn schwindlig machte, und fragte ihn, ob er etwa Vorschuß nehmen wolle. Er schüttelte den Kopf, quittierte, bedankte sich bei dem erstaunten Kanzleischreiber, der vor Unterwürfigkeit nicht wußte, was er darauf erwidern sollte, und eilte davon. Der Diener lief voran, damit der Herr den Weg nicht verfehle. Als Archimedes in sein Zimmer stürmte, galt sein erster Blick dem Tisch, auf dem bereits die Werke des Eudoxos standen. „Rück mir den Lehnstuhl zum Fenster", sagte er vor sich hin, und als der Diener blitzschnell gehorchte, warf er sich in den Sessel
 
 
:„Ich sehe, du willst zu deinem Eudoxos“, sagte unvermittelt Konon. „Du hast recht. Er ist ein Geist, der dir verwandt ist. Wir sehen uns wieder, wenn du mich brauchst.“ Und er winkte mit der Hand und ging zu seinem Arbeitstisch zurück.
 
:Archimedes aber, der die Worte nur halb verstanden hatte, wanderte wie im Traum den Weg zurück, den er mit Beta gekommen war.
 
:Er war so erregt, daß es ihn nicht verwunderte, als er irgendwo im Hof des Wohngebäudes seinen Diener traf, der ihn wortlos in die Kanzlei führte, da man angeblich bereits zu ihm geschickt habe. Man zahlte ihm eine Summe aus, deren Höhe ihn schwindlig machte, und fragte ihn, ob er etwa Vorschuß nehmen wolle. Er schüttelte den Kopf, quittierte, bedankte sich bei dem erstaunten Kanzleischreiber, der vor Unterwürfigkeit nicht wußte, was er darauf erwidern sollte, und eilte davon. Der Diener lief voran, damit der Herr den Weg nicht verfehle.
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:Als Archimedes in sein Zimmer stürmte, galt sein erster Blick dem Tisch, auf dem bereits die Werke des Eudoxos standen.
 
:„Rück mir den Lehnstuhl zum Fenster", sagte er vor sich hin, und als der Diener blitzschnell gehorchte, warf er sich in den Sessel und ergriff mit zitternden Fingern die erste Rolle des Eudoxos.
und ergriff mit zitternden Fingern die erste Rolle des Eudoxos. Ja, da war es! Alles war da. Alles, von dem er bisher nur armselige Bruchstücke gekannt hatte. Wie ein weites sattes Land lag es vor ihm. Satz um Satz, Beweis um Beweis. Und unvermittelt schrak er zusammen. Wie, wenn Eudoxos schon alles geleistet hatte, nach dem er selbst strebte? Hatte er so sichere Nachricht, da er nur Auszüge und Bruchstücke bisher kannte? Seine Augen flogen über die Kolumnen, die zitternden Finger entrollten und spannten den Papyros. Jetzt mußte es kommen. Jetzt und jetzt. Hier war der Weg, den er selbst gehen wollte. Nein. Die Gedanken rissen ab, liefen in andre Richtung. Aber hier wieder. Es mußte jetzt kommen. Die Mathematik war doch ein zwingendes Geleise, das zum bestimmten Ziel führen mußte, wenn man sich in den Beginn des Geleises begeben hatte. Nein, wieder nicht. Trotz herrlichster Anfänge ein andrer Weg. Es lagen Jahrhunderte zwischen Eudoxos und dem heutigen Tag. Von Neuentdeckung erfüllte Jahrhunderte. Und eben diese Neuentdeckungen waren weitere Bausteine, die sich erst mit den Vorläufergedanken des Eudoxos verschwistern mußten, um dorthin zu führen,
 
:Ja, da war es! Alles war da. Alles, von dem er bisher nur armselige Bruchstücke gekannt hatte. Wie ein weites sattes Land lag es vor ihm. Satz um Satz, Beweis um Beweis. Und unvermittelt schrak er zusammen. Wie, wenn Eudoxos schon alles geleistet hatte, nach dem er selbst strebte? Hatte er so sichere Nachricht, da er nur Auszüge und Bruchstücke bisher kannte?
 
:Seine Augen flogen über die Kolumnen, die zitternden Finger entrollten und spannten den Papyros. Jetzt mußte es kommen. Jetzt und jetzt. Hier war der Weg, den er selbst gehen wollte. Nein. Die Gedanken rissen ab, liefen in andre Richtung. Aber hier wieder. Es mußte jetzt kommen. Die Mathematik war doch ein zwingendes Geleise, das zum bestimmten Ziel führen mußte, wenn man sich in den Beginn des Geleises begeben hatte. Nein, wieder nicht. Trotz herrlichster Anfänge ein andrer Weg. Es lagen Jahrhunderte zwischen Eudoxos und dem heutigen Tag. Von Neuentdeckung erfüllte Jahrhunderte. Und eben diese Neuentdeckungen waren weitere Bausteine, die sich erst mit den Vorläufergedanken des Eudoxos verschwistern mußten, um dorthin zu führen, wo er selbst die Ziele sah. Wozu auch die Kugel gehörte, die glatte Kugel, an der bisher die Gedanken von Jahrtausenden abgeglitten waren.
 
:War er noch ein Gefangener des Museions? Wer störte ihn? Lebte er nicht körperlich im lichten Ideenreiche Platons? In einem Elysion, das schöner war als die begeisterten Schilderungen der Dichter?
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:Und er raste weiter und er wußte nichts mehr von irgendeiner Wirklichkeit, während eine Rolle nach der anderen, durchdrungen und durchforscht, neben ihm auf den Estrich sank, wo sie aber auch wieder ins Nichts verschwand, da der Diener sie auflas und sie lautlos zurückrollte und einordnete.
 
:Plötzlich begannen sich die Schriftzüge, Zeichnungen und Buchstaben vor seinem Auge zu verwischen. Und eine mehrfach wiederholte Botschaft traf sein Ohr.
wo er selbst die Ziele sah. Wozu auch die Kugel gehörte, die glatte Kugel, an der bisher die Gedanken von Jahrtausenden abgeglitten waren. War er noch ein Gefangener des Museions? Wer störte ihn? Lebte er nicht körperlich im lichten Ideenreiche Platons? In einem Elysion, das schöner war als die begeisterten Schilderungen der Dichter? Und er raste weiter und er wußte nichts mehr von irgendeiner Wirklichkeit, während eine Rolle nach der anderen, durchdrungen und durchforscht, neben ihm auf den Estrich sank, wo sie aber auch wieder ins Nichts verschwand, da der Diener sie auflas und sie lautlos zurückrollte und einordnete. Plötzlich begannen sich die Schriftzüge, Zeichnungen und Buchstaben vor seinem Auge zu verwischen. Und eine mehrfach wiederholte Botschaft traf sein Ohr. Da erwachte er aus seiner Entrücktheit. Kein Wunder, daß seine Augen den Dienst versagten. Es dämmerte bereits. Was aber bedeutete das Gemurmel im Vorraum, das durchaus keine Sinnestäuschung gewesen war, da es unentwegt weiterging. Ohne Zweifel eine fremde Sprache. Eine härtere und schärfere Sprache als das Hellenische. Wahrscheinlich
 
:Da erwachte er aus seiner Entrücktheit. Kein Wunder, daß seine Augen den Dienst versagten. Es dämmerte bereits. Was aber bedeutete das Gemurmel im Vorraum, das durchaus keine Sinnestäuschung gewesen war, da es unentwegt weiterging. Ohne Zweifel eine fremde Sprache. Eine härtere und schärfere Sprache als das Hellenische. Wahrscheinlich ägyptisch. Ach, sein Diener war ja ein Ägypter. Und er unterhielt sich offenbar mit anderen Leuten des Gesindes.
 
:Das Gemurmel war verstummt. Der Diener stand unvermittelt vor Archimedes und beobachtete, ob er noch in die Weisheit vertieft sei. Als er sich davon überzeugt hatte, daß der Herr nicht mehr las, meldete er leise:
 
:„Herr, ein Brief. Ein Sklave hat ihn abgegeben, ohne daß es mir gelang, herauszubringen, Wer der Absender sei.“
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ägyptisch. Ach, sein Diener war ja ein Ägypter. Und er unterhielt sich offenbar mit anderen Leuten des Gesindes. Das Gemurmel war verstummt. Der Diener stand unvermittelt vor Archimedes und beobachtete, ob er noch in die Weisheit vertieft sei. Als er sich davon überzeugt hatte, daß der Herr nicht mehr las, meldete er leise: „Herr, ein Brief. Ein Sklave hat ihn abgegeben, ohne daß es mir gelang, herauszubringen, Wer der Absender sei.“ Archimedes blickte erstaunt auf den gefalteten und gesiegelten Papyros. Schreibstoff solcher Feinheit und Farbe hatte er noch nie gesehen. Dabei duftete das Schreiben eigentümlich. Wie nach fremdesten Blumen. Hatte er diesen Duft nicht schon gespürt? „Geh, ich werde dich rufen,wenn ich etwas brauche“, sagte er leise. Als der Diener verschwand, öffnete er den Brief, wobei ihn schon mächtige vordrängende Erinnerungsbilder umgaukelten. Er wußte schon einen Teil des Geheimnisses. Der Duft hatte deutlicher gesprochen, als je Buchstaben sprechen können. Da stand es außerdem in schönen, energischen griechischen Worten: „Die Wirklichkeit sendet Archimedes von Syrakus ihren Gruß! Du bist in tiefe Träume
 
:„Geh, ich werde dich rufen,wenn ich etwas brauche“, sagte er leise. Als der Diener verschwand, öffnete er den Brief, wobei ihn schon mächtige vordrängende Erinnerungsbilder umgaukelten. Er wußte schon einen Teil des Geheimnisses. Der Duft hatte deutlicher gesprochen, als je Buchstaben sprechen können.
 
:Da stand es außerdem in schönen, energischen griechischen Worten:
 
:„Die Wirklichkeit sendet Archimedes von Syrakus ihren Gruß! Du bist in tiefe Träume
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verstrickt, mein Freund. Ich weiß es. Trotzdem rufe ich Dich zu mir.
:,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Diesen Vers sang Dein herrlicher bukolischer Landsmann Theokrit, durch dessen Worte sich die Wälder wieder mit Göttern belebten, die - wie der große Pan - schon tot waren. Lies die Idylle ,Die Zauberin‘, damit Du verstehst, was ich meine. Wenn Du es aber verstanden hast, dann nimm es wieder nicht zu ernst, auf daß Du keine Enttäuschung erlebst. Für mich aber wäre es wunderschön, wenn Du heute bei mir speistest und Dich von tiefem Denken erholtest.
 
:,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Den Kreisel treibt mein Sklave, der Dich vor dem Museion auf der Kanopischen Straße erwartet. Auf Wiedersehen, mein Freund!“
 
:Als Archimedes die Zeilen überflogen hatte, wußte er, daß ,die Wirklichkeit‘ ihm seit gestern unablässig nahe gewesen war. Andere Eindrücke, unerhört Neues hatten ihr Bild verdrängt, wie der wehende Wind das Spiegelbild im Wasser zu Farbenstreifen zerwogt, aber die Farbenstreifen waren vor ihm gewesen. Jeden Herzschlag hatte er sie gesehen. Es gab kein Leugnen. Wer aber war diese Wirklichkeit? Was konnte sie wollen? Laune? Zweck? Wirkliche geistige Anteilnahme? In Alexandria interessierte sich ja angeblich sogar der Pöbel für das Museion.
verstrickt, mein Freund. Ich weiß es. Trotzdem rufe ich Dich zu mir.
:,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Diesen Vers sang Dein herrlicher bukolischer Landsmann Theokrit, durch dessen Worte sich die Wälder wieder mit Göttern belebten, die - wie der große Pan - schon tot waren. Lies die Idylle ,Die Zauberin‘, damit Du verstehst, was ich meine. Wenn Du es aber verstanden hast, dann nimm es wieder nicht zu ernst, auf daß Du keine Enttäuschung erlebst. Für mich aber wäre es wunderschön, wenn Du heute bei mir speistest und Dich von tiefem Denken erholtest. ,Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.‘ Den Kreisel treibt mein Sklave, der Dich vor dem Museion auf der Kanopischen Straße erwartet. Auf Wiedersehen, mein Freund!“ Als Archimedes die Zeilen überflogen hatte, wußte er, daß ,die Wirklichkeit‘ ihm seit gestern unablässig nahe gewesen war. Andere Eindrücke, unerhört Neues hatten ihr Bild verdrängt, wie der wehende Wind das Spiegelbild im Wasser zu Farbenstreifen zerwogt, aber die Farbenstreifen waren vor ihm gewesen. Jeden Herzschlag hatte er sie gesehen. Es gab kein Leugnen. Wer aber war diese
 
 
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:Er rief nach dem Diener.
:„Ist die Bibliothek noch geöffnet?“ fragte er heiser vor Erregung, die er nicht ganz verstand.
 
:„Sie ist Tag und Nacht zugänglich, o Herr.“
Wirklichkeit? Was konnte sie wollen? Laune? Zweck? Wirkliche geistige Anteilnahme? In Alexandria interessierte sich ja angeblich sogar der Pöbel für das Museion. Er rief nach dem Diener. „Ist die Bibliothek noch geöffnet?“ fragte er heiser vor Erregung, die er nicht ganz verstand. „Sie ist Tag und Nacht zugänglich, o Herr.“ „Verstehst du, ein Buch zu holen?“ „Es wird sofort zur Stelle sein, o Herr. Schreib deinen Wunsch auf dieses Blättchen. Es ist zu diesem Zweck hier.“ Archimedes kritzelte schnell „Idyllen des Theokrit“ auf den Papyros. Er kannte die Gedichte des großen Landsmannes nicht. Der Diener war sofort verschwunden, nachdem er den Zettel in Empfang genommen hatte. Archimedes sprang auf und durchmaß das Zimmer in schnellen Schritten. Auf und ab. Gut, er hatte bisher gelebt wie jeder Jüngling in Hellas. Auch Frauen waren schon oft in sein Erleben eingetreten. Auch Dirnen, auch Knaben. Aber heute war das kein bukolisches Idyll, kein Schäfergetändel. Auch keine Liebe. Es war mehr und weniger. Es war ein beinahe unheimliches Geschehen, so gewöhnlich die Außenseite erschien. Er sollte nicht ernst nehmen,
 
:„Verstehst du, ein Buch zu holen?“
 
:„Es wird sofort zur Stelle sein, o Herr. Schreib deinen Wunsch auf dieses Blättchen. Es ist zu diesem Zweck hier.“
 
:Archimedes kritzelte schnell „Idyllen des Theokrit“ auf den Papyros. Er kannte die Gedichte des großen Landsmannes nicht. Der Diener war sofort verschwunden, nachdem er den Zettel in Empfang genommen hatte.
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:Archimedes sprang auf und durchmaß das Zimmer in schnellen Schritten. Auf und ab. Gut, er hatte bisher gelebt wie jeder Jüngling in Hellas. Auch Frauen waren schon oft in sein Erleben eingetreten. Auch Dirnen, auch Knaben. Aber heute war das kein bukolisches Idyll, kein Schäfergetändel. Auch keine Liebe. Es war mehr und weniger. Es war ein beinahe unheimliches Geschehen, so gewöhnlich die Außenseite erschien. Er sollte nicht ernst nehmen, was er las. Das war es eben. In diesem Ausgleiten lag die Überlegenheit der „Wirklichkeit“. Wenn er nun aber doch eine Buhlerin traf, die wußte, daß neu angekommene Gelehrte im Museion sofort das große, für sie fast überflüssige Gehalt einzogen? Da lag die Gefahr. Solche Enttäuschung war tödlich. Warum wagte er jedoch das Abenteuer? Jetzt verstand er erst. Sie warnte ihn ja selbst. Daß er es nicht gleich bemerkt hatte. Er solle es eben nicht ernst nehmen, wenn ihn eine Hetäre rief. Die „Wirklichkeit" war ehrlich. Er durfte nachher nicht klagen.
 
:Der Diener stellte den Bücherbehälter auf den Tisch. Archimedes fand die Schnelligkeit, mit der sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, bereits selbstverständlich. Er entrollte das erste Buch. Gut, gleich die zweite Idylle. „Die Zauberin.“
 
was er las. Das war es eben. In diesem Ausgleiten lag die Überlegenheit der „Wirklichkeit“. Wenn er nun aber doch eine Buhlerin traf, die wußte, daß neu angekommene Gelehrte im Museion sofort das große, für sie fast überflüssige Gehalt einzogen? Da lag die Gefahr. Solche Enttäuschung war tödlich. Warum wagte er jedoch das Abenteuer? Jetzt verstand er erst. Sie warnte ihn ja selbst. Daß er es nicht gleich bemerkt hatte. Er solle es eben nicht ernst nehmen, wenn ihn eine Hetäre rief. Die „Wirklichkeit" war ehrlich. Er durfte nachher nicht klagen. Der Diener stellte den Bücherbehälter auf den Tisch. Archimedes fand die Schnelligkeit, mit der sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, bereits selbstverständlich. Er entrollte das erste Buch. Gut, gleich die zweite Idylle. „Die Zauberin.“
::Er las stehend beim Fenster.
::„Auf, wo hast du den Trank? Wo, Thestylis, hast du die Lorbeeren?
::Komm und wind um den Becher die purpurne Blume des Schlafes;
::daß ich den Liebsten beschwöre, den Grausamen, der mich zu Tod quältl“
:So begann es. Und er flog die Verse durch, die vom liebeswunden Mädchen in stets
 
:So begann es. Und er flog die Verse durch, die vom liebeswunden Mädchen in stets steigender Erregung gesprochen wurden, das sich nicht anders zu helfen wußte, als zur Zauberin zu laufen und alle avernischen Mächte zu beschwören. Und wie ein Aufschrei stets wieder der Kehrvers:
 
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steigender Erregung gesprochen wurden, das sich nicht anders zu helfen wußte, als zur Zauberin zu laufen und alle avernischen Mächte zu beschwören. Und wie ein Aufschrei stets wieder der Kehrvers:
::„Rolle, o Kreisel, und zieh ins Haus mir wieder den Jüngling.“
:Plötzlich aber schweigt der Haß und die Zauberei und ein noch größerer Zauber beginnt zu wirken: die Erinnerung. Wieder der Kehrvers, in dem die anderen Verse eingebettet liegen und durch ihn stets neuen Sinn er halten:
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::Solch ein tödliches Gift ihm bewahr' ich hier in dem Kästchen;
::Ein assyrischer Gast, o Königin, lehrt' es mich mischen.“
:Endlich der resignierte Schluß:
 
 
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:Endlich der resignierte Schluß:
::„Lebe nun wohl, und hinab zum Okeanos lenke die Rosse,
::Himmlische! Meinen Kummer, den werde ich fürder noch tragen.
::Schimmernde Göttin, gehabe dich wohl! Fahrt wohl auch ihr anderen
::Sterne, so viele der ruhigen Nacht den Wagen begleiten!“
 
:Archimedes warf die Rolle auf den Tisch. Der dionysische Inhalt des Gedichtes, die mehrschichtige Harmonie des Aufbaues mit den Kehrversen hatte ihn übermächtig erschüttert. Zugleich standen die Berge und Wälder seiner Heimat und Alexandria vor ihm. Zugleich die Geometrie und die Wirklichkeit.
 
:„Melde Eratosthenes, daß ich heute abends nicht in den Speisesälen sein werde. Zuvor aber begleite mich hinaus zur Straße. Vielleicht habe ich dir noch Weisungen zu geben.“ Und er eilte davon, als ob ihm ein Luftbild entschwinden könnte.
 
:Sein Diener zeigte ihm am Tor den Sklaven, der geduldig vor einer von zwei anderen Sklaven getragenen Sänfte stand.
:Die Sklaven neigten sich tief vor Archimedes, als er einstieg. Dann aber begannen sie, die Kanopische Straße entlang zu laufen, die heute zwar auch belebt war, im Verhältnis zu gestern aber in ihrer Breite fast leer wirkte.
 
:Die Sklaven neigten sich tief vor Archimedes, als er einstieg. Dann aber begannen sie, die Kanopische Straße entlang zu laufen, die heute zwar auch belebt war, im Verhältnis zu gestern aber in ihrer Breite fast leer wirkte.
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:Archimedes bemerkte erst jetzt, daß die Dämmerung noch nicht weit fortgeschritten war. Es war ein klarer, nicht allzu heißer Spätnachmittag, an dem sich das Treiben eben erst zu entfalten begann.

:Die Sklaven liefen in die Richtung, aus der er gestern zum Museion gekommen war. Sie machten aber vor dem Paneion nicht halt, sondern bogen erst ein gutes Stück westlicher gegen Süden ab. Das Stadtviertel, in das die Querstraße jetzt vordrang, wurde zusehends reicher und vornehmer. Hinter Mauern und Gittern funkelten inmitten feucht duftender Gärten prächtige Landhäuser, die manchmal sogar Palästen glichen. Bis sich endlich vor ihnen wuchtig die südliche Stadtmauer erhob. Hier bogen die Sklaven neuerlich gegen Westen und hasteten auf einem schmalen Pfad zwischen zwei Gärten, der plötzlich nicht weiterführte, da ihn ein hohes Bronzetor abschloß. Sie stellten die Sänfte behutsam auf das Pflaster, und einer von ihnen lief voran und öffnete mit einem mächtigen Schlüssel das Tor.

:Nach Durchquerung des Tores wurde das Ziel des Weges jedoch durchaus nicht deutlicher, da dieser Weg in einigen Windungen sich zwischen hohen Gebüschen durchschlängelte.
 
 
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:Unvermittelt bog er nach Süden ab und sie standen am Fuße der riesigen Stadtmauer, auf deren Höhe eine Holzrampe hinaufführte, der man es ansah, daß sie im Notfall sofort entfernt werden konnte.
Unvermittelt bog er nach Süden ab und sie standen am Fuße der riesigen Stadtmauer, auf deren Höhe eine Holzrampe hinaufführte, der man es ansah, daß sie im Notfall sofort entfernt werden konnte. Archimedes wußte nicht mehr, was man mit ihm vorhatte. Was waren das für seltsame Umwege und Winkel? Wollte man ihn gar in eine Falle locken? Auf der Mauer oder außerhalb der Mauer konnte „die Wirklichkeit“ doch nicht Wohnen? Geduldig schleppten ihn die Sklaven die Rampe hinauf, ohne ihren Lauf wesentlich zu verlangsamen. Auf der Höhe der Mauer stellten sie die Sänfte nieder, und der Begleiter, der bisher vorangelaufen war, trat zu Archimedes: „Die Herrin läßt dich bitten“, sagte er nach tiefer Verbeugung, „du mögest hier ein wenig aussteigen und dir ihren Wohnsitz von oben betrachten.“ Archimedes hatte die Worte kaum verstanden, jedoch kam er unwillkürlich der Aufforderung nach. Als er aber an den südlichen Rand der Stadtmauer getreten war, stockte ihm fast der Atem. Links von ihm lag der mächtige „Sumpfhafen“, der alle Schiffe barg, die vom Nil aus Ägypten, Arabien oder
 
:Archimedes wußte nicht mehr, was man mit ihm vorhatte. Was waren das für seltsame Umwege und Winkel? Wollte man ihn gar in eine Falle locken? Auf der Mauer oder außerhalb der Mauer konnte „die Wirklichkeit“ doch nicht Wohnen?
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:Geduldig schleppten ihn die Sklaven die Rampe hinauf, ohne ihren Lauf wesentlich zu verlangsamen. Auf der Höhe der Mauer stellten sie die Sänfte nieder, und der Begleiter, der bisher vorangelaufen war, trat zu Archimedes:
 
:„Die Herrin läßt dich bitten“, sagte er nach tiefer Verbeugung, „du mögest hier ein wenig aussteigen und dir ihren Wohnsitz von oben betrachten.“
 
:Archimedes hatte die Worte kaum verstanden, jedoch kam er unwillkürlich der Aufforderung nach. Als er aber an den südlichen Rand der Stadtmauer getreten war, stockte ihm fast der Atem. Links von ihm lag der mächtige „Sumpfhafen“, der alle Schiffe barg, die vom Nil aus Ägypten, Arabien oder
 
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Indien herüberkamen. Oder von noch weiter her. Der Hafen aber war durch eine Mole abgeschlossen, nach deren Einmündung in die Stadtmauer diese senkrecht in den See Marcotis abfiel, so daß die Wellen des Sees ihren Fuß netzten. Unmittelbar nun unter ihrem Standpunkt lagerte sich vor die Stadtmauer, in den See hinein, eine kleine Halbinsel, auf der inmitten herrlicher üppigster Gärten ein Palast stand, dessen Vorderseite ihnen zugekehrt war. Sein Baustil war ein Gemenge ägyptischer, hellenischer und fremdartiger Architektur, und Goldmosaiken und Malereien flirrten an seiner pylonenartig gestalteten Fassade in der tiefstehenden Sonne. Vor dieser Fassade, unmittelbar unter ihnen, aber dehnte sich ein buntgepflasterter Vorhof. „Der Tempel der Wirklichkeit, soll ich dir sagen, o Herr, wenn du zum erstenmal hinabsiehst, hat mir die große Herrin befohlen“, murmelte der Sklave. „Jetzt aber darf ich dich bitten, wieder die Sänfte zu besteigen. Wir sind sofort am Ziele.“ Tempel der Wirklichkeit? klang es in Archimedes nach, als schon die Sklaven, diesmal auf einer flachen Treppe, die ebenfalls an der Stadtmauer klebte, hinunterstiegen. Tempel der Wirklichkeit? Es gab kaum Unwirklicheres
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Nein, Apollonios, so einfach ist das alles nicht, wie du denkst! Es handelt sich da wieder einmal um den letzten Sinn der Wirklichkeit. Und Archimedes hat etwas gefunden, ein herakleitisches, ein dionysisches, ein Mysteriengeheimnis, das vielleicht nur Eingeweihte verstehen: Alles fließt ineinander. So heißt das Geheimnis. Aus dem pergamenischen Blatt, das vor mir liegt, kann ich mit einem Schabmesser eine stets dünnere Fläche machen. Dünner und dünner, bis sie schließlich nicht mehr vorhanden ist. Aber den Begriff, die Idee der Fläche und ihrer Beziehungen, ja sogar die Gesamtheit ihrer Schwerpunktseigenschaften kann ich mit dem Schabmesser nicht tilgen. Die Form bleibt, und es bleibt der Schwerpunkt auch dann richtig und deutlich, wenn die Fläche die Schwere verloren hat. Das aber ist das Wunder. Und man kann sagen, daß es zwei Wirklichkeiten gibt, die einander überfließen. Die Wirklichkeit der Form und die Wirklichkeit des Greifbaren. Hier aber beginnt die neue Wisenschaft, die weder Mathematik noch reines Probieren ist. Es ist die Statik, die Wissenschaft vom Gleichgewicht, die ich auch in paradoxester Art am Gewichtslosen erforschen kann. Ja, ich erzwinge mir sogar meinen Eintritt in dieses Wissensgebiet aus der schwerelosen Zone der Ideen, Beziehungen und Formverschwisterungen.