Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 114c»

Contenido eliminado Contenido añadido
Sin resumen de edición
Sin resumen de edición
Línea 18:
:---
:Daß Gleichungen aller Arten und Systeme von Gleichungen stets ein bevorzugter Gegenstand mathematischer Forschung waren, ist deshalb begreiflich, weil sich fast nirgends wie bei der Gleichung die Zauberkraft des Algorithmus offenbart. Irgend etwas ist uns unbekannt und alle Überlegung nutzt nichts, es zu finden. Gedankengänge und Zahlen, Beziehungen und Proben verwirren sich und versagen. Da nehmen wir ein armseliges Zettelchen und einen Bleistift zur Hand, „setzen“ die Gleichung „an“ und überlassen uns weiterhin ebenso neugierig wie vertrauensvoll der Automatik des Verfahrens. Und erhalten in jeder gewünschten Schärfe das Ergebnis.
:Nein, nicht doch! Nicht stets erhalten wir dieses Resultat. Denn je höher der „Grad“ der Gleichung wird, desto größere Schwierigkeiten türmen sich vor uns auf und betrügen uns schließlich um die Waffe, die wir schon fest in unserer Hand wähnten. Gut, die Gleichung steht da. Gelöst müßte sie unsere Frage beantworten. Wenn nur der „Grad“ uns nicht alles Weitereweitere versperrte.
:Wir wissen aus unseren bisherigen Untersuchungen, daß dieses Hindernis sehr bald auftritt. Schon die Gleichung dritten Grades, noch mehr die biquadratische oder viertgradige Gleichung erfordert allerlei verwickelte Umwege, und auch diese versagen in den „irreduziblen“ Fällen. Nun kann man aber, speziell bei physikalischen oder technischen Problemen, der Unbekannten durchaus nicht a priori vorschreiben, welchen höchsten Grad sie bei einem vielleicht lebenswichtigen Problem annehmen soll. Hilfesuchend wendet sich der Ingenieur oder Physiker an den Mathematiker. Und dieser muß bedauernd die Achseln zucken, wenn nicht ein Zufall ihm die Möglichkeit von Kunstgriffen bietet, die eine höhergradige Gleichung auf lösbare Grade zurückzuführen oder zu reduzieren gestattet.
:Das schlimmste aber war bei dieser dunklen Angelegenheit, bei diesem Skandal der Mathematik (der allerdings nur einen der zahlreichen anderen „Skandale“ unserer Wissenschaft bildete), daß man nicht einmal wußte, ob Unmöglichkeit oder bloße Unfahigkeitzden Weg zur Auflösung höhergradiger Gleichungen abriegelte. Noch im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hoffte man mehr als einmal, die Zukunft werde plötzlich Erleuchtungen auf diesen Gebieten bringen, was um so wahrscheinlicher war, als etwa Euler das ganze Gebiet der Gleichungen mit viel neuem Licht erfüllte und auch Cramer, Lagrange und später Cauchy allerlei sehr wichtige Beiträge zur Gleichungslehre lieferten. Ganz zu schweigen vom sogenannten „Fundamentalsatz der Algebra“, der besagt, eine Gleichung müsse so viele Lösungen besitzen, als die jeweils in der Gleichung enthaltene höchste Potenz der Unbekannten anzeige. Dieser Satz, der stets geahnt und zum Teil schon gehandhabt wurde, erscheint bei Girard im Jahre 1629 als Behauptung, wird von Descartes und den folgenden Algebraikern mehr oder weniger vorausgesetzt und von D'Alembert im Jahre 1746 sichergestellt, bis er dann speziell von Gauß in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch mehrere Beweise vollkommen unanfechtbar gemacht wird.
:Wir wollen aber jetzt die prinzipielle Erörterung der für unsere Zwecke genügend angedeuteten Probleme der Gleichungslehre verlassen, um uns zwei Biographien zuzuwenden, deren Helden für alle Zeiten mit der tieferen Durchdringung der Gleichungen verknüpft sein werden. Wir meinen damit Niels Henrik Abel und Evariste Galois.
:Abel wurde 1802 als Sohn eines Pastors zu Finhö in Norwegen geboren und war schon zu einer Zeit, da andere Menschen mit roten Backen im Schnee herumtollen und einem ahnungsschweren Zukunftsglück entgegenträumen, dreifach vom Schicksal gezeichnet. Armut, Schwindsucht und Melancholie leiteten ihn als finstere Paten in ein Leben, das ungeachtet seiner abgründigenfi Leistungsgewalt doch kein eigentliches Leben werden sollte. Trotz allem glühte in der schwachen Brust dieses N ordländers ein unbändig dämonischer Drang, der sich speziell auf mathematische Bereiche erstreckte und den jungen Mann befähigte, als purer Autodidakt tief in unsere Wissenschaft einzudringen. Schon im Jahre 1822 finden wir ihn an der Universität Christiania und 1823 scheint eine weltbewegende Entdeckung zum erstenmal Licht in sein düsteres Dasein zu bringen. Er glaubt, als erster in der Geschichte der Mathematik, die allgemeine Methode zur Auflösung der Gleichung fünften Grades gefunden zu haben. Die innere Tragödie des folgenden Jahres ist kaum auszudenken. Wir ahnen nur, daß er in Fiebernächten seine „Entdeckung“ mehr und mehr zerbröckeln sieht und daß dadurch für ihn Stück um Stück des kaum gehofften Glückes auf Nimmerwiedersehen entschwindet und sich in Dunst auflöst. Verzweifelt führt er im Jahre 1824 gegen sich selbst den zerschmetternden Schlag. Er beweist, auch diesmal als erster in der Geistesgeschichte, daß die Gleichung fünften Grades durch Wurzelziehen nicht lösbar ist. Ein neuer Umschwung vollzieht sich in seinem Geschick. Man erkennt „maßgebenden Ortes“ sofort die ungeheure Bedeutung dieser scheinbar bloß negativen Tat, die für alle Zeiten der Forschung eine klare Grenze setzt und überflüssige Bemühungen verhindert, und man verleiht ihm ein immerhin nennenswertes Stipendium. Neue Hoffnung schimmert in Abel auf und er reist zum Oberbaurat Crelle nach Berlin, der sich im Jahre 1826 durch die Begründung des berühmten „Crelleschen Journals“, einer führenden Publikation mathematischen Inhaltes, ein äußerst großes Verdienst erwarb, Wiewie er überhaupt auch auf anderen mathematischen Gebieten organisatorisch tätig war. In diesem Journal nun veröffentlicht Abel seine grundlegenden Erkenntnisse über die Gleichungen fünften Grades und über die Konvergenz der binomischen Reihe, Welchwelch letztere Untersuchungen von Gauchy beeinflußt Warenwaren. Noch im Jahre 1826 reiste Abel nach Paris, um den schon damals hochberühmten Cauchy zu besuchen, den er ja als Lehrer aus der Ferne verehrte. Gauchy aber, dessen Charakter mit seiner Leistung oft nicht in Einklang stand, und der mehr als einmal häßliche Anwandlungen von Mißgunst, ja von Bösartigkeit hatte, empfängt Abel einfach nicht. Auch diese Tragödie ist kaum auszudenken. Mit den letzten Pfennigen des Stipendiums, mit mühselig erschufteten Stundenhonoraren, Warwar Abel bis nach Paris gelangt, um gerade dort verschlossene Türen zu finden, Wowo ihn neben allem Interesse auch noch eine große geistige Liebe hinzog. Doch auch dadurch ist der unselige Jüngling, dessen Krankheit sich stets verschlimmert, noch nicht vollstandig geknickt. Im Gegenteil. Sein Genie rafft sich noch einmal zu einer Riesentat auf, indem er das nach ihm benannte Abelsche Theorem entdeckt und veröffentlicht, das eine Verallgemeinerung des Eulerschen Additionstheorems elliptischer Integrale darstellt. Hierzu sei bloß angemerkt, daß „elliptische Integrale“, ungefahr ausgedrückt, Integrale sind, unter denen die Variable in einer verwickelteren Irrationalität vorkommt, wie etwa beim Integral
 
 
Línea 30:
 
 
:Zu derartigen Integralen gelangt man in der Praxis haufig und ihre Lösungsschwierigkeit Warwar schon längst bekannt, Weshalbweshalb stets erneute Versuche gemacht wurden, diesem Gebiete beizukommen. Abel nun gelang es auch noch, die Inversion solcher Integrale zu durchleuchten und die mit den elliptischen Integralen in engem Zusammenhang stehende Teilung der „Lemniskate“ (einer höheren Kurve) durchzuführen. Auch dringt Abel zu dieser Zeit in das Gebiet der komplexen Zahlen vor.
:Auf der Rückreise von Paris hatte Abel die Absicht, bei Gauß vorzusprechen, dessen Ruhm damals bereits im Zenit stand. Seine Erfahrungen mit Cauchy hatten ihn jedoch derart entmutigt, daß ihn plötzlich innere Hemmungen befielen, die sich bis zur Furcht steigerten. Todkrank floh er zurück nach Ohristiania, wo er noch kurze Zeit hungernd und frierend umherirrte, um eine auch noch so bescheidene Anstellung zu erhalten. Auch dieses bescheidenste Gelingen Warwar ihm versagt. Er starb im Jahre 1829. Wenigewenige Tage nach seinem Tode aber langte ein materiell und ideell bedeutendes Berufungsschreiben nach Berlin in Christiania ein und im Jahre 1830 verlieh die französische Akademie dem Toten einen Preis.
:Wir unterdrücken jeden Kommentar zu diesem Inferno, in das ein Genie schuldlos geriet, von dem man bei einigem guten Willen hätte wissen müssen, daß es ein Genie war. Jeder Leser von Crelles Journal, und das war die ganze Fachwelt, mußte es wissen. Auch Gauß, dieser rätselhafteste aller Gipfelmenschen, von dem sich erst nach seinem Tode herausstellte, daß er fast alle Erkenntnisse Abels schon im ersten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts, also seit zwanzig Jahren, aus eigenem besaß und gleichwohl schwieg. Vor allem aber wußte es Jacobi, der wahrscheinlich der schuldlose Anlaß des vorzeitigen Sterbens Abels war, da sich Abel in einem angespannten Wettkampf um den Aufbau der Theorie der elliptischen Integrale, die auch Jacobi behandelte, vollständig verzehrte. Wir wollen aber, wie gesagt, nicht pharisäische Tränen vergießen. Denn jeder von uns hat schon Unwürdigen geholfen und Würdige im Stich gelassen. Und es ist fast die Bestimmung mancher Menschen, daß man sie richtig einschätzt und sich trotzdem zu keiner Tat für sie entschließt.
:Nun ging das Unheil Abels aber auf einen zweiten Jüngling über, dessen Schicksal mindestens ebenso tragisch war wie das Abels, bei dem es aber nicht von außen, sondern tief von innen heraus die endgültige Katastrophe herbeiführte. Im Jahre 1811 wurde nämlich in Bourg-la-Reine bei Paris ein Kind geboren, das den Namen Evariste Galois erhielt und das schon 1823 das elterliche Haus verlassen mußte, um in die vierte Klasse des Kollegs „Louis le Grand“ einzutreten. Als Evariste Galois fünfzehn Jahre zählte, offenbarten sich bei ihm bereits außerordentliche mathematische Fähigkeiten, die so umfassend waren, daß er sich um die Lehrbücher nicht kümmerte, sondern sich in das Studium der damals bekannten mathematischen Klassiker, vor allem des großen Lagrange, versenkte. Picard, dem wir diese sowie die weiteren biographischen Daten verdanken, sagt, daß Galois schon mit 17 Jahren auf mathematischem Gebiet Erkenntnisse von äußerster Tragweite besessen zu haben scheint. Leider sind die Arbeiten Galois' aus dieser frühen Zeit, die er der Akademie vorgelegt hat, verlorengegangen.
Línea 39:
:Kurz, Galois bezog tief gekränkt die höhere „Ecole Normale“, gleichfalls eine Gründung De Monges. Doch mußte er auch diese Schule „wegen ungebührlichen Betragens“ schon nach einem Jahr verlassen. Jetzt aber ist die letzte bürgerliche Bindung zerrissen. Galois stürzt sich in die Politik, wird verhaftet, verbringt mehrere Monate hinter den Riegeln des Gefängnisses „Sainte Pelagie“, ohne jedoch trotz all dieser Ereignisse die Mathematik aus dem Blickfeld zu verlieren. Wir besitzen keine näheren Daten, um eine genaue Vorgeschichte der letzten Katastrophe zu schreiben. Manches können wir nur ahnen, wenn wir auf einem alten Stich in dieses trotzige, fast russische Knabengesicht blicken. Und da scheint es uns, daß dieser allzujunge Leib, dieser schmale Knabe von seinen Dämonen zersprengt wurde. Aus einer Liebesgeschichte, so sagt man, entwickelte sich ein Streit, der zum Duell führte. Vielleicht hatte die Braut, die Frau, die Geliebte eines anderen, dem Jüngling ihre Gunst geschenkt. Vielleicht. Sicher ist nur, daß Galois sich seiner Pflicht als Mann nicht entzog, obgleich er wußte, daß er als Genius unersetzbar war. Er fiel in diesem Duell am 31. Mai 1832, noch nicht einundzwanzig Jahre alt.
:In der Nacht vor seinem Tode, den er vor sich gesehen zu haben scheint, schrieb er aber einen Brief an seinen Freund Chevalier. Eines der erschütterndsten Dokumente der Geistesgeschichte, da hinter jeder Zeile dieser mathematischen Abhandlung die Knochenfinger und leeren Augenhöhlen des Allwürgers hervorblicken und da sich in der verzweifelten Knappheit der Formulierung das Bestreben zeigt, den letzten Stunden noch all das abzutrotzen, was vielleicht erst weitere Jahre zur Vollreife gebracht hätten.
:Doch auch hier wollen wir nicht räsonieren, wollen vor allem nicht einen Menschen bejammern, der stolz und herrisch starb und der auch in seinem „Testament“ keinen Ton von Zaghaftigkeit oder Schwäche zeigt. Gerade Galois ist der Beweis, ist ein leuchtendes Beispiel, daß Mathematik eine Angelegenheit von Männern im besten Sinne des Wortes ist, wo sie sich über gewöhnliche Maße erhebt. Mathematik ist Dienst am Göttlichen, ist Berufung und Erleuchtung, ist Gottnähe und Wahrheitstrunkenheit. Wehe dem, der diese Sprengkraft des Universums als Firlefanz, trockenes Gewäsch oder Gelehrtenschrulle einschätzt. Er wird irgendwann einmal von einem letzten Ausläufer dieser kosmischen Macht erfaßt und wie ein Welkeswelkes Blatt auf den Kehrichthaufen der Geschichte gewirbelt werden. Wenn er nicht schon vorher in Stumpfheit erblindet. Es ist gewiß und einleuchtend, daß sich nicht jeder mit Mathematik befassen kann und befassen soll. Ebenso gewiß aber ist es, daß die N egierung der Mathematik ein Verbrechen am Geist, an der Kultur und am Aufstieg der Menschheit ist. Wir sind solche Worte einfach den Manen eines Pythagoras, Archimedes, Leibniz und Galois schuldig.
:Wir wollen aber jetzt das zeitliche Geschick des tapferen J ünglings, wollen die Kometenlaufbahn dieses allzufrüh Vernichteten beiseiteschieben, um all das deutlicher hervortreten zu lassen, was durch die Leistung des Galois eine mächtige und vielleicht sogar ewige Epoche der Mathematik geworden ist. Und wollen über die Ruhmeshalle, die wir dem trotzigen Knaben errichten, in goldenen Lettern das Wort „Gruppentheorie“ schreiben, das uns fürs erste so wenig sagt, obgleich es fast alles enthält, was heute den Begriff der obersten Regionen der Mathematik, speziell der Algebra, ausmacht. Und was führende Geister, wie etwa Oswald Spengler, zum Glauben veranlaßt hat, die Mathematik habe sich eben durch diese Theorie in nicht mehr zu überbietender Verallgemeinerung vollendet und sei für alle Zukunft gleichsam zur Erstarrung verurteilt. Wir bemerken schon hier, daß wir diese Ansicht durchaus nicht teilen, da alle bisherige Erfahrung der Mathematikgeschichte gegen derartige „Endstadien“ der Erkenntnis spricht. Gleichwohl müssen wir aber ebenso deutlich betonen, daß das Wort „Verallgemeinerung“ im höchsten Maß auf die Gruppentheorie zutrifft. Wir sind dabei jedoch innerhalb unseres Rahmens in keiner guten Lage. Denn wir müßten auch hier wieder ein ganzes Buch schreiben, um diese Theorie halbwegs erschöpfend und wissenschaftlich einwandfrei darzustellen. Trotz aller dieser Einschränkungen aber fühlen wir uns doch verpflichtet, nicht in der Art gewisser Geschichtsbücher der Wissenschaft bloß mit Namen und Fachausdrücken umherzuwerfen. Und wir halten nach wie vor die Vermittlung eines angenäherten Verständnisses für besser als volle Unkenntnis. Dies um so mehr, als Wißbegierige und Fähige oft gerade durch solche skizzenhafte Andeutungen angeregt werden, sich bei Meistern unserer Kunst in aller Strenge und Vollständigkeit erschöpfendes Wissen zu holen.
:Der Gruppenbegriff ist für die moderne Mathematik ein ebenso grundlegender und fruchtbarer Begriff wie etwa der Begriff der Größe, des Maßes, der Funktion oder der Menge. Nur ist er womöglich noch abstrakter und umfassender als alle diese aufgezählten mathematischen Kategorien. Deshalb werden wir uns langsam und auf verschiedenen Wegen zum Ziel vortasten. Es sagt uns dabei vorerst sehr wenig, wenn wir als „Gruppe“ ein System von Dingen bezeichnen, das gewisse Eigenschaften, nämlich die sogenannten Gruppeneigenschaften, besitzen muß. Was ist das für ein „System“ und was sind das für „Dinge“? Wir antworten, daß die Dinge sehr verschieden sein können und sein dürfen, die dieses System bilden. Wir werden uns bald präziser ausdrücken, wollen aber vorerst einige Beispiele aus der Mathematik bringen. Also „Systeme mathematischer Dinge“. Denn eigentlich müßten es gar nicht mathematische Dinge sein. Doch wir wollen nicht übermäßig verwirren, sondern vorläufig noch sehr vage erklären, daß etwa sämtliche natürliche Zahlen eine Gruppe bilden. Ebenso sämtliche Logarithmen. Oder etwa die ganze elementare Geometrie. Oder alle Permutationen, die sich aus <math> n </math> Elementen bilden lassen. Oder alle Gleichungen einer bestimmten Form, etwa sämtliche algebraische Gleichungen, also Gleichungen, die bloß durch algebraische Operationen verknüpft sind. Oder sämtliche Zahlen, die, durch eine gewisse Zahl dividiert, denselben Rest ergeben usf.
:Nun ist aber das Ziel der Gruppentheorie durchaus nicht bloß auf die Feststellung gerichtet, daß irgendeine Mehrheit oder ein System von Dingen einer Gruppe angehört. Sie will vielmehr genaue Kriterien dafür erhalten, ob wirklich eine „Gruppe“ vorliegt. Denn davon hangt es wieder ab, ob man mit der Gruppe als solcher operieren kann, d. h. ob man sie etwa zu anderen Gruppen in Beziehung setzen oder ob man aus den Beziehungen innerhalb einer Gruppe auf Beziehungen innerhalb einer anderen schließen darf. Wir werden zur Verdeutlichung dieses Gedankens auf ein uns geläufiges Beispiel zurückgreifen, namlich auf die Logarithmen. Nehmen wir inzwischen ohne jeden weiteren Beweis an, die Logarithmen der rationalen Zahlen seien tatsachlich eine Gruppe und die rationalen Zahlen seien ebenfalls eine Gruppe. Beides sind auf jeden Fall unendliche Gruppen, denn es gibt unendlich viel rationale Zahlen und unendlich viele entsprechende Logarithmen. Die Zahlen bzw. die Logarithmen sind die sogenannten „Elemente“ der beiden Gruppen. Die Gruppentheorie aber fordert als erste Gruppeneigenschaft, daß eine Vorschrift vorliege, die ein Element <math> S </math> und ein anderes Element <math> T </math> des Systems eindeutig verknüpft, d. h. ein <math> ST </math> definiert, wobei die Art der Verknüpfung durchaus nicht festgelegt wird. Und wobei weiters <math> S </math> und <math> T </math> identisch sein könnten. Wir dürfen also zwei Elemente etwa addieren, subtrahieren, dividieren, multiplizieren usf. Dabei - und dies ist die zweite Gruppeneigenschaft - muß das Ergebnis dieser Verknüpfung stets wieder ein Element des Systems sein. Bei den rationalen Zahlen ist uns diese Eigenschaft durchaus geläufig. Das Produkt zweier rationaler Zahlen ist stets wieder eine rationale Zahl. Aber auch die Summe zweier Logarithmen ist wieder ein Logarithmus. Wir haben für unser Beispiel konkrete Verknüpfungsarten festgelegt. Das ist natürlich zulässig, sogar im konkreten Fall notwendig.
:Als weitere Gruppeneigenschaft wird das Prinzip der Assoziativität gefordert, das besagt, daß stets <math> (ST)U </math> gleich ist <math> S(TU) </math>, daß man also die Elemente bei der Verknüpfung zu beliebigen Komplexionen zusammenfassenkann, ohne daß sich' das Ergebnis ändert. So ist sicherlich <math> (3 \cdot 5) \cdot 8 </math> dasselbe wie <math> </math>3 \cdot (5 \cdot 8) und ebenso ist <math> (log 3 + log 5) + log 8 </math> dasselbe wie <math> log 3 + (log 5 + log 8) </math>.
:Eine Kommutativität wird als Gruppeneigenschaft deshalb nicht gefordert, weil gerade die nichtkommutativen Gruppen hohes Interesse beanspruchen. Wir sagen: „wird nicht gefordert“. Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, daß der Gruppenbegriff keine Naturgegebenheit, sondern eine definitorische Festlegung ist, die, etwa wie ein Axiomensystem, auch anders lauten könnte. Doch auf diese allerschwierigste Grundlagenfrage der Mathematik können wir vorläufig nicht näher eingehen. Wir schreiten daher zur vierten Gruppeneigenschaft, die verlangt, daß im System ein Einheitselement vorhanden ist, das die Eigentümlichkeit hat, bei der speziell vorliegenden Art der Verknüpfung jedes beliebige Element des Systems unverändert zu lassen. So ist bei den durch Multiplikation verknüpften rationalen Zahlen die Einheit 1. Denn jede rationale Zahl ergibt, mit eins multipliziert, Wiederwieder diese rationale Zahl. Bei den durch Addition verknüpften Logarithmen ist die Einheit, allgemein gesprochen, der Logarithmus der nullten Potenz der Basis, also <math> \log_a {a^0}</math>, der stets als Ergebnis <math> 0 </math> liefern muß. Addiere ich zu irgendeinem Logarithmus diesen Logarithmus, dann bleibt er unverändert. Auf der Basis 10 etwa ist <math> 10^0 + \log n </math> oder <math> \log 1 + \log n </math> stets wieder <math> \log n </math>. Schließlich verlangt die fünfte und letzte Gruppeneigenschaft, daß zu jedem Element S des Systems ein inverses Element vorhanden sein muß, das bei der vorgeschriebenen Verknüpfung aus dem Element die Einheit macht. Man nennt es auch manchmal das reziproke Element.
:Bei der Multiplikation rationaler Zahlen ist dieses inverse Element nichts anderes als der reziproke Wert des Elements. Denn etwa <math> \textstyle 3 \cdot \frac{1}{3} = 1 </math>, was unserer Forderung entspricht.
:Bei addierten Logarithmen aber ist dieses inverse Element <math> (- \log_a n) </math>, denn irgendein <math> (\log_a n) </math> führt bei Addition von <math> \log_a n + (-\log_a n) </math> wieder auf die „Einheit“ <math> \log_a {a^0}</math> oder Null.
Línea 54:
:Unter Permutation kann man zweierlei verstehen. Erstens eine vollendete Umstellung der Elemente, wie etwa 1243 eine Permutation der Ausgangspermutation 1234. ist. Man kann aber auch die Tätigkeit des Umstellens, also „das Permutieren“, als Permutation bezeichnen, und zwar den Akt des Überganges von einer Zusammenstellung zur anderen. In diesem zweiten Sinne faßt die Gruppentheorie den Begriff Permutation auf und nennt ihn auch Substitution im weiteren Sinne des Wortes. Eine Gruppierung wird für eine andere substituiert, untergestellt, an deren Stelle gesetzt, die einzelnen Übergänge oder Permutationen oder Substitutionen, oder wie man diese Umstellungen nennen mag, werden nun als Elemente der Permutationsgruppe aufgefaßt, wobei auch identische Permutationen vorkommen können, etwa 123 geht wieder in 123 über. Nun können zwei Permutationen der nämlichen Ziffern etwa 123, das in 312 übergegangen ist, und 123, das in 132 verwandelt wurde, miteinander in gruppentheoretischem Sinne dadurch verknüpft werden, daß sie nacheinander ausgeführt werden. Die erste Permutation ersetzt 1 durch 3, die zweite 3 durch 2, die beiden, wenn man sie nacheinander ausführt, also 1 durch 2. Weiters wird 2 durch 1 und bei der zweiten 1 durch 1, also schließlich 2 durch 1 ersetzt. Schließlich 3 durch 2 und 2 durch 3, also 3 durch 3. Das Ergebnis dieser „Verknüpfung“ ist neuerlich ein Element der Gruppe, nämlich wieder eine Permutation von 123, nämlich 213. In ähnlicher Art kann man fortfahren und kann dabei noch durch eine geeignete Schreibweise den Vorgang einfacher, sicherer und durchsichtiger gestalten. Die Erörterung der Einzelheiten würde unseren Rahmen weitaus überschreiten und wir verweisen auf die in der Sammlung Göschen erschienene Darstellung der Gruppentheorie von Dr. Ludwig Baumgartner, in der man weitere Quellennachweise findet. Wir stellen nur fest, daß sich nach unseren Andeutungen auch aus Permutationen echte Gruppen bilden lassen, die sämtliche Gruppeneigenschaften besitzen. Nun untersucht Evariste Galois - und dies der Zweck dieser Ausführungen -- die Permutationen der Koeffizienten von beliebigen Gleichungen und erzeugt dadurch aus einer Gleichung eine ganze Gruppe von Gleichungen. Die Gruppen von Substitutionen oder Permutationen werden weiters darauf geprüft, ob sich aus ihnen Untergruppen gewinnen lassen. Diese Überprüfung ist der Hauptzweck des ganzen Beginnens. Denn eine solche Untergruppe kann ohneweiters eine lösbare Form einer Gleichung darstellen oder beinhalten. Wenn weiters noch entdeckt werden kann, wie sich die Hauptgruppe mittels sogenannter Nebenkomplexe aus einer bestimmten Untergruppe zusammensetzen laßt, dann ist das Problem gelöst. Wir wiederholen etwas deutlicher und konkreter: Der erste Schritt ist die Bildung der Permutationsgruppe aus den Koeffizienten der vorgelegten Gleichung. Der zweite die Zerfallung in Untergruppen, von denen eine oder die andere durch Wegfall (Nullwerdung) von Koeffizienten auf eine höchstens biquadratische Gleichung führt. Der dritte Schritt ist der Versuch, aus dieser Untergruppe mittels gewisser Nebenkomplexe die Hauptgruppe zusammenzusetzen. Gelingt auch dieser, dann ist die Gleichung ''n''-ten Grades (wobei <math> n > 4 </math>) resolvierbar, d. h. schließlich auf solche Gleichungen reduzierbar, die durch Wurzelausziehen lösbar sind.
:Es ist für uns unvorstellbar, daß der noch nicht Einundzwanzigjahrige den vor ihm kaum noch halbwegs entwickelten Bau der Gruppen gerade von der vielleicht schwierigsten Stelle aus so vollstandig durchschaute, daß er ihn praktisch verwerten konnte. Und es ist für alle geistig Schaffenden eine unheimliche Mahnung, sich diese Leistung auszumalen, die zwischen Widrigkeiten, Politik, Gefängnis, Liebe und Duell in wenigen Monaten so weit vorgetrieben wurde, daß sie in der letzten Nacht deutlich formuliert werden konnte, wobei die Gruppentheorie dazu noch bloß den ersten Teil des Briefes füllt, wahrend der zweite Teil mindestens ebenso erstaunliche Erkenntnisse über elliptische Integrale enthält, deren eigentliche Erschließung erst Riemann und Weierstraß gelang.
:Am Ende des Briefes stehen Worte, die in ihrer schlichten Größe so erschütternd sind, daß wir sie hier wiedergeben müssen. Sie lauten: „Aber ich habe keine Zeit mehr und meine Ideen über dieses unendlich große Gebiet sind noch nicht gut entwickelt. Du wirst diesen Brief in der ,Revue encyclopédique“ abdrucken lassen. Ich habe es oft in meinem Leben gewagt,Vorschläge vorprellen zu lassen, deren ich noch nicht sicher war; aber alles, was ich geschrieben habe, ist seit beinahe einem Jahr bloß in meinem Kopf, und es ist zu sehr in meinem Interesse, mich nicht geirrt zu haben, damit man mich nicht verdächtigen kann, Theoreme auszusagen, deren vollkommenen Beweis ich nicht haben Würdewürde. Du wirst Jacobi oder Gauß bitten, ihre Meinung zu sagen, nicht über die Wahrheit, sondern über die Wichtigkeit meiner Theoreme. Nach all dem, so hoffe ich, wird es Leute geben, die darin ihren Vorteil finden werden, diesen Wirrwarr zu entziffern. Ich umarme dich in hinströmender Liebe ...“
:Das sind die letzten Worte, die der allzu früh Vernichtete in die Ewigkeit sprach. Sein Gesamtwerk ist in der Ausgabe von Picard ein schmales Bändchen von 61 Seiten. Seine Tat aber war ein so unermeßlicher Vorstoß zur Verallgemeinerung der Mathematik, daß Galois mit Recht neben Abel als Schöpfer der ersten Grundlagen moderner Algebra genannt werden muß.
:Wir haben schon erwähnt, daß die Gruppentheorie speziell von Jordan ausgebaut wurde. Inzwischen aber setzten sich mehrere Entwicklungsreihen früherer Entdeckungen fort, die der Verallgemeinerung der Algebra neue Waffen lieferten. Eine dieser Entdeckungen haben wir ebenfalls schon erwähnt. Nämlich die Determinanten. In einem Brief an den Marquis de l'Hospital hatte Leibniz das Prinzip dieses großartigen Algorithmus klar und eindeutig ausgesprochen, wobei er sich der vollen Tragweite seiner Tat genau bewußt gewesen sein muß. Denn am Ende des Briefes schrieb er: „Man sieht hier, auf was ich schon gelegentlich hingewiesen habe, daß die Vervollkommnung der Algebra von der Kombination abhängt.“ Gleichwohl hat Leibniz entweder aus Zeitmangel oder aber weil ihm die Unendlichkeitsanalysis dringlicher und wichtiger schien, die vielversprechenden Anfänge seiner algebraisch-kombinatorischen Entdeckung nicht ausgebaut, und seine Beteiligung an diesen Gegenständen geriet so gründlich in Vergessenheit, daß Gabriel Cramer im Jahre 1750 dieselbe Entdeckung noch einmal machte und insofern mit Recht als der eigentliche Entdecker der Determinanten gilt, da alle Späteren auf seinen Grundlagen Weiterbautenweiterbauten. Vor allem Laplace, Lagrange, Gauß und Cauchy, Welchwelch letzterer auch den Ausdruck „Determinante“ zum ersten Male gebraucht, ihn jedoch merkwürdigerweise Wiederwieder fallen läßt und mit dem Namen „fonction alternée“ vertauscht.
:Erst Carl Gustav Jacob Jacobi hat in seinem im Jahre 1841 erschienenen Werk „Über die Bildung und die Eigenschaften der Determinanten“ diese mathematische Kategorie endgültig zum Gemeingut der Mathematiker gemacht.
:Nun hat spater ein englischer Mathematiker, Sylvester, der die Theorie der Determinanten zur Theorie der Invarianten verallgemeinerte, einmal gesagt: „Was ist im Grunde genommen die Theorie der Determinanten? Sie ist eine über der Algebra stehende Algebra, ein Rechnungsverfahren, das uns in den Stand setzt, die Ergebnisse der algebraischen Operationen zu kombinieren und dieselben vorauszusagen, ähnlich wie wir uns mit Hilfe der Algebra der Ausführung der besonderen Operationen der Arithmetik entheben können.“
:Diese Worte aus derart berufenem Munde müssen uns neuerlich aufhorchen lassen, wie wir schon einmal aufhorchtenf als Wirwir hörten, daß sich dieTheorie der Gruppen gleichsam als Algebra der Algebra entschleiert, wenn wir sie näher ins Auge fassen. Was also, so ist jeder, der unser bisheriges Ziel kennt, berechtigt zu fragen, was also sind diese rätselhaften Determinanten, von denen wir noch verraten, daß sie im Zeitraum zwischen Cramer und Jacobi gleichsam eine Art von Geheim- oder Privatwissenschaft der allerbedeutendsten Mathematiker waren?
:Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ein wenig ausholen. Alle Algebraiker seit Leibniz stießen stets Wiederwieder bei ihren Rechnungen auf ein unüberwindliches Hindernis. Wollte man namlich die allgemeinen Lösungen eines Gleichungssystems angeben, das aus einer nur halbwegs höheren Anzahl von Gleichungen bestand, dann wurden diese sogenannten „Lösungssysteme“ derart verwickelt, daß sie ganze Seiten füllten, wobei noch außerdem jedem Rechenfehler Tür und Tor geöffnet war. Wollte man aber gar ein System einer beliebigen Anzahl von Gleichungen, also ''n''-Gleichungen allgemein lösen, dann hatte man 'überhaupt keinen Algorithmus und keine Schreibweise zur Hand, die solches leisten konnte. Gerade jedoch nach derart umfassenden Lösungen suchte man aus den verschiedensten Gründen in mehreren Gebieten der Algebra und der Geometrie.
:Zur Vermittlung eines annähernden Begriffs der „Determinante“, die eben dieses gesuchte Hilfsmittel wurde, wollen Wirwir, ohne tiefer auf die zahllosen Einzelprobleme einzugehen, am Leitfaden eines einfachen Beispieles den Gedankengang erläutern. Wir hätten zwei Gleichungen vorgelegt, die wir allgemein als <math> f_1 </math> und <math> f_2 </math> bezeichnen wollen. Es handelt sich dabei um zwei lineare Gleichungen mit je zwei Unbekannten. Sie lauten:
:<math> f_1 = a_{11}x_1 + a_{12}x_2 + c_1 = 0 </math>
:<math> f_2 = a_{21}x_1 + a_{22}x_2 + c_2 = 0 </math>
Línea 78:
 
:Auf unsere Gleichungen übertragen, heißt etwa <math> a_{53} </math> (''a'' fünf drei), daß wir den Koeffizienten vor uns haben, der in der fünften Gleichung des Systems der dritten Unbekannten <math> x_3 </math> zugeordnet ist.
:Dies vorausgesetzt, wollen wir nun unsere beiden Gleichungen behandeln. Wenn wir jeweils eine der Unbekannten dadurch eliminieren, daß wir die erste Gleichung mit <math> a_{22} </math> und die zweite mit <math> -a_{12} </math> multiplizieren, bzw. die erste mit <math> a_{21} </math> und die zweite mit <math> -a_{11} </math> und hierauf entsprechend die beiden Gleichungen addieren, dann erhalten Wirwir als „Lösungssystem“ für die beiden Gleichungen die Werte:
 
 
Línea 86:
 
 
:Hierbei fällt uns bereits auf, daß im Nenner in beiden Fallen dieselbe Größe, nämlich al1a22<math> a_{11}a_{22} -al2a21 a_{12}a_{21} </math> steht. WareWäre etwa dieser Ausdruck gleich Null, dann würden sich keine Lösungen für die Gleichungen ergeben. Daher ist dieser Ausdruck bestimmend für das Gleichungssystem, determiniert es, ist seine „Determinante“. Das ist aber bloß eine der Aufgaben der Determinantentheorie und vorläufig nur eine Spracherkärung. Erst eine eigene Schreibweise und die Erkenntnis, daß die Determinante einen rein kombinatorischen Charakter hat, wurde der Schlüssel für alles weitere. Man erfand also als Schreibung dieser höchst wichtigen Größe die Darstellung
 
 
Línea 97:
:die, wie jeder solche Operationsbefehl, ihre eigene Regel der Behandlung hat. Man multipliziert namlich in unserem Falle einfach die Diagonalen, wobei man von der ersten Diagonale <math> a_{11}a_{22} </math> die zweite <math> a_{12}a_{21} </math> subtrahiert.
:Auf nähere Einzelheiten können wir nicht eingehen. Wir teilen deshalb nur mit, daß eine ganze Algebra der Determinanten möglich wurde, bei der solche zwischen Strichen stehende Schemata wie neue „Überzahlen“ behandelt werden und addiert, subtrahiert, multipliziert, sogar differentiiert werden können. Außerdem gibt es eine große Anzahl von Regeln und Sätzen, die es uns erlauben, sofort allerlei Eigenschaften dieser Determinanten zu erkennen. So ist es etwa leicht möglich, zu sehen, wann eine Determinante Null wird, was weiter heißt, daß das betreffende Gleichungssystem keine Lösungen hat.
:Damit der Leser aber doch Wenigstenswenigstens oberflächlich das praktische Funktionieren der Determinanten als Mittel zur Gleichungslösung sieht, Wollenwollen wir ein höchst einfaches konkretes Zahlenbeispiel geben. Wir hätten die beiden Gleichungen
:<math> 3x + 4y + 1 = 0 </math>
:und
Línea 136:
:<math> y = - \frac{13}{-14} = \frac{13}{14} </math>
:was sich bei Einsetzen in obige Gleichungen als richtig erweist.
:Wir wollen nur noch einige allgemeine Worte beifügen. Aus dem Begriff und der Anwendung der Determinanten ist es möglich, die Auflösung eines Gleichungssystems von beliebig vielen Unbekannten mit einem einzigen Griff einfach hinzuschreiben. Es muß sich dabei bloß um lineare Gleichungen, also Gleichungen handeln, bei denen sämtliche Unbekannten bloß in der ersten Potenz vorkommen. Weiters aber Wirdwird durch die Operation mit Determinanten die tiefste Baustruktur der behandelten Gleichungssysteme enthüllt und es ergibt sich ein Übergang zu den von uns schon erwahntenerwähnten Permutationsgruppen und Weitersweiters zur allgemeinen Gruppentheorie und von da zur sogenannten Invariantentheorie. Die Determinante wird namlich dadurch zur „Invariante“, daß sie für das ganze Lösungssystem eines Gleichungssystems bestimmend Wirdwird und gleichzeitig ganze Gruppen von Gleichungssystemen mit gleichgebauten Determinanten gewisse Eigenschaften gemeinsam haben müssen. Ebenso lassen Operationen, die mit Determinanten durchgeführt Wurdenwurden, in ihren Ergebnissen Schlüsse zu auf die Eigenschaften von kombinierten Gleichungssystemen. Die Algebra operiert hier also nicht mehr mit Gleichungen und Gleichungssystemen, sondern mit Gruppen von Gleichungssystemen, denen eine bestimmte vorgegebene Eigenschaft zukommt.
:Auf jeden Fall hat mit diesen Errungenschaften der Algorithmus und die Notation eine Höhe der Verallgemeinerung erreicht, die kaum mehr zu überbieten ist. In der Schreibung Kroneckers wird eine Determinante ''n''-ter Ordnung einfach <math> | a_{ik} | </math> geschrieben, wobei <math> i </math> und <math> k </math> von 1, 2, 3 ... bis ''n'' laufen. Ein Gleichungssystem von ''n''-Gleichungen mit ''n''-Unbekannten aber schreibt man heute einfach
:<math> \sum_k a_{ik}x_k = c_i </math>
:(wobei <math> i, k, = 1, 2, 3 ... n </math> ).
:Das Unheimliche ist natürlich nicht, daß man so schreibt, obwohl das Studium von Werken, die sich einer derartigen Stenographie bedienen, schon ein unglaublich geschärftes mathematisches Auge und Ohr erfordert.
:Das eigentliche Wunder ist vielmehr die Tatsache, daß man mit derartigen Denkmaschinen, die in sich ganze mathematische Welten bergen, ruhig rechnet, als ob es sich um einfache Zahlen handelte. Wer den Kalkül kennt und beherrscht, der rechnet mit sämtlichen denkbaren Gleichungen und Gleichungsgruppen eines bestimmten Koordinatensystems so bequem und sicher wie mit irgendeinem anderen Algorithmus. Und er ist dadurch sogar befähigt, vorauszusagen, was irgendeine Gruppe von Gleichungssystemen in einem anderen Koordinatensystem treiben wird. Und er weiß, welche Eigenschaften bei dieser Transformation sich ändern und welche beharren Werdenwerden. Solche Voraussagen, fast möchte man sie Prophezeiungen nennen, sind unter Umständen für die Physik von grundlegender Bedeutung, darüber hinaus aber für die gesamte Mathematik, da sie ganze Weltsysteme von Gleichungen miteinander verbinden oder voneinander lösen können. Kurz, mit der Gruppen- und der Determinantentheorie, der sich plötzlich auch noch die projektive Geometrie anschloß (die aus einer ursprünglichen Opposition zur Algebraisierung heraus entstand, um schließlich selbst zur Algebra zu werden), hat sich eine allgemeinste Theorie der Formen entwickelt, in der die Abstraktion kaum eine Grenze findet. Irgendwie ist damit der Leibnizsche Königsgedanke einer obersten Kabbala, eines allgemeinsten Kalküls, seiner Verwirklichung nähergerückt.
:Zu all dem gesellte sich aber noch eine weitere Disziplin, die auch in irgendeiner Art als „Übermathematik“ angesprochen werden kann: die Mengenlehre. Sie ist vielleicht von allen Gegenständen dieses Kapitels am deutlichsten darstellbar, obgleich die Schwierigkeiten, die in ihrem Ausbau liegen, fast unüberwindlich sind.
:Um uns genau zu orientieren, müssen wir räumlich, zeitlich und begrifflich unseren Zauberteppich in weitestem Maß in Anspruch nehmen, da die Mengenlehre fast an alle Gegenstände der Mathematik rührt. „Menge“ ist eine Denkkategorie wie Zahl, Anzahl, Größe, Grad oder Gruppe.
Línea 150:
:<math> \textstyle \frac{1}{2} + \frac{1}{4} + \frac{1}{8} + \frac{1}{16} + ... </math>
:unmöglicherweise jemals ein Glied auftritt, das unendlich klein wäre. Jedes der Glieder muß endlich groß bleiben, wenn es auch noch so winzig ist. Also müßte die konvergente Reihe - wohl die krasseste „contradictio in adiecto“ - divergent sein, denn Endliches, unendlichmal zueinander addiert, ist selbstverständlich unendlich. Es ist aber ebenso „selbstverständlich“ das Gegenteil der Fall, wozu jedoch mehr die Intuition als die Logik verhilft, da die Logik trotz aller apagogischen Beweise zumindest einwenig unsicher bleibt.
:Nun Wissenwissen wir weiter, daß schon die Scholastik, vor allem Bradwardinus, Thomas von Aquino und Cusanus tief in diese Antinomien eingedrungen sind, die trotz aller Beteuerungen der modernsten Grundlagenforschung, Logik, Logistik und der „Als-ob-Philosophie“ für den gänzlich undogmatischen und unerbittlichen Betrachter nach Wiewie vor das „Credo, quia absurdum“ der Mathematik bilden und - wie wir hinzufügen - bilden sollen, da erst aus diesem metalogischen Gesichtswinkel heraus sich völlig neue Erkenntnislandschaften blickmäßig erschließen.
:Gerade die stolzen und harten logischen Gefilde der Mengenlehre und der Gruppentheorie gehören zu diesen - man erschrecke nicht - metalogischen Gegenden. Denn im Verein mit der modernen Physik haben sie die Logik zu einem Prokrustesbett gemacht. Man rettet, kurz gesagt, die Logik bei einer neuen meta- oder kontralogischen Entdeckung dadurch, daß man ohne viel Aufsehen die Logik entsprechend „streckt“ und hierauf triumphierend verkündet, die neuen Lehren vertrügen sich glänzend mit der Logik. Dadurch, und wir werden darüber im Schlußkapitel noch eingehend sprechen, ist das neunzehnte Jahrhundert das „Säkulum der dehnbaren Maßstäbe“ geworden. Was für einen logischen Sinn, um zur Mengenlehre zurückzukehren, kann die apodiktische Aussage haben, daß der Teil unter gewissen Umständen dem Ganzen gleich sein muß? Und daß die Summe unendlich vieler solcher Teile Wiederwieder nicht größer sein kann als das Ganze? Für all das, was man billigerWeisebilligerweise unter Logik verstehen kann, ist das ein kompletter Unsinn, ja ein Wahnsinn und Widersinn.
::(<small>Man sagt bei unendlichen Mengen „Äquivalenz“ und „Verschiedene Mächtigkeit“, um die Begriffe der Gleichheit bzw. des Größer und Kleiner zu umgehen, das sind aber, wenn man Willwill, bloße Alibiversuche der LogikStreckung.</small>)
:Solche Möglichkeiten heben sofort die Sicherheit der gesamten elementaren Mathematik auf, wenn man sie für „logisch“ einordenbar erklärt. Nun kommt aber der Kunstgriff: man erweitert einfach die Logik, grenzt das Gebiet, in dem diese „Ungesetze“ gelten, streng ab und betrachtet im Wege einer ebenso ungeheuren wie ungeheuerlichen Maßabstreckung und Verallgemeinerung die Gesetze des Endlichen als nebensächliche Sonderfälle eines viel umfassenderen Kosmos des Aktual-Unendlichen, das sich seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, seit Bolzano, ohne Widerspruch denken läßt. Im §&nbsp;14 seiner „Paradoxien“ stellt Bolzano nämlich fest, daß niemand, der sich die „Einwohnerschaft“ Prags oder Pekings vorstelle, dabei auch an jeden einzelnen Einwohner denke. Ebensowenig müsse man etwa, so fügen wir hinzu, bei jeder unendlichen „Punkteschaft“ (Punktmenge) jedem einzelnen Punkt in Gedanken nachlaufen.
:Für uns ist Bolzanos Ausspruch geradezu der Beweis dafür, daß es sich bei all diesen Dingen um „Metalogik“ handelt: das ewige Vergleichen, das Extrapolieren aus dem Endlichen ins Unendliche, das absichtliche Verschwimmenlassen des Einzelnen, des Konstituierenden, ist ein intuitiv optischer Vorgang, der durch noch so scharfsinnige Zirkelschlüsse nicht widerlegt werden kann. Georg Cantor selbst, der sich ursprünglich wenig um Philosophie kümmerte, was er später in redlichstem Bemühen durch den Verkehr mit scholastisch geschulten Ordensgeistlichen ausglich, wobei er auf Thomas von Aquino und sein „aktuales Unendlich“ stieß, hat seine Theorie sicherlich rein logisch gemeint. Es liegt uns auch Vollkommen fern, die Genialität der Mengenlehre anzuzweifeln oder die ungeheuren Verdienste Cantors herabzusetzen. Wir fühlen nur, rein historisch, daß sich auch auf diesem Gebiet wieder eine weltwichtige geistige Entscheidung vollzieht, die in kürzerer oder längerer Zeit für die Weiterentwicklung der Mathematik epochal werden wird. Mathematisiert sich die Logik oder logisiert sich die Mathematik? so lautet hier die Kernfrage, und es ist eine Angelegenheit des Gegensatzes zwischen euklidischer, magischer oder faustischer Geisteshaltung, wie man zu diesem Problem, besser zu dieser Problemgruppe, Stellung nimmt.
:Doch auch diese Umwälzungen, in denen Wirwir heute noch mit beiden Füßen stehen, dürfen wir bloß andeuten, um unserer eigentlichen Aufgabe nicht untreu zu werden. Wir konkretisieren: Eine Menge <math> \mathfrak{M} </math>, die wir bereits definierten, kann endlich sein Wiewie die Menge der Zündhölzer in einer Schachtel oder die Menge aller geraden Zahlen bis 10.000. Oder die Menge der Primzahlen von 1 bis 79. Solche endliche Mengen sind stets abzahlbar.
::(<small>Und, Wiewie man sagt, auch darüber hinaus noch tatsächlich „abgezählt“.</small>)
:Es gibt aber auch unendliche Mengen, die abzählbar sind, und das eben sind die Mengen, derentwegen die Mengenlehre geschaffen Wurdewurde. Die Menge aller natürlichen Zahlen ist abzahlbar. Das heißt natürlich nicht, daß sie ein Mensch abzahlen kann, sondern nur, daß sie prinzipiell abgezahlt Werdenwerden können. Diese prinzipielle Möglichkeit ist so einleuchtend, daß mein Töchterchen mit fünf Jahren sagte: „Nur der liebe Gott kann bis ans Ende zahlen; denn er lebt immer.“ Nun kann man aber auch sämtliche anderen unendlichen Mengen abzahlen, bei denen es möglich ist, jedem Element eineindeutig eine natürliche Zahl zuzuordnen. Etwa samtliche geraden Zahlen, sämtliche Primzahlen, sämtliche durch 2, durch 5, durch 13, durch 79 teilbaren Zahlen. Jede dieser Weiterenweiteren Mengen ist klarerweise eine Teilmenge der Menge aller natürlichen Zahlen, der eine sogenannte „transfinite Kardinalzahl“ zugeordnet Werdenwerden kann. Nur begibt sich dabei sofort das Schrecknis, daß alle diese Teilmengen, grob gesagt, gleich groß sind Wiewie die Menge der Ganzheit der natürlichen Zahlen. Unser Schema zeigt deutlich diese Ungeheuerlichkeit:
 
 
Línea 169:
 
 
:Cantor führte für diese Tatsache, daß das „Größer“ und „Kleiner“, der „Teil“ und das „Ganze“ keinen Sinn mehr haben, den Ausdruck „Machtigkeit einer Menge“ ein und schuf Machtigkeitsgruppen, die als transfinite Kardinalzahlen durch Indizierung voneinander unterschieden Werdenwerden. Diese neue Zahl heißt <math> \aleph </math> (Aleph) und erhält einen Index als <math> \aleph_0 </math>, <math> \aleph_1 </math>, <math> \aleph_2 </math>, ... <math> \aleph_{\infty} </math>. Unsere obigen Beispiele gehören sämtlich zum Typus <math> \aleph_0 </math>.
:Nun glaubte man lange, daß die Menge aller rationalen Zahlen nicht abzählbar sei, also nicht zur Gruppe <math> \aleph_0 </math> gehöre. Cantor bewies jedoch, daß dieser Glaube nicht zutreffe. Denkt man sich nämlich alle rationalen Zahlen in folgender Art geschrieben:
 
Línea 198:
:<math> a_nx^n + a_{n-1}x^{n-1} + ... + a_1x^1 + a_0x^0 = 0 </math>
:abzählbar, was man sehr leicht beweisen kann.
:Das eigentliche Kreuz der Mengenlehre bildet bis heute noch die Menge aller Zahlen, die das Kontinuum zusammensetzen. Sicherlich ist die Menge aller Irrationalzahlen, die zu den rationalen hinzutreten müssen, um das Stetige auch Wirklichwirklich zu füllen, oder besser, um die Stetigkeit zu erzeugen, nicht abzählbar. Die Menge aller reellen Zahlen gehört somit nicht zum Typus <math> \aleph_0 </math>. Wohin also gehört sie? Das ist noch nicht geklärt und viele modernste Forscher neigen dazu, den Begriff der Mächtigkeit überhaupt fallen zu lassen.
:Wir dürfen uns aber auch hier leider nicht in Einzelheiten verlieren, sondern Wollenwollen nur, außer den bereits erwähnten, noch einige Paradoxien anführen, die sich aus der Mengenlehre ergeben. Die bekanntesten Widersprüche liegen in den Begriffen der „Menge aller Kardinalzahlen“ und der „Menge aller Ordnungszahlen“ (Antinomie von Burali-Forti). Es muß namlich zu jeder Kardinalzahl noch eine größere derartige Zahl geben. Daher sind die beiden angeführten Mengen unmöglich und sinnlos. Auch eine „Menge der geraden Ordnungszahlen“ ist sinnlos. Ein Weiteresweiteres paradoxes Ergebnis wäre nach Zermelo und Russel die „Menge aller Mengen, die einander nicht als Element enthalten“. Ebenso ist die „Menge aller Mengen“ unmöglich und paradox.
:In neuester Zeit haben Hausdorff und andere eine ganze Reihe anderer mengentheoretischer Paradoxien, speziell in der Geometrie, entdeckt, die oft zu phantastischen Ergebnissen führen. So kann man beweisen, daß sich die Sonne zerlegen und Wiederwieder zu Apfelgröße zusammensetzen läßt, ohne daß etwas Weggenommenweggenommen, hinzugegeben oder komprimiert wird.
:Der Begriff der geometrischen „Mannigfaltigkeiten“, Wiewie auch Cantor selbst ursprünglich die Mengen nannte, spielt übrigens schon seit Graßmann und seit Riemann eine große Rolle in der Mathematik. Es handelt sich dabei um den primarsten Aufbaubegriff des Ausgedehnten. Man glaubte nun, und der „gemeine Menschenverstand“ hält dies für selbstverständlich, daß die Menge der Punkte in einer Linie zu den Mengen in der Fläche oder in den Körpern sich verhalten müßten wie <math> \infty^1 </math> zu <math> \infty^2 </math> zu <math> \infty^3 </math>. Die Mächtigkeit dieser Mengen müßten also verschieden sein wie Unendlichkeiten verschiedener Ordnung. Die Mengenlehre leugnet diesen Unterschied und kennt nur eine einheitliche Punktmenge für alle Dimensionen, die stets vom gleichen Grade der Mächtigkeit ist. Sehr unheimlich ist auch etwa folgende Antinomie. Nehmen wir an, wir hätten in einem gewöhnlichen kartesischen Koordinatensystem die Einheit auf der ''x''-Achse etwa als Mikromillimeter und auf der ''y''-Achse als Billion von Lichtjahren gewählt. Die Menge der Punkte in der ''x''-Richtung muß „natürlich“ dieselbe sein wie in der ''y''-Richtung, da ja sonst keine eineindeutige Zuordnung oder Bildung von Zahlpaaren möglich wäre. Wie nun sehen diese Punkte aus? Kann es irgendein Verstand fassen, daß es sich dabei um Punkte handelt? Das müßten doch ebenso „natürlich“ recht ansehnlich gedehnte Gebilde sein, und zwar gedehnt in der ''y''-Richtung. Gut, es sind unendliche Mengen und vor der Unendlichkeit verschwinden solche lächerliche Unterschiede wie das Verhältnis von einem Mikromillimeter zu einer Billion Lichtjahre. Aber? Da gibt es kein „Aber“. Wenn wir nämlich plötzlich die Maßstäbe der Koordinaten tauschen, entsteht nicht etwa eine furchtbare Umwälzung, sondern es geschieht mengentheoretisch und analytisch überhaupt nichts. Nicht einmal die bescheidenste Transformation.
:Kurz, faustisch betrachtet, hat sich hier wieder einmal die Kabbala mit den gotischen Spitzbogengewölben verschwistert, die sich in unheimlich-ahnungsschweres Dunkel verlieren. Der Logiker wird nicht erschrecken. Er wird rechnen, wird sondern, prüfen, begrenzen, wird überlegen lächelnd behaupten, es seien gleichsam ungeduldige Kinder, die sich stets unter all diesen rein denkmaschinellen Dingen etwas „Anschauliches“ vorstellen müßten. Man dürfe sich nichts vorstellen, sonst sei man bereits irgendwie mit außermathematischen Ansprüchen verseucht oder gar bloß infantil.
:In dieser starren, gläsernen Begrenzung des Magischen wurde und wird auch die Mengenlehre zum Algorithmus ausgebaut und als Untermauerung der Zahlen-, der Funktionen- und der Integraltheorie verwendet. Sie Wirdwird mit einem Fingerschnippen sofort Wiederwieder ein Überbau der ganzen Mathematik und sogar der Logik. Sie wird überhaupt, Wiewie die Gruppentheorie, zur Überwissenschaft, zur allgemeinen Denkkategorie.
:Aber sie zeigt uns, wenn man so sagen darf, überall die Drachenzähne, und mehr als je stehen wir vor der Tatsache, daß jeden Augenblick die Donnerstimme ertönen kann: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“
:Denn die Intuition ist nicht bloß ein Requisit von Kindern, sondern in ihren Spitzenleistungen ein Requisit des Göttlichen. Wieder erhebt sich die dunkle Frage, ob wir Menschlein vollkommen ungestraft den Bereich der „Ge oikouméne“, der bewohnten Erde, verlassen und uns jenseits dieser Grenzen im Bereich Gottes tummeln dürfen. Ungestraft in dem Sinne, als es sehr fraglich ist, ob Wirwir berechtigt sind, uns in magisch-diesseitigem Überheblichkeitsgefühl einfach die Logik so zurechtzustutzen, Wiewie Wirwir sie eben brauchen. Oder ob Wirwir nicht vielmehr die faustische Verpflichtung haben, die Beruhigung der Logik dort zu verschmähen, Wowo Vielviel ursprünglichere Hintergründe fühlbar Werdenwerden. Mathematische Puritaner Wirdwird das Wort „fühlbar“ erschrecken oder abstoßen. Auch das Hereinziehen Goethescher Weltkategorien in diesen Bereich wird unzeitgemaß erscheinen, da Goethe unbestreitbar ein unmathematisch strukturierter Geist war, Wennwenn man auch von mancher Seite seine angebliche mathematische Veranlagung zu retten versucht.
::(<small>Unsere Ansicht des unmathematischen Goethe wird in schlagendster Art allein durch die Farbenlehre, das Musterbeispiel rein qualitativer und vollstandig quantitätsfremder Physik bestätigt.</small>)
:Diese Einschränkung ändert es jedoch nicht im mindesten, daß die gleiche Goethesche Struktur sich auch auf mathematische Bereiche erstrecken kann und erstrecken muß. Wir reden da nicht ins Leere. Geister wie Poincaré, Boutroux und hervorragende Mathematiker in Deutschland, wie Bieberbach, zielen mit ihren neuesten Forschungen in dieselbe Richtung. Und man läßt sich nicht überall dadurch verblüffen, daß die „Streckung der Logik“ eine Pseudo-Logisierung der Mathematik ergibt. Es ist, noch einmal hervorgehoben, ebenso berechtigt, zu behaupten, es existiere gleichsam ein eigener „mathematischer Gegenstand“, ein Reich der Mathematik, das eher entdeckt als erfunden werden muß. Hat man es entdeckt, kann man es logisch oder logistisch, oder wie man will, kultivieren, verallgemeinern und formalisieren. Dieses Reich ist aber so groß, so voll von unerhörten Wundern, daß sich ein aufmerksamer Historiker niemals einbilden kann und einbilden wird, es sei erschlossen oder auch nur erschließbar. Wieder und wieder wird zwischen den gleißend-glatten Fliesen prunkvoller mathematischer Städte das Gras des ewigen Werdens hervorwuchern, und die Städte werden in Schutt und Trümmer sinken, bis neue Baumeister, in neuem, noch ungesehenem Stil, neue Städte bauen, in denen nie gehörte Idiome erklingen werden.
:Der Algorithmus aber und die Verallgemeinerung, um wieder rein mathematisch zu sprechen, können riesige und stets riesigere Komplexe umgreifen.
:'''Irgendwo bleibt aber stets jeder „Überzahl“ doch nur die Anzahl zugeordnet, die es erst erlaubt, mit der Überzahl zu rechnen.'''
:Und sowohl der Algorithmus als auch die Verallgemeinerung sind bloß Forschungsgeräte, wenn sie sich auch als Zauberlehrlinge noch so wild gebärden. Man glaubt auch heute nicht mehr so innig wie zur Zeit des großen Laplace an die Allgewalt der industriellen Erschließung der Mathematik durch den Algorithmus. Die besten mathematischen Köpfe Wissenwissen aus eigener primärer, unbestreitbarer Erfahrung zu gut, daß neue mathematische Erkenntnisse nicht nur „errechnet“ oder „kalkuliert“ werden, sondern daß die größten Erleuchtungen Wiewie nie gehörte Melodien plötzlich aus Urtiefen herauftönen, die auch ihr Schöpfer nie durchleuchten oder ergründen wird.
:Die reinen Tautologisten und Panlogiker wollen in puritanischem Eifer den Kosmos der Mathematik zur Erstarrung und zum Abschluß, die Untergangspropheten der Richtung Spengler dagegen die mathematische Forschung zur Verzweiflung bringen. Wir behaupten dies in keiner Weise degradierend, sondern konstatierend. Gegen beide Tendenzen meldet sich aber nicht bloß religiöses und faustisches Empfinden, sondern geradezu das biologische Urgesetz, so daß man auch auf diesem Felde den Materialismus materialistisch schlagen könnte. Wozu wir noch, um Mißverständnisse zu vermeiden, anmerken, daß Wirwir eine rein instrumentale, panlogische Behandlung der Mathematik als durchaus materialistisch betrachten müssen, da der Instrumentalgedanke in einem anderen Weltanschauiingstypus kaum zureichend Widerspruchsloswiderspruchslos verankert werden kann.
:Da aber - und dies möge als versöhnlicher Ausklang dieses Kapitels noch angefügt werden - die scharfe Logisierung der Mathematik und die Mathematisierung der Logik zur Vertiefung unserer Wissenschaft mächtig beigetragen haben, sollen nicht die Auswüchse, sondern eher die Früchte dieses Wachstumsprozesses betrachtet Werdenwerden. Wir müssen noch einige Provinzen des Reiches der Mathematik durchschreiten, in denen im neunzehnten Jahrhundert mächtige Revolutionen tobten. Trotzdem aber Wollenwollen wir vorgreifend feststellen, daß die Beherrscher der „Provinz Algebra und Verallgemeinerung“ das Haus für die Zukunft Wohlgeordnet haben und daß alles bereitsteht, um neue Gaste und Boten aus dem Jenseits gebührend zu empfangen.