Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 108c»

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:Nun kam dieses geistige Vordringen, zu dem die germanischen Völker die mystischen Schauer des Unendlichen und die romanischen die strenge ,Formphantasie der analytischen Darstellung beitrugen, auch im nächsten, dem fünfzehnten Jahrhundert noch nicht zum Stillstand. Würdig schließt sich den großen Ordensmännern der Kardinal Nicolaus von Cusa an, der, zu Cues am Ufer der Mosel als Sohn eines armen Fischers geboren, den Namen Crypffs oder Krebs führte und eine der bedeutendsten geistigen Erscheinungen seiner Zeit wurde. Der Tatmensch Cusanus, der Jurist, Theologe, Gesandter in Byzanz, Staatsmann, Feldherr, Delegierter auf dem Konzil von Basel und noch manches andre war, beschäftigte sich mit Mathematik wohl nur nebenbei, obgleich er dort, wo er hingriff, sofort Großes leistete. Uns erscheinen jedoch seine streng mathematischen Schriften weniger epochal als seine Einblicke in die Schwierigkeiten und Offenbarungen des Unendlichkeitsbegriffes. In zwei sehr merkwürdigen und undurchsichtigen, sicherlich jedoch tiefenschwangeren Schriften, der „Docta ignorantia“ und dem „De Beryllo“, setzte er seine mathematisch-philosophischen Gedanken auseinander. „Docta ignorantia“, die „gelehrte Unwissenheit“, ist ein Symboltitel, der des Cusaners Grundansicht spiegelt, daß die Vereinigung der Gegensätze Grundlage der Erkenntnis sei. Später nennt er diese Erkenntnismethode auch die „Kunst der Coincidenzen“, die darin besteht, in scheinbar Gegensätzlichem einen gemeinsamen Oberbegriff zu finden. So koinzidieren etwa das Kleinste mit dem Größten, weil bei beiden eine weitere Fortsetzung in der von jedem eingeschlagenen Richtung unmöglich sei. So koinzidiere auch eine unendliche Gerade mit dem Dreieck und dem Kreis. Denn ein Dreieck, das eine unendliche Seite besitze, müsse auch zwei andere unendliche Seiten haben, da diese zusammen ja größer sein müßten als die erste Seite. Nun sei das Unendliche schon eine Grenze und Größeres gebe es nicht. Folglich müßten in einem Dreieck mit einer unendlichen Seite alle drei Seiten in eine einzige unendliche Gerade fallen oder mit ihr koinzidieren. Dasselbe gelte für einen Kreis, der größer und größer werde, um schließlich als unendlicher Kreis keine Krümmung mehr zu besitzen. Auch er müsse mit der Geraden koinzidieren.
:Der „Beryll“ als Titel der zweiten Schrift ist ebenfalls sinnbildhaft gemeint. Von „Beryll“ in diesem Sinne stammt unser Wort Brille, da es sich dabei um einen konkav oder konvex geschliffenen Stein handelt, der das bessere Sehen ermöglichen soll. Wenn wir nun, meint Cusanus, einen geistigen Beryll hätten, der zugleich Größtes und Kleinstes offenbaren könnte, so würde man den geheimnisvollen Ursprung aller Dinge erkennen. In diesem Werke befaßt sich Cusanus vorwiegend mit dem Stetigen und dem Kleinsten, und zwar in einer Art, die uns im Wesen schon von Bradwardinus her geläufig ist. So interessant es nun auch wäre, näher in all diese ungeheuer wichtigen und ebenso subtilen Fragen einzugehen, wollen wir nur noch kurz bemerken, daß Cusanus, wahrscheinlich als erster in der Geschichte der Mathematik, den Kreis deutlich und ungeschminkt als „Unendlichvieleck“ bezeichnet.
:Gewiß sind mit solchen Feststellungen sofort wieder alle Schwierigkeiten in die Welt gesetzt, die schon die alten Griechen seit Eudoxos zum „beliebig“ Großen oder Kleinen und zum Exhaustionsbeweis drängten. Gleichwohl ergibt jedoch auch der polare Gegensatz und seine Überbrückung durch die Koinzidenz wieder ganz neue Gesichtspunkte. Und wir können uns nicht enthalten, beizufügen, daß gerade die neueste Geometrie mit ihren unendlich fernen Punkten, Geraden u. dgl. sich kaum wesentlich von der Auffassung des Cusaners unterscheidet, geschweige denn ihr widerspricht. Und wir arbeiten auch heute seelenruhig mit unendlich großen Kreisen, deren Krümmung Null ist, und mit Unendlichvielecken, die Kreise sind. Ob wir diesen Vorgang mit Vaihinger eine Fiktion oder mit Cusanus eine Koinzidenz nennen, ist dabei ziemlich gleichgültig. Und es ist auch gleichgültig, daß man bei jeder solchen Gelegenheit sofort von der Unklarheit und Verschwommenheit des „Grenzüberganges“ spricht. Gleichgültig namlichnämlich in
einem höheren Sinne. Denn wenn die einen behaupten, daß sich das Vieleck höchster Seitenanzahl noch stets als gebrochene Linie darstellen, also sich im eigensten Wesen von der ungebrochenen, an jeder Stelle krummen Linie des Kreises unterscheiden muß, dann können die andern wieder antworten, daß im Unendlichen vielleicht andre Gesetze gelten als im Endlichen. Und daß irgendeinmal die Polygonseite ausdehnungsmäßig mit einem Kreisumfangspunkt zusammenfallen muß.
:»Bei all diesen Betrachtungen wird man den Unterschied des aktual und des potentiell Unendlichen nicht umgehen können. Und wird auf die Begriffe des Stetigen, des Diskreten und an die Antinomie zwischen Teilbarkeit und Atom stoßen. Schließlich wird man wohl mit Kant zugeben, daß unser Verstand gleichsam für die eine Ansicht zu lang, für die andre zu kurz sei. Das ist aber, so wichtig es sein mag, nicht das Wichtigste. Wichtiger ist anscheinend, soweit es die Geschichte unsrer Wissenschaft beweist, daß das Heraklit-Wort vom Widerstreit als Vater des Allgeschehens und das Cusanus-Wort von der Fruchtbarkeit der Überbrückung der Gegensätze sehr viel für sich hat.