Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 108c»

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:Unser „tiefgründiger“ Doktor Bradwardinus also, der als Erzbischof von Canterbury im Jahre 1349 an der Pest starb, verfaßte unter anderem ein Werk über die Stetigkeit, einen „tractatus de continuo“, in dem zahlreiche Sätze stehen, von denen man glauben könnte, sie seien der allermodernsten Mengenlehre entnommen. So scheidet er das Stetige in das beharrende Stetige (continuum permanens), das sich etwa in Linien, Flächen und Körpern manifestiert, während das fortschreitend Stetige (continuum successivum) durch Zeit oder Bewegung verwirklicht wird. Wir finden weiters Sätze wie: „Indivisibile est, quod nunquam dividi potest. Punctus est indivisibile situatum.“ Also etwa: „Das Unteilbare ist das, was niemals geteilt werden kann. Der Punkt ist das lagemäßig fixierte Unteilbare.“ Weiters: „Das Unteilbare der Zeit aber ist der Augenblick.“ „Die Bewegung ist das aufeinanderfolgende Stetige, das in der Zeit gemessen wird.“ Nun untersucht der „Doctor profundus“ das Problem des Anfangs und des Aufhörens. Dadurch kommt er naturnotwendig zu Unendlichkeitsüberlegungen, die in einer unglaubwürdig scharfsinnigen Antithese ihre Krönung finden. Er unterscheidet nämlich zwischen kathetischer und synkathetischer Unendlichkeit. Kathetisch oder einfach unendlich ist eine Größe, die kein Ende hat. Synkathetisch dagegen ist das Unendliche dann, wenn es zu jedem Endlichen stets ein größeres Endliches gibt, ohne daß dieses Wachsen je aufhört. In der neuesten Zeit hat man für diesen Unterschied die Ausdrücke „transfinit“ und „infinit“ geprägt, insbesondere in der Mengenlehre, in der die Mächtigkeiten unendlicher Mengen kurz transfinite Kardinalzahlen heißen. Nun erklärt Bradwardinus weiter, daß das Stetige sich nicht aus einer endlichen Anzahl von unteilbaren Größen, ebensowenig aber aus einer unendlichen Anzahl von Unteilbaren zusammensetzen könne. Es enthalte bloß unendlich viele Unteilbare in sich. Jedes Stetige sei zusammengesetzt aus einer unendlichen Anzahl von stetigen Elementen derselben Art und habe unendlich viele arteigene Atome. Also bestehe etwa eine Strecke aus unendlich vielen Strecken, eine Fläche aus unendlich vielen Flächen, ein Körper aus unendlich vielen Körpern. In der gleichen unteilbaren Lage aber könnten nicht mehrere Unteilbare ihren Ort besitzen (Punkte in Punkten), was nichts anderes bedeutet als eine mathematisch-philosophische Formulierung des Gesetzes der Undurchdringlichkeit.
:Jeder Mathematiker wird zugeben müssen, daß diese Erörterungen, die an Zeno und Aristoteles erinnern, vielleicht sogar an diese hellenischen Philosophen anknüpfen, durchaus nicht scholastischer Unfug sind, wie es denkfaule Empiristen stets gerne wahrhaben wollen. Denn selbst ein praktischer Ingenieur kommt manchmal über eine genaue Festlegung infinitesimaler Paradoxien und Gültigkeiten nicht hinweg, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß ihm irgendwo einmal eine Hängebrücke aus Nichtbeachtung „scholastischer Tüfteleien“ einstürzt.
:Es ist überhaupt ein tragisches Gesetz der Wissenschaftsgeschichte, daß man „die Spione gern benutzt, sie jedoch verachtet“. Wozu dieser ewige Rivalitätsstreit um den Vorrang des Deduktiven und des Induktiven? Gerade die folgende Zeit wird uns zeigen, daß beide Zonen erst zusammen die ungeheure Fortschrittskurve ermöglichten, auf der sich der „faustische“ Geist der europäischen Völker in den nächsten Jahrhunderten aufwärtsbewegte, bis er der Welt tatsächlich in bisher noch nie geahntem Ausmaß auch rein äußerlich sein Antlitz aufprägen konnte.
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:Wir haben also zu zeigen versucht, daß Handel und Philosophie die neuabendländische Mathematik vorwärtstrieben. Aus der Seele der christlichen Völker aber stieg noch ein uraltes, vielleicht aus Indien überkommenes Erbe mächtig empor. Es War die tiefe Sehnsucht, die Natur zu erkennen, gepaart mit dem vielleicht erst jetzt entstandenen trotzigen Willen, diese Natur zu meistern und zu bezwingen.
 
:Es ist allbekannt, daß Aristoteles, als „der Philosoph“ schlechtweg, das Denken aller dieser Jahrhunderte, von denen wir sprachen, nicht bloß beeinflußte, sondern gleichsam überschattete. Dieser Einfluß des Stagiriten blieb jedoch nicht allein auf Logik und Philosophie beschränkt. Er griff auch auf Viele andere Gebiete über, nicht zuletzt auf das Gebiet der Naturwissenschaften. Nun deuteten wir schon an, daß in der damaligen Welt leidenschaftliche Sehnsucht nach vertiefter Naturerkenntnis erwacht War, die auch durch die folgenden Jahrhunderte nicht mehr versiegen sollte. Es War also nur natürlich, daß man zur Befriedigung dieser Sehnsucht dort Aufklärung suchte, wo man größte und endgültigste Autorität vermutete. Und dies War eben bei Aristoteles der Fall. Wir können nur andeuten, daß hierbei der Formbegriff, die „forma“, eine ungeheure Rolle spielte, daß eine lebhafte Diskussion über das Wesen dieses Begriffes zwischen Franziskanern und Dominikanern ausbrach, 'deren größte Exponenten wieder Duns Scotus
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Es ist überhaupt ein tragisches Gesetz der Wissen-
schaftsgeschichte, daß man „die Spione gern benutzt, sie
jedoch verachtet“. Wozu dieser ewige Rivalitätsstreit
um den Vorrang des Deduktiven und des Induktiven?
Gerade die folgende Zeit wird uns zeigen, daß beide
Zonen erst zusammen die ungeheure Fortschrittskurve
ermöglichten, auf der sich der „faustische“ Geist der
europäischen Völker in den nächsten Jahrhunderten
aufwärtsbewegte, bis er der Welt tatsächlich in bisher
noch nie geahntem Ausmaß auch rein äußerlich sein
Antlitz aufprägen konnte.
Wir haben also zu zeigen versucht, daß Handel und
Philosophie die neuabendländische Mathematik vor-
Wärtstrieben. Aus der Seele der christlichen Völker aber
stieg noch ein uraltes, vielleicht aus Indien überkom-
menes Erbe mächtig empor. Es War die tiefe Sehnsucht,
die Natur zu erkennen, gepaart mit dem vielleicht erst
jetzt entstandenen trotzigen Willen, diese Natur zu
meistern und zu bezwingen.
Es ist allbekannt, daß Aristoteles, als „der Philosoph“
schlechtweg, das Denken aller dieser Jahrhunderte, von
denen Wir sprachen, nicht bloß beeinflußte, sondern
gleichsam überschattete. Dieser Einfluß des Stagiriten
blieb jedoch nicht allein auf Logik und Philosophie be-
schränkt. Er griff auch auf Viele andere Gebiete über,
nicht zuletzt auf das Gebiet der Naturwissenschaften.
Nun deuteten Wir schon an, daß in der damaligen Welt
leidenschaftliche Sehnsucht nach vertiefter N aturerkennt-
nis erwacht War, die auch durch die folgenden Jahr-
hunderte nicht mehr versiegen sollte. Es War also nur
natürlich, daß man zur Befriedigung dieser Sehnsucht
dort Aufklärung suchte, Wo man größte und endgültigste
Autorität vermutete. Und dies War eben bei Aristoteles
der Fall. Wir können nur andeuten, daß hierbei der
Formbegriff, die „forma“, eine ungeheure Rolle spielte,
daß eine lebhafte Diskussion über das Wesen dieses Be-
griffes zwischen Franziskanern und Dominikanern aus-
brach, 'deren größte Exponenten 'wieder Duns Scotus
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