Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 108c»

Contenido eliminado Contenido añadido
Sin resumen de edición
Sin resumen de edición
Línea 28:
:Es handelt sich dabei um die ganze Problemgruppe, die wir schon bei Archimedes angetroffen haben. Um die Begriffe der Stetigkeit, der Unendlichkeit und um einen neuen Begriff, der erst auf „faustischem“ Boden wuchs, um den Begriff der Funktion.
:Wir kehren also in die Zeit des Leonardo von Pisa, in den Beginn des dreizehnten nachchristlichen Jahrhunderts, zurück. Noch zu Lebzeiten erwuchs dem Pisaner in J rdanus Nemorarius, einem Deutschen, ein mächtiger N ebenbuhler. Jordanus war Dominikaner. Auf Einzelheiten seines umfassenden mathematischen Werkes, das nach allen Seiten großen Einfluß übte, wollen wir nicht eingehen. Wir wollen bloß einige Einleitungssätze seiner Schrift über die Dreiecke (de triangulis) unter die Lupe nehmen, die uns in verblüffender Art zeigen, wie weit sich schon der „faustische“ Geist von seinen arabischen und griechischen Vorbildern entfernt und selbständig gemacht hatte. Wir lesen dort Definitionen, von denen wir glauben würden, sie stammten aus dem neunzehnten Jahrhundert und seien Untersuchungen von Dedekind oder Bolzano. So definiert J ordanus folgendermaßen: „Stetigkeit ist Nichtunterscheidbarkeit von Grenzstellen, verbunden mit der Möglichkeit, abzugrenzen.“ „Der Punkt ist die Festlegung der einfachen Stetigkeit.“ „Ein Winkel entsteht durch das Zusammentreffen zweier stetiger Gebilde an einem Endpunkt ihrer Stetigkeit.“
:Was man auch immer einwenden mag, sind derartige Definitionen zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts einigermaßen verblüffend, da sie zeigen, wie sehr sich schon der infinitesimale Gedanke mit all seinen Gegengesetzlichkeiten und Schwierigkeiten bei den Scholastikern vorbereitete. Und ein solcher war J ordanus. Er soll ja an der Pariser Universität gelehrt haben.
147
:Unsere Verwunderung wird nicht geringer, wenn wir einem Franziskaner lauschen, der nur wenige Jahrzehnte später in England (in Oxford) wirkte. Wir meinen damit Thomas de Bradwardina (Bredwardin), dessen Name gewöhnlich Bradwardinus lautet und der in der Reihe der mächtigsten Doktoren als „Doctor profundus“ erscheint. Wir erinnern uns bei diesen großen Doktoren fast an die sieben Weisen Griechenlands. Und wollen daher einige anführen, die mehr oder weniger zu unserer Erörterung in Beziehung stehen. So hieß Roger Baco „Doctor mirabilis“, Thomas von Aquino „Doctor angelicus oder universalis“, Duns Scotus „Doctor subtilis“, Raimundus Lullus „Doctor illuminatus“, Wilhelm von Occam „Doctor invincibilis“ oder „singularis“.
 
:Unser „tiefgründiger“ Doktor Bradwardinus also, der als Erzbischof von Canterbury im Jahre 1349 an der Pest starb, verfaßte unter anderem ein Werk über die Stetigkeit, einen „tractatus de continuo“, in dem zahlreiche Sätze stehen, von denen man glauben könnte, sie seien der allermodernsten Mengenlehre entnommen. So scheidet er das Stetige in das beharrende Stetige (continuum permanens), das sich etwa in Linien, Flächen und Körpern manifestiert, während das fortschreitend Stetige (continuum successivum) durch Zeit oder Bewegung verwirklicht wird. Wir finden weiters Sätze wie: „Indivisibile est, quod nunquam dividi potest. Punctus est indivisibile situatum.“ Also etwa: „Das Unteilbare ist das, was niemals geteilt werden kann. Der Punkt ist das lagemäßig fixierte Unteilbare.“ Weiters: „Das Unteilbare der Zeit aber ist der Augenblick.“ „Die Bewegung ist das aufeinanderfolgende Stetige, das in der Zeit gemessen wird.“ Nun untersucht der „Doctor profundus“ das Problem des Anfangs und des Aufhörens. Dadurch kommt er naturnotwendig zu Unendlichkeitsüberlegungen, die in einer unglaubwürdig scharfsinnigen Antithese ihre Krönung finden. Er unterscheidet nämlich zwischen kathetischer und synkathetischer Unendlichkeit. Kathetisch oder einfach unendlich ist eine Größe, die kein Ende hat. Synkathetisch dagegen ist das Unendliche dann, wenn es zu jedem Endlichen stets ein größeres Endliches gibt, ohne daß dieses Wachsen je aufhört. In der neuesten Zeit hat man für diesen Unterschied die Ausdrücke „transfinit“ und „infinit“ geprägt, insbesondere in der Mengenlehre, in der die Mächtigkeiten unendlicher Mengen kurz transfinite Kardinalzahlen heißen. Nun erklärt Bradwardinus weiter, daß das Stetige sich nicht aus einer endlichen Anzahl von unteilbaren Größen, ebensowenig aber aus einer unendlichen Anzahl von Unteilbaren zusammensetzen könne. Es enthalte bloß unendlich viele Unteilbare in sich. Jedes Stetige sei zusammengesetzt aus einer unendlichen Anzahl von stetigen Elementen derselben Art und habe unendlich viele arteigene Atome. Also bestehe etwa eine Strecke aus unendlich vielen Strecken, eine Fläche aus unendlich vielen Flächen, ein Körper aus unendlich vielen Körpern. In der gleichen unteilbaren Lage aber könnten nicht mehrere Unteilbare ihren Ort besitzen (Punkte in Punkten), was nichts anderes bedeutet als eine mathematisch-philosophische Formulierung des Gesetzes der Undurchdringlichkeit.
 
:Jeder Mathematiker wird zugeben müssen, daß diese Erörterungen, die an Zeno und Aristoteles erinnern, vielleicht sogar an diese hellenischen Philosophen anknüpfen, durchaus nicht scholastischer Unfug sind, wie es denkfaule Empiristen stets gerne wahrhaben wollen. Denn selbst ein praktischer Ingenieur kommt manchmal über eine genaue Festlegung infinitesimaler Paradoxien und Gültigkeiten nicht hinweg, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß ihm irgendwo einmal eine Hängebrücke aus Nichtbeachtung „scholastischer Tüfteleien“ einstürzt.
???
 
Was man auch immer einwenden mag, sind derartige
Definitionen zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
einigermaßen verblüffend, da sie zeigen, wie sehr sich
schon der infinitesimale Gedanke mit all seinen Gegen-
gesetzlichkeiten und Schwierigkeiten bei den Scholasti-
kern vorbereitete. Und ein solcher war J ordanus. Er soll
ja an der Pariser Universität gelehrt haben.
Unsere Verwunderung wird nicht geringer, wenn wir
einem Franziskaner lauschen, der nur wenige Jahrzehnte
später in England (in Oxford) wirkte. Wir meinen damit
Thomas de Bradwardina (Bredwardin), dessen Name ge-
wöhnlich Bradwardinus lautet und der in der Reihe der
mächtigsten Doktoren als „Doctor profundus“ erscheint.
Wir erinnern uns bei diesen großen Doktoren fast an
die sieben Weisen Griechenlands. Und wollen daher
einige anführen, die mehr oder weniger zu unserer Er-
örterung in Beziehung stehen. So hieß Roger Baco
„Doctor mirabilis“, Thomas von Aquino „Doctor an-
gelicus oder universalis“, Duns Scotus „Doctor subtilis“,
Raimundus Lullus „Doctor illuminatus“, Wilhelm von
Occam „Doctor invincibilis“ oder „singularis“.
Unser „tiefgründiger“ Doktor Bradwardinus also, der
als Erzbischof von Canterbury im Jahre 1349 an der
Pest starb, verfaßte unter anderem ein Werk über die
Stetigkeit, einen „tractatus de continuo“, in dem zahl-
reiche Sätze stehen, von denen man glauben könnte, sie
seien der allermodernsten Mengenlehre entnommen. So
scheidet er das Stetige in das beharrende Stetige (con-
tinuum permanens), das sich etwa in Linien, Flächen und
Körpern manifestiert, während das fortschreitend Stetige
(continuum successivum) durch Zeit oder Bewegung ver-
wirklicht wird. Wir finden weiters Sätze wie: „Indivi-
sibile est, quod nunquam dividi potest. Punctus est
indivisibile situatum.“ Also etwa: „Das Unteilbare ist
das, was niemals geteilt werden kann. Der Punkt ist das
lagemäßig fixierte Unteilbare.“ Weiters: „Das Unteil-
bare der Zeit aber ist der Augenblick.“ „Die Bewegung
ist das aufeinanderfolgende Stetige, das in der Zeit ge-
148
 
 
 
 
messen wird.“ Nun untersucht der „Doctor profundus“
das Problem des Anfangs und des Aufhörens. Dadurch
kommt er naturnotwendig zu Unendlichkeitsüberlegun-
gen, die in einer unglaubwürdig scharfsinnigen Antithese
ihre Krönung finden. Er unterscheidet nämlich zwischen
kathetischer und synkathetischer Unendlichkeit. Kathe-
tisch oder einfach unendlich ist eine Größe, die kein Ende
hat. Synkathetisch dagegen ist das Unendliche dann,
wenn es zu jedem Endlichen stets ein größeres Endliches
gibt, ohne daß dieses Wachsen je aufhört. In der neuesten
Zeit hat man für diesen Unterschied die Ausdrücke
„transfinit“ und „infinit“ geprägt, insbesondere in der
Mengenlehre, in der die Mächtigkeiten unendlicher Mengen
kurz transfinite Kardinalzahlen heißen. Nun erklärt Brad-
wardinus weiter, daß das Stetige sich nicht aus einer end-
lichen Anzahl von unteilbaren Größen, ebensowenig aber
aus einer unendlichen Anzahl von Unteilbaren zusammen-
setzen könne. Es enthalte bloß unendlich viele Unteilbare
in sich. Jedes Stetige sei zusammengesetzt aus einer un-
endlichen Anzahl von stetigen Elementen derselben Art
und habe unendlich viele arteigene Atome. Also bestehe
etwa eine Strecke aus unendlich vielen Strecken, eine
Fläche aus unendlich vielen Flächen, ein Körper aus un-
endlich vielen Körpern. In der gleichen unteilbaren Lage
aber könnten nicht mehrere Unteilbare ihren Ort be-
sitzen (Punkte in Punkten), was nichts anderes bedeutet
als eine mathematisch-philosophische Formulierung des
Gesetzes der Undurchdringlichkeit.
Jeder Mathematiker wird zugeben müssen, daß diese
Erörterungen, die an Zeno und Aristoteles erinnern, viel-
leicht sogar an diese hellenischen Philosophen anknüpfen,
durchaus nicht scholastischer Unfug sind, wie es denk-
faule Empiristen stets gerne wahrhaben wollen. Denn
selbst ein praktischer Ingenieur kommt manchmal über
eine genaue Festlegung infinitesimaler Paradoxien und
Gültigkeiten nicht hinweg, wenn er nicht Gefahr laufen
will, daß ihm irgendwo einmal eine Hängebrücke aus
Nichtbeachtung „scholastischer Tüfteleien“ einstürzt.
149
 
????
 
 
Es ist überhaupt ein tragisches Gesetz der Wissen-