Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 106c»

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:Woher das Wort Algorithmus stammt, wußte man bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein nicht, obgleich er seit Leibniz in allgemeiner Verwendung stand. Man dachte an eine Verstümmelung des Ausdruckes Logarithmus, sicherlich aber an einen Zusammenhang mit „Arithmos“ (Zahl). Erst die Orientalisten klärten das Rätsel, beseitigten auch den Irrglauben, daß Algoritmi ein indischer, sagenhafter, zauberkundiger König gewesen sei. Er war vielmehr ein höchst lebendiger Mensch, ein großer Mathematiker der Kalifenzeit, lebte um 800 nach Christi Geburt und hieß Muhammed ibn Musa Alchwarizmi. Dieser Beiname Alchwarizmi bedeutet aber bloß, daß er aus der ostpersischen Provinz Khorassan (später Khanat Chiwa) stammte. Muhammed Alchwarizmi verfaßte nun zwischen 800 und 825 zwei mathematische Werke, deren eines ein Rechenbuch ist und in der lateinischen Übersetzung mit den Worten „Algoritmi dicit“ („also sagt Alchwarizmi“) beginnt. Das zweite Werk aber ist eine geniale Algebra mit dem Titel „Aldschebr Walmukabala“, was etwa „Einrichtung-Gegenüberstellung“ heißt und bedeutet, daß eine Gleichung „eingerichtet“ ist, wenn sie nur mehr positive Glieder enthält. „Gegenüberstellung“ aber ist das weglassen oder Subtrahieren gleicher Größen auf beiden Seiten der Gleichung. Nun hat sich, nach Günther, das Wort Algebrista in Spanien unter maurischem Einfluß bis auf Cervantes erhalten, da der „Spiegelritter“, den Don Quixote vom Pferde geworfen hat, einem Algebrista (einem Einrichter) zum Einrenken der Glieder übergeben wird.
:Und es ist der wunderlichste Zufall der Wissenschaftsgeschichte, daß unser Alchwarizmi zu verschiedenen Zeitpunkten gleich zweimal kategorial verewigt wurde. Der Titel seines Werkes lieferte die Gattungsbezeichnung für die Buchstabenrechnung und für alle sich daran schließenden Formenlehren; wobei Alchwarizmi selbst, wie wir sehen werden, von einer Algebra dritter Stufe, also von der Buchstabenrechnung, keine Ahnung hatte. Er steht vielmehr durchwegs auf der ersten, Wortalgebraischen Stufe. Sein verballhornter Beiname aber wurde zur Gattungsbezeichnung für einen der tiefsten und umfassendsten Begriffe, die die Mathematik kennt, zum „Algorithmus“, was ungefähr dasselbe wäre, als ob spätere Jahrtausende irgendeine mathematische Kategorie nach Gauß „Braunschweiger“ nennen würden.
:Um diese Bezeichnung und den ganzen Inhalt des Begriffes Algorithmus (früher sagte man auch Algorismus) voll würdigen zu können, müssen wir zuerst einmal sehen, wo das Wort zum erstenmal auftritt, und müssen dann sofort als echte Besucher Bagdads den Zauberteppich besteigen, der uns diesmal nicht aus dem Märchenbereich von Tausend-und-einer-N acht hinausführen wird. Wir verrieten schon, wo das Wort zum erstenmal vorkommt. Nämlich als Anfang eines Rechenbuches. Was nun enthält dieses Rechenbuch? Etwas für uns vollkommen Entzaubertes, Selbstverständliches: die sogenannten Species, die Rechnungsoperationen, die jedes Kind in der Volksschule lernt. Dazu noch zwei inzwischen aus der Übung gekommene Operationen des Verdoppelns und des Halbierens, deren Ursprung sich vielleicht rein sprachlich aus den Formen des Duals (der Zweizahl) herleitet, den es als Ergänzung der Einzahl (Singularis) und Mehrzahl (Pluralis) sowohl im Sanskrit als etwa im Altgriechischen gab. Gut, uns sind diese Rechnungsarten selbstverständlich, aber dies nur aus einem Grund, der gerade ihren Zauber ausmacht. Sie beruhen nämlich, und dies der Kernpunkt, auf dem durchsichtigsten und vollkommensten System, das in der Geschichte des Geistes bisher geschaffen wurde: auf dem Stellenwertsystem oder Positionssystem der Ziffernschreibung. Die Tatsache, daß man mit zehn Begriffssymbolen, die von jeder Sprache unabhängig sind, alle Zahlen vom denkbar kleinsten Systembruch bis zu der sich im Nebel des Unendlichgroßen verlierenden astronomischen und überastronomischen Zahl mühelos und irrtumsfrei, eindeutig und allgemeinverständlich anschreiben kann, hat im geistigen Kosmos nicht ihresgleichen. Von allen Wissenschaften besitzt nur noch höchstens die Chemie ein annähernd so ehernes und scharfes Werkzeug in ihrer Symbolik der Elemente, dessen Gültigkeit und Vollständigkeit jedoch jederzeit von einer Erkenntnisrevolution zertrümmert werden kann, was bei der Ziffernschrift unmöglich ist. Damit ist aber die Zauberkraft des Stellenwertsystems, das natürlich nicht einmal gerade ein dekadisches sein müßte, noch durchaus nicht erschöpft. Es gebiert gleichsam fortzeugend Gutes. Und es ermöglicht etwa zum erstenmal eine im wahrsten Sinne kinderleichte Handhabung auch sehr verwickelter Rechnungsoperationen Iındund eine Fülle von im System selbst begründeten Proben und Kontrollen. Damit wird es zur ersten wirklichen Denkmaschine, deren Bedienung, wie gesagt, jeder Elementarschüler kennt, deren tiefere Struktur und deren Zahnräderwerk aber durchaus nicht so einfach ist, wie es sich der Laie vorzustellen versucht ist. Ein solcher „Durchschauer“ müßte zuerst einmal bei Gauß in die Lehre gehen und etwas von „Rest-Modul-Systemen“ oder Primzahlforschungen in Sich aufnehmen. Doch das nur nebenbei.
:Unserem Alchwarizmi also fiel die historische Aufgabe zu, das indische dekadische Stellenwertsystem in einem Rechenbuch zusammenzufassen, worauf er oder ein Übersetzer seinen Herkunftsnamen „Algoritmi“ an die Spitze stellte.
:Wir wollen aber jetzt dieses erste an uns herantretende Beispiel eines Algorithmus, und zwar den vollkommensten aller Algorithmen, ein wenig näher prüfen, um uns ein richtiges Bild über das Geleistete und über den Anteil der einzelnen Kulturen an dieser Epoche zu bilden.
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:Auf weitere Einzelheiten der arabischen Mathematik einzugehen, liegt für uns kein Anlaß vor, obgleich sie sicherlich sehr interessant sind. Worin also, so fragen wir uns, besteht die Epoche, die durch die Araber heraufgeführt wurde? Ist sie eine Epoche der Forschung, des Unterrichtes oder gar nur eine Übersetzer- und Sammlertätigkeit, die dadurch angeregt wurde, daß die Kalifen zufällig nestorianische Christen als Leibärzte verwendeten und diese Arzte hellenische Bildung besaßen und mitbrachten? Oder ist durch all die Jahrhunderte bis zu den maurischen Hochschulen von Sevilla, Toledo und Granada durch Ost- und Westaraber doch etwas Bleibendes geschaffen worden, das über die Verwaltung des indischen und griechischen Erbes hinausreicht?
:Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Um so schwerer, als in der Wissenschaftsgeschichte oft auch die Verwendung und Anpassung überkommenen Wissens in seiner späteren Auswirkung epochale Bedeutung gewinnen kann. Vielleicht ist mancher Ruhm unverdient und die bloße Verewigung von Namen und Ausdrücken ist irreführend. Aber die Tatsache allein, daß wir bis vor kurzem unser Ziffernsystem das „arabische“ nannten, daß Algebra und Algorithmus, Alhidade, Zenit, Nadir, Almukantarat, Ziffer, Zero aus unserm Sprachschatz nicht wegzudenken sind, daß unser Himmel voll von arabisch benannten Sternen steht, wie Alkor, Mizar, Beteigeuze, Rigel, Algol, Aldebaran, Fomalhaut, Toliman, Kochab, Ras-Alhague, Zuben el schemali, um nur einige zu nennen, dürfte doch mehr bedeuten als eine unrechtmäßig usurpierte Autorschaft oder eine bloße Vermittlertätigkeit.
:Es ist nicht zu leugnen, daß die Araber gleichsam im Materialen, rein Inhaltlichen unsrer Wissenschaft vergleichsweise wenig Neues hinzugefügt haben. Sie bereicherten etwa die Geometrie gegenüber den Griechen wesentlicher nur in der Trigonometrie und Astronomie. Dagegen haben sie in formaler Beziehung die Denkmaschine, die in der Arithmetik und Algebra liegt, ziemlich klar erkannt und wenn auch nicht erfunden, so doch zum großen Teil aus den Schranken geometrischer Bevormundung und Übergewichtigkeit erlöst. Entsprechend ihrer kühleren, rationaleren Veranlagung, der gleichsam das Kristallinische näher lag als das Lebendig-Organische, haben sie der Verstandesseite des Erkenntnisapparates gegenüber der Anschauung zu ihrem Recht verholfen. Sie waren begabte, tüchtige und interessierte Mathematiker. Gemäß islamitischer Ausbreitungs- und Bekehrungstendenz entwickelten sie ein umfassendes Schulwesen, das durch ihre Handelstätigkeit noch an Bedeutung gewann. Sie brachen aber zudem noch ihrer Kultur überallhin durch Feuer und Schwert Bahn und versäumten es nicht, den blutigen Eroberungszügen die Mathematik nachfolgen zu lassen. Aber auch sie waren trotz aller praktischen und expansiven Veranlagung keine Ingenieure, das heißt, sie berannten nicht mit dem Werkzeug der Mathematik die Natur, um sie dann, nachdem sie ihr die Geheimnisse entrissen hatten, durch Maschinen in ihren Dienst zu zwingen. Ihrer magischen Veranlagung gemäß, mündete vielmehr ihre Mathematik in Rätsel, kabbalistischen Zauber und astrologisch orientierte Astronomie. Wieder einmal, wie bei den Pythagoreern, wurde die Zahl, ihre Beziehung zur Welt und die Beziehungen der Zahlen untereinander zum Geheimnis und zur Enthüllung. Die Kabbala gewann den magischen Klang, den wir ihr heue noch beilegen. Und in den erleuchtetsten Köpfen der Araber dürfte schon ziemlich klar aufgedämmert sein, daß noch magischer als dıedie Zahl selbst die Denkmaschine des Algorithmus war. Um Mathematik zu lehren und Mathematik zu verbreiten, sind Regeln erforderlich. Regeln aber führen zur Verallgemeinerung. Und Verallgemeinerung setzt eine genaue Kenntnis von Zusammenhängen voraus. Diese Stufenfolge aber führt zwangsläufig dazu, daß die Mathematik an irgendeiner Stelle zum Zauberlehrling wird. Das Werkzeug selbst beginnt plötzlich für uns zu denken und reißt uns in Gebiete vor, die wir bisher nicht einmal ahnten. Und Mathematik wird so recht ein „Sesam, öffne dich“.
:Wieder hat uns der Zauberteppich, diesmal bloß unsere Gedanken, in die Zeit vorangetragen. Denn es mußte sich noch viel Äußeres und Inneres, viel Zufälliges und N otwendiges, viel rein Persönliches und Strukturelles ereignen, bis mit der Geburt einer neuen Mathematik sich auch die äußere Umwelt veränderte. Denn gerade um die Zeit, als ein andrer heißer Glaube seine streitbaren Heere in die Welt hinaussandte, zur Zeit, als die Kreuzfahrer, im wilden Überschwang eines werdenden Kulturbewußtseins, siegend oder verschmachtend in arabischen Wüsten kämpften, begannen sich gotische Türme zum Himmel zu recken, verschwammen halbdunkle gotische Gewölbe in der sicheren Vorahnung und Vorschau eines Rinascimento, das, ungleich der eigentlichen Renaissance, die Wiedergeburt des Geistes als ganzen betraf. Wie alle großen Kulturen der kaukasischen Völker war diese Kulturwerdung eine peninsulare. Nach den Halbinseln Kleinasien, Griechenland und Rom trat die „Halbinsel Europa“ ihre Sendung an.
:Alles lag bereit, alle Keime waren noch voll Leben, wenn auch die Pflanzer dieser Keime gestorben und verdorben waren oder eben ihren letzten Kampf ausfochten. Alles lag bereit. Der gotisch-faustische Geist konnte sein Werk beginnen. Denn ein Völkermorgen dämmerte und die frische, unverbrauchte Kraft vieler Nationen dürstete spannkräftig nach einer Betätigung, deren ideelle Vorwegnahme die Kreuzzüge und gotischen Dome waren. Von der Hand des Magiers Klingsor hatte der Gralsritter die Wunde empfangen, die nie sich schließen wollte. Der magische Geist begann den faustischen mit der Wunde ewiger Aufwärtssehnsucht zu erfüllen.