Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 105c»

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:Wenn unsere Untersuchung auch durchaus nicht eine lückenlose Kontinuität der Entwicklung geben will, sondern gerade das Gegenteil einer solchen Darstellung anstrebt, indem sie nur die Epochen der Mathematik aufzeigt, so bleibt darüber hinaus gleichwohl die allgemein kulturhistorische Tatsache zu erörtern, warum manchmal erst nach einem leeren Zwischenraum von Jahrhunderten der weitere Aufstieg einer Wissenschaft stattfindet oder stattfinden kann.
:Dabei ist es für die Zeitgenossen selbst oft unmöglich, diese Leere zu empfinden oder wahrzunehmen. Denn das durch die großen Entdecker zur Diskussion gestellte Problemmaterial wird aufgearbeitet, erweitert, Verallgemeinert und gesichtet. Und es kann sehr Wohlwohl geschehen, daß noch bestehende Lücken ausgefüllt werden und Entdeckungen zu dieser Ausfüllung erforderlich sind, die rein qualitativ hinter den epochemachenden Entdeckungen der klassischen Zeit nicht zurückstehen, sondern nur relativ zu der wissenschaftlichen Gesamtlage nicht epochal wirken. Hierbei handelt es sich eben um das Problem des Epigonentums überhaupt. Epigone zu sein ist nicht bloß eine mindere Fähigkeit, sondern in vielen Fällen bloß das Unglück, später das Licht der Welt erblickt zu haben. Die Tatsache, daß innerhalb eines Kulturkreises, der, durch tausend Komponenten bedingt, nicht über sich selbst hinaus kann, nichts mehr zu leisten ist, dürfte sich in vielen Fällen nicht als Schuld und Unfähigkeit, sondern als Schicksal des einzelnen herausstellen lassen.
:Doch über derart verwickelte und undurchsichtige Fragen, die außerdem noch eine geschichtsmorphologische Untersuchung voraussetzen, ob es wirklich so etwas gibt Wiewie Jugend, Vollreife und Vergreisung einer Kultur, kann man kaum Allgemeingültiges aussagen, wenn man die Tatsachen der Geschichte nicht vergewaltigen Willwill. Wozu noch die Weitereweitere Frage gehört, ob diese Entwicklungsstufen an bestimmte Völker oder an Kulturkreise gebunden sind. Was aber sind Kulturkreise ohne die Basis konkreter Völker? Es ist, nicht bloß von Oswald Spengler, über derartige Problemgruppen viel diskutiert worden. Wir können uns in so umfangreiche Untersuchungen nicht verlieren, ohne unsre Hauptaufgabe zu gefährden. Wir können aber anderseits wieder gerade an der historischen Stelle, an der wir eben nach Apollonios angelangt sind, über das auffallende Phänomen plötzlicher mathematischer Dekadenz nicht schweigend hinweggehen. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß eine eigentliche Epoche der Mathematik erst wieder bei Diophantos behauptet werden kann.
:Wenn man scharf formulieren will, muß man feststellen, daß die Mathematik vom zweiten vorchristlichen bis ins dritte nachchristliche Jahrhundert hinein mit einer einzigen Ausnahme nichts andres als die Verwaltung des klassischen Erbes betreute. Und zwar waren es ausschließlich Griechen, die sich dieser Aufgabe unterzogen. Die römische Mathematik kam dagegen überhaupt nicht in Betracht. Das klassische Rom war ein Volk militanter Juristen, das in einer gewissen Geringschätzung der Gelehrsamkeit Sachverständige für nichtjuristische Gebiete sich auf Grund seiner Machtfülle aus aller Welt herbeiholte, wenn es solche für Zwecke der Technik und der Architektur oder für das Kriegswesen brauchte. Die große Zeit der römischen Weltherrschaft vom Ende der Punischen Kriege bis zum Ende der eigentlichen Cäsarenperiode gehört daher zu den mathematisch sterilsten Zeiten des bisher überblickbaren Geschichtsverlaufes. Wir erwähnten eine einzige Ausnahme. Sie betrifft die Entwicklung der Trigonometrie und wir werden darüber noch zu sprechen haben.
:Wir besteigen also wieder einmal unsern Zauberteppich und knüpfen an Apollonios und an seine Durchforschung der Kegelschnittskurven an. Es war klar, daß die schon von Archimedes eingeleitete besonders ausgedehnte Beschäftigung mit den Kurven, die sich bei Apollonios fortsetzte, einen Ansporn zur weiteren Durchforschung des irgendwie gesetzmäßig Gekrümmten bildete. So entdeckte im zweiten vorchristlichen Jahrhundert der Geometriker Nikomedes die Konchoide oder Muschelkurve, deren mechanische Darstellung durch eine Art von Konchoidenzirkel von Nikomedes gleichfalls angegeben wurde. Da es sich dabei, analytisch gesprochen, um eine höhere Kurve, also um eine den zweiten Grad übersteigende Kurve handelte, deren Gleichung wir heute als
:<math> (x^2 + y^2) (x - a)^2 = b^2 </math>
:schreiben, konnte sie zur Lösung der Winkeltrisektion und des delischen Problems herangezogen werden. Dasselbe leistete die Cissoide oder Efeulinie des Diokles, deren Gleichung
:<math> (x^2 + y^2)\cdot x - ay^2 = 0 </math> lautet.
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:Die Sphärik wird weiter durch Menelaos von Alexandrien im ersten nachchristlichen Jahrhundert entwickelt, bis sie durch Klaudius Ptolemäus um 140 nach Christi Geburt ihren größten Vertreter findet. Es erscheint vielleicht als eine gewisse Ungerechtigkeit, wenn wir die ungeheure Vollendung, die die Kugelgeometrie und die Trigonometrie bei Ptolemäus erreichen, nicht als gesonderte Epoche der Mathematik ansetzen. Das Hauptwerk dieses großen Mathematikers und Astronomen, dessen Weltbild weitere anderthalb Jahrtausende beeinflußte, die „Megale syntaxis“ (große Zusammenstellung) oder auf arabisch „das Almagest“, stand in derart hohem Ansehen, daß die Auslieferung eines Exemplars dieses Werkes gelegentlich eines Friedensschlusses zwischen dem Kalifat und Byzanz einen Hauptpunkt des FriedensVertrages bildete. Wir selbst gebrauchen auch heute noch taglich Ausdrücke, die erstmalig von Ptolemäus geprägt wurden. Er nennt nämlich gelegentlich seiner Kreis- und Winkelteilung die Unterteile „partes minutae primae“ und „partes minutae secundae“ (Also etwa „verminderte Teile erster und zweiter Art“ oder „Verklemerung erster und zweiter Art“).
:Daraus ist höchst inkonsequenterweise unsre Unterteilung in Minuten und Sekunden entstanden, die richtig höchstens „Primen“ und „Sekunden“ lauten sollte.
:Wenn wir uns also trotz allem nicht entschließen koxmten, die Trigonometrie als gesonderte Epoche anzusetzen, so ist unser Grund dafür der, daß die Trigonometrie ein abgegrenztes Teilgebiet der Maßgeometrie ist und daß sie daher im strengsten Sinne größtenteils nicht zur reinen, sondern zur angewandten Mathematik gehört. Ihre überragende praktische Bedeutung ist unbestreitbar und unbestritten, ebenso wie die Tatsache, daß ihre Voraussetzungen, soweit sie die goniometrischen Funktionen betreffen, gleich dem Pythagorassatz zu den ersten Fundamenten der höheren Mathematik gehören. Sie wurde aber im Gegensatz zu den meisten andren Disziplinen der Mathematik nicht zu diesen, sondern zu rein praktischen Zwecken geschaffen und hat deshalb das mathematische Denken an und für sich nicht epochemachend beeinflußt. Sie ist vielmehr Weiterweiter ihren praktischen Weg oder den Weg als Hilfswissenschaft der Astronomie gegangen und schließlich verhältnismäßig bald zu einer nicht mehr zu überbietenden endgültigen Vollkommenheit ausgebildet worden.
:Es war nicht verwunderlich, daß die zunehmend praktische Orientierung der nachklassischen Mathematik des Altertums das wirkliche Rechnen stets mehr und mehr in den Vordergrund schob. Die Diffamierung des Rechnens wurde langsam und unmerklich aufgehoben und schon Heron ergeht sich in einer derartigen Fülle von Berechnungen, daß sein Buch später zu Rechenbüchern und Aufgabensammlungen umgestaltet wurde. Noch deutlicher tritt die Notwendigkeit tatsächlicher Berechnung bei Ptolemäus zutage. Eine brauchbare Trigonometrie ohne umfassendste zahlenmäßige Behandlung ist undenkbar, und Ptolemäus hat deshalb auch ein großes grundlegendes Tafelwerk, seine „Sehnentafel“ von ½° zu ½° bis 90° geschaffen, das den Zweck der heutigen logarithmisch-trigonometrischen Tafelwerke zu erfüllen hatte. Er kannte auch als Näherungswert für die Kreiszahl π die Darstellung
:3 + <math> \frac{8}{60} </math> + <math> \frac{30}{3600} = 3,141666...</math>,
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:Myriaden [<small>Die ''Myriade'' steht für eine Anzahl von 10.000 (altgriechisch μυριάς myrias „zehntausend“, „unzählbare Menge“). Der Plural ''Myriaden'' steht heute meist für eine unzählbare Menge.</small>]oder Zehntausender konnte man auch noch darstellen, doch liegt es uns fern, uns in weitere Einzelheiten zu verlieren.
:Wir wollen vielmehr aus dieser Art der Ziffernschreibung jetzt prinzipielle Schlußfolgerungen ziehen. Erstens war das griechische Ziffernsystem, trotz seiner unleugbaren Vorzüge gegenüber Systemen, wie etwa dem römischen, einer gelenkigen Rechnungsmöglichkeit noch durchaus nicht voll gewachsen. Insbesondere Multiplikation und Division (vom Wurzelziehen ganz zu schweigen) waren in dieser Schreibart nur recht mühselig durchzuführen. Was aber viel schwerer wog, war der zweite Umstand, daß es einem Volk, das die konkreten Zahlen als Buchstaben schrieb, kaum einfallen konnte, allgemeine Zahlen mit Buchstaben zu bezeichnen. Dieser Umstand, besser dieser historische Zufall wurde für die ganze griechische Mathematik verhängnisvoll. Und es gibt kaum einen denkenden Menschen, der sich bei Betrachtung der Entwicklung griechischer Mathematik nicht die Frage vorgelegt hat, was aus dieser Geometrie hatte werden können, wenn sie von einer kongenialen Algebra unterstützt worden ware.
:Zu dieser letzten Andeutung aber müssen wir schärfer Stellung nehmen. Denn wir hatten schon mehr als einmal Gelegenheit, über hervorragende al gebraische Leistungen der alten Griechen zu berichten. Was heißt also dieses Bedauern über eine mangelnde Algebra? Handelt es sich dabei bloß um Formsachen, um die Art des Ausdrucks, oder liegen dabei die Unterschiede doch tiefer? Sicherlich ist das zweite der Fall. Wir haben an keiner Stelle behauptet, daß die Griechen mit Buchstaben gerechnet hätten, sondern haben stets nur von ihrer „geometrischen Algebra“ gesprochen. Wir nehmen dabei auf unsrer Stufe alles das kurzweg Algebra, was das Rechnen mit allgemeinen Zahlen betrifft. Und es gibt, nach Nesselmann, dem wir uns anschließen, drei Stufen der Entwicklung dieser Algebra. Auf der ersten Stufe bedient sich die „Wortalgebra“ bloß rein sprachlicher Ausdrucksformen. Solche Möglichkeiten Warenwaren den Griechen seit Pythagoras wohl bekannt. Es würde also auf dieser Stufe etwa all das, was wir Formeln nennen, durch Worte ausgedrückt werden müssen, etwa „der Flächeninhalt eines Dreiecks sei stets gleich der Grundlinie, vervielfacht mit der halben Höhe oder der halben Grundlinie mal der Höhe oder dem Produkt aus Grundlinie und Höhe dividiert durch 2“. Oder „der Kreisumfang sei der Durchmesser, multipliziert mit einer Zahl, die zwischen <math> \textstyle 3 \frac{10}{70} </math> und <math> \textstyle 3 \frac{10}{71} </math> liege“, usf. In dieser Art aber können auch Gleichungen erörtert und gelöst werden. Es sei etwa die Aufgabe gestellt, zu suchen, wie groß die Zahl sei, die man zu 15 hinzufügen müsse, um das Quadrat von 6 zu gewinnen.
:Wir schreiben dafür 15 + x = 36 und sagen x sei 36 - 15, somit 21. Wir haben absichtlich sehr primitive Beispiele gewählt, wissen aber aus unsren bisherigen Erörterungen, daß die Griechen nicht davor zurückscheuten, sehr verwickelte Gleichungssysteme, wie etwa das „Rinderproblem“ des Archimedes, in Worten auszudrücken. Zur Unterstützung dieser sicherlich vorhandenen Wortalgebra diente nun die geometrische Konstruktion, die Anlegung, der Schnitt von Kurven u. dgl. Diese Methode hat einen, allerdings nur einen einzigen großen Vorteil. Es ist durch Geometrie namlichnämlich ohne weiteres möglich, irrationale Gleichungslösungen als glatte, eindeutige Strecken zu erhalten, wozu man arithmetisch nicht imstande wäre. Dem steht jedoch, abgesehen von der an sich sehr großen und oft unüberwindlichen Schwierigkeit geometrischer Gleichungslösung, die eine ganz besondere intuitive Begabung voraussetzt, noch der zweite Nachteil entgegen, daß eine Erweiterung des Zahlensystems durch negative oder gar imaginäre Größen in dieser Art der Lösung niemals gefunden oder auch nur diskutiert werden konnte. Weiters, daß schon reine Gründe der Dimension es verbieten, die geometrische Algebra auf höhere als zweitgradige Gleichungen anzuwenden, wenn man nicht Schnitte von Kegelschnitten oder gar höhere Kurven, wie Konchoide und Cissoide, einführte. Aber auch da gab es bald eine Grenze, über die man schwer hinauskam.
:Trotz alldem ist es, rein historisch-kritisch und rein äußerlich betrachtet, mehr als verwunderlich, daß die zweite Stufe der Algebra, die uns in ihren Anfängen schon in der „Hau-“ oder „Haufenrechnung“ der alten Ägypter vorliegt und die den Hellenen sicher bekannt war, nicht einmal auf alexandrinischem Boden eine Höherentwicklung veranlaßte. Besaßen doch die Ägypter schon zur Zeit des Ahmes eigene Hieroglyphen für die „Unbekannte“, die gesuchte Größe, und für einige Operationssymbole, wie Addition und Subtraktion. Addition wurde nämlich als fortschreitende Füße in der Schreibrichtung, Subtraktion als derartige Füße in entgegengesetzter Richtung dargestellt.
:Die Art nun, bei algebraischen Ansätzen, wie Formeln oder Gleichungen, den Satzbau, die Einkleidung in Sätze, zwar prinzipiell noch beizubehalten, gleichwohl aber eine Reihe häufig wiederkehrender Größen, Begriffe oder Operationsbefehle durch Abkürzungen zu ersetzen, heißt die synkopierte Algebra.
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</math>
:Hier fehlt, obgleich es sich um einen sehr komplizierten Ausdruck handelt, jedes Wort, mit Ausnahme des Bruchanzeigers „rnoriou“, der sich etwa durch ein verkehrtes <math> \mu </math> leicht hätte symbolisieren lassen können. Bei einiger Konsequenz läge also schon bei Diophant eine sehr hoch entwickelte algebraische Schreibweise vor, die unsrer an Einfachheit nur wenig nachsteht, wenn man von den konkreten Zahlen absieht, die natürlich noch kein Stellenwertsystem kennen.
:Wir wollen aber weder philologische Tüftelei betreiben, noch dem großen Diophant Zensuren erteilen. Wir wollen nur einen ungeheuer wichtigen Tatbestand bis zum letzten Urgrund aufklären. Die Frage nämlich nach der Bedeutung der Algebra im allgemeinen und der algebraischen Schreibweise im besonderen. Denn es ist kein billiger Scherz, sondern eine geschichtliche Tatsache, daß die „geometrische Algebra“ der alten Griechen später entziffert wurde als die Hieroglyphen, Währendwährend Diophantos und die noch spröderen Araber schon zu Beginn der Neuzeit im wesentlichen volles Verständnis fanden.
:Es ist also zuerst die Frage nach der Bedeutung der Algebra zu stellen, die die weitere Frage nach der Bedeutung der Arithmetik im mathematischen Denken voraussetzt, da sie aus ihr hervorgegangen ist. Philosophisch gesprochen, liegt dem Problem der Unterschied des Begrifflichen und des Anschauungsmäßigen zugrunde. Um die Ausdrucksweise Kants zu gebrauchen, ist der Verstand das Vermögen, Begriffe zu bilden, Währendwährend die Anschauung uns die Anschauungen vermittelt. Der Verstand ist eine sogenannte diskursive Fähigkeit, was nichts anderes heißt, als daß er für die Gewinnung seiner Ergebnisse das N acheinander braucht, Währendwährend die Anschauung gleichsam zeitlos ist und auf einen Blick gewonnen Wirdwird. Darüber hinaus ist das eigentliche Gebiet des Verstandes das Zergliedernde, Teilende, während die Anschauung ein synthetisches, verbindendes Vermögen ist. Wir haben bei Gelegenheit der Paradoxien Zenons schon über ähnliche Dinge gesprochen. Eine wirkliche Kontinuität oder Stetigkeit ist nur durch die Anschauung zu verwirklichen. Eine Linie, eine Fläche, ein Körper sind anschauungsmäßig stetige oder kontinuierliche Wesenheiten. Will ich diese Wesenheiten jedoch verstandesmäßig aufbauen, dann muß ich Wohl zu Urelementen greifen, zu ersten Bausteinen, also zu Atomen. Atome sind aber irgendwie stets prinzipiell zählbare Mengen, wenn ich auch ihre unendliche Menge behaupte.
:Wir können uns jedoch an dieser Stelle noch nicht tiefer in solche philosophische Erörterungen verlieren, da wir dadurch sozusagen einen Anachronismus der Darstellung begingen. Wir halten nämlich bei Diophant und nicht bei moderner Erkenntniskritik oder gar bei der Mengenlehre. Wir wollten lediglich feststellen, daß die Zahl und die Anzahl Ergebnisse der Verstandestätigkeit sind, und daß es auch eine Tätigkeit des Verstandes ist, die diese Zahlen in allerlei Arten miteinander verbindet. Die Tätigkeit derAnschauung betrifft dagegen die Gestalt und die Figur, also all das, was wir im eigentlichen Sinne als geometrisch bezeichnen. Nun ist es selbstverständlich, daß Verstand und Anschauung nirgends rein und ungemischt auftreten, da nach Kant ja Begriffe ohne Anschauung leer und Anschauungen ohne Begriffe blind sind. In dem an sich undenkbaren Begriff des Unendlichen steckt irgendwie eine wenn auch nebelhafte Anschauung und in der Anschauung eines Dreiecks das begriffliche Element einer gewissen Anzahl von Ecken und einer gewissen Verbindungsart dieser Ecken durch Linien.
:Gleichwohl gibt es naturgemäß die verschiedensten Mischungsverhältnisse, in denen Begriffliches und Anschauliches in einem mathematischen Problem auftreten können. Und es ist gerade das sonderbare, daß die scheinbare Erblindung von Anschauungen und die Leere von Begriffen dazu besonders geeignet sind, mathematische Kräfte in Bewegung zu setzen. Wir haben nämlich die Möglichkeit, geometrische Tatsachen zu bloßen Schemen verblassen zu lassen, während wir Zahlen so sehr symbolisieren können, daß nichts mehr von ihnen übrigbleibt als der allgemeinste Begriff einer Zahl überhaupt. Das aber ist das Wesen der Algebra. Es soll nicht mehr mit Zahlen, d. h. mit konkreten Zahlen operiert werden, sondern mit Zahlen überhaupt oder, wie man auch sagen könnte, mit Zahlenstellvertretern. Irgendeine Zahl soundso oder eine Quadratzahl soundso wird gesucht. Wir kermen sie noch nicht, sonst brauchten wir sie nicht zu suchen. Bevor wir sie aber finden, benennen wir sie bereits und rechnen mit ihr nach Regeln, mit denen man sonst nur mit wirklichen, konkreten Zahlen umgeht. Man addiert, subtrahiert, multipliziert, dividiert mit diesen noch unbekarmten Zahlen, erhebt sie zum Quadrat, zur n-ten Potenz, zieht aus ihnen die Wurzel. Kurz, man operiert mit allgemeinen Zahlen, als ob sie konkrete Zahlen wären.
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:oder schließlich nach Addition gleichbenannter Größen als Endergebnis
:<math>a^4 + b^4 + 6a^2b^2 + 4a^3b + 4ab^3</math> liefert.
:Eine solche Rechnungsoperation, in Worten ausgedrückt, würde unsre Vorstellungskraft schon unerträglich belasten, während in der symbolischen Schreibweise nur einige Aufmerksamkeit und Sauberkeit der Schreibung notwendig ist, um nicht in Fehler zu verfallen. Aber es geschieht dabei noch viel mehr. Die Symbole (das sind die Bezeichnungen für die allgemeinen Zahlen, wie a oder b oder das <math>\varsigma'</math> bei Diophant) und die Befehle oder Operatoren oder Operations- oder Verknüpfungssymbole (+, -, = usw.) gewinnen gleichsam ein Eigenleben. Sie verbinden sich zum „Algorithmus“, zur Denkmaschine, und es ist nur mehr nötig, sie nach gewissen höchst einfachen Regeln zu gebrauchen. Der Leerlauf der isolierten Begriffe besorgt dann, ohne daß ein Fehler möglich ist, alles weitere, und am Ende steht das Ergebnis. Doch auch so weit sind wir bei Diophantos noch durchaus nicht, obgleich er mit seinen von ihm selbst geschaffenen Mitteln so weit hatte vordringen können. Sein Hauptfortschritt ist der Beginn einer algebraischen Schreibweise, einer sogenannten „Notation“ und noch nicht eines wirklichen Algorithmus. Natürlich ist die Notation die unerläßliche Voraussetzung des Algorithmus. Zu diesem Übergang war jedoch ein langer Weg notwendig, der sich hauptsächlich aus dem Bereiche konkreter Zahlen entwickelte, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden. Dieser Behauptung widerspricht es nicht, daß Diophant an einer Stelle eine unzweideutige allgemeine Regel zur Lösung von Gleichungen angibt. Er sagt namlichnämlich: „Wenn man nun bei einer Aufgabe auf eine Gleichung kommt, die zwar aus den nämlichen allgemeinen Ausdrücken besteht, jedoch so, daß die Koeffizienten auf beiden Seiten ungleich sind, so muß man Gleichartiges von Gleichartigem abziehen, bis ein Glied einem Gliede gleich wird. Wenn aber auf einer oder auf beiden Seiten Abzugsgrößen vorkommen, dann muß man diese substraktiven Größen auf beiden Seiten hinzufügen, bis auf beiden Seiten nur Hinzuzufügendes entsteht. Dann muß man wieder Gleichartiges von Gleichartigem abziehen, bis ein Glied einem Gliede gleich wird. Wenn aber auf einer oder auf beiden Seiten Abzugsgrößen vorkommen, dann muß man diese subtraktiven Größen auf beiden Seiten hinzufügen, bis auf beiden Seiten nur Hinzuzufügendes entsteht. Dann muß man Wieder Gleichartiges von Gleichartigem abziehen, bis auf jeder Seite nur ein Glied übrig bleibt.“ Cantor bemerkt zu dieser Stelle, daß sie die Zurückbringung einer Gleichung auf die Form :<math>a x^m = b x^n</math> betreffe, wobei <math>m</math> und <math>n</math> ganze, von einander verschiedene Zahlen bedeuten, deren eine auch Null sein kann. Diese Regel, sagt Cantor weiter, sei so unzweideutig, wie wir nur selten im Altertum Regeln ausgesprochen finden.
:Wir berufen uns hier auf Cantor, um unsre Behauptung, Diophantos habe noch keinen wirklichen Algorithmus, keine umfassende Denkmaschine ausgebildet, zu stützen. Denn im übrigen fällt uns zwar an jeder Aufgabe, die Diophantos löst, eine geradezu unwahrscheinliche persönliche Virtuosität auf, die Aufgabe anzupacken und zu meistern, er behandelt aber gleichwohl jedes dieser Probleme für sich gesondert und bringt durchaus nicht alles Zusammengehörige in den großen Zusammenhang umfassender Regeln. Er hat also, wie Descartes einmal über die griechischen Mathematiker sagte, nicht nach einer allgemeinen Methode Lehrsätze aufgestellt, sondern nur diejenigen aufgelesen, die ihm begegnet sind.
:Wir bemerken also noch einmal, daß für uns, rein entwicklungsgeschichtlich betrachtet, Diophantos, trotz all seiner nicht in Abrede gestellten persönlichen Genialität, bloß der Bahnbrecher der algebraischen Notation oder Schreibweise ist, wenn er auch die Gleichungen, insbesondere die unbestimmten, an zahlreichen Beispielen einer ganz neuartigen Behandlung zuführte. Diese neben seiner generellen Leistung als Notationserfinder einherlaufende Tätigkeit als Spezialforscher für Gleichungen wollen wir uns nun naher betrachten.
:Vorerst aber noch eine weitere Feststellung: es ging Diophantos durchaus nicht etwa darum, speziell für unbestimmte Gleichungen sämtliche Lösungen zu finden. Er begnügt sich vielmehr sehr oft damit, eine einzige Lösung anzugeben. Noch viel weniger hat er es angestrebt, etwa bloß ganzzahlige Lösungen zu suchen. Die Methode für diesen Zweck hat erst sein Übersetzer Bachet de Méziriac im 17. nachchristlichen Jahrhundert geschaffen. Das muß deshalb betont werden, Weilweil heute im Schulunterricht und in der Vfissenschaft die unbestimmten Gleichungen nur dann „diophantische Gleichungen“ heißen, wenn sie ganzzahlige Lösungen ermöglichen, bzw. es wird die Lösung in ganzen Zahlen als diophantisch bezeichnet. Diophantos selbst verlangt wie überall in seinem Werke, bloß positive und rationale Lösungen. Irrationale Größen erkennt er als Grieche nicht als Zahlen an und bezüglich der negativen Größen ist er sicherlich, wie das ganze übrige Altertum, gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie als Zahlen oder Gleichungslösungen zu betrachten, da sie geometrisch, wenigstens innerhalb der griechischen Geometrie, keinerlei Sinn haben. Wir wollen uns aber nicht mit diesen Andeutungen über Diophantos begnügen. Dadurch Würdenwürden Wirwir seine Spezialleistungen nicht im gehörigen Lichte sehen. Sie sind nämlich alles eher denn gering, sind in manchen Augenblicken sogar erstaunlich. Er hat insbesondere mit einer ungeheuren Schwierigkeit zu kämpfen, die sich sozusagen aus seinem „Rohmaterial“ oder aus der Beschaffenheit seines Werkzeuges ergibt. Dadurch nämlich, daß er zur Bezeichnung seiner „Unbekannten“ keine Buchstaben außer dem <math> \varsigma ' </math> vorfindet, die nicht konkrete Zahlen bedeuten, ist er gezwungen, stets nur mit einer einzigen Unbekannten zu arbeiten. Allerdings hätte er sich mit fremden Alphabeten behelfen können. Doch das Widerstrebtewiderstrebte dem Griechen sicherlich, da ja die alten Hellenen auch Fremdwörter stets vermieden.
:Sein Hauptwerk heißt „Arithmetika“ (also etwa „Arithmetisches“ oder „arithmetische Untersuchungen“) und besteht, außer allgemeinen Erörterungen über Zahlen, aus Beispielen, die Lösungen von Gleichungen beinhalten. So verlangt etwa die 39. Aufgabe des ersten Buches, daß, wenn zwei Zahlen gegeben sind, eine dritte gesucht werde, so daß dann die Summe je zweier Zahlen, mit der dritten multipliziert, drei Zahlen ergibt, die gleiche Differenzen haben. Also eine sicherlich sehr verwickelte Bedingung. Diophantos schließt in folgender Art: die gegebenen Zahlen seien drei und fünf, die gesuchte ist x (bei Diophantos natürlich als <math> \varsigma ' </math> geschrieben).
:Man erhält sonach die drei Produkte
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:oder gleich
:<math>(ac + bd)^2 + (ad - bc)^2</math>.
:Schließlich erkennt Diophantos, daß jedes Quadrat auf beliebig viele Arten als Summe zweier Quadrate aufgefaßt werden könne. Wenn namlichnämlich a2 die zu zerlegende Quadratzahl sei, dann könne man <math>x^2</math> als den einen, <math>(mx - a)^2</math> dagegen als den andern Teil denken, wobei <math>m</math> ganz beliebig gewählt werden darf.
:Dann ist <math>a^2 = x^2 + m^2x^2 - 2amx + a^2</math>, woraus
:<math>x^2 (m^2 + 1) = 2amx</math> und schließlich