Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 102c»

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:Auf demselben unteritalischen Boden Großgriechenlands nun, auf dem die Reste der pythagoreischen Schule ihre tiefgründigen, noch geheimnisumhüllten Forschungen fortsetzten, erwächst auch eine philosophische Schule, die Schule der Philosophen von Elea, die, vom großen Philosophen Parmenides gegründet, in Zenon schließlich einen fast ins Karikaturenhafte verzerrten Vertreter fand. Er war kein Mathematiker, sondern, wie Gantor sagt, eher das Gegenteil eines Mathematikers, eröffnete aber durch seine Skepsis, durch seine vor keiner Paradoxie zurückschreckende Zweifelsucht einen Streit, der sich bis in unsre Tage zieht, ohne je zum endgültigen Abschluß kommen zu können. Er rührte als erster in aller Scharfe an die große Gegengesetzlichkeit innerhalb des Menschengeistes, an die Antinomie zwischen Stetigkeit und unendlicher Teilbarkeit, zwischen Ruhe und Bewegung. Bevor wir jedoch über Zenon selbst sprechen, müssen wir zurückgreifen: schon von Anaximandros von Milet wird behauptet, er habe den Begriff des Unendlichen in die Wissenschaft eingeführt, und die Pythagoreer deckten sowohl durch ihre Betrachtungen der Zahlenfolgen als auch durch die Entdeckung des Irrationalen tiefe Einblicke ins Unendliche, in das niemals zu Ende zu Führende auf. Gewiß, das Alogon, das Unaussprechliche, wurde abgelehnt und zurückgeschoben. Man erklärte, es entspreche zwar jeder Zahl eine Größe oder Strecke, nicht aber jeder Größe oder Strecke eine Zahl. Was nützte dieses Zurückschieben des Urproblems? Das Irrationale war nun einmal durchgesickert und es existierte, ob man es als gleichsam vollbürgerliche hellenische Denkkategorie anerkannte oder nicht.
:Nun war aber, noch vor Zenon, ein mächtiger geometriekundiger Philosoph, Anaxagoras, aufgestanden, der dem Stetigkeitsprinzip seine schärfste Formulierung gegeben hatte. Anaxagoras erklärte: „Im Kleinen gibt es kein Kleinstes, sondern es gibt stets noch ein Kleineres ...
:Aber auch im Großen gibt es stets noch etwas, das größer ist.“ Und schon etwa zwanzig Jahre nach der Geburt des Anaxagoras wurde wieder ein Bahnbrecher geboren, Demokritos aus Abdera, aus jener verrufenen Schildbürgerstadt des Altertums, von deren Bewohnern man sich die tollsten und albernsten Geschichten erzählte. Der „Abderite“ Demokrit aber sollte als Stern erster Größe in die Weltgeschichte eingehen. Er war sozusagen der erste Entdecker des Materialismus und hat dem Begriff des Atoms, des letzten unteilbaren kleinsten Teiles, sein erstes und sein bleibendes Bestehen verschafft. Demokrit war auch ein hochrangiger Mathematiker, hatte, wie schon so viele, Ägypten besucht und hat - eine sonderbare Laune der Wissenschaftsgeschichte - gerade auf mathematischem Gebiet eine grundlegende Entdeckung gemacht, die seiner atomistischen Philosophie schnurstracks zuwiderlief. Er bestimmte nämlich als erster das Volumen der Pyramide und des Kegels, indem er diese Gebilde in dünnste Scheiben zerschnitt und ihre Volumen als ein Drittel eines Prismas, bzw. Zylinders von gleicher Grundfläche und gleicher Höhe erklärte. Diese an sich durchaus richtige Erkenntnis ist - und das wollten wir oben sagen - auf atomistischer Grundlage nicht möglich. Es genügen dazu nicht dünne Scheiben, sondern dünnste und wieder noch dünnere Schnitte, sonst erhält man keine glatte Pyramide, sondern eine Stufenpyramide, und keinen glatten Kegel, sondern einen Stufenkegel, den man zu den glatten Gebilden - Prisma und Zylinder - nicht in Beziehung setzen kann. Wie es nun auch immer mit dieser Entdeckung des Demokrit oder mit jener des Anaxagoras ausgesehen haben smag, der als politischer Häftling im Gefängnis zu Athen die erste Kreisquadratur gezeichnet haben soll: sicher ist jedenfalls, daß der Streit der Philosophen um die tiefsten Probleme der Mathematik auf allen Linien entbrannt war. Und hierzu müssen wir jetzt das „Gegenteil eines Mathematikers“, den Skeptiker Zenon aus Elea, herbeirufen, damit er uns in seiner überspitzten, unterhaltlichen Art die Fruchtlosigkeit aller tieferen mathematischen Bemühung klarlege. Zenon war ein Feind der Pythagoreer. Warum, wissen wir nicht. Wir wollen aber annehmen, daß ihn keine persönlichen, sondern rein sachliche Gründe leiteten. Weil er aber ein Feind der Pythagoreer war, mußte er zuerst das Heiligste dieser Schule, den Zahlbegriff, zersetzen. Und er besorgte seinen Angriff äußerst gründlich. Er leugnete nämlich kurzweg die Möglichkeit jeder Vielheit. Eine Vielheit, so schloß er, müsse sich aus Einheiten aufbauen. Eine Einheit, eine solche nämlich, die diesen Namen wirklich verdiene, könne nur dann vorliegen, wenn es sich um Unteilbares handle. Etwas Unteilbares aber dürfe wieder keine Größe besitzen, sonst müßte es teilbar sein. Da somit die Einheit keine Größe habe, sei sie gleichsam ein Nichts. Ein Nichts aber könne man vervielfachen, so weit man wolle, und man erhalte dadurch wieder ein Nichts. Es existiere also keine Vielheit. Man könne aber ebensogut behaupten, die Einheiten seien unendlich groß. Denn wenn das Viele oder die Vielheit existieren solle, dann müßten ihre Teile voneinander entfernt liegen. Daher könnten dazwischen wieder Teile eingeschoben werden, die wieder eine Größe haben müßten, und so fort ins Unendliche. Wie weit man nun auch diesen Prozeß verfolge, gelange man stets wieder zu teilen, zu Einheiten, die eine Größe hätten, somit aus unendlich vielen Teilen beständen, die selber wieder Größe hätten usw. Daher müsse jede Einheit unendlich groß sein, da sie sich aus unendlich vielen, selbst ausgedehnten Teilen zusammensetze. Nicht genug aber an der schauerlichen Tatsache, daß es keine Einheiten und keine Vielheiten, also keine Größen und keine Zahlen gebe, oder daß Einheit und Vielheit jede für sich unendlich groß seien, so gebe es darüber hinaus auch keine Bewegung. Ehe ein abgeschossener Pfeil an seinem Ziele ankommen könne, müsse er vorerst die Halfte des Weges zurücklegen, von dieser Halfte wieder die Halfte und so fort. Entweder nun setze sich jede solche Hälfte aus wirklichen, existierenden Wegstrecken von <math>\frac{1}{4}</math>, <math>\frac{1}{8}</math>, <math>\frac{1}{16}</math>, <math>\frac{1}{32}</math>, usw. des ganzen Weges zusammen, dann sei sie eben die Summe unendlich vieler, wenn auch stets kleiner werdender, doch noch immer wirklicher Wegstrecken. Dann aber brauche der Pfeil schon für die kleinste ins Auge gefaßte Strecke eine unendliche Zeit, bleibe also auf der Bogensehne hängen. Oder aber die Teilstrecken seien nicht weiter teilbar, dann seien sie eben nichts. Und aus einer auch noch so umfassenden Aufsummierung der „Nichtse“ könne nie ein Etwas entstehen. Auch in diesem Falle bleibe der Pfeil auf dem Bogen. Aus ähnlichen Gründen könne auch der schnellfüßige Achilles niemals die Schildkröte einholen, die einmal einen Vorsprung habe, weil, wahrend Achilles den Vorsprung durchlaufe, die Schild-
unendlich vielen Teilen beständen, die selber wieder Größe hätten usw. Daher müsse jede Einheit unendlich groß sein, da sie sich aus unendlich vielen, selbst ausgedehnten Teilen zusammensetze. Nicht genug aber an der schauerlichen Tatsache, daß es keine Einheiten und keine Vielheiten, also keine Größen und keine Zahlen gebe, oder daß Einheit und Vielheit jede für sich unendlich groß seien, so gebe es darüber hinaus auch keine Bewegung. Ehe ein abgeschossener Pfeil an seinem Ziele ankommen könne, müsse er vorerst die Halfte des Weges zurücklegen, von dieser Halfte wieder die Halfte und so fort. Entweder nun setze sich jede solche Hälfte aus wirklichen, existierenden Wegstrecken von <math>\frac{1}{4}</math>, <math>\frac{1}{8}</math>, <math>\frac{1}{16}</math>, <math>\frac{1}{32}</math>, usw. des ganzen Weges zusammen, dann sei sie eben die Summe unendlich vieler, wenn auch stets kleiner werdender, doch noch immer wirklicher Wegstrecken. Dann aber brauche der Pfeil schon für die kleinste ins Auge gefaßte Strecke eine unendliche Zeit, bleibe also auf der Bogensehne hängen. Oder aber die Teilstrecken seien nicht weiter teilbar, dann seien sie eben nichts. Und aus einer auch noch so umfassenden Aufsummierung der „Nichtse“ könne nie ein Etwas entstehen. Auch in diesem Falle bleibe der Pfeil auf dem Bogen. Aus ähnlichen Gründen könne auch der schnellfüßige Achilles niemals die Schildkröte einholen, die einmal einen Vorsprung habe, weil, wahrend Achilles den Vorsprung durchlaufe, die Schild-
kröte einen neuen Vorsprung gewinne, und so fort bis ans Ende der Zeiten, das aber Achilles ebensowenig erlebe wie die Schildkröte.
:Nun war Zenon von Elea ein zu heller Kopf, um auf den Einwurf, daß der Pfeil in Wirklichkeit abfliege, daß die Vielheit tatsachlich existiere und daß Achilles die Schildkröte in wenigen Augenblicken erreicht haben würde, mit dem Jahrtausende spater geprägten Philosophenwort: „Desto schlimmer für die Tatsachen“ zu antworten. Er wollte vielmehr die ebenso „tatsächlich“ sofort auftretenden Schwierigkeiten in möglichst greller Art beleuchten, die sich der Behauptung eines Anfanges, einer letzten Einheit, eines selbst unteilbaren Teiles entgegenstellen. Daran änderte es auch nichts, daß inzwischen schon Theodoros von Kyrene die Irrationalität aller unendlich vielen Quadratwurzeln, so-sofern es sich nicht um Wurzeln aus Quadratzahlen handelte, bewiesen hatte.
fern es sich nicht um Wurzeln aus Quadratzahlen handelte, bewiesen hatte.
:Nun haben wir aber schon bei Anaxagoras angedeutet, dieser große Philosoph habe sich mit der Quadratur des Kreises beschäftigt. War das ein herausgegriffenes Einzelproblem oder war es vielmehr eine gleichsam prinzipielle Angelegenheit? Rein chronologisch müßten wir hier schon von den drei großen „klassischen Problemen“ des Hellenentums sprechen, müßten hier schon die Quadratur des Kreises, die Verdoppelung des Würfels und die Dreiteilung des Winkels behandeln. Wir bitten aber für die Erörterung dieser Probleme um Auischub. Wir werden sie im nächsten Kapitel eingehend durchleuchten. In diesem Kapitel müssen wir uns auf andere Probleme beschränken, da sonst die eigentümliche Stellung Euklids nicht zum vollen Ausdruck käme.
:Wir wollen also bloß anmerken, daß auch in dieser Zeit schon manches entstand, das die Taten eines Archimedes und eines Apollonios von Perga vorbereitete. Für Euklids Leistungen dagegen war es am wichtigsten, daß man erkannte, mathematischer Erfindergeist und plastisches Schauen reichten nicht aus, die Mathematik zu der Höhe emporzureißen, die den erleuchtetsten Köpfen als Ideal vorschwebte. Um vollste, echteste Wissenschaft zu werden, mußte sich Mathematik vorübergehend unter philosophische Kontrolle stellen. Diese Kräfteverschiebung hatte vor allem Zenon durch seine maßlosen, aber sehr treffsicheren Angriffe gegen die merkwürdig brüchigen und leicht verwundbaren Fundamente der Mathematik erreicht.
:Bevor wir weitersprechen, noch eine kleine, sehr notwendige Einschaltung: wir hörten schon, daß die alten Griechen, insbesondere die Pythagoreer, ihre Zahlentheorie als Arithmetik bezeichneten, eine Bezeichnung, die auch auf all das ausgedehnt wurde, was damals algebraischen Charakter trug. Ein konkretes Zahlenrechnen, wie es die mathematische Hauptbeschäftigung bei Ägyptern und Babyloniern (und allen andern nichtgriechischen Völkern) gebildet hatte, wurde auf hellenischem Boden nicht als Wissenschaft anerkannt. Es hieß Logistik, war eine geschätzte Kunst der Rechenmeister (Logistiker), war aber durchaus keine Wissenschaft. Diese Unterschätzung, deren Ursachen wir ergründen müssen, rächte sich für die hellenische Mathematik noch mehr als die absolute Trennung zwischen praktischer, messender Geometrie, der sogenannten Geodäsie, und der eigentlichen strengen Geometrie als Wissenschaft, die einzig wirklichen Rang im geistigen Kosmos besaß. Das Wort Geometrie, das „Vermessung“ oder „Ausmessung“ der Erde bedeutet, ist also falsch und anachronistisch. Thales und die Pythagoreer dürften es in Anlehnung an ägyptische Gebräuche und Methoden ohne weitern Nebengedanken auf die griechische Mathematik angewendet haben, die höchstens Gestalten-, Formen- oder Proportionenlehre hätte heißen dürfen, um durch ihren Namen das auszudrücken, was sie wollte und was sie wieder nicht wollte.
erreicht.
unkorrektheit:Es liegt uns fern, uns lächerlich zu machen und die Schöpfer dieser Wissenschaft wegen einer Namensunkorrektheit zu kritisieren. Wir weisen nur darauf hin, um allfällige Irrtümer abzuriegeln. Uns interessiert auch noch viel mehr die Tatsache, daß die griechische Mathematik in ihren beiden Hauptzweigen, der Lehre von Zahlen und Zahlenvertretern (also in Arithmetik und Algebra) und in der Lehre von den Größen und ihren Beziehungen (also in der Geometrie), jegliche Praxis, härter gesagt: eine Verunreinigung durch solche Praxis ablehnte. ur im Denkraum sollte Mathematik getrieben werden und enthalten sein, aus dem Erfahrungsraum war sie verbannt, soweit sie Wissenschaft genannt wurde. Dadurch, und daß die Rechtfertigung eines derartigen Puritanismus, der besonders bei einem lebenszugewandten Volk, wie es die Griechen waren, auffällt, dadurch also wurde ihr höchste Allgemeingültigkeit, Verallgemeinerungskraft und ästhetisch-harmonische Einheitlichkeit gesichert. Dadurch aber wieder schritt sie an manchem Problem, das nur die Praxis stellen hätte können, achtlos vorbei und brachte sich auch im rein Theoretischen um eine gewisse notwendige Elastizität und weltweite. Es ist das Problem des Klassischen, der Formreinheit an und für sich, das uns hier entgegentritt: das Problem von Form und Inhalt, das am Ende der vonuns eben besprochenen Vorbereitungszeit ein Aristoteles in seiner ganzen Breite aufrollte. Und es ist zudem noch ein weiteres, sehr tiefes und rätselhaftes Problem des Zusammenwirkens der einzelnen Kulturfaktoren.
:Bevor wir weitersprechen, noch eine kleine, sehr notwendige Einschaltung: wir hörten schon, daß die alten Griechen, insbesondere die Pythagoreer, ihre Zahlentheorie als Arithmetik bezeichneten, eine Bezeichnung, die auch auf all das ausgedehnt wurde, was damals algebraischen Charakter trug. Ein konkretes Zahlenrechnen, wie es die mathematische Hauptbeschäftigung bei Ägyptern und Babyloniern (und allen andern nichtgriechischen Völkern) gebildet hatte, wurde auf hellenischem Boden nicht als Wissenschaft anerkannt. Es hieß Logistik, war eine geschätzte Kunst der Rechenmeister (Logistiker), war aber durchaus keine Wissenschaft. Diese Unterschätzung, deren Ursachen wir ergründen müssen, rächte sich für die hellenische Mathematik noch mehr als die absolute Trennung zwischen praktischer, messender
Geometrie, der sogenannten Geodäsie, und der eigentlichen strengen Geometrie als Wissenschaft, die einzig wirklichen Rang im geistigen Kosmos besaß. Das Wort Geometrie, das „Vermessung“ oder „Ausmessung“ der Erde bedeutet, ist also falsch und anachronistisch. Thales und die Pythagoreer dürften es in Anlehnung an ägyptische Gebräuche und Methoden ohne weitern Nebengedanken auf die griechische Mathematik angewendet haben, die höchstens Gestalten-, Formen- oder Proportionenlehre hätte heißen dürfen, um durch ihren Namen das auszudrücken, was sie wollte und was sie wieder nicht wollte.
:Es liegt uns fern, uns lächerlich zu machen und die Schöpfer dieser Wissenschaft wegen einer Namens-
unkorrektheit zu kritisieren. Wir weisen nur darauf hin, um allfällige Irrtümer abzuriegeln. Uns interessiert auch noch viel mehr die Tatsache, daß die griechische Mathematik in ihren beiden Hauptzweigen, der Lehre von Zahlen und Zahlenvertretern (also in Arithmetik und Algebra) und in der Lehre von den Größen und ihren Beziehungen (also in der Geometrie), jegliche Praxis, härter gesagt: eine Verunreinigung durch solche Praxis ablehnte. ur im Denkraum sollte Mathematik getrieben werden und enthalten sein, aus dem Erfahrungsraum war sie verbannt, soweit sie Wissenschaft genannt wurde. Dadurch, und daß die Rechtfertigung eines derartigen Puritanismus, der besonders bei einem lebenszugewandten Volk, wie es die Griechen waren, auffällt, dadurch also wurde ihr höchste Allgemeingültigkeit, Verallgemeinerungskraft und ästhetisch-harmonische Einheitlichkeit gesichert. Dadurch aber wieder schritt sie an manchem Problem, das nur die Praxis stellen hätte können, achtlos vorbei und brachte sich auch im rein Theoretischen um eine gewisse notwendige Elastizität und weltweite. Es ist das Problem des Klassischen, der Formreinheit an und für sich, das uns hier entgegentritt: das Problem von Form und Inhalt, das am Ende der vonuns eben besprochenen Vorbereitungszeit ein Aristoteles in seiner ganzen Breite aufrollte. Und es ist zudem noch ein weiteres, sehr tiefes und rätselhaftes Problem des Zusammenwirkens der einzelnen Kulturfaktoren.
:Während nämlich in Ägypten die Mathematik bloße Hilfstechnik einer sicherlich tiefkulturellen Gesamtheitsformung auf architektonischem und verwaltungsmäßigem Gebiete war, während sie in Babylon und bei dessen Vorläufern auch noch gleichsam als Zusatzmaterie das Leben und die Mystik unterstützte, hat sie sich im Griechentum zur eigenen Welt konstituiert. Die Mathematik hat sich auf hellenischem Boden selbständig gemacht, beginnt das gesamte Denken der führenden Menschen zu formen, sie wird eine„Überwissenschaft“, ähnlich der Philosophie, die ja aus der Natur ihrer Problemstellung heraus stets Überwissenschaft sein soll. Und die Mathematik prallt auch folgerichtig in diesen Jahrhunderten mit der Nebenbuhlerin Philosophie hart zusammen. Unter ungeheurem geistigem Schmerz wird er„euklidische Mensch“ geboren, wie Oswald Spengler diesen Typus von Menschen nennt, der die Form so hoch stellt, daß er der praktisch anwendbarsten Wissenschaft fast die Anwendung auf die Wirklichkeit untersagt, um sie durch Jahrhunderte zu einer Vollendung zu treiben, die sie tatsächlich erst wieder am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erreicht hat. Der Weg dieser Entwicklung wird unbeirrbar weitergegangen, nichts ist zu gering, nichts zu schwer, um das Ziel zu erreichen. In diesen für Hellas politisch so stürmischen und bewegten Jahrhunderten, in denen der Ansturm der Perser sich an den gepanzerten Scharen von Schwerter schwingenden Künstlern, Philosophen und Mathematikern bricht, in denen, noch schmerzlicher, der Bruderzwist seine blutigsten Orgien im Peloponnesischen Krieg feiert, in denen schließlich der große abtrünnige Schüler Platons, der Riesengeist und Riesensammler Aristoteles, einen jungen, halbwilden König aus dem verachteten Bergland Makedonien unterrichtet, der dann als Alexander der Große die morschen Kulturstaaten des Ostens und Südens bis ins Fünfstromland Indien und bis an die Grenze Äthiopiens zerschmettert, - in dieser so stürmischen und wahrhaft großen Zeit hat die Philosophie das ihr anvertraute Reinigungswerk der Mathematik vollendet. Gleichzeitig mit den Formwundern eines Phidias, Praxiteles und der großen Dramatik des Aischylos, Sophokles und Euripides.
:Über Platons Akademie soll der Spruch gestanden haben, daß kein der Geometrie Unkundiger eintreten möge. Und im Lyzeum des Aristoteles wurde elementare Mathematik als selbstverständlich vorausgesetzt. Ja, noch mehr: Platon selbst hat die noch heute gültige Forderung aufgestellt, daß Konstruktionen geometrischer Art nur dann kanonisch seien, wenn sie lediglich unter Zuhilfenahme von Lineal und Zirkel ausgeführt würden. Dies bedeutet aber, wie man heute weiß, daß nur Probleme in dieser Art konstruiert werden können, deren arithmetisches Gegenstück nicht höhere als zweitgradige, also höchstens gemischt-quadratische Gleichungen erfordert. Dabei blieb Platon nicht stehen. Er ließ sich von Pythagoreern unterrichten, lernte von Mitschülern, wie Theaitetos, und Zeitgenossen, wie Eudoxos, von denen der Erstgenannte die Theorie des Irrationalen in aller Allgemeinheit ausbaute. [<small>Von Eudoxos wird im nächsten Kapitel ausführlich die Rede sein.</small>] Und er hatte seine Forderung an den Pforten der Akademie durchaus nicht als Phrase oder Aperçu gemeint. Denn er selbst stellte als erster in der Geschichte der Mathematik die sogenannte „analytische Methode“ in den Vordergrund der Forschung die darin gipfelt, das geometrische Problem als gelöst zu betrachten und davon rückschließend die Eigenschaften der Figuren in ihrer umfassendsten Gesamtheit zu erforschen. Wenn die kosmischen Körper oder die regelmäßigen Vielflache auch platonische Körper heißen, hängt dies Wohl eher mit naturphilosophischen Ausdeutungen und näherer Erforschung dieser Körper als mit ihrer Entdeckung zusammen.
:Über Platons Akademie soll der Spruch gestanden haben, daß kein der Geometrie Unkundiger eintreten
:Nun aber trat, Wie schon erwähnt, nach Platon, dessen Ermahnung an seine Schüler, sich der Mathematik philosophisch und kritisch zu widmen, auf durchaus fruchtbaren Boden gefallen War, der große Stagirite Aristoteles auf den Plan. Und schuf ein Gipfelwerk menschlichen Denkens, dessen Formung er der Mathematik ebensowohl ablauschte, als er es auch wieder zur Richtschnur und Forschungsregel an die Mathematik 'Weitergab. Wir meinen die Begründung der Logik als Wissenschaft, deren erste Geburtswehen uns aus den Platonischen Dialogen in wogendem Leben, in berauschendem Werden noch heute gegenwartsnah erscheinen. Aristoteles, dessen Geist, ungleich dem Geiste Platons, nicht so sehr dem synthetisch Deduktiven als dem Induktiven zuneigte, war Forscher und Sammler zugleich. Und er regte daher nach allen Seiten zu Kompilationen an. Auch auf dem Gebiete der Mathematik. So kam es, daß sein Schüler Eudemos jene wertvolle Geschichte der Mathematik verfaßte, deren durch Proklos erhaltene Bruchstücke als sogenanntes „Mathematikerverzeichnis“ für uns noch heute von unschätzbarem Werte sind.
möge. Und im Lyzeum des Aristoteles wurde elementare Mathematik als selbstverständlich vorausgesetzt. Ja, noch mehr: Platon selbst hat die noch heute gültige Forderung aufgestellt, daß Konstruktionen geometrischer Art nur dann kanonisch seien, wenn sie lediglich unter Zuhilfenahme von Lineal und Zirkel ausgeführt würden. Dies bedeutet aber, wie man heute weiß, daß nur Probleme in dieser Art konstruiert werden können, deren arithmetisches Gegenstück nicht höhere als zweitgradige, also höchstens gemischt-quadratische Gleichungen erfordert. Dabei blieb Platon nicht stehen. Er ließ sich von Pythagoreern unterrichten, lernte von Mitschülern, wie Theaitetos, und Zeitgenossen, wie Eudoxos, von denen der Erstgenannte die Theorie des Irrationalen in aller Allgemeinheit ausbaute. [<small>Von Eudoxos wird im nächsten Kapitel ausführlich die Rede sein.</small>] Und er hatte seine Forderung an den Pforten der Akademie durchaus nicht als Phrase oder Aperçu gemeint. Denn er selbst stellte als erster in der Geschichte der Mathematik die sogenannte „analytische Methode“ in den Vordergrund der Forschung die darin gipfelt, das geometrische Problem als gelöst zu betrachten und davon rückschließend die Eigenschaften der Figuren in ihrer umfassendsten Gesamtheit zu erforschen. Wenn die kosmischen Körper oder die regelmäßigen Vielflache auch platonische Körper heißen, hängt dies Wohl eher mit naturphilosophischen Ausdeutungen und näherer Erforschung dieser Körper als mit ihrer Entdeckung zusammen.
:Die Stürme der Welteroberung durch Alexander den Großen sind verrauscht. Alexander selbst hat seine Kometenlaufbahn vollendet. Der Osten, den er niedergeworfen, hat ihn ausgehöhlt, entnervt, hat ihm ein frühes Ende bereitet. Und die Diadochen haben untereinander das Erbe der Welt geteilt. Am Zentrum der werdenden Welt, die Wieder in satter Ruhe liegt, in Alexandria, residiert Ptolemäus Soter, der erste griechische König Ägyptens. Noch bleibt Athen Sitz höchster Bildung, noch florieren in edlem Wetteifer die Akademie Platons und die peripatetische Schule des Aristoteles. Auch Großgriechenland ist vorläufig bloß gefährdet, noch nicht aber bedrängt. Das Schwergewicht auch des Geistes jedoch beginnt sich nach Alexandria zu verlegen. Denn dort entstehen unter Ptolemäus II. Philadelphus weite Hallen für den Geist, entsteht das Museion, Forschungsstätte, Bibliothek und Stiftung zugleich. Aller persönlichen Sorgen sind die Gelehrten des Museions enthoben, alle Wissenschaft auch des Ostens und Ägyptens
:Nun aber trat, Wie schon erwähnt, nach Platon, dessen Ermahnung an seine Schüler, sich der Mathematik philosophisch und kritisch zu widmen, auf durchaus fruchtbaren Boden gefallen War, der große Stagirite Aristoteles auf den Plan. Und schuf ein Gipfelwerk menschlichen Denkens, dessen Formung er der Mathematik ebensowohl ablauschte, als er es auch wieder zur Richtschnur und Forschungsregel an die Mathematik 'Weitergab. Wir meinen die Begründung der Logik als Wissenschaft, deren erste Geburtswehen uns aus den Platonischen Dialogen in wogendem Leben, in berauschendem Werden noch heute gegenwartsnah erscheinen. Aristoteles, dessen Geist, ungleich dem Geiste Platons, nicht so sehr dem synthetisch Deduktiven als dem Induktiven zuneigte, war Forscher und Sammler zugleich. Und er regte daher nach allen Seiten zu Kompilationen an. Auch auf dem Gebiete der Mathematik. So kam es, daß sein Schüler
Eudemos jene wertvolle Geschichte der Mathematik verfaßte, deren durch Proklos erhaltene Bruchstücke als sogenanntes „Mathematikerverzeichnis“ für uns noch heute von unschätzbarem Werte sind.
:Die Stürme der Welteroberung durch Alexander den Großen sind verrauscht. Alexander selbst hat seine
Kometenlaufbahn vollendet. Der Osten, den er niedergeworfen, hat ihn ausgehöhlt, entnervt, hat ihm ein
frühes Ende bereitet. Und die Diadochen haben untereinander das Erbe der Welt geteilt. Am Zentrum der
werdenden Welt, die Wieder in satter Ruhe liegt, in Alexandria, residiert Ptolemäus Soter, der erste griechische König Ägyptens. Noch bleibt Athen Sitz höchster Bildung, noch florieren in edlem Wetteifer die Akademie Platons und die peripatetische Schule des Aristoteles. Auch Großgriechenland ist vorläufig bloß gefährdet, noch nicht aber bedrängt. Das Schwergewicht auch des Geistes jedoch beginnt sich nach Alexandria zu verlegen. Denn dort entstehen unter Ptolemäus II. Philadelphus weite Hallen für den Geist, entsteht das Museion, Forschungsstätte, Bibliothek und Stiftung zugleich. Aller persönlichen Sorgen sind die Gelehrten des Museions enthoben, alle Wissenschaft auch des Ostens und Ägyptens
strömt ihnen geheimnislos und willig zu. Und in den Hallen ruhen Tausende und Abertausende von Papyrosrollen, auf denen flinke Abschreiber das gesamte Wissen der bisherigen Weltentwicklung aller Zonen aufgezeichnet haben.
:Durch diese Hallen nun wandelt etwa um 300 vor Christi Geburt ein stiller Mann. Woher er kam, wissen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, wann er geboren wurde und wann er starb. Nur einmal hat er als Person in seinem Leben etwas gesagt, das allen Höflingen die Haare zu Berge trieb. Als ihn nämlich sein König Ptolemäus Philadelphus fragte, ob es für den Unterricht oder die Aneignung der Mathematik keinen bequemeren Weg gebe als den der „Elemente“, hat er stolz geantwortet: „Für die Mathematik gibt es keinen Königsweg.“ Ptolemäus Philadelphus dürfte nicht verstimmt gewesen sein. Wahrscheinlich hat er gelacht. Nicht aber aus Gutmütigkeit. Denn die ersten Ptolemäer zeichneten sich in gleicher Art durch skrupelloseste Genußsucht, Verwandtenmorde und ähnliches, doch auch wieder durch ein überschwengliches Mäzenatentum aus. Sie suchten eben ihre Macht sowohl in der Zeitlichkeit als gegenüber der Ewigkeit zu befestigen und gebrauchten auf dem ewigkeitsgewohnten Boden Ägyptens zu diesem Zweck nicht die althergebrachten Pyramiden, sondern die weniger kostspieligen Künstler, Philosophen und Mathematiker. Mit Euklid ist ihnen diese Absicht vortrefflich gelungen. Die schon erwähnten „Elemente“ sind außer der Bibel das meistvervielfältigte Buch des abendländischen Kulturkreises und erlebten nach vorsichtiger Schätzung allein durch Druck über 1500 verschiedene Ausgaben, von denen einige schwindelnd hohe Auflageziffern erreichten.
:Durch diese Hallen nun wandelt etwa um 300 vor Christi Geburt ein stiller Mann. Woher er kam, wissen
wir nicht. Wir wissen nicht einmal, wann er geboren wurde und wann er starb. Nur einmal hat er als Person in seinem Leben etwas gesagt, das allen Höflingen die Haare zu Berge trieb. Als ihn nämlich sein König Ptolemäus Philadelphus fragte, ob es für den Unterricht oder die Aneignung der Mathematik keinen bequemeren Weg gebe als den der „Elemente“, hat er stolz geantwortet: „Für die Mathematik gibt es keinen Königsweg.“ Ptolemäus Philadelphus dürfte nicht verstimmt gewesen sein. Wahrscheinlich hat er gelacht. Nicht aber aus Gutmütigkeit. Denn die ersten Ptolemäer zeichneten sich in gleicher Art durch skrupelloseste Genußsucht, Verwandtenmorde und ähnliches, doch auch wieder durch ein überschwengliches Mäzenatentum aus. Sie suchten eben ihre Macht sowohl in der Zeitlichkeit als gegenüber der Ewigkeit zu befestigen und gebrauchten auf dem ewigkeitsgewohnten Boden Ägyptens zu diesem Zweck nicht die althergebrachten Pyramiden, sondern die weniger kostspieligen Künstler, Philosophen und Mathematiker. Mit Euklid ist ihnen diese Absicht vortrefflich gelungen. Die schon erwähnten „Elemente“ sind außer der
Bibel das meistvervielfältigte Buch des abendländischen Kulturkreises und erlebten nach vorsichtiger Schätzung allein durch Druck über 1500 verschiedene Ausgaben, von denen einige schwindelnd hohe Auflageziffern erreichten.
 
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