Diferencia entre revisiones de «Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 056c»

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:• Ist Wikipedia eine Demokratie? Natürlich, was denn sonst? Wikipedia ist ein offenes System, es gehört der Community. Alle, die in freiwilliger Arbeit Inhalte beisteuern und damit den Erfolg des Projekts erst möglich machen, sollten über seine Regeln gleichberechtigt mitbestimmen können.
:• Ist Wikipedia eine Demokratie? Natürlich nicht, wie denn auch. Man kann bei Wikipedia anonym mitarbeiten und sogar mehrere Accounts anlegen. Abstimmungen können daher manipuliert werden, da nicht sichergestellt ist, dass pro Person nur eine Stimme abgegeben wird.
 
 
 
 
 
 
MC290
:Vokabeln:
 
 
== MC291 - MC300 ==
 
 
MC291
:Wikipedia selbst betrachtet sich nicht als Demokratie, sondern als Mischung verschiedener Mitwirkungsmöglichkeiten, aus denen sich im Laufe der Projektentwicklung eine komplexe Machtstruktur entwickelt hat. Zu deren Verständnis ist es wichtig, die Geschichte des Vorgängerprojekts Nupedia zu kennen, das an seinen umständlichen und rigiden Strukturen scheiterte. Wikipedia verfolgte einen radikal anderen Ansatz, der auf maximale Offenheit und schnelles Wachstum setzte. Dabei überwogen anfangs die anarchischen Elemente: Es gab so gut wie keine Regeln, Probleme wurden innerhalb der noch sehr kleinen Community spontan gelöst. Im Artikelbereich gab es so viele Lücken, dass fast die gesamte Arbeitskapazität dort gebunden war. Es entwickelte sich schnell eine Art von Meritokratie. Das bedeutet: Mitarbeiter, die gute Inhalte beisteuerten, erwarben eine Reputation, und ihr Wort hatte auch in Diskussionen Gewicht.
:Sobald der Artikelbestand gut genug war, um auch in den Medien positiv wahrgenommen zu werden, was etwa 2004 der Fall war, wuchs die Größe der Community sprunghaft an. Das hatte gute und weniger gute Seiten. Einerseits kamen viele kompetente neue Mitarbeiter zu Wikipedia, die Themenbereiche bearbeiten konnten, für die es bis dahin nicht genügend Experten gab. Andererseits zog Wikipedia auch weniger idealistisch motivierte Mitarbeiter an, darunter Selbstdarsteller und Politaktivisten jeglicher Couleur. Angesichts einer heterogener werdenden Autorenschaft mussten immer mehr Regeln ausgehandelt werden, um die unausweichlichen Konflikte beheben zu können. Dies erfolgte nicht planmäßig, sondern stückweise, und für vieles mussten Kompromisse gefunden werden. Daher stellen sich diese Regeln nicht als durchdachtes Ganzes, sondern als Sammelsurium dar, das für Neulinge heutzutage kaum durchschaubar ist.
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MC292
:Vokabeln:
 
 
 
MC293
:'''Demokratische Verfahren'''
:Demokratische Verfahren kommen in verschiedenen Bereichen der Wikipedia in unterschiedlichen Ausprägungen vor. :Artikel kann jeder bearbeiten, ohne Identität oder Qualifikation offenlegen zu müssen. Natürlich erwerben regelmäßige Mitarbeiter einen gewissen Ruf, aufgrund dessen ihre Beiträge mehr oder weniger streng von anderen geprüft werden. Wenn Angaben in Zweifel gezogen werden, müssen aber ausnahmslos alle ihre Beiträge begründen, belegen und sich gegebenenfalls einer Diskussion stellen. Das führt übrigens gerade bei hochqualifizierten Autoren gelegentlich zu Frustration, weil ihre Expertise nicht ohne weiteres von anderen anerkannt wird. Im Artikelbereich könnte man Wikipedia als eine Konsensdemokratie bezeichnen. Bestand hat, was auf allgemeine Zustimmung stößt oder zumindest toleriert wird.
:Um auch bei kontroversen Themen eine Akzeptanz durch Vertreter verschiedener Meinungen zu erreichen, gilt in Wikipedia das Grundprinzip des Neutralen Standpunktes (NPOV). Das bedeutet, Artikel sollten alle relevanten Aspekte eines Themas in unparteiischer Weise abhandeln, wobei Wertungen lediglich aus qualitativ guten Quellen referiert, nicht aber vom Artikelautor selbst vorgenommen werden sollten. Der hohe Stellenwert dieses Prinzips wird schon daraus deutlich, dass es eines von nur vier unveränderbaren Grundsätzen der Wikipedia ist. Trotzdem kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen über Artikelinhalte, die dann in oft langwierigen Diskussionen geklärt werden müssen. Abstimmungen sind dafür in der Regel nicht geeignet. Die Erde ist keine Scheibe, selbst wenn eine Mehrheit dieser Ansicht wäre.
 
 
 
 
MC294
:Vokabeln:
 
 
 
MC295
:Natürlich ist die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, in den exakten Naturwissenschaften einfacher zu beantworten als in anderen Wissensgebieten. Im Bereich der Sozialwissenschaften, die in Wikipedia zu den eher kontroversen Themenbereichen gehören, stellt sich oft die Frage, ob und in welchem Umfang bestimmte Ansichten oder Theorien, die nicht dem wissenschaftlichen Mainstream folgen, Eingang in die entsprechenden Artikel finden sollten. Nutzer mit Informationskompetenz wissen, dass bei solchen Artikeln die Versionsgeschichte und die Diskussionsseite ein Indikator für die Verlässlichkeit des Inhalts sein können. Die dort ausgefochtenen Streitigkeiten mögen für die Beteiligten zwar anstrengend sein, bieten dem Leser aber die Gewähr, dass der Artikel und die dort verarbeiteten Quellen einer genauen Kontrolle unterzogen werden. Ein oft vorgebrachter, nicht ganz von der Hand zu weisender Kritikpunkt ist jedoch, dass sich in solchen Diskussionen oft diejenigen durchsetzen, die am meisten Zeit und Durchhaltevermögen haben, auch wenn ihre Argumente nicht besser sind als die ihrer Kontrahenten.
:Ein Sonderfall, bei dem es im Artikelbereich zu Abstimmungen kommt, sind Kandidaturen von Artikeln, die als »lesenswert« oder »exzellent« ausgezeichnet werden sollen. Die Prädikate dienen der Wikipedia nach außen als Aushängeschild, intern als Messlatte für andere Artikel und Anerkennung für die jeweiligen Hauptautoren. Da bei diesen Kandidaturen jeder stimmberechtigt ist, selbst nicht angemeldete Benutzer, sind diese Abstimmungen für Manipulationen anfällig. Es gab durchaus Fälle, in denen versucht wurde, durch Absprachen eine Mehrheit für oder gegen die Auszeichnung eines Artikels zu organisieren. Da reines Stimmenauszählen in solchen Fällen problematisch ist, werden am Ende des Abstimmungszeitraums die Argumente gewichtet, es besteht also ein Ermessensspielraum bei der Auswertung. Dabei führt schon der Nachweis eines einzigen gravierenden Mangels, der nicht abgestellt wurde, in der Regel dazu, dass der Artikel nicht ausgezeichnet wird.
 
 
 
 
 
 
MC296
:Vokabeln:
 
 
 
MC297
:Auch in Löschdiskussionen geht es nicht um Mehrheiten. Das ist insbesondere Neulingen, deren erster Artikel womöglich gleich zur Löschung vorgeschlagen wird, nur schwer klarzumachen. Es gab einige notorische Fälle, in denen etwa Blogleser aufgerufen wurden, gegen eine Löschung zu votieren, und diesem Appell auch in großer Zahl nachkamen. Wenn ein solcher Artikel dann trotzdem gelöscht wird, ist natürlich sofort die Rede von undemokratischen Verhältnissen bei Wikipedia. Es lassen sich jedoch gute Gründe anführen, warum Löschdiskussionen von einem Administrator ausgewertet werden, der dabei einen gewissen Ermessensspielraum hat. In der nicht ohne Grund sogenannten »Löschhölle« geht es oft unsachlich zu. Bei katastrophal schlechten Artikeln wird in der vagen Hoffnung auf Verbesserung für Behalten votiert, demgegenüber finden sich bei Artikeln über anstößige Themen immer Benutzer, die trotz brauchbarem Inhalt für Löschen plädieren etc. Hier aufgrund von Zufallsmehrheiten zu entscheiden würde dazu führen, dass keine klare Linie mehr erkennbar wäre, was in Wikipedia Bestand haben sollte.
:Administratoren sind mit den Qualitäts- und Relevanzkriterien, die in langen Diskussionen entwickelt wurden und ständig fortgeschrieben werden, vertraut und sollten diese im Sinne der Community umsetzen. Natürlich kann es dabei zu Fehlentscheidungen kommen, und sicherlich gibt es Administratoren, die etwas löschfreudiger sind als andere. Daher wurde die sogenannte Löschprüfung geschaffen, in der Entscheidungen nach dem Mehraugenprinzip überprüft und gegebenenfalls revidiert werden. Ein Administrator, der mehrfach falsche Entscheidungen trifft, verliert schnell den Rückhalt der Community.
 
 
 
 
 
MC298
:Vokabeln:
 
 
 
MC299
:Die Wahl der Administratoren ist einer der Bereiche, die am ehesten einer demokratischen Abstimmung im herkömmlichen Sinne entsprechen. Zu den Anfangszeiten der Wikipedia galt der Grundsatz, dass die Ernennung zum Administrator keine große Sache sei und im Prinzip jeder vertrauenswürdige Nutzer die zusätzlichen Funktionen bekommen sollte. Das hat sich im Laufe der Zeit stark geändert. Mittlerweile hat ein Kandidat, der nicht mindestens ein Jahr aktiv mitarbeitet, mehrere tausend Bearbeitungen vorgenommen und einige gute Artikel geschrieben hat, kaum noch eine Chance, gewählt zu werden. Auch die Anforderungen an die Stimmberechtigung sind mehrfach erhöht worden. Das ist ein oft genannter Kritikpunkt, weil damit für Neulinge nicht unerhebliche Hürden errichtet werden. Es ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass anderenfalls die Gefahr von Manipulationen durch den Einsatz von Mehrfachkonten besteht.
:Um einen Kandidaten einschätzen zu können, sollten auch die Abstimmenden über eine gewisse Erfahrung verfügen. Kandidaten werden meist sehr kritisch unter die Lupe genommen und mit allen möglichen Fehlern konfrontiert, die ihnen in der Vergangenheit unterlaufen sind. Ihre Reaktion darauf kann den Ausgang der Wahl entscheidend beeinflussen, denn sie liefert Anhaltspunkte dafür, wie sie sich als Administratoren in Konflikten verhalten werden. Um gewählt zu werden, ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Selbst gute Kandidaten scheitern gelegentlich an dieser Hürde, was natürlich beim Betroffenen zu Frustration führen kann. Andererseits ist dadurch gewährleistet, dass ein breiter Rückhalt in der Community besteht.
 
 
 
MC300
:Vokabeln:
 
 
???
 
 
MC301
:Damit sind Administratoren legitimiert, bei Konflikten einzugreifen. Einer der wichtigsten Grundsätze dabei ist, nicht in eigener Sache tätig zu werden und sich insbesondere durch die zusätzlichen Funktionen keine Vorteile im Streit um Inhalte zu verschaffen. Das ist in Themenbereichen, in denen es nicht viele fachlich qualifizierte Administratoren gibt, nicht unproblematisch, denn durch eigene Mitarbeit an umstrittenen Artikeln kann ein Administrator als befangen gelten und Fehlverhalten anderer Mitarbeiter dann nicht mehr sanktionieren. Ursprünglich wurden Administratoren auf unbestimmte Zeit gewählt und haben ihre Rechte auch bei Inaktivität nicht verloren. Dagegen regte sich Widerstand in der Community, weil erwartet wird, dass Administratoren über Entwicklungen innerhalb der Wikipedia auf dem aktuellen Stand sind. Regelmäßige Wiederwahlen wurden zwar verworfen, weil die Community dadurch permanent mit Wahlen beschäftigt sein würde, die bei guten Administratoren völlig überflüssig wären. Stattdessen gibt es nun Wiederwahlen auf Antrag, sobald eine bestimmte Zahl stimmberechtigter Nutzer das fordert.
:In extremen Fällen können die erweiterten Rechte aufgrund einer Abstimmung auch temporär entzogen werden. Absichtlicher Missbrauch kommt allerdings äußerst selten vor. Da alle administrativen Vorgänge in Logbüchern erfasst werden und von anderen Administratoren rückgängig gemacht werden können, kann ein einzelner Administrator keinen dauerhaften Schaden anrichten. Trotzdem kann ein Administrator, der wiederholt zweifelhafte Entscheidungen trifft, zu einer Belastung werden. Es zählt zu den ungeschriebenen Regeln, dass Entscheidungen von Administratoren, sofern sie nicht offensichtlich völlig verfehlt sind, nicht ohne Rücksprache revidiert werden sollten. Dies wird von Kritikern gern so interpretiert, dass unter Administratoren ein Korpsgeist herrsche und Fehlentscheidungen gedeckt würden. Es wäre jedoch fatal, wenn sich einzelne Administratoren andauernd gegenseitig revidieren würden. Man stelle sich Schiedsrichter im Sport vor, die sich nicht einigen könnten: Es würde kein Spielfluss mehr zustande kommen. Falls ein Administrator auf einer Entscheidung beharrt, obwohl dagegen gute Argumente vorgebracht werden, müssen weitere Administratoren hinzugezogen werden, und die endgültige Klärung erfordert dann einen nicht unbeträchtlichen Aufwand. Gerade bei absehbar kontroversen Aktionen sollte ein Administrator sich deshalb vorher überlegen, ob er wirklich im Interesse der Community handelt und das auch entsprechend begründen kann.
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MC302
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MC303
:'''Konflikte'''
:Da sich herausgestellt hat, dass es Konfliktfälle gibt, in denen kein Konsens hergestellt werden kann oder die Autorität einzelner Administratoren nicht ausreicht, um eine allgemein akzeptierte Lösung für ein Problem zu finden, wurde 2007 als zusätzliches Gremium ein Schiedsgericht gegründet. Ihm gehören zehn Benutzer an, die von der Community jeweils für ein Jahr gewählt werden. Im Gegensatz zu den Wahlen von Administratoren sind dabei keine Gegenstimmen zugelassen, sondern es werden die Kandidaten mit den meisten Stimmen gewählt. Dies ermöglicht es auch Kandidaten, die bei einer Wahl zum Administrator nicht die notwendige Mehrheit erreichen würden, in der Community aber populär sind, in das Gremium gewählt zu werden. Die Regelung wurde Ende 2010 revidiert. Das Schiedsgericht entscheidet letztinstanzlich, darf seine Entscheidungen aber nicht selbst umsetzen. In einem Meinungsbild wurde von der Community festgelegt, in welchen Fällen das Schiedsgericht überhaupt tätig werden darf. Entscheidungen zu inhaltlichen Fragen darf es nicht treffen, in der deutschsprachigen Wikipedia hat es sich daher im Wesentlichen als zahnlos erwiesen. In der englischsprachigen Wikipedia ist das Schiedsgericht mit weitaus größeren Vollmachten ausgestattet, was aber ebenfalls Anlass zur Kritik gibt.
:Besonders kontrovers sind erfahrungsgemäß langfristige Benutzersperren. Für jedes Projekt ist es von großer Wichtigkeit, wer daran mitarbeiten kann und wer von der Mitarbeit ausgeschlossen wird. Bei Wikipedia stellen sich hier mehrere Probleme: Zum einen ist es überhaupt nicht möglich, Benutzer wirkungsvoll an der Mitarbeit zu hindern, da jederzeit ein neuer Account angelegt werden kann, der dann erst erkannt und gegebenenfalls erneut gesperrt werden muss. Einige gesperrte Personen entwickeln in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit. Zum anderen gibt es bei Wikipedia den Grundsatz, von gutem Willen auszugehen. Dauerhafte Sperren werden daher von vielen Benutzern als unverhältnismäßig empfunden.
 
 
 
 
 
MC304
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MC305
:Grundsätzlich kann jeder Administrator Sperren beliebiger Länge verhängen. In Fällen von offensichtlichem Vandalismus ist das normalerweise unproblematisch. Bei Sperren wegen Verstößen gegen den Grundsatz, nach dem persönliche Angriffe unterbleiben sollten, gibt es bereits unterschiedliche Ansichten, was zwingend zu einer Sperre führen sollte und was nicht. Während einige der Meinung sind, dass Wikipedia kein »Mädchenpensionat« sei und Diskussionen so offen wie möglich geführt werden sollten, weisen andere darauf hin, dass ein rüpelhafter Umgangston auf andere Mitarbeiter und insbesondere Neulinge oft sehr abschreckend wirkt und daher unterbunden werden sollte. Einen festgelegten Maßnahmenkatalog gibt es nicht, Administratoren haben hier einen recht breiten Ermessensspielraum, auch was die Länge einer Sperre angeht. Die daraus folgende Uneinheitlichkeit von Sanktionen führt natürlich oft zu Diskussionen.
:Noch schwieriger sind Fälle, in denen Benutzer beharrlich gegen Projektgrundsätze verstoßen, aber zumindest ansatzweise auch konstruktiv mitarbeiten. Die Grenze zwischen Querdenkern und Trollen verläuft gelegentlich fließend. Einem einzelnen Administrator wird in der Regel nicht die Entscheidungsbefugnis zugestanden, einen solchen Benutzer dauerhaft zu sperren. Hierfür gibt es das Instrument des Benutzersperrverfahrens, bei dem eine Mehrheit stimmberechtigter Benutzer für eine bestimmte Sperrdauer zustande kommen muss. In der Praxis sind längere oder gar dauerhafte Sperren auf diesem Wege kaum noch zu erreichen, allein weil etliche Nutzer, die prinzipiell gegen solche Sperren sind, fast immer dagegen votieren. Immerhin zeigt sich an der Seltenheit, mit der unbefristete Sperren verhängt werden, der Wille der Community, auch problematische Mitarbeiter zu integrieren.
:Ein weiterer Fall von Abstimmungen innerhalb der Community sind die sogenannten Meinungsbilder, durch die neue Regeln eingeführt oder bestehende geändert werden sollen. Es lassen sich in der Wikipedia heute zwei gegenläufige Tendenzen beobachten. Einerseits gibt es Stimmen, die monieren, dass es schon zu viele Regeln gebe. Andererseits wird alles, was nicht durch eine explizite Regel abgedeckt ist, von manchen als willkürlich abgelehnt, insbesondere wenn es nicht der eigenen Meinung entspricht.
 
 
 
 
 
MC306
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MC307
:In der Anfangszeit der Wikipedia wurde vieles nur recht allgemein festgelegt, die konkrete Ausgestaltung der Regeln wurde der Community überlassen. Das war seinerzeit sicherlich sinnvoll, denn es gab ja keine Erfahrungen, auf die man sich hätte stützen können. Die Folge ist aber, dass nichts mehr ohne Beteiligung der Community durchgesetzt werden kann, geschweige denn gegen deren Willen. Das musste selbst Wikipedia-Gründer Jimmy Wales erfahren, der 2010 im Alleingang eine Vielzahl angeblich pornographischer Bilder aus dem Medienarchiv Commons löschte und sich daraufhin einem Sturm der Entrüstung seitens der Community ausgesetzt sah.
:Die Vorbereitung eines Meinungsbildes, ursprünglich als unkomplizierte Möglichkeit gedacht, die Stimmung in der Community abzufragen, ist mittlerweile sehr aufwendig. Sind etwa die Abstimmungsoptionen oder Auswertungsmodalitäten nicht klar genug dargestellt, werden Meinungsbilder oft: genug aus formalen Gründen abgelehnt. Ein grundsätzliches Problem aller Abstimmungen in Wikipedia ist übrigens, dass sich meist nur wenige hundert sehr aktive Wikipedianer daran beteiligen. Gelegentliche Nutzer bekommen sie in vielen Fällen überhaupt nicht mit, und selbst unter den regelmäßigen Autoren gibt es etliche, die weder Zeit noch Lust haben, sich mit Meinungsbildern zu befassen. Wirklich repräsentativ sind sie daher nicht. Dem Anspruch nach ist Wikipedia eine Enzyklopädie, der Form nach ein Wiki. Oft zitiert wird eine Aussage von Ward Cunningham, dem Urvater der Wiki-Software, dass Wikipedia am Ende eher ein Wiki als eine Enzyklopädie sein wird. Tatsächlich handelt es sich im Grunde um eine recht ineffiziente Methode, qualitativ hochwertige Inhalte zu erstellen und zu sichern. Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen ist mit ständigen, oft langwierigen Diskussionen verbunden. Man kann das aber auch positiv sehen, nämlich dass Wikipedia ein Beispiel für deliberative Demokratie ist und gerade der möglichst freie Austausch von Argumenten einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt. Jedenfalls ist bemerkenswert, wie viele hunderttausend Arbeitsstunden freiwillig und unbezahlt aufgewendet wurden, um den heutigen Stand zu erreichen.
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MC308
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MC309
:'''Wissen ist Macht'''
:VON ARNO MATTHIAS
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:Sich eine gedruckte Enzyklopädie zu leisten war immer, selbst im reichen Deutschland, eine wohlüberlegte Anschaffung; für die meisten kam solch ein Kauf nicht in Frage. Enzyklopädisches Wissen war ein Luxusgut. Wohl hätte die Regierung jedem Haushalt eine Enzyklopädie schenken können, zur Deckung des Grundbedarfs, aber hätte die Bevölkerungsmehrheit diesen Schatz nutzen können? Meine Eltern haben sich mit Mühe, vielleicht weil mein Vater Lehrer war, den 16. Großen Brockhaus geleistet, erschienen von 1952 bis 1963. Heute dient er als Regalschmuck. Die Bände 13 und 14 waren Ergänzungsbände; in diesen musste man suchen, was man in A - Z nicht fand - oder um die »neuesten« Aktualisierungen zu bekommen. Und natürlich waren auch die Ergänzungsbände nach heutigen Maßstäben schon bei der Auslieferung völlig veraltet.
:»Wikipedia is a charity« (Jimmy Wales; Wikipedia ist Wohltätigkeit), abhängig von Geldspenden und gespendetem Wissen. Ich spende (Informationen), weil ich mir eine kostenpflichtige Enzyklopädie nicht leisten könnte und dank meines Wissensdurstes gewiss zu den häufigsten Nutzern der Wikipedia gehöre. Daher möchte ich dazu beitragen, dass das laufende Experiment Wikipedia, innerhalb des laufenden Experiments Internet, gelingt. »Alles Wissen für alle« heißt das Ziel, und der Hauptgegner - das Geschäftsmodell, mit Informationen Geld zu verdienen - ist stark. Die Notwendigkeiten, zu essen und zu wohnen, erzeugen Profite schon seit langem; saubere Atemluft und sauberes Wasser, dank der Umweltverschmutzung, seit kurzem. Wer sich Essen, Trinken, Wohnen und Atmen leisten kann, bedarf der geistigen Nahrung. Also wird die Kommodifizierung von Informationen vorangetrieben; »own, be owned, or remain invisible« (Heath Bunting). »Den Geburtsfehler des Internets - kostenlose Inhalte - zu beseitigen, ist aber schwierig und langwierig«, beliebte die ARD-Vorsitzende Monika Piel zu formulieren. Wikipedia ist ein herber Rückschlag für die Genpatentierer dieser Welt. Stewart Brand: »Information wants to be free« (Information will frei sein), »You own your own words, unless they contain information. In which case they belong to no one.« (Du besitzt deine eigenen Worte, außer sie enthalten Informationen. In diesem Fall gehören sie niemandem.)
 
 
 
 
 
MC310
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MC311
:Während gedruckte Enzyklopädien noch intelligent designte Kreationen waren, ähnelt Wikipedia viel mehr einem evolvierenden Lebewesen. Erstere gehören vergangenen autoritären Zeitaltern an, Letztere ist demokratisch. Wiki-Artikel können wie Lebewesen zugrunde gehen, wenn keine Negentropie-Arbeit mehr hineingesteckt wird. Gleichgültigkeit führt zur EntropieZunahme und letztlich zum Wärmetod. »He not busy being born is busy dying« (Bob Dylan). Wiki-Artikel steigern, wie Lebewesen, ihre Überlebenswahrscheinlichkeit dadurch, dass sie aufs Geratewohl kleine Änderungen produzieren und dem Urteil der Umwelt anheimstellen, ob diese Änderungen beibehalten werden können. Wiki-Darwinismus erklärt, warum bei so vielen unterschiedlichst qualifizierten Mitarbeitern etwas so Gutes herauskommen kann. »Democracy doesn't come from the top. It comes from the bottom« (Howard Zinn).
:Das Internet »lädt sehr stark zu demokratischen Prozessen ein« (Prof. Peter Kruse), und auch Wikipedia kann sich an der »Erziehung zur Mündigkeit« (Theodor W. Adorno) beteiligen. So ist es zum Beispiel gut, dass sie als nicht immer zuverlässig gilt (unabhängig davon, ob solche Zweifel gerechtfertigt sind). Das erzieht dazu, Einzelquellen zu misstrauen und Tatsachenbehauptungen zu überprüfen. Nur so lassen sich die Privatinteressen einzelner Meinungsmacher in Schach halten. Allzu großes Vertrauen erzieht dagegen zum faulen und gefährlichen »Wird schon stimmen, steht ja in Wikipedia«.
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MC312
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MC313
:'''Exklusionisten gegen Inklusionisten ein enzyklopädischer Bruderkrieg'''
:VON TOBIAS LUTZI
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:Weil auf Wikipedia jeder einen neuen Artikel anlegen kann, stellt sich dort täglich die Frage, zu welchem Thema es einen Artikel geben sollte - und welches besser draußen bleibt. Entsprechend gut gefüllt ist die Spezialseite »Löschkandidaten«, auf der täglich mehrere Dutzend Artikel zur Löschung vorgeschlagen werden. Neun Minuten nach seiner Erstellung landete auch »Ernie Wasson« dort - wegen »grenzwertiger Relevanz«.
:Tatsächlich können Artikel aus zwei Gründen aus der deutschsprachigen Wikipedia gelöscht werden: wegen fehlender Qualität und wegen fehlender Relevanz. Dass ein unverständlicher, falscher oder aus einer urheberrechtlich geschützten Quelle kopierter Artikel gelöscht wird, ist ebenso selbstverständlich wie selten; regelmäßig reichen wenige Handgriffe, um die bereits vorhandenen Informationen in angemessener Qualität darzustellen. Artikel, die allein ihrer Qualität wegen zur Löschung vorgeschlagen sind, werden deshalb üblicherweise im Laufe der Löschdiskussion überarbeitet und anschließend behalten.
 
 
 
 
 
 
 
MC314
:Vokabeln:
 
 
 
MC315
:Ganz anders verhält es sich beim zweiten möglichen Grund für eine Artikellöschung, der Relevanz. Einerseits besteht in kaum einer Löschdiskussion Einigkeit darüber, ob ein Artikel im Sinne der »Relevanzkriterien«, die in der deutschen Wikipedia seit langem das Maß der Dinge sind, relevant ist; während gerade die in der Löschdiskussion aktiven Autoren dies meist bezweifeln, ist der Verfasser eines Artikels regelmäßig davon überzeugt. Andererseits ist die Frage, ob Relevanz überhaupt ein brauchbares Kriterium zur Auswahl der Artikel für Wikipedia ist, noch immer nicht abschließend geklärt - und seit Jahren Gegenstand eines regelrechten Glaubenskrieges.
:Zwei Autorengruppen stehen sich dabei gegenüber. Zum einen die sogenannten ''Inklusionisten'', für die »kein Thema irrelevant ist, das sich durch reputable Quellen belegen lässt« und für die Wikipedia idealerweise »zu jedem Begriff und Namen, dem ein Mensch begegnen kann, [Auskunft geben solll«. Für sie gehört in Wikipedia alles, was richtig ist. Zum anderen die ''Exklusionisten'' und ''Deletionisten'', die »Wikipedia zum geschliffenen Diamanten machen [wollen]«. Für sie gehört in Wikipedia nur das, was ''wichtig'' ist. Beide Seiten sollen in diesem Teil des Buches zu Wort kommen. Der folgende Text dient dabei dem besseren Verständnis der Debatte und ihres Kontextes.
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MC316
:Vokabeln:
 
 
 
MC317
:'''Glaube: Die Grundfrage'''
:»[Wikipedia] glich einem gigantischen >Wir sammeln Laub<Projekt, in dem jeder sofort als Landschaftsgärtner bezeichnet wurde. Einige benutzten dafür sehr professionelle Harken aus Metall oder trugen sogar Laubgebläse auf dem Rücken. Andere waren nur Kids, die mit ihren Füßen über den Boden fuhren und die Taschen ihrer Sweatshirts mit bloßen Händen vollstopften. Aber auch ihre Blätter waren auf dem gemeinsamen Haufen willkommen. Der Haufen wuchs, und jeder tollte darin herum. Im Lauf der Zeit wurde er zum größten Laubhaufen, den je einer gesehen hatte - ein Weltwunder. Dann aber tauchten selbsternannte Laubhaufenwächter auf, Zweifler und Gegner, die jede angebotene Handvoll Laub misstrauisch beäugten und ihre Köpfe schüttelten. Und dann meinten sie, dass die Blätter zu zerknautscht seien oder zu matschig oder zu gewöhnlich, und warfen sie einfach beiseite. Das war schade.«
:Das Bild, mit dem der amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker die Anfangsjahre des Online-Lexikons beschreibt, zeigt, wie Wikipedia sich grundlegend von einer klassischen Enzyklopädie unterscheidet. Während Wikipedia ein Laubhaufen ist, dessen Umfang allein von den Ideen derer abhängt, die ihn zusammentragen, steht bei Brockhaus und Britannica von vornherein fest, aus welchen Blättern der Haufen am Ende bestehen soll.
 
 
 
 
 
MC318
:Vokabeln:
 
 
 
MC319
:Die herkömmliche Enzyklopädie ist daher zwangsläufig exklusionistisch. Verlag und Redaktion sind schon aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, sich auf einen bestimmten Umfang festzulegen. Anschließend müssen sie die begrenzten Ressourcen Platz und Arbeitszeit bestmöglich aufteilen, indem sie Anzahl, Länge und Inhalt der Artikel bestimmen. Schließlich müssen sie im Hinblick auf diese Faktoren eine möglichst große Kohärenz erreichen, die verschiedenen Bereiche also in eine (vor allem für den Leser) schlüssige Relation setzen.
:Wikipedia ist frei von diesen Zwängen. Dass Wikipedia jemals an eine physikalische Grenze stoßen wird, ist äußerst unwahrscheinlich; dass sich Autoren innerhalb des unbestritten relevanten Bereichs inhaltliche Vorgaben machen lassen, ebenfalls. Wikipedia ist damit die einzige Enzyklopädie, deren Redaktion die Ressource Platz nicht beschränken muss und die Ressource Arbeitskraft nicht verteilen kann. Sie ist damit a priori inklusionistisch und kann alle Inhalte aufnehmen, die ihre Mitarbeiter erschaffen.
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MC320
:Vokabeln:
 
 
 
MC321
:'''Liebe: Der Status quo'''
:Die deutsche Wikipedia gilt im Allgemeinen als exklusionistisch. Grund ist vor allem die Wichtigkeit der sogenannten Relevanzkriterien, die vor mehr als sieben Jahren von einer Handvoll Benutzern als »Einschlusskriterien« (also Faustregeln, um einen unstreitig relevanten Artikel identifizieren zu können) formuliert worden sind und inzwischen einen umfangreichen und ausdifferenzierten Kriterienkatalog bilden, an dem die Löschwürdigkeit eines jeden Artikels gemessen wird.
:Erstaunlich ist dabei zunächst, dass der heutige Status quo vor allem das Ergebnis einer langjährigen Wechselwirkung zwischen stetiger Ausdifferenzierung der Relevanzkriterien und deren immer strikterer Handhabung innerhalb der Löschdiskussionen ist. Eine klare demokratische Legitimation sucht man dagegen vergebens.
:Zwar ist die generelle Forderung nach einer bestimmten Relevanz für neue Artikel in drei (einen Gegenvorschlag ablehnenden) Meinungsbildern mehr oder weniger deutlich bestätigt worden. Das erste enthielt mit der Abschaffung der (inzwischen umformulierten) Richtlinie »Wikipedia ist keine Datenbank« aber einen Vorschlag, der deutlich über eine Reform der Relevanzkriterien hinausging. Das zweite Meinungsbild (für eine »liberale Löschpraxis«) wurde vor allem wegen der überaus unklaren Abstimmungsoptionen abgelehnt, während das dritte (für eine »Reform der Relevanzpolitik«) gleich zwei tiefgreifende und (auch in ihrer Darstellung) komplizierte Reformvorschläge enthielt und deshalb bereits als solches abgelehnt wurde. Inhaltlich fand sich nur eine hauchdünne Mehrheit für den Status quo.
 
 
 
 
MC322
:Vokabeln:
 
 
 
MC323
:Noch deutlich schwieriger ist es, den konkreten Inhalt der Relevanzkriterien zu rechtfertigen. Tatsächlich ist er in den meisten Bereichen das Ergebnis der Diskussion zwischen wenigen Benutzern, die sich innerhalb eines Fachbereichs auf bestimmte Kriterien geeinigt haben. Zuzugestehen ist den Befürwortern dieser Praxis zwar, dass im Falle von Konflikten, die längere Zeit zu keinem Kompromiss führen, tatsächlich ein Meinungsbild durchgeführt wird und besonders strittige Einzelfragen so von der Community entschieden werden. Nichtsdestotrotz war die überwältigende Mehrheit der Relevanzkriterien nie Gegenstand einer Abstimmung. Entsprechend unabhängig voneinander haben sich die Kriterien über Jahre hinweg entwickelt und sind dabei gleichzeitig immer präziser und anspruchsvoller geworden. Eine klare Mehrheit der Autoren sprach sich in einer Umfrage Ende 2009 denn auch für eine insgesamt niedrigere Relevanzhürde aus.
:Dass die meisten Kriterien inzwischen gleichwohl zu einer Art Gewohnheitsrecht erstarkt sind, liegt vor allem an ihrer strikten und ständigen Anwendung in der Löschdiskussion. Das ist schon deshalb problematisch, weil die dort tätigen Autoren mehrheitlich Verfechter einer restriktiven Relevanzpolitik sind. Kaum einem der (meist vergleichsweise unerfahrenen) Autoren eines zu löschenden Artikels ist zudem die geringe Legitimation der Relevanzkriterien bewusst, weshalb in der Löschdiskussion regelmäßig nur über die Auslegung einzelner Regeln, nicht aber über die Existenz der Regel als solche diskutiert wird.
:Die Anwendung und Auslegung der Relevanzkriterien in der Löschdiskussion scheint denn auch am wenigsten Rückhalt unter den Autoren zu haben. Schon im Jahr 2007 haben sich in einer Umfrage 55 Prozent der Teilnehmer für insgesamt weniger Artikellöschungen ausgesprochen. Die bereits 2004 angelegte »Unterschriftenliste für eine liberale Löschpraxis« wurde im Januar 2011 von ihrem 800. Unterstützer unterzeichnet - die Liste »gegen eine liberale Löschpraxis« hatte zum gleichen Zeitpunkt 104 Unterzeichner.
 
 
 
 
 
MC324
:Vokabeln:
 
 
 
MC325
:Dass sich indes auch am zehnten Geburtstag von Wikipedia weder für eine grundsätzliche Reform der Relevanzkriterien oder deren Abschaffung noch für eine Liberalisierung der Löschpraxis eine Mehrheit gefunden hat, zeugt von einer gewissen Konsolidierung des Status quo. Ob dieser inzwischen auch Ergebnis der Sozialisierung neuer Mitarbeiter ist, für die Wikipedia-Artikel grundsätzlich an ihrer Qualität und Relevanz gemessen werden, sei dahingestellt.
:Auffällig ist jedenfalls, dass sich der Streit zwischen Inklusionisten und Exklusionisten (wenigstens in der deutschsprachigen Wikipedia) fast ausschließlich an der Frage nach Artikellöschungen entzündet. Ist ein Artikel als solcher relevant, hängt die Auswahl der dargestellten Informationen dagegen allein von den persönlichen Vorstellungen der beteiligten Autoren ab. Während sich in der Löschdiskussion inzwischen ein fester Kanon des Relevanten gebildet hat, sind Umfang und Tiefe eines Artikels kaum reglementiert. Zwar kommt es auch zwischen den Verfassern eines Artikels zu Diskussionen über die Relevanz einzelner Inhalte - etwa der spannenden Frage, ob der Umstand, dass Lukas Podolski beim zweiten Vorrundenspiel der WM 2006 (gegen Polen) die deutsche Nationalhymne nicht mitgesungen hat, im Artikel über ihn Erwähnung finden sollte -, doch mangels fester Kriterien und systematischer Kontrolle schwankt die Relevanzgrenze für einzelne Inhalte von Artikel zu Artikel erheblich.
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MC326
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MC327
:'''Hoffnung: Die Bedeutung der Debatte'''
:Wer sich mit der gerade beschriebenen Debatte längerfristig beschäftigt, wird sehen, dass es sich zwar um ein Grundsatzthema handelt, das täglich Gegenstand und Grundlage Dutzender Löschdiskussionen ist, innerhalb der zentralen Projektdiskussionen aber trotzdem nur selten auf der Tagesordnung steht. Die Meinungsbilder etwa, die konkret die Relevanzkriterien zum Thema haben, kann man wörtlich an einer Hand abzählen.
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MC328
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MC329
:'''Exklusionismus: In den Maschinenräumen von Wikipedia'''
:VON BENUTZER:WENIGER=MEHR
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MC330
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MC331
:'''Aufstand der Erbsenzähler'''
:Bis ich eines Tages im Artikel »Geschichte Thailands« lesen musste, dass Sicherheitskräfte massiv gegen Demonstranten vorgegangen waren und dass dabei in der Hauptstadt Bangkok nach Angaben aus Krankenhäusern mindestens fünf Menschen getötet und etwa 300 verletzt worden waren. So ein Unfug, dachte ich, diese Details sprengen einen Artikel, der 5000 Jahre Geschichte darstellen soll, bei weitem. Ich kondensierte den Text auf »... was zu Toten und Verletzten führte«, was ich für enzyklopädisch angemessen halte. So und nicht anders würde dies im »Brockhaus« stehen! Denn selbst wenn sich ein Leser für die genauen Zahlen interessieren sollte, müssen dann 100 andere darüber hinweglesen?
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MC332
:Vokabeln:
 
 
 
MC333
:'''Sektenkrieg'''
:Bald musste ich feststellen, dass der Wahnsinn Methode hatte. Eine völlig neue Seite von Wikipedia tat sich vor mir auf: Artikel zu tagesaktuellen Ereignissen. Ihre Autoren hatten eine völlig andere Auffassung über Wikipedia, als ich es bisher gewohnt war und für selbstverständlichen Konsens hielt. Auf ihren Benutzerseiten entdeckte ich verblüffendste Meinungsäußerungen über Inhalt und Umfang von Wikipedia-Artikeln - und schließlich stolperte ich über den Begriff »Inklusionist«. Was war das? Und: Gibt es auch das Gegenstück dazu? Ich forschte weiter und stieß auf Diskussionen aus längst vergangenen Zeiten. Mit anderen Worten: Ich hatte die Kellergewölbe entdeckt und die Kämpfe, die dort ausgefochten wurden und immer noch werden.
:Wenn man die Geschichte von Wikipedia erforscht, stößt man immer wieder auf unterschiedliche Vorstellungen über Inhalt, Form und Mitarbeit, die mit geradezu religiösem Eifer verfochten wurden und letztendlich zu dem führten, was man auch bei den großen Weltreligionen beobachten kann: Bestenfalls bilden sich Sekten, die den jeweiligen Religionsvarianten anhängen, schlimmstenfalls - was auch bei Wikipedia bereits vorgekommen ist - schart ein Prophet seine Getreuen um sich, spaltet sich ab und gründet eine Konkurrenzreligion.
:Eine dieser Sekten bilden die bereits erwähnten Inklusionisten. Ihren Widerpart musste ich lange suchen, denn nur wenige nennen sich ausdrücklich Exklusionist. Jede Seite unterstellt der anderen, Sinn und Funktionsweise von Wikipedia nicht verstanden zu haben, und wahrscheinlich nimmt auch jede Seite in Anspruch, allein die reine, ursprüngliche Lehre zu vertreten.
 
 
 
 
 
MC334
:Vokabeln:
 
 
 
MC335
:Die Inklusionisten lehnen jegliche Relevanzkriterien ab. Alles, was nur durch eine einigermaßen renommierte Quelle belegt ist, kann und soll in Wikipedia eingebaut werden, denn ihr Credo lautet: Es gibt ja Platz genug. Wenn die Schülerband einer Dorfschule in einer der großen Tageszeitungen erwähnt wurde, dann ist sie allein dadurch hinreichend geadelt, um einen eigenen Eintrag in Wikipedia zu verdienen. Dass der Artikel nur in einer der vielen Lokalbeilagen der Zeitung zu lesen war und eigentlich die Verabschiedung des Schuldirektors zum Thema hatte, dass der kurze Absatz über die Band nur deshalb in dem Artikel erschien, weil ihr Schlagzeuger auch Pressereferent der Schule ist, und dass dieser Absatz nur deshalb nicht gestrichen wurde, weil der Layouter zufällig noch ein bisschen Platz zu füllen hatte, interessiert nicht: Belegt ist belegt und damit auch relevant, basta. Dass Wikipedia dadurch Schritt für Schritt von einer qualitativ hochwertigen Enzyklopädie zu einer quantitativ hochwertigen Presseschau mutiert, interessiert ebenso wenig oder wird wahrscheinlich sogar gutgeheißen.
:Eine lange Liste mit aufsteigender Tendenz, in der ein bekennender Inklusionist Gleichgesinnte sammelt, zeugt von stetigem Zulauf zu dieser Sekte. Offensichtlich stellt ein weiteres inklusionistisches Credo ein Erfolgsrezept dar: »Schlechte Artikel können ruhig monatelang auf Wikipedia stehen, vielleicht werden sie ja irgendwann mal verbessert. Voreiliges Löschen vergrault nur neue Autoren.«
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MC336
:Vokabeln:
 
 
 
MC337
:'''Weniger ist mehr'''
:Für Exklusionisten ist und bleibt Wikipedia ganz klar eine Enzyklopädie, und genau so soll sie auch aussehen. Enzyklopädischer Stil ist angesagt: prägnant und auf das Wesentliche konzentriert. Inklusionisten glauben, dass herkömmliche Enzyklopädien so knapp formuliert wären, damit sie auf relativ wenig Papier passen. Exklusionisten wissen, dass herkömmliche Enzyklopädien so knapp formuliert sind, damit wichtige Informationen nicht zwischen Bergen von Flachlaberei untergehen. Denn in der Kürze liegt die Würze, weniger ist mehr. Wenn man den Wald nicht mehr sieht, müssen Bäume gerodet werden. Qualität ist oberstes Gebot. Lieber zu viel weglassen oder löschen, als Wikipedia irgendeinem Makel aussetzen, denn jeder Artikel vertritt zu jeder Sekunde das Qualitätsniveau des gesamten Werks. Eine schlechte Qualität ist nur Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ein Interesse daran haben, das Ansehen von Wikipedia zu mindern. Und sie vergrault langgediente Autoren, die ihre eigenen Ansprüche und Ideale nicht mehr vertreten sehen und die sich mit einer Banalitäten-Wikipedia nicht mehr identifizieren können.
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MC338
:Vokabeln:
 
 
 
MC339
:'''Inklusionismus: Mehr Toleranz!'''
:VON OLIVER SCHNEIDER
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MC340
:Vokabeln:
 
 
 
MC341
:'''Unterschiede im Detail'''
:Beide Sehweisen sind eng mit der Entstehung der Relevanzkriterien vor sieben Jahren verbunden.
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MC342
:Vokabeln:
 
 
 
MC343
:'''Wer schreibt, der bleibt'''
:Während von Exklusionisten also mitunter die Position vertreten wird: »Relevant ist, was eine Gruppe wechselnder Freiwilliger für pflegenswert hält«, ist die inklusionistische Position wohl eher: »Relevant ist, was mit zuverlässigen Quellen belegbar und einem Autor so wichtig erscheint, dass er darüber einen Artikel schreibt.« :Inklusionisten stört an den hauseigenen Relevanzkriterien der Exklusionisten am meisten, dass sie anderen Leuten vorschreiben wollen, was für sie wichtig sein darf. Was Inklusionisten ebenfalls aufstößt, sind die sich inzwischen etablierenden sogenannten Mindestanforderungen. Diese führen mitunter dazu, dass bereits begonnene Artikel gelöscht werden sollen, weil sie nicht alle Informationen enthalten, die man von einem Artikel erwartet.
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MC344
:Vokabeln:
 
 
 
MC345
:'''Inquisition des Wissens'''
:Um es noch mal prägnant zusammenzufassen:
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MC346
:Vokabeln:
 
 
 
MC347
:'''Mit 80 + dabei'''
:VON MEINOLF WEWEL
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:Mit einem selbst gewählten Pseudonym (Benutzernamen) entledigt man sich ganz bewusst all dessen, was sich als Status angesammelt hat. Das geschieht nicht aus Sorge um diesen Status, sondern weil das, was eingebracht wird, ohne Ansehen des Verfassers für sich stehen soll. Der Autor tritt hinter den Text zurück. Es ist ein großer Vorzug, dass bei Wikipedia alle Mitarbeit unentgeltlich und anonym ist. Keine finanziellen Interessen und auch keine Interessen der Profilierung eines Autors können seine Mitarbeit bestimmen.
:Von Vorurteilen befreit, türmen sich aber leider neue Hindernisse auf: die »Relevanzkriterien«, die für Löschungen ins Feld geführt werden. »Relevanz«? - ein modischer Begriff. Was sagt Wikipedia darüber? Im eher dürftigen Artikel kein Wort über »Relevanzkriterien« und auch kein Hinweis, wie oder wo man sie finden kann. Dass man nur über einen Klick auf »Hilfe« zu ihnen gelangt, ist nicht selbstverständlich. Ich versuchte es dem Benutzer einfacher zu machen und setzte beim Artikel einen Link. Doch der wurde sofort gelöscht. Auf Nachfrage hieß es zur Begründung, dass »aus dem Artikelraum kein Link in den redaktionellen Bereich führen« darf. Warum diese Abschottung? Sollte Wikipedia nicht eine freie demokratische Sammlung allen Wissens sein? Zumindest alles Relevante sollte doch hinein. Sind die »Relevanzkriterien« selbst nicht relevant, also irrelevant?
 
 
 
 
 
MC348
:Vokabeln:
 
 
 
MC349
:Ist es nicht auch ziemlich irrelevant, unter welchen Gegebenheiten Hunderassen, Brauereien, Sportvereine, Krankenhäuser, Busunternehmen, Weingüter, Köche, Musiker, Mobiltelefone, Webseiten, Verkehrswege als relevant gelten sollen, wie es die »Relevanzkriterien« auf 30 DIN-A4-Seiten vorschreiben? Wen würde es schon stören, wenn auch eine kleine Brauerei, die noch keine Jahresproduktion von 100 000 Hektoliter erzielt hat und auch noch keine 100 Jahre alt ist, einen Artikel in Wikipedia bekäme?
:Es gibt eine Regelungssucht, die in der guten Absicht, ein Werk von höchster Qualität zu schaffen, vielen kompetenten Leuten so sehr auf die Nerven geht, dass sie ihre Mitarbeit einstellen oder auch erst gar nicht damit beginnen. Kein Wunder, kann es doch zum Beispiel durchaus vorkommen, dass ein junger Informatiker einem Professor für Alte Geschichte erklärt, sein Beitrag, an dem er tagelang gearbeitet hat, sei irrelevant und daher zu löschen.
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:Ich bin ein sogenannter »Inklusionist«, ein Wikipedianer, der Artikel lieber behält und ausbaut als löscht. Alles Wissen der Welt frei zugänglich für jedermann - das ist die großartige Vision von Wikipedia, der wir treu bleiben sollten. Zu erreichen ist das freilich schon wegen der prinzipiellen Unabgeschlossenheit nicht, aber wir können uns um Annäherung bemühen. Die Relevanz eines Artikels ist für mich irrelevant. Es geht allein darum, ob er wahr und richtig ist. Dass sinnlose und beleidigende Artikel, Artikel, die reine Werbung sind oder das Urheberrecht verletzen, gelöscht werden, dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben.
:Wahr und richtig - freilich in der prinzipiellen Begrenztheit menschlichen Wissens. Und selbstverständlich weiß sich auch dieser Artikel begrenzt.
 
 
 
MC350
:Vokabeln:
 
 
 
 
 
 
 
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