Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 283c

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Leibniz. Der Lebensroman eines weltumspannenden Geistes.


37. Alchimistisches Erwachen

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Schon am Tage der Ankunft in Hannover begannen sich große chymische, vielleicht sogar alchimistische Dinge zu entwickeln. Becher hatte, wahrscheinlich ohne es zu wollen, Leibniz ein wenig verstimmt. Aber gerade in diesem Nichtwollen lag die Hauptursache der Verstimmung. Auf dem Boden Hannovers, in der Nähe des Herzogs, hatte sich der große Chymist nämlich plötzlich sonderbar verändert. Er umgab sich mit einer Gebärde von Großartigkeit, kehrte sogar seinen Rang als Reichshofrat hervor und schien keinerlei oder nur geringen Wert mehr auf die Unterstützung Leibnizens zu legen. Unter anderem hatte er es sich strikte ausbedungen, am frühen Nachmittag mit Johann Friedrich ohne jeden Zeugen zu sprechen; was ihm gewährt wurde, da der Herzog seit der Entdeckung des Phosphors in eine Art von chymischen Rausch geraten war und die versprochenen großen Experimente Bechers kaum erwarten konnte.
Leibniz, dessen anfängliche Verstimmung sich bald zu schwerem Verdacht verwandelte, als ihn der Herzog nach Becher für einige Minuten empfing und ihm bloß auftrug, dem Herrn Reichshofrat in jeder Weise behilflich zu sein, ohne daß er auch nur ein Sterbenswort vom Inhalte der vorhergegangenen Unterredung preisgegeben hätte, setzte sich in aufgeregter Hast mit Grote in Verbindung.
„Näheres weiß ich auch nicht“, erwiderte ihm Grote nachdenklich. „Wir konnten in der Eile über die Person und das Vorleben Bechers nur so viel erfahren, als wir in Hannover in den Akten haben und als uns einige unsrer Diplomaten, die zugleich mit Becher in fremden Ländern zusammentrafen, über ihn zu berichten wußten. Dabei ist nichts Greif bares herausgekommen. Ich meine nichts, was mehr sagt, als eine gewisse allgemeine Scheu vor diesem Menschen. Er soll sehr rachsüchtig, sehr boshaft und sehr heimtückisch sein. Seine wissenschaftliche Hochrangigkeit läßt man durchwegs gelten. Was verstehen aber unsre Diplomaten schließlich von solchen Chosen?“
„Ich habe den Auftrag, ihn zu unterstützen“, warf Leibniz ein.
„Das dürfte sich auf die angekündigte Sensation in der heutigen Nacht beziehen.“
„Was für eine Sensation?“
„Hat Ihnen der Herzog nichts davon gesagt?“ Grote war äußerst erstaunt. „Das verstehe ich einfach nicht. Es ist doch für heute abends ein Souper angesetzt, an dem ein ganz kleiner Kreis, unter anderem Sie selbst, teilnehmen sollen. Und nach diesem Souper wird, ein wenig nach Mitternacht, Becher seine Versuche zeigen. Es wird ein eigener Raum nach seinen Angaben für diese Versuche eingerichtet.“
Leibniz zuckte zusammen. Was hieß das alles? Vertraute der Herzog Becher mehr als ihm? Oder hatte der große Chymist sich ausdrücklich bedungen, daß er, Leibniz, von den Vorbereitungen ferngehalten würde? War der Auftrag, er solle Becher unterstützen, also nur eine Verlegenheitsfloskel des Herzogs gewesen, um ihn vielleicht nicht allzusehr zu kränken?
„Vielleicht habe ich schon aus der Schule geschwatzt“, setzte Grote lächelnd fort. „Ich war fest überzeugt, Sie machten nur einen Scherz, als Sie behaupteten, nichts zu wissen. Ich hatte nämlich strenges Schweigegebot gegen jedermann.“
„Sollen wir etwas zugunsten des Hauses Hannover riskieren? Etwas nach meiner Ansicht Unvermeidliches?“ Leibniz, dessen Gesicht blaß geworden war, ging im Amtszimmer Grotes auf und nieder.
„Eine große Intrige gegen Seine Hoheit?“ Grote verstand sofort und pfiff fast unhörbar durch die Zähne.
„Ja, eine Intrige. Ich weiß nämlich bereits, was Becher vorhat. Die tiefe Nachtstunde und seine Geheimtuerei haben mir den letzten Rest von Vertrauen zu ihm genommen. Das wird diesmal nicht nur solch ein harmloses, leicht zu bekämpfendes Geschwätz wie die Vorschläge des Kommerzienrates Kraft. Das wird Alchimie in großer Aufmachung mit Schauerstimmung und Schlußeffekten. Und darauf müssen wir vorbereitet sein. Becher ist ebenso gescheit wie Sie, Herr Geheimrat, und wie ich. Wenn man das Wort gescheit nämlich im Sinne der Schlauheit, Gerissenheit und Lebenskenntnis gebraucht.“ Leibniz blieb stehen und machte eine Pause. Dann fügte er bei: „Halten Sie es für Felonie gegen seine Hoheit, Herr Geheimrat, wenn ich die ,Unterstützung' Bechers in der Form durchführe, daß ich mir hier, irgendwo im Schlosse, einen chymischen Bereitschaftsdienst einrichte? Dazu aber brauche ich einen für alle unzugänglichen Raum.“
„Also dieses mein Amtszimmer hier“, lächelte Grote und wiegte graziös den Kopf. Dann setzte er leise fort: „Eine böse Angelegenheit, lieber Leibniz, in die Sie mich da verstricken. Denn auch der Herzog ist gescheit im vorhin festgestellten Sinne. Aber ich sehe zu meinem Schaden ein, daß Sie recht haben. Wen wollen Sie mir da als chymische Nachtwache hereinsetzen?“
„Baron von Dinkhofen als Aufsicht. Außerdem aber einen Chymisten und einen Fachmann aus der Münze. Denn es dürfte sich um Goldmacherei handeln. Schließlich muß auch noch ein kleines Laboratorium, gleichsam ein Taschenlaboratorium, untergebracht werden.“
„Der arme Schreibtisch!“ Grote lachte verzweifelt auf. Das ganze segelt unter der Flagge einer hochnotpeinlichen Staatsinquisition, über deren Ergebnis ich erst morgen Seiner Hoheit Bericht erstatten kann. Sie haben mir Dinkhofen geliehen. Comprenez vous? Und nun sehen Sie zu, wie Sie Ihre Verschwörerbande am besten und unau ífälligsten ins Schloß schmuggeln. Ich werde inzwischen für uns beide Gesuche an andre Höfe vorbereiten, wenn wir morgen hier hinausfiiegen. Auf Wiedersehen beim Souper, mon cherl“ Und er drückte Leibniz mit einem Gesichtsausdruck die Hand, der ebensogut als Schalkhaftigkeit wie als Besorgnis ausgelegt werden konnte.


Das Souper, an dem, außer Johann Friedrich, der Vizekanzler Ludolph Hugo, Geheimrat Grote, General Podewils und einige andere der unmittelbarsten Umgebung des Herzogs angehörige Edelleute teilnahmen, denen allen noch einmal fast feierlich strengstes Stillschweigen auferlegt worden war, ging zu Ende. Reichshofrat Becher war äußerst prunkvoll gekleidet und unterhielt die Gesellschaft in wenig vordringlicher, jedoch desto intensiverer Weise. Nur schien er, was Leibniz besonders auffiel, sein Wesen wiederum vollkommen verändert zu haben. Er war ein wenig angespannt und zerfahren, lachte manchmal unmotiviert auf, wobei sein charakteristisch scharfes Antlitz fast zu einer häßlichen Maske zerfiel, und behandelte im übrigen Leibniz so, als ob er ihn kaum kenne. Ja, er gab oft sogar ein wenig gereizte und wegwerfende Antworten. Gleich darauf starrte er vor sich hin, sein Gesicht erhielt wieder einen dämonisch unheimlichen und zwingenden Ausdruck und es folgten dann, sprunghaft und leuchtend, allerlei Anekdoten und Berichte, die auch weitgereiste und gebildete Menschen zum Auf horchen brachten.
Plötzlich bat er um Entschuldigung, sah auf die Uhr und erklärte, er müsse noch letzte Vorbereitungen treffen. In einer Viertelstunde hätten die Gestirne die richtige Konstellation für diese der größeren Kunst angehörigen Versuche. Und er biß wie ein Raubtier die Zähne zusammen, verbeugte sich und zog sich ebenso langsam als unaufhaltsam zurück.
„Ein mehr als interessanter Mensch“, meinte der Herzog ein wenig unsicher und sah dabei auf Leibniz, dessen Wesen ihn heute stutzig machte, obwohl Leibniz sich alle Mühe gab, seine Erregung zu meistern. „Für Sie übrigens, lieber Leibniz“, setzte der Herzog nachdenklich fort, „dürfte Reichshofrat Becher keine Neuigkeit mehr sein. Sie sind an das Bedeutende dieser einmaligen Erscheinung aus dem Reiche geheimer Wissenschaft jedenfalls schon gewöhnt.“
„So habe ich Herrn Becher noch nie gesehen“, entfuhr es Leibniz. „Obgleich ich ganze Tage in Hamburg mit ihm verbrachte.“
„Was meinen Sie damit?“ Der Herzog schien verstimmt. „Sie waren es doch, der nicht Rühmendes genug über die wissenschaftliche Größe Bechers berichten konnte?“
„Daran hat sich bisher nichts geändert. Nämlich an meiner Bewunderung seines wissenschaftlichen Könnens“, erwiderte Leibniz,der sich wieder in der Gewalt hatte. „Ich wollte vielmehr den Eindruck, den Hoheit in Worte faßten, nur bestätigen. Den Eindruck nämlich, den der Herr Reichshofrat heute auf alle macht. Es wird dies wohl mit der Größe der bevorstehenden Leistung zusammenhängen. Denn mir erschien Herr Becher sonst stets viel schlichter, einfacher, ungigantischer.“
„Ach so, dann ist ja alles in Ordnung“, sagte der Herzog, wobei er etwas verzerrt lachte. „Ich fürchtete schon, Sie seien auf das zweite Weltwunder, das bei uns in Hannover aufgetaucht ist, ein wenig eifersüchtig.“ Und er wandte sich sofort zum Vizekanzler und schlug ein andres Thema an.
Grote aber warf dem beinahe fassungslosen Leibniz einen schnellen Blick zu, der unzweideutig den Rat enthielt, sich nur um Gottes willen zu beherrschen. Er richtete auch nach dem Blick sogleich das Wort an Leibniz und dessen Nachbarn und scherzte in höchst unverbindlicher Weise über die bevorstehende Sensation.
Man hatte noch, in der eigentümlichen Stimmung, in der sich alle befanden, etwas mehr als sonst getrunken. Die Diener stellten eine Weinflasche nach der anderen auf den Tisch. Und es entwickelte sich schließlich eine lebhafte Konversation, in der General Podewils seiner guten Laune ungezwungen freien Lauf ließ.
Höchst unvermittelt meldete ein Diener, der Becher zugeteilt worden war, der Herr Reichshofrat lasse Seine Hoheit und alle übrigen Herren untertänigst in den Versuchsraum hinüberbitten. Er sei in diesem Stadium der Vorbereitung aus Gründen seiner Kunst nicht mehr imstande, das Laboratorium zu verlassen.
„Jetzt wird es ernst“, sagte der Herzog und erhob sich. „Es ist doch schön, in einer Zeit zu leben, in der der Geist die Geheimnisse des Weltalls zu ergründen beginnt.“ Und er ging voran, während die andren ihm in einer losen Gruppe folgten.
Schon der Eintritt in den Versuchsraum verblüffte alle. Becher hatte das Zimmer von unten bis oben mit schwarzem Stoff ausschlagen lassen, und die Beleuchtung, einige Kerzen und zwei glimmende Kohlenbecken, erzeugten infolgedessen nur ein hartes, in die Nähe wirkendes Licht.
Auf einem langen, ebenfalls schwarz behangenen Tische funkelten in sauber ausgerichteter Reihe Retorten, Probiergläser und Glaszylinder, die zum Teil mit verschieden gefärbten Flüssigkeiten gefüllt waren. Auf einem kleinen abseits stehenden Tischchen aber sah man in einer schwarzen Samtvitrine eine größere Anzahl von Silbermünzen.
Das Überraschendste jedoch an der geradezu theatralischen Aufmachung der Szene war die Erscheinung Bechers selbst. Er trug eine Tracht, die zwischen dem Habit eines Hofmanns. und eines Zauberers gerade die Mitte hielt. Zu schwarzen Schnallenschuhen, ebensolchen Seidenstrümpfen und Seidenhosen hatte er einen langen Schlußrock angelegt, der über und über mit silbergestickten Tierkreiszeichen bedeckt war. Während eine lange, kohlschwarze Allongeperücke in besonderer Fülle und Höhe seine Schultern überringelte.
„Ich fürchte mich“, flüsterte Grote Leibniz zu, der entgeistert auf den Spuk starrte und nichts erwidern konnte, da ihn vor allen anderen ein herrschsüchtiger Blick Bechers gepackt hatte.
Der Alpdruck löste sich aber sogleich, als Becher zwar ernst, doch äußerst liebenswürdig alle ersuchte, Platz zu nehmen, da er vorerst einige Bemerkungen machen wolle. Man ließ sich also auf die vorbereiteten Stühle nieder.
Becher wartete noch einige Augenblicke, bis sich der Diener entfernt hatte. Dann lächelte er plötzlich und sagte mit weicher, einschmeichelnder Stimme, er bitte für all das Ungewohnte um Vergebung. Es scheine vielleicht abgeschmackt, wenn nicht gar lächerlich. Aber auch in der großen Natur grenze das Lächerliche oft an das Grauen. Und so sei es hier. Man dürfe sich keiner Täuschung hingeben über das, was die nächste Stunde zeigen werde. Man befinde sich im obersten Stockwerk der Großen Kunst. Und es werde vor aller Augen der „Rote Löwe“, das geheimnisvolle Pulver der Eingeweihten, in Funktion treten. Er, Becher, sei bei Gott ein Mann strenger Wissenschaft. Aber Wissenschaft erstrecke sich von der plumpen Bauernregel, die noch keine eigentliche Wissenschaft sei, über die rein geistige Zone der landläufigen Wissenschaft bis hinauf zu Bereichen, die wiederum mehr als Wissenschaft bedeuteten, da sie an letzte Weltenrätsel streiften. Und dort endete die Nüchternheit. Dort drohten auch Gefahren, deren Bändigung nur der Hand des Eingeweihten gelinge. Er selbst könne und dürfe jede Verantwortung übernehmen. Aber seine Zuseher bitte er, streng seinen Weisungen zu folgen, da Stoffe, die in seiner Hand harmloses Salz seien, sich in der Hand des Unberufenen zu tausend Tonnen Pulver verwandeln könnten. Wenn nicht zu Schlimmerem. „Die anderen Goldmacher“, schloß er lächelnd, „bringen zur Verwandlung allerlei Nägel, Stäbe und Ringe mit, bei denen jeder Verdacht offenbleibt, daß es sich um künstlich vorbereitete Dinge handelt. Diese Scharlatane haben auch die Große Kunst in Verruf gebracht. Ich, der Reichshofrat Becher, gehe andere Wege. Ich demonstriere meine Verwandlungen nur an einem Silbergegenstand, der gleichsam nicht vorzubereiten ist. Nämlich an landläufigen Geldstücken. Man wird ja dem Reichshofrat bei allem berechtigten Mißtrauen kaum ansinnen, daß er das Münzregal der ersten und größten Staaten Europas durchbricht und Münzen fälscht. Das also wäre in Ordnung. Und ich brauchte kein Wort mehr zu sprechen, wenn die Große Kunst nicht ein Erfordernis zwingend heischte, das verdächtig anmuten muß. Die Große Kunst ist nämlich keine rein materielle, sondern eine sozusagen mystisch-geistige. Es handelt sich dabei, soweit ich sprechen darf, um Schwingungen, die alle Materie dem Geist des Eingeweihten verschwistern. Und deshalb, nur deshalb, darf ich Seine Hoheit und die anderen Herren nicht bitten, mir beliebige Münzen zu leihen, sondern ich darf nur Münzen verwenden, die schon seit einiger Zeit in meinem Besitze sind. Vorläufig gelang es mir leider nicht, diese störende Vorbedingung zu beseitigen. Und außerdem werde ich die erhabene Hoheit und die Herren jetzt ersuchen, sich meine nur geistig vorbereiteten Münzen ja recht genau anzusehen. Sie liegen dort in der Vitrine. Nur noch ein letztes Wort, das die Sicherheit Seiner Hoheit nötig macht. Es darf um Gottes willen kein andrer Silbergegenstand in die Nähe der Verwandlung kommen. Solches Geschehen würde genügen, das Schloß in Staub zu zerreißen. Und nun Hoheit, und verehrte Herren, steht der Prüfung meiner Münzen nichts mehr im Wege.“
Der Herzog erhob sich und trat vor. Ihm folgten die anderen. Leibniz aber benützte diese Sekunden, Grote zuzuflüstern:
„Teuflisch schlau! Wir werden nichts erreichen. Lenken Sie ihn ab, wenn ich die Münzen ansehe.“ Und er drängte sich, Neugier mimend, sogleich unter die Gruppe, die das kleine Tischchen umringte.
Der Herzog, der schon die Münzen musterte, lachte:
„Eine schöne Sammlung! Kaum ein Land Europas ist unvertreten geblieben. England, Spanien, Portugal, Venedig, Rom, Österreich, Brandenburg, Polen, Hamburg, Schweiz. Die Münzen sind echt, Herr Reichshofrat. Das kann ein Weitgereister, der beinahe alle schon in der Tasche hatte, beurteilen. Ich zweifelte auch nie an der Echtheit. Ihre neue Methode, jedes Mißtrauen auszuschließen, ist jedenfalls auch ein geistiges Kabinettstück. Gleichwohl, und das wird Sie nicht kränken, Herr Reichshofrat Becher, kann ich mir noch nicht vorstellen, daß die Verwandlung gelingt. Ich will es einfach nicht glauben, weil die Folgen zu ungeheuerlich wären.J
„In einer Stunde, Hoheit, können wir über diese Folgen sprechen“, erwiderte Becher lächelnd und verbeugte sich.
In Leibniz aber war während dieser wenigen Worte ein Sturm von Überlegungen losgebrochen. Längere Zeit für Angleich der „Schwingungen“? Ungeheuer geschickt! Deshalb konnten nur Münzen verwendet werden, die Becher selbst mitbrachte. Er würde ja gleich sehen, ob der „Reichshofrat“ nicht doch ein Münzfälscher war. Wie aber? Mit dem bloßen Auge? Das hatte man auch beim Nürnberger Nagel nicht gekonnt. Becher kannte diese Nägel. Hatte selbst darüber gesprochen. Er war ein Teufel an List. Denn daß er schwindelte, daran zweifelte Leibniz nicht mehr im geringsten. Und wenige Korridore entfernt saßen seine, Leibnizens, Leute im Zimmer Grotes. Wie sollte er eine der Münzen hinüberbringen? Einfach unmöglich. Der Herzog war sichtlich im Banne Bechers und würde jeden Zweifel mit Ungnade beantworten. Er hatte ihm ohnedies schon deutlich genug Eifersucht vorgeworfen. Nur Grote war noch eine leise Hoffnung. An dessen Geschicklichkeit hing alles. Hatte ihn Grote aber verstanden? Lauter ausländische Münzen? Becher steht wie ein Wachtposten daneben und beobachtet jede Bewegung. Mich wird er doppelt, dreifach bespionieren. Es ist ein infernalisches Geflecht aus List und Tücke. Aber Becher hat einen Fehler gemacht! Einen winzigen Fehler. Wie jeder Verbrecher. Es ist eine Hamburger Münze dabei. Und ich habe noch Hamburger Münzen in der Tasche. Ich habe mir einen Hamburger Silbergulden zum Andenken in die Westentasche gesteckt. Damit konnte er nicht rechnen. Wenn dort nur auch ein solcher Gulden liegt! Es muß ein Gulden sein. Ich werde das Lorgnon ans Auge nehmen. Hoffentlich versagt Grote nicht. Was aber, wenn Becher wirklich ein Adept ist? Und durch meinen Kunstgriff das Schloß Herrenhausen in Staub zerrissen wird? An solche Möglichkeiten habe ich nicht gedacht. Ich glaube nicht an Adepten. Auf jeden Fall kann ein ähnliches, wenn auch nicht so unmittelbares Unglück für Hannover und den Herzog eintreten, wenn Becher siegt. Gott weiß, daß ich nicht leichtfertig handle. Podewils ist mit der Besichtigung fertig. Jetzt kommt die entscheidende Sekunde. Grote kümmert sich nicht um mich. Den winzigen Seitenblick habe nur ich bemerkt. Das ist ein gutes Zeichen.
Und Leibniz trat, das Lorgnon am Auge, merkwürdig ruhig und gefaßt, an die Vitrine. Er entnahm ihr, ebenso langsam und interessiert wie bisher alle anderen, eine Münze und besah sie von allen Seiten. Ganz unmöglich, etwas zu erkennen. Es scheinen gewöhnliche Münzen zu sein. Einige waren sogar abgenützt und nicht ganz sauber. Er hätte sie alle, soweit er sie kannte, ruhig in Zahlung genommen. Jetzt aber schnell! Wo ist der Hamburger Gulden, wenn es wirklich ein Gulden ist? Grote scheint etwas Vorzuhaben. Er schiebt sich langsam an den Versuchstisch mit den chymischen Substanzen heran. Ah, da ist die Hamburger Münze! Hallelujah, ein Gulden! Ein Zwillingsbruder meines Guldens. Ich lege ihn wieder zurück. Betrachte das spanische Geldstück. Jetzt das schweizerische. Jetzt kommt die Entscheidung…
„Herr Reichshofrat Becher !“ ertönte plötzlich hell und durchdringend die Stimme Grotes. „Ich habe etwas angestellt. Sehen Sie sich meine Finger an.“
Becher, den schon Leibnizens langsames Gebaren ein wenig aus der Fassung gebracht hatte, fuhr jetzt herum:
„Was ist geschehen, Herr Geheimrat? Um Gottes willen, was fällt Ihnen aber auch ein, so nahe zu den Säuren zu gehen?“
Becher, der sofort sah, daß Grote mit der Hand in eine der Flüssigkeiten geraten war, schüttelte entsetzt den Kopf.
„Muß ich jetzt sterben?“ fragte Grote in seiner posiert tragikomischen Art. „Sie sagten doch nicht, daß diese schönen Wässerlein so gefährlich seien.“
„Sind sie auch nicht. Aber Brandblasen werden Sie bekommen, Herr Geheimrat. Es tut mir unendlich leid.“
Das kurze Gespräch war blitzschnell vorüber. Nicht so schnell jedoch, Leibniz zu verhindern, ohne auffällige Hast den Hamburger Gulden Bechers gegen seinen eigenen zu vertauschen. Als sich Becher, dem man den Argwohn ansah, mit einer gegen Grote nicht eben freundlichen Hast wieder zu Leibniz drehte, hielt dieser eine ungarische Münze in der Hand und fragte harmlos:
„Aus welchem Land stammt dieser Silberling, Herr Reichshofrat?“ Als ob ihn nichts anderes interessierte als numismatische Studien.
„Diese Münze?“ Becher schien kaum zuzuhören, verfraß sich vielmehr mit den Blicken förmlich in seine Vitrine und prüfte traumschnell, ob nichts fehle. Dann, als er die Vollständigkeit der Sammlung festgestellt zu haben glaubte, antwortete er mit wegwerfendem Lächeln: „Entschuldigen Sie, Herr Leibniz! Ich war noch über den Unfall des Herrn Geheimrates höchst erregt. Es ist eine hungarische Münze. Übrigens, haben Sie an den Münzen etwas Verdächtiges wahrgenommen? Gerade Ihr Urteil, als das eines jüngeren Chymisten, wäre mir wertvoll.“ Und er blickte Leibniz höhnisch, haßerfüllt und hochmütig gerade ins Gesicht.
„Nach dem Augenschein sind das alles schöne und echte Silbermünzen“, antwortete Leibniz und erwiderte lächelnd den Blick Bechers. „Ich bin jedenfalls ebenso gespannt wie Seine Hoheit.“ Und er drehte sich ab, um den letzten Besichtigern der Vitrine Platz zu machen.
Inzwischen war eine leise Konversation entstanden. Podewils begann eben sich über Grote lustig zu machen und dessen Unfall mit der verbrannten Hand Leibnizens in der Phosphor-Kömödie zu vergleichen. Dadurch war es Leibniz zwanglos möglich, wieder zu Grote zu treten und ihn nach einigen Augenblicken abseits zu ziehen, indem er vorgab, die Hand bei hellerem Licht besehen zu wollen.
„War ich brav?“ flüsterte Grote.
„Mehr als das“, gab Leibniz, ebenso leise, zurück. Dann drückte er ihm, während er noch die Hand untersuchte, den Hamburger Gulden Bechers zwischen die Finger. „Corpus delicti“, schloß er hastig flüsternd. „Es muß hinüber ins Laboratorium. Genau zu untersuchen. Besonders durch den Münzfachmann. Und Baron Dinkhofen soll irgendwie Meldung erstatten.“
„Sie tun mir weh, Leibniz“, erwiderte Grote laut. „Lassen Sie mich zufrieden mit Ihrer medizinischen Weisheit. Ich lege mir ein wenig Salbe auf und es wird nicht mehr brennen. Hoheit entschuldigen mich für zwei Minuten !“ Und er ging schon hinaus.
Becher fuhr auf.
„Ich vergaß zu sagen, daß es die Experimente stört, wenn jemand das Zimmer verläßt“, grollte er. „Nun ist es aber schon geschehen. Ich hoffe, es wird nichts schaden. Ich erwähne es auch nur für die Zukunft.“ Und er starrte wieder auf seine Münzen, konnte jedoch trotz eifrigster Forschung keine Veränderung entdecken. Er schien aber gleichwohl von einer bösen Ahnung besessen zu sein, denn er ging hinter der Vitrine in kurzen Schritten auf und nieder, während sein Gesichtsausdruck von einer Sekunde zur anderen wechselte.
Geheimrat von Grote kam tatsächlich nach sehr kurzer Zeit wieder höchst aufgeräumt zurück, noch bevor der Letzte der Anwesenden die Münzen geprüft hatte. Er zeigte scherzend, daß er sich seinen Finger verbunden habe und trat dann, ohne Leibniz auch nur zu beachten, mit dem Vizekanzler Ludolph Hugo abseits, mit dem er sich über außenpolitische Dinge, insbesondere über den Fortgang der Verhandlungen auf dem Kongreß von Nimwegen unterhielt.
Unvermittelt sagte Becher mit lauter Stimme:
„Ich glaube, daß eben der letzte Herr die Münzen besichtigt. Die Zeit ist vorgerückt. Wir dürfen die günstigste Minute nicht Versäumen. Ich bitte also alle, wieder gütigst Ihre Plätze einzunehmen.“ Und er trat hinter die Mitte des langen Versuchstisches und rückte eine große, schwere Glasschale, deren Durchmesser wohl mehr als eine Spanne betrug, gegen die vordere Kante des Tisches. Und als alle seiner Aufforderung folgten und auch der junge Edelmann, der als letzter bei den Münzen gestanden war, zu den Stühlen ging, setzte Becher fort: „Es ist ein einziges Experimentum crucis, ein, besser das entscheidende Experiment, das ich Euer erhabenen Hoheit und allen anderen zeigen werde. Wenig verwickelt und wenig bombastisch ist dieser Versuch in seiner äußeren Erscheinung. Aber noch einmal. Lassen Sie sich durch das schlichte Gewand nicht täuschen. Astrale Kräfte aus allen Regionen des Universums werden in den nächsten Augenblicken unsren Raum hier zum Treffpunkt ihrer unfaßbaren Strahlen machen. Und Kräfte werden in dieser Schale gebunden sein, die imstande wären, die Erde aus ihrer Bahn zu rücken, wenn nicht eine noch stärkere Kraft, die Kraft des Eingeweihten, sie bändigte. Und ich werde Ihre Geduld nicht auf die Folter spannen. Alle Münzen zugleich sollen der Verwandlung unterzogen werden. Damit Sie sehen, daß die Große Kunst unabhängig ist von der Form und der Legierung. Denn wieviel Münzen, soviel verschiedene Legierungen des Silbers ruhen dort in der Vitrine. Eine einzige Ausnahme muß ich machen, die Sie nicht stören wird.“ Er packte Leibniz, der fühlte, wie das Blut aus seinen Wangen wich, mit einem glosenden Haßblick. Becher merkte genau die Wirkung, die seine letzten Worte erzielt hatten. Ein flüchtiges Grinsen überzog das zerfurchte Gesicht des Reichshofrates und er schloß: „Ich habe mich entschieden, die hungarische Münze nicht in den Versuch einzubeziehen. Ich erinnerte mich nämlich, daß ich sie noch zu kurze Zeit besitze. Und ich will das Experiment nicht gefährden. Sie verzeihen dieses Versehen!“
Leibniz hätte vor Freude am liebsten aufgeschrien. Also Becher hatte überkombiniert, obwohl er auf der Fährte war. Und hatte geschlossen, daß Leibniz ihn durch die harmlose Frage nach der hungarischen Münze von seinem Trick hatte ablenken wollen. Alles geht jetzt den richtigen Weg. Jetzt nur um Gottes willen nicht versagen! Becher ist vielleicht noch schlauer und will nur wissen, ob es nicht eine andre Münze war. Niemand außer Grote ahnt, was hier vorgeht. Becher sieht mich wieder an, während er die hungarische Münze ausscheidet. Ich muß also erschrecken, enttäuscht, verzweifelt sein. Ich glaube, die Geste und der Gesichtsausdruck sind mir gelungen. Denn Becher fühlt sich plötzlich vollkommen sicher. Es ist an seiner höhnischen Grimasse zu merken. Jetzt also, renne in dein Verderben, großer Betrüger, der es nicht notwendig hätte, sein hohes Wissen und seine wahre hohe Kunst zu schänden!
„Wir beginnen“, sagte Becher plötzlich feierlich und überlaut und streute ein weißes Pulver in die glühenden Kohlenbecken. Dann ergriff er mit sonderbar zierlichen, beinahe tänzerischen Bewegungen, denen man die langjährige Übung und Vertrautheit sogleich ansah, eine der vorbereiteten Flüssigkeiten nach der anderen und mischte sie in der großen Glasschale, in die er dann alle Münzen hineinwarf, daß sie hell klangen und klirrten.
Es ergab sich ein fast farbloses Gemenge der Ingredienzien.
Plötzlich ging ein hörbares Erstaunen und Erschrecken durch den Raum. Bechers Antlitz überzog sich mit einer derart fahlen Leichenfarbe, daß alle wähnten, er würde im nächsten Augenblick zusammensinken.
Ah, er hat gewöhnliches Salz in die Räucherpfannen gestreut, durchfuhr es Leibniz. Warum wagt er solche Jahrmarktskunststücke? Aber er hat anscheinend Erfolg mit diesen Mätzchen. Denn selbst das Gesicht des Herzogs und des Generals werden von Herzschlag zu Herzschlag ernster, gespannter, ja durchschauderter. Jetzt greift die Beleuchtung auch auf uns über. Ich glaube, die Zuseher verspüren kalte Schauer auf dem Rücken. Du ahnst nicht, Komödiant, was du noch erleben wirst!
Becher starrte mit glühenden Augen in die Flüssigkeit. Einige Minuten verrannen in beinahe schon unerträglicher Spannung. Unvermittelt ein schaurig hohler, heiserer Ton aus dem Munde Bechers:
„Der rote Löwe!“ Und er griff blitzschnell in die Tasche, zog ein funkelndes Büchschen hervor und schüttete den Inhalt, ein zinnoberrotes Pulver, in die Glasschale, deren Flüssigkeit sich sofort zu einem blutfarbigen Gemenge verwandelte. Dann erfaßte der große Chymist noch schnell einen Glaskolben und goß ein wasserhelles Ingredienz in die Räucherpfannen, in denen es wild aufzischte und aus denen dicke Dämpfe aufstiegen.
„Transmutatio perfecta est! Die Verwandlung ist gelungen“, verkündete Becher, dessen Gesicht nach Verlöschen der Kohlenbecken wieder die gewöhnliche Farbe bekam, mit heiterer, klingender Stimme. „Und es wird mir die größte Ehre und Freude sein, wenn Seine Hoheit mit eigener Hand die goldenen Münzen der nun ganz und gar ungefährlichen Flüssigkeit entnimmt. Natürlich mit einer Holzzange. Denn die Flüssigkeit hat sich in den unteren Welten als Säure manifestiert.“ Und Becher verbeugte sich tief.
Ein Geflüster begann, als der Herzog sich erhob und vor den Tisch trat. Es war nicht auszudenken, was sich da eben vor aller Augen zugetragen hatte. Würde Becher das Geheimnis preisgeben? Würde Hannover in wenigen Monaten reicher sein als das sagenhafte Land Peru zur Zeit der Conquistadoren?
Der Herzog ergriff mit ein wenig zitternder Hand die Holzzange und tauchte sie in die trübe rote Flüssigkeit.
„Incredibile est visu!“ rief er in ehrlichem Erstaunen. „Es ist unglaublich, meine Herren! Sehen Sie selbst. Der Rheintaler blitzt in jungfräulicher Goldfarbe.“ Und er hielt das mächtige Goldstück unter die Kerzenflammen. Dann legte er es auf eine Platte, die ihm Becher reichte.
Und er wollte schon zu einem weiteren Lob ansetzen, als Becher einfiel:
„Hoheit haben erst eine Münze gesehen. Das könnte Zufall sein. Die wahre große Kunst verlangt die Verwandlung aller Gegenstände ohne die geringste Ausnahme. Wenn es Hoheit befehlen, können wir dann eine beliebige Münze mit der Feile durchschneiden. Damit Hoheit sich von der durchgängigen Verwandlung auch der innersten Partikel überzeugen. Also, ich bitte Hoheit geradezu inständigst, alle Münzen dem magischen Bade zu entnehmen.“ Und Becher blickte triumphierend von einem der Zuseher zum anderen.
„Gut, wenn Sie es so wollen!“ lachte Johann Friedrich. „Sie sind ein Wunder von Gewissenhaftigkeit. Und ich werde diese herrliche Stunde nie vergessen.“
„Auch ich nicht, erleuchtetste Hoheit Europasl“ erwiderte Becher emphatisch, die Hand auf die Brust drückend. „Hochdero Geist übertrifft wohl nur noch die Liberalität, die Hoheit den Wissenschaften angedeihen lassen.“
„Ich bin heute Nutznießer, nicht Förderer der Wissenschaft“, sagte der Herzog gütig. „Ach, da habe ich schon wieder solch ein herrliches Goldstück und noch eines. Ich komme mir vor, wie König Midas. jetzt aber, meine Herren, treten Sie alle näher! Der Herr Reichshofrat wird es gestatten. Ich bin nicht so ein Egoist, daß ich all die Wonne ganz allein genießen will.“
„Es wird mir eine Ehre sein, wenn die Herren näher treten“, erwiderte Becher ebenso großartig als höhnisch. „Und ich hoffe, daß auch der letzte Zweifler bekehrt ist.“
Er hatte diese Worte noch kaum zu Ende gesprochen, als sich sein Antlitz, diesmal wirklich, mit Leichenblässe überzog und zu einer furchtbaren Fratze entstellte. Aber auch Johann Friedrich war zusammengezuckt.
„Was bedeutet das, Becher?“ fragte er gepreßt. „Was bedeutet dieser unverwandelte Hamburger Gulden? Ich würde solchen teilweisen Mißerfolg für selbstverständlich halten, wenn Sie nicht eben vorhin ausdrücklich betont hätten, nur ein unbedingtes und ausnahmsloses Gelingen beweise die wahre und echte Große Kunst. Was haben Sie darauf zu antworten, Herr Becher? Noch einmal, was bedeutet dieser Gulden, der, wie ich weiß, vorhin in der Vitrine lag und sich nicht verwandelt hat?“
„Geheimrat Grote und ich werden es Euer durchlauchtigsten Hoheit erklären, was er bedeutet“, tönte die kalte Stimme Leibnizens.
Der Herzog drehte sich jäh herum. Doch bevor er noch den Mund öffnete, schrie schon Becher:
„Ah, also von dieser Seite die Intrige? Ich merkte es genau, das Sie manipulierten, Leibniz. Nur glaubte ich, es sei die hungarische Münze gewesen. Sie haben, klipp und klar ausgesprochen, nicht nur versucht, einen größeren Nebenbuhler bei Seiner Hoheit auszustechen, sondern dazu noch in verbrecherischer Weise das Leben Ihres Landesherrn aufs Spiel gesetzt. Sie gehören in den Kerker, Herr Leibniz. Dafür, daß Sie trotz meiner Warnung, einen falschen Silbergulden einschwindelten.“
„Oder einen echten“, lachte Grote auf.
„Das geht zu weit, meine Herren!“ fiel der Herzog in hartem Befehlstone ein. „Sie werden sich zu rechtfertigen haben, Herr Becher, aber auch Sie, Geheimrat Grote, und Sie, Herr Leibniz. Ich dulde keine solchen Verschwörungen. Die übrigen Herren bitte ich, sich zu entfernen, nachdem zwei Offiziere der Garde vor diesem Zimmer Aufstellung genommen haben. Und ich erinnere Sie alle ohne Ausnahme an Ihren speziellen Eid.“ Johann Friedrich ging, die Hände auf dem Rücken, in höchster Erregung auf und nieder. Eine Münze, die auf den Boden gefallen war, stieß er mit dem Fuß weg, daß sie klirrend durchs Zimmer rollte.
„Ich werde sofort abreisen, Hoheit“, sagte Becher beinahe drohend. „Und beim Hof in Wien Beschwerde führen.“
„Gar nichts werden Sie!“ herrschte ihn der Herzog an. „Gar nichts, bevor alles geklärt ist. Grote und Leibniz haben ein Recht auf Widerlegung Ihrer geradezu unglaublichen Vorwürfe.“
„Ich bitte, Baron Dinkhofen hereinrufen zu dürfen. Er hat in unsrer Sache wichtigste Meldung zu erstatten“, sagte Grote gedämpft.
„Wozu Dinkhofen?“ Der Herzog schüttelte den Kopf. „Aber meinetwegen. Rufen Sie ihn.“
Es waren furchtbare Minuten, als Grote den Raum verlassen hatte. Becher stand, noch immer verzerrten Antlitzes, hinter seinem Versuchstisch und goß in sinnloser Erregung einige Säuren in ein Probierglas, die er dann wieder achtlos ausschüttete.
Der Herzog aber hatte sich in seinen Stuhl geworfen und starrte zu Boden, während Leibniz auf die leere Vitrine blickte; wobei all die Aufregung der letzten Stunden neuerlich in ihm lebendig wurden und vor seinem inneren Auge in gespenstischem Tanze noch einmal abrollten.
Plötzlich war Grote mit Dinkhofen wieder im Zimmer.
„Ich habe ein Protokoll aufgenommen“, meldete der junge Offizier ohne jede Scheu und stellte sich stramm. „Herr Geheimrat hat mir befohlen, es Eurer Hoheit untertänigst vorzulesen. Es ist streng nach den Fragepunkten des Herrn Rates Leibniz verfaßt.“
„Ich verstehe gar nichts mehr“, fuhr der Herzog auf.
„Das Protokoll“, antwortete Leibniz, „ist das Ergebnis der chymischen, physikalischen und münztechnischen Prüfung des aus der Vitrine des Herrn Becher herstammenden angeblichen Hamburger Silberguldens, den ich gegen einen unzweifelhaft echten Hamburger Gulden aus meinem Besitz vertauschte. Ich kenne das Protokoll selbst noch nicht. Es sollte mich aber freuen, wenn sich die beiden Gulden nur durch jene gewisse astralen, also chymisch und mechanisch unfeststellbaren, Schwingungen“ unterschieden, wenn sich also, kurz gesagt, der Adept Becher nicht des Verbrechens der Münzfälschung und des Verbrechens des Betrugversuches an Seiner Hoheit und dem Herzogtum Calenberg und Göttingen schuldig gemacht hätte.“
„Was ist das wieder für ein Schwindelprotokoll?“ schrie Becher auf. „Wer konnte in dieser kurzen Zeit etwas prüfen?“
„Ein Chymiker aus den herzoglichen Laboratorien und ein Fachmann unserer Münze. Sie saßen in meinem Amtszimmer in Bereitschaft“, sagte Grote.
„Auf Befehl des Herzogs?“ keuchte Becher.
„Nein, auf unseren Befehl“, erwiderte Grote. „Und auf unsere persönliche Verantwortung. Wir sind nämlich, werter Herr Becher, auch bereit, für unsren Landesherrn und für unser Vaterland zu sterben. Ohne Pathos, Herr Becher. Verstehen Sie das?“
„Lesen Sie das Protokoll, Dinkhofen“, befahl der Herzog tonlos.
„Es ist kurz“, meldete Dinkhofen, das Papier in der Hand. Dann las er: „Der vorgelegte Hamburger Gulden war nicht geprägt, sondern gegossen. Allerdings mit großer Kunstfertigkeit. Es war erst mit stark vergrößernden Lupen möglich, dies einwandfrei festzustellen. In den von Herrn Leibniz angegebenen gewöhnlichen Säuren nahm er keine Goldfarbe an. Dagegen zeigte eine genaue, wiederholte Wägung, daß sein Gewicht das aus den hier vorliegenden Tabellen genau bekannte Münzgewicht des echten Hamburger Guldens merklich übertraf. Die Proben an den Probiersteinen führten zu keinem auffallenden Ergebnis. Doch scheint es, daß die gefälschte Münze mit einer dünnen echten Silberschicht überzogen ist. Weitere Nachforschungen konnten nicht angestellt werden, da eine Erlaubnis zum Abfeilen oder zur Abstechung von Spänen nicht vorlag.“ Dinkhofen schlug neuerlich die Hacken zusammen und schwieg.
Johann Friedrich aber war aufgestanden. Er trat an den Tisch und blickte Becher drohend gerade ins Auge:
„Was haben Sie zu antworten, Herr Becher?“
Becher grinste merkwürdig verzerrt und zuckte die Achseln. Dann sagte er geringschätzig:
„Mir ist nach dieser Intrige des Herrn Leibniz alles gleichgültig. Gut, ich gebe zu, daß er mich hier hinausgebissen hat. Aber Europa ist groß, und nicht überall stehen zwischen der Gerechtigkeit und dem Landesherrn Leute vom Schlag eines Leibniz.“
„Leider stehen Sie nicht überall zwischen den Betrügern und dem Landesherrn, Herr Becher“, erwiderte der Herzog geringschätzig. „Im übrigen habe ich meine Entscheidung schon getroffen. Ich werde die von Ihnen, Herr Becher, soeben blasphemierte Gerechtigkeit nicht spielen lassen. Weil Leibniz Sie für einen großen und fruchtbaren Gelehrten und Könner hält. Nur deshalb! Und Herr von Grote wird über alles, was wir wissen, einen geheimen Akt verfassen. Eine staatsprozessuale Anklageschrift. Und dieser Akt wird so lange in unsren Archiven ruhen, als Sie, Herr Becher zu Ehren und zum Nutzen Deutschlands in der kleineren Kunst weiterarbeiten, die in Wahrheit Ihre große Kunst ist. Ich hoffe, Sie verstehen mich. Und ich hoffe, daß Sie längstens übermorgen die Grenze meines Landes überschritten haben werden. Man wird Sie dorthin begleiten. Und nun ziehen Sie in Frieden, Reichshofrat und Chymist Becher! Der Alchimist Becher möge heute gestorben sein.“ Und der Herzog verließ, gefolgt von Grote und Leibniz, den unheimlichen Versuchsraum.
Als sie aber das Arbeitszimmer Johann Friedrichs betreten hatten, sagte der Herzog:
„Ihr seid mir nette Verschwörer! Eigentlich sollte ich Euch, auf einige Tage wenigstens, einsperren. Ich habe mir aber leider schon vor Ihrer Abreise die Hände gebunden, Leibniz. Mit der Ankündigung einer Überraschung. Und so wünsche ich Ihnen alles Glück zu Ihrer Ernennung zum wirklichen Hannöverschen Hofrat, lieber Leibniz. Gehen Sie jetzt noch einmal hinüber, Herr Hofrat, und sorgen Sie dafür, daß der geistvolle Schwindler durch Dinkhofen beim Abtransport seines Krimskrams überwacht Wird. Ich habe noch mit Grote zu sprechen. Mir ist es aufrichtig gesagt, lieber, daß man das Gold nicht künstlich erzeugen kann. Es Wäre Wahrscheinlich nur ein Unglück für die Menschheit. Und nun, auf Wiedersehen, Hofrat Leibniz!“
Durchwogt von sonderbar zwiespältigen und aufwühlenden Gefühlen verneigte sich Leibniz tief, sagte einige Worte innigsten Dankes und verließ das Zimmer. Schon draußen im Korridor aber klärte sich sein Gemüt zu sieghafter und jubelnder Freude über die neuen Aufgaben, die seiner harrten.


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